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Tag 3
ОглавлениеDer nächste Tag brach heran und brachte eine riesige Portion Müdigkeit mit sich. Gut geschlafen hatte ich und war dennoch wie erschlagen. Dieser Zustand hielt auch den gesamten Tag über an.
Gleich nach der morgendlichen Katzenwäsche und noch vor dem Frühstück wog ich mich. Die Gewichtskontrolle – mein ganz persönlicher Spleen und mittlerweile ein wöchentliches Ritual. Mit der Erkenntnis, schwanger zu sein, änderte ich meinen Rhythmus auf täglich, um für mich selbst mein Gewicht im Auge zu behalten. Es war nicht so, dass ich unter- oder übergewichtig war und auf meinen Hüftspeck achten musste. Der Blick auf das silberne Quadrat mit dem runden Ziffernblatt galt nur für mich, denn es gab während meiner ersten Gravidität nichts Schöneres, als zu sehen, wie mein Bauch wuchs und das Gewicht langsam, aber stetig stieg.
Nackt betrat ich die Personenwaage und stellte keinerlei Veränderung zum gestrigen Wiegen fest, was mich stutzig machte. Nach einem Grillabend, einer Feier oder eines mit Knabberei reichen abends schlug der Zeiger mindestens ein halbes Kilogramm mehr nach rechts aus. Nicht so heute. Trotz des vielen Essens am Vorabend hielt ich mein Gewicht. War es nur Einbildung oder doch Tatsache, dass das Baby in mir bereits jetzt schon von mir zehrte? Im Auge behalten und beobachten, lautete meine Devise.
Nach dem Frühstück galt unsere volle Aufmerksamkeit den Kindern, denn erst am Nachmittag hatten wir uns mit Freunden verabredet. Wir versammelten uns alle in Adrians Zimmer und meine vier Männer düsten mit den Rennautos die Straßen des Spielteppichs entlang. Die Mama hingegen beobachtete das rege Treiben und die freudigen Gesichter und versank dabei für einen kurzen Moment in Gedanken. Ich musterte Florian mit seinen grünen Augen, braunem Haar und Sommersprossen auf der Nase. Adrian sah ihm so ähnlich. Faszinierend. Auch unsere zwei anderen Jungs, sie alle waren für mich die hübschesten Kinder auf der Welt und ich besonnte mich, welch ein Glück ich mit meiner Familie hatte.
Plötzlich riss mich Übelkeit aus meiner Träumerei und zwang mich, schnell ins Bad zu rennen. Über der Toilettenschüssel gebeugt, wartete ich förmlich darauf, dass ich mich übergeben musste, doch vergebens. Es kam nichts. Zum Glück blieb das Frühstück in meinem Magen, dennoch war mir so schlecht. Ich erhob mich von dieser Position und trat zum Waschbecken, um mir das Gesicht mit kaltem Wasser abzuwaschen. Erfrischend. Ich griff zum Handtuch, tupfte mich ab und sah anschließend in den Spiegel. Kreidebleich sah ich aus. Dunkle Ringe bildeten sich unter den Augen ab. Was hatten alle zu mir gesagt? „Gut siehst du aus, wie das blühende Leben.“ Ein nicht ernst gemeintes Kompliment und wenn doch, dann meinten sie garantiert nicht mich. Mir war so flau in der Magengegend, dass ich meine Wangen aufplusterte, als würde ich dieses Gefühl hinauspusten wollen. Doch es funktionierte nicht. Auf einmal betrat Florian das Badezimmer und fragte besorgt nach. „Ist alles in Ordnung bei dir?“. Ich nickte und beschrieb ihm meinen Gemütszustand. „Du bist ja auch schwanger“, meinte Florian und legte zeitgleich seine Hand auf meinen Bauch.
Fingen nun doch die ersten Beschwerden an? Bis vor zwei Tagen ging es mir noch prächtig und nun sollten auf einmal die Wehwehchen einer Schwangerschaft auftreten? Seltsam und dennoch waren meine Bedenken berechtigt. Irgendwelche Symptome mussten sich schließlich in dieser vorangeschrittenen Schwangerschaft zeigen, wenn es schon die Waage oder selbst das Baby mit kleinen Bewegungen nicht übernimmt. Zurückversetzt vor ein paar Jahren erinnerte ich mich ganz genau, wie sehr ich mir wünschte, irgendeine Veränderung an mir festzustellen, um zu realisieren, dass ein Baby in mir heranwuchs. Das Ultraschallbild bei der Frauenärztin als eindeutigen Beweis reichte mir nicht aus. Daher auch jetzt die berechtigte Frage, ob es eine Phantomübelkeit oder eine Tatsächliche aufgrund der Umstände war. Allein der Fakt schwanger zu sein, löste in meinem Gehirn einen Brechreiz aus und versandt sämtliche Signale, die mich wiederrum in Richtung Toilette zwangen. Meine Körper wehrte sich.
„Naja, das Baby wächst Tag für Tag. Da kann es schon sein, dass nun so langsam die ersten kleinen Beschwerden auftreten“, erwiderte Florian auf meine Zweifel hin.
„Mag sein“, stimmte ich ihm zu und ruderte gleichzeitig zurück, denn ich wusste, in ein paar Tagen wäre dieser ganze Spuk vorbei. Ob sich mit der Gewissheit mein Befinden positiver stimmte, war zu bezweifeln, vorerst nur hinzunehmen.
Ferngesteuert von meinen Hormonen bog ich trotz anhaltender Übelkeit und dem flauen Gefühl auf dem Weg ins Wohnzimmer in die Küche ab, öffnete die Tür des Kühlschrankes und griff zu einem Becher Joghurt. Ein kleines Hungergefühl machte sich breit oder Appetit oder wie man es nennen wollte. Ein falsch geleiteter Befehl meines Gehirnes an meinen Magen oder andersherum, so hätte ich es auch bezeichnen können. Egal, der Joghurt schmeckte mir ausgezeichnet und die Übelkeit war wie weggeblasen. Erst einmal. Für die nächste Stunde. Etwa aller sechzig Minuten wechselte sich der Hunger mit dem Flau sein ab. Trotz Übelkeit musste und konnte ich essen. Ich war eindeutig schwanger! Natürlich ließ ich mir nach außen hin nichts anmerken, auch nicht gegenüber den Kindern. Kleine Happen zwischendurch aß ich, als keiner mich sah, mich alleine oder mit Florian zusammen in der Küche befand und versuchte den ganzen Tag über, die Übelkeit in den Griff zu bekommen, ohne ständig das WC aufsuchen zu müssen.