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Tag 1 - Als ich …
Оглавление… das Bürogebäude betrat und in der sechsten Etage angelangt war, in welcher sich mein Büro befand, kam mir meine Chefin auf dem Flur entgegen. Nicht wie erwartet, fragte sie nach dem Grund für meinen späteren Arbeitsbeginn, sondern begrüßte mich lediglich mit einem kurzen „Guten Morgen“ und lief an mir vorbei. Erleichtert flüchtete ich in mein Büro und schloss hinter mir die Tür. Je weniger Fragen, umso weniger Notlügen musste ich mir einfallen lassen. Da ich ein Arbeitszimmer für mich alleine hatte und sich die Akten nur so auf meinem Schreibtisch stapelten, konnte ich mich für den restlichen Arbeitstag sehr gut in diese vertiefen und fand genug Ablenkung. Genügend, um die neuen Umstände völlig zu vergessen. Zur Mittagspause versammelte sich das gesamte Kollegial im Pausenraum und wir tranken zusammen eine Tasse Kaffee, jeder aß entweder sein Mitgebrachtes von zu Hause oder verspeiste etwas Gekauftes aus der Kantine. Gespräche über die Arbeit waren tabu und falls doch jemand in die Verlegenheit käme, irgendetwas Geschäftliches anzusprechen, wurde sofort mit unserer Sparbüchse in Form einer Kaffeemühle geklappert und derjenige Redner musste fünfzig Cent in den dafür vorgesehenen Schlitz einwerfen. Eine sehr gute Idee, wie ich fand. Zu den Frühstücks- und Mittagsrunden herrschte stets eine lockere Stimmung und private Themen wurden besprochen, zumindest nur so viel, wie jeder von sich Preis geben wollte.
Niemand erwähnte mein zu Spätkommen, denn heute war Herr Müller das Thema. Ein jahrelanger Kollege, der diese Woche Urlaub hatte, bald in seinen wohlverdienten Ruhestand ging und diesbezüglich eine große Feier für die zukünftigen ehemaligen Kollegen plante. Unser Gesprächsinhalt bezog sich nunmehr darauf, was wir, als Kollegial, für Überraschungen planen wollten und für Ideen für das Abschiedsgeschenk hatten. Anregungen wurden gesammelt und sofort notiert. Zugegeben, ein Stück weit unterhielten wir uns zwar doch über die Arbeit, aber für das Einwerfen in die Sparbüchse wurden tatsächlich nur fachspezifische Themen bestraft. Auf jeden Fall lenkte mich die angeregte Unterhaltung von meinem persönlichen Problem ab und die restliche Zeit auf Arbeit verrannte wie im Fluge. Pünktlich um fünfzehn Uhr fuhr ich mein Computer runter. Feierabend. Nun hieß es für mich, zur Kita zu fahren, um meine Söhne abzuholen.
Valentin, Simon und Adrian spielten gerade im Sandkasten, als ich am Kindergarten ankam. Simon erblickte mich als Erster, ließ sein Spielzeug fallen und kam freudenschreiend auf mich zugerannt. Mit ausgestreckten Armen kauerte ich nieder und nahm Simon fest in diese. „Hallo Mami“, jubelte er und gab mir einen Kuss. Es dauerte keine Minute, bis seine zwei Brüder mich ebenfalls entdeckt hatten und zu mir kamen. Ein jeder wurde zur Begrüßung fest umarmt und geküsst. Dann zeigte ich auf die Erzieherin, von der sich die Drei verabschieden sollten, währenddessen ich von drinnen ihre Rücksäcke holte. Wie ein dressierter Hund gehorchten mir meine Kinder jeweils aufs Wort und verabschiedeten sich ganz anständig von ihr. „Wenn es nur immer so klappen würde“, dachte ich. Dennoch war ich froh, dass sie alle drei wussten, wie sie sich in der Öffentlichkeit und gegenüber Dritten zu verhalten hatten. Das dies zu Hause nicht immer so gut klappte, war ganz normal. Immerhin sind es Kinder. Jungs dazu. Drei mit einmal. Temperamentvoll und lebendig, für die Ruhe ein Fremdwort ist.
Wir hatten das Kindergartengelände noch nicht verlassen und jeden meiner Söhne überkam das Bedürfnis, mir von seinem Tag zu erzählen. Drei unterschiedliche Stimmen prasselten auf mich ein. Durcheinander und laut. Ich verstand nur brockenweise mal von Simon, mal von Valentin, mal von Adrian. Auf die Frage, was es zum Essen heute Mittag gab, erhielt ich drei unterschiedliche Aussagen. „Nudeln“, „Kartoffeln“ und „Nichts“ waren die Antworten. Ich konnte mir etwas aussuchen. So verhielt es sich immer, wenn ich unsere Mäuse aus der Kita abholte. Früh war es im Vergleich entspannter. Zum einen steuerte die Müdigkeit die Kinder und zum anderen erlebten sie natürlich im Schlaf nicht so viel, wie einen ganzen Tag mit ihren Gleichgesinnten. Das Nachmittagsszenario ist ziemlich niedlich und bringt mich immer wieder zum Schmunzeln. Es sei denn, ich bin nervlich angespannt oder im Zeitdruck, dann kann das Abholen auch zu einer Tortur und Geduldsprobe werden. Zum Glück hatten wir sie mit ihren fast vier Jahren soweit, dass sie langsam eigenständig und selbstständig wurden und mittlerweile viel verstanden. Das entlastete mich als Mutter ungemein und auch Florian genoss ein kleines Stück unserer wiedergewonnenen Freizeit.
Da war er wieder, der Gedanke an meinen heutigen Frauenarztbesuch. Momentan war ich froh, dass alle drei neben mir und brav an meiner Seite zum Auto liefen und selbstständig in dieses hineinkletterten, so dass ich sie nur noch anschnallen musste. Wie verhielt es sich zusätzlich mit einem Baby? Ein Kleinkind, dass ich zwar wieder herumtragen darf, aber wenn es dann ans Erlernen des Laufens geht und dieses kleine Geschöpf wackelig und langsam an meiner Hand läuft und dessen Brüder schon ungeduldig nach uns rufen, drängeln und davonrennen und ich mich in diesem Moment am besten teilen müsste, wie schnell würde dann meine Freude über die ersten Gehversuche in eine Ungeduld umschwenken? Nein, es war gut so, wie es war und mit diesem Gedanken setzte ich mich ins Auto und wir vier fuhren nach Hause.
Nachdem ich die Rucksäcke der Jungs sowie meine Handtasche in die Wohnung gebracht und mich im Anschluss auf die Bank neben unserem Trampolin im Garten gesetzt hatte, beobachtete ich das rege Treiben der Kinder. Mein Mann war noch auf Arbeit und so konnte ich mir in Ruhe bewusst werden und verinnerlichen, worüber wir bereits vor sechs Monaten nachgedacht und diskutiert hatten - ein weiteres Kind kam für uns nicht in Frage. Irgendwann ist der Zeitpunkt für einen selbst gekommen, in dem man in sein Inneres horcht und feststellt, es ist alles perfekt, genauso wie es ist. Genau diesen Zeitpunkt hatten wir bereits vor einem halben Jahr, also warum jetzt alle Überlegungen über Bord werfen. Es war gut so, wie es war. Als ich auf der Bank saß und meine Jungs musterte, zauberte es mir ein Schmunzeln ins Gesicht. Mir wurde klar, was für drei wunderbare Jungs ich habe, welches Glück ich hatte, dass meine Schwangerschaft im Großen und Ganzen problemlos verlief und ich drei gesunde Söhne ohne eine geistige oder körperliche Behinderung gebar. Dieses Glück wollte ich nicht noch einmal herausfordern und riskieren.
Plötzlich öffnete sich unsere Terrassentür und Florian kam heraus. In Gedanken hatte ich völlig die Zeit vergessen. Mittlerweile zeigte die Uhr siebzehn Uhr dreißig. „Zeit zum Vorbereiten des Abendbrotes“, dachte ich und erhob mich von der Bank. Auf den Weg Richtung Terrasse traf Florian und ich aufeinander. Er gab mir, so wie immer, einen Begrüßungskuss und nahm mich dann fest in den Arm. „Und?“, hauchte er mir wissbegierig ins Ohr, doch ich schmetterte die Frage ab. „Lass uns später in Ruhe und ohne die Kinder darüber reden“, warf ich ein und löste die Umarmung.
Beim Wechseln der Schuhe blickte ich kurz zurück und beobachtete für einen Moment, wie Florian unsere Söhne nacheinander begrüßte und in den Arm nahm. „Ein schönes Bild. Wie eine heile Familie“, dachte ich mir. Dieses Bild sollte so bleiben und sich nicht noch einmal ändern.
Dann verschwand ich in der Wohnung.
Die neue Erkenntnis kehrten wir ganz gekonnt an dem restlichen Tag unter den Tisch. Abgesehen davon, dass es definitiv Möglichkeiten und die Zeit gegeben hätte, das Thema ins kleinste Detail durchzusprechen, gingen wir uns jedoch, bewusst oder unbewusst, gekonnt aus dem Weg. Während des Abendessens füllten wir die Zeit zwischen dem Kauen mit Unterhaltung unserer Kinder. Beim zu Bett bringen der Zwerge ließen wir uns viel Zeit und gingen auf die Wünsche jedes einzelnen gerne ein und im Anschluss, als Zeit zum Reden gewesen wäre, verabschiedete sich Florian zum Fußball schauen zu seinem Freund. Letzteres zu verschieben wäre auf jeden Fall eine Variante gewesen, um stattdessen ein Gespräch mit seiner Frau zu führen.
Vermutlich brauchte Florian für sich Zeit, um über eine mögliche Schwangerschaft seiner Frau und dessen Folgen nachzudenken und ich war ehrlich gesagt nicht böse, nicht schon wieder das Für und Wider auszudiskutieren. Es strengte mich an. Nach diesem aufregenden Tag war es ganz gut, eine Nacht über das Thema zu schlafen, alles wirken zu lassen und morgen in Ruhe über die neue Feststellung zu sprechen und eine klare Entscheidung für sich selbst zu treffen.
„Auch gut“, redete ich es mir schön und konnte dafür alleine auf dem Sofa verweilen und es mir gemütlich
machen.