Читать книгу Märchenaugen - Annette Bethmann - Страница 6
Оглавление2. Ich
Nun war ich alleine – Ich nur ich. Ohne Netz und doppelten Boden. Kein Du mehr da!
Und ich konnte weinen – jetzt ließ ich alles los, es war wie eine Befreiung, wie ein Öffnen aller Schleusentore, wie die Niagarafälle.
Ich weinte, weil ich nicht wusste, wer ich war. Ich weinte, weil ich hässliche Gedanken in meinem Kopf sehen konnte: Ich bin zu fett, ich bin nicht hübsch und zu alt. Ich bin unwichtig geworden und ungeliebt. Ich bin wertlos. Was ist der Wert eines Menschen, wie würde ich ihn bemessen? Hätte ich für mich solch goldene Worte gefunden, an meiner eigenen Grabrede, hätte ich solch wundervolle Dinge über mich sagen können? Was zeichnete mich aus? Vier Kinder, eine Katastrophen-Ehe, was ehrte mich, was hätte ich vor der Himmelspforte anzubringen, um eingelassen zu werden?
Die Tränen taten gut aber auf der anderen Seite wurde ich innerlich immer schwächer, immer weniger. Äußerlich zeigte sich der Schmerz auf der Waage. Er ließ sich sehen, 8 Kilo waren runter. Und dazu vor allem schlaflos. Jede Nacht Stunