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Tag 2 - So geschah es dann auch.
ОглавлениеMit gefütterten Matschhosen, Winterjacken, Halstüchern, Mützen und den gefütterten Lederschuhen gekleidet, schlugen wir fünf bei Luis auf, der uns freudestrahlend in Empfang nahm und uns in seine überdachte und mediterran angehauchte Sitzecke einlud, die einem Wintergarten mit zahlreichen Kakteen glich und durch entsprechendem Mobiliar zum Verweilen anregte. Trotz des miesen Wetters sorgte das Kerzenlicht der zahlreich aufgestellten Laternen am Abend für eine gemütliche und romantische Atmosphäre. Clara kam gerade aus dem angrenzenden Wohnzimmer. „Schön, dass ihr da seid“, hieß auch sie uns willkommen und verschwand gleich wieder in die Küche, um die restlichen Speisen für das Grillen vorzubereiten. Luis bestückte währenddessen eine Schale mit Holz und tanzte wie Rumpelstilzchen um diese und unsere Jungs ganz aufgeregt hinterher. Sehr zu Freuden der Kinder wollte Luis nach dem Grillen, sofern das Wetter mitspielte, ein Lagerfeuer machen und schon jetzt, kurz nach Aussprache dessen Idee, konnten die Dreikäsehoch es kaum erwarten.
„Was darf ich euch zu trinken anbieten? Ein Bier oder ein Glas Wein? Ich habe auch Radler da.“
Florian entschied sich für eine Flasche Bier und bevor ich Luis antworten konnte, sah ich zögernd und gleichzeitig fragend meinen Mann an. In seinem Sortiment zählte er nichts Alkoholfreies auf. Mit zaghafter und unsicherer Stimme und immer noch den Blick auf Florian gerichtet, entschied ich mich für „ein Radler bitte.“ Halb Bier, halb Zitronenlimonade. Immerhin. Rein für das Gewissen in meinem jetzigen Zustand.
Der Abend verlief sehr gemütlich. Luis zündete die Holzkohle im Grill an und bestückte diesen reichlich mit Fleisch, als die Kohle sich in graues Glutbett verwandelt hatte. Immer wieder ein faszinierendes Spektakel für unsere Kinder. Eigentlich alles, was mit Feuer zu tun hat. Ob das Lagerfeuer, die brennende Kohle oder das Feuer im Kamin ist, Hauptsache irgendetwas brennt und am besten wird hierzu die Feuerwehr gerufen. Unsere Jungs verstanden noch nicht, dass sich die Realität von den Trickfilmen im Fernsehen völlig unterschied, gerade wenn es um Gefahren ging. Umso unruhiger war ich, wenn sie sich dem Grill näherten oder generell mit langen Stöcken in Feuerschalen herumstochern wollen.
Momentan lehnte ich mich ganz beruhigt in den Terrassenstuhl unter dem Glasdach, blickte zu den Männern und den Jungs am Grill und lauschte den Regentropfen, die auf das Dach leise anklopften, so als würden sie reingelassen werden wollen. Ich stellte meine, mit bisher wenigen Schlucken angetrunkene Flasche auf den Holztisch und fuhr mit meinen Händen in die Jackentasche. Eisig kalt waren sie und mussten gewärmt werden. Als ich in meiner gemütlichen und entspannten Situation einige Minuten verweilte, bemerkte ich plötzlich, dass meine Hände zwar warm waren, aber sie immer noch fest an meinem Bauch lagen. Besser gesagt, auf meinem Bauch. So, wie es eigentlich jede Schwangere macht. Das Kind zu beschützen und zu behüten. Solche Handlungen und Gesten konnten nur von meinem Herz gesteuert werden, denn in meinem Kopf ertönte ein ganz anderes Signal.
Als Clara zur Stubentür auf die Terrasse trat, zwei Schüsseln mit Salat tragend, nahm ich sofort meine Hände aus den Jackentaschen und sprang auf, um ihr zu helfen. So bewahrte ich mein Bild des Anstandes und für alle anderen den Augenschein der Unterstützung. Ich hingegen kam mir ertappt vor, wie bei einer unerlaubten Handlung, als hätte ich etwas Verbotenes gemacht. Als Schwangere war es ganz legitim, dass ich meine Hände auf meinen Bauch legte, jedoch sollte niemand von meinen Umständen Kenntnis tragen. Auch Florians bester Freund nicht. Eine geplante Abtreibung ist schließlich nichts, womit man in der Öffentlichkeit angibt, es am liebsten in die weite Welt hinausschreien will und prahlen kann. Anders bei einer gewollten Schwangerschaft.
Kaum waren die Nudel- und Kartoffelsalatschüsseln an ihren dafür vorgesehenen Platz abgestellt, blickte mich Clara an und fragte. „Trinkst Du ein Glas Rotwein mit mir mit? Alleine mag ich keins genießen.“ In diesem Moment horchte ich, sowohl auch Florian, auf und erneut trafen sich unsere Blicke. Fast so wie ein Kleinkind seine Eltern ansieht, wenn es um Erlaubnis bittet. Innerhalb kurzer Zeit verlockte nette Gesellschaft zum Konsumieren von Alkohol und unbemerkt darauf zu verzichten, ohne eine Anspielung wie zum Beispiel „bist du schwanger oder krank“ an den Kopf geworfen zu bekommen, war unmöglich. Wie mag es dann jeden trockenen Alkoholiker ergehen? Standhaft bleiben ist eine Herausforderung! Das Geheimhalten einer Schwangerschaft aber auch!
„Trinkst du mein Radler weiter?“ rief ich Florian zu und ein Nicken folgte als Antwort. Ich schenkte meine Aufmerksamkeit wieder Clara und meinte „Ja, warum nicht.“
Sie machte auf dem Absatz kehrt und holte von drinnen eine Flasche Wein sowie zwei Gläser. Das verschaffte mir erneut Zeit. Zeit zum Nachdenken, was in meiner jetzigen Lage kontraproduktiv war.
„Ja, warum nicht?“, fragte ich mich selbst. Es gab keinen Grund, mit einem schlechten Gewissen Alkohol zu trinken. Wie bereits erwähnt, der Entschluss für eine Abtreibung stand. Es war somit völlig egal, ob ich verbotene Genussmittel zu mir nahm oder mich ausschließlich von Ungesunden ernährte. In diesem Zusammenhang schoss mir ein Gedankenblitz. „Misst, ich habe überhaupt nicht das Medikament ´Folioforte` genommen!“ Meine nachdenklich, zugekniffenen Augen suchten vergebens und hektisch einen fixen Punkt in dem offenen Raum und ließ gleichzeitig meinen Mund einen Spalt offenstehen. Ich weiß noch aus meiner ersten Gravidität, wie wichtig es war, dieses Präparat einzunehmen. Am besten schon drei Monate vor Beginn der Schwangerschaft und noch besser ab dem ersten Gedanken an eine gewünschte Schwangerschaft. Dieses Produkt war in aller Munde, in jeder Zeitschrift und Ärzte erinnerten immer wieder daran. Natürlich hielt ich mich an den Ratschlag, unwissend bei der ersten Schwangerschaft sowieso. Immer wieder wurde gepredigt, wie wichtig die Folsäure und das Vitamin B12 für Mutter und Kind sei. Und nun? Nicht einmal annähernd nahm ich etwas in der Form zu mir. Standen die Zeichen für das Baby jetzt schon schlecht? Die ersten Weichen, die gestellt werden müssen, habe ich völlig ignoriert. Was ist die Konsequenz? Trägt das Baby daher einen Schaden? Körperlich oder geistig oder beides? Ist damit bereits der Weg für das Baby vorbestimmt? Auch ohne unsere Entscheidung? „Quatsch!“, redete ich mir ein. Wie viele Pärchen werden unerwartet schwanger, nehmen ebenfalls dieses oder ein ähnliches Präparat nicht und bekommen gesunde Babys? Bestimmt genug! Garantiert.
„Na dann, auf einen schönen Abend!“, vernahm ich plötzlich eine Stimme aus dem Hintergrund und erschrak. „Wo warst Du denn gerade mit deinen Gedanken?“, fragte Clara lachend. Sie saß neben mir in dem Gartenstuhl, die geöffnete Weinflasche stand auf dem Tisch und die halbvollen Gläser hielt sie in den Händen, von welchem sie mir eins reichte. Ich war so in meiner eigenen Welt vertieft, dass ich nicht bemerkte, wie sie wieder aus dem Haus kam und sich neben mir niederließ.
Meine gedankliche Abwesenheit blieb nicht unbemerkt und vom Grill her ertönte Luis Stimme, der mein Zusammenzucken beobachtet hatte und anfangs mit Clara mitlachte, nun aber besorgt nachhackte. „Ist alles gut bei Dir, Conny? So nachdenklich kenne ich dich gar nicht.“ Damit traf er genau ins Schwarze. Sonst grübelte ich nicht so viel und war stets geistig anwesend, aber das Baby in mir beschäftigte mich doch mehr, als ich dachte und zugeben wollte.
„Ja, es ist alles gut. Entschuldigt bitte“, erwiderte ich und griff zu dem Weinglas. Mit „danke für die Einladung“ stieß ich mit Clara an und nahm einen Schluck. Kaum das Glas abgestellt, war das Gegrillte fertig und alle nahmen an dem Tisch Platz. Ein besseres Zeitgefühl konnte Luis nicht an den Tag legen, denn genau in dem Moment, als alle in der überdachten Sitzecke einen Platz fanden, begann es in Strömen zu regnen und der Wind peitschte. „Hier habt euch ja das schönste Grillwetter ausgesucht“, meinte ich ironisch und schlagfertig, wie Luis war, konterte er sofort. „Bei schönem Wetter kann ja jeder grillen!“ und lachte. Simon zupfte mich am Arm und wimmerte „Mama, mir ist kalt.“ Stimmt, das Nasse und der Wind machte es wirklich ungemütlich, aber Clara hatte für den Fall der Fälle vorsorglich ein paar Sofadecken mit rausgebracht, die ich den Kindern sowie auch mir über den Schoss legte. „Gleich wird es schön warm“, meinte ich liebevoll zu ihnen und setzte mich im Anschluss wieder, so dass wir die aufgetischten Speisen genüsslich verschlingen konnten. Es sah alles so verlockend aus und ich hatte so einen Appetit. Selbst als mir Luis noch ein Steak anbot, konnte ich das nicht ablehnen, obwohl ich bereits deutlich über mein Maß hinaus aß. Mich wunderte es, dass niemand etwas sagte, wie „du hast heute aber einen gesunden Appetit“ oder „bei euch ist wohl nur Licht im Kühlschrank“ oder irgendwelche vergleichbaren ironischen Bemerkungen. Ganz im Gegenteil, selbst als ich die Rester der Kinder verschlang, verlor niemand ein Wort. Umso besser, so musste ich mich auch nicht rechtfertigen.
Der Regen ließ nach und es war windstill geworden. So konnte Luis wie geplant, ein Lagerfeuer entfachen. Wir rückten unsere Stühle nach draußen ins Freie, rund herum um die Feuerschale. Sehr zur Freude unserer Jungs. So waren sie beschäftigt und konnten den lodernden Flammen zusehen und zusammen mit einen von uns Erwachsenen ab und an ein Stück Holz auflegen.
Nun gesellte sich auch Isabell und Dominik zu uns, ein befreundetes Pärchen. „Entschuldigt die Verspätung, aber das Abendessen bei meinen Eltern dauerte länger als gedacht“, warf Dominik in die Runde, als sie jeden von uns einzeln begrüßten. Mit einem freudigen Händedruck meinte Luis „Ich nehme an, dass ihr nichts mehr essen wollt.“ Dominik legte eine Hand auf seinen Bauch und meinte lächelnd „Nein, ich glaube, hier passt nichts mehr rein.“
Bei dieser Antwort fiel mir auf, dass auch ich erneut meine Hand versteckt in der Jackentasche, auf meinen Bauch hielt. Reiner Reflex. Ganz unbewusst. Doch diesmal zog ich sie nicht weg, denn aufgrund der mittlerweile nur noch vorherrschenden sechs Grad Celsius Außentemperatur eine gute Möglichkeit, sich selbst zu wärmen.
„Aber ein Bier, oder?“
Dominik willigte ein. Isabell schloss sich uns Frauen an. Nach der Begrüßungsrunde saßen sechs Erwachsene gemütlich, drei Kinder standen am Feuer mit langen Stöcken in der Hand haltend und immer wieder kurz darin herumstochernd. Die beiden Neuzugänge unserer Runde berichteten von ihren kürzlich erlebten Urlaub im Oman und alle lauschten dem Reisebericht. Dann kam eins zum anderen. Von diesem Urlaub schwankte Clara zu ihrem bevorstehenden Urlaub mit Luis, über Wärme, Auszeit vom Job, Arbeitskollegen, dessen Ehepartnern bis hin zu dem neuesten Klatsch und Tratsch. Von einem Thema zum nächsten, bis auf einmal alles soweit erzählt wurde, was neu und interessant war. Es folgte ein Schweigen in der Runde sowie in das Feuer Starren auf der Suche nach neuen Gesprächsthemen. Einen Schluck trinken half über das Schweigen hinweg. Plötzlich sah Dominik zu uns rüber und fragte „Und, was gibt es bei Euch so an Neuigkeiten?“ Ich schaute auf und der Atem stockte mir. Hätte ich vor der gestellten Frage einen Schluck Rotwein getrunken, hätte ich diesen in diesem Moment wie in einem Film geradeaus herausgespuckt. Glück aller, dass ich mich immer noch an meinem ersten Glas aufhielt und maximal nur nippte. Ich sah von Dominik nervös in die Runde, in die neugierigen Gesichter und hoffte auf eine Reaktion seitens Florian. Sonst war es nicht so, dass ich mich so auf meinen Mann verließ, aber nach den gestrigen neuen Erkenntnissen wusste ich auf solch gestellte Fragen keine Antwort. Natürlich hätte ich am liebsten gesagt, was mit mir los ist, doch das ging nicht. Die Tatsache ließ mich immer wieder verstummen. Diese Heimlichtuerei und Lügerei gegenüber meinen Freunden nervte und betrübte mich.
Die Rettung in der Not ließ nicht lange auf sich warten und Florian antwortete „Nichts weiter. Unsere Zwerge halten uns ganz schön auf Trab.“ Mit dieser Aussage log er nicht einmal. Stimmte, so oder so. Mit diesem Einwurf war das nächste Thema gefunden und alle erzählten irgendetwas über ihre Nachkommen. Ich lauschte aufmerksam den Gesprächen, sofern es möglich war, denn immer wieder musste ich einen der Jungs ermahnen, mit ihren Stöcken im Feuer aufzupassen.
Die Schlafenszeit war gekommen, die Bettgehzeit bereits deutlich überschritten und das merkte ich den Kindern an. Sie kicherten, hörten nicht, machten genau das, was sie nicht sollten und wurden am Feuer unvorsichtig. Ich entschloss zu gehen und beugte mich zu Florian rüber, um ihm meinen Entschluss ins Ohr zu flüstern. Er nickte zustimmend und meinte „Ja, ich denke auch. Die Kinder müssen ins Bett.“ Schnurstracks erhob sich Florian von seinem Stuhl. Ich folgte ihm und nutze die Gelegenheit, mein lediglich angetrunkene Glas Wein unauffällig unter meinem Stuhlsitz stehen zu lassen und nicht in einem Zuge auszutrinken.
Wir sammelten unseren Nachwuchs ein, bedankten uns höflich und verabschiedeten uns von allen.
Zu Hause angekommen, brachten wir unsere Söhne schnellstmöglich ins Bett. Zweiundzwanzig Uhr war eine gute Zeit, um schlafen zu gehen. Als noch Drei- bald Vierjährige sowieso. Auch ich fiel, trotz Mittagsschlaf todmüde ins Bett. So schön wie der Abend war, so anstrengend war er auch. Auf irgendeine Art und Weise, die mir tagtäglich bewusster wurde.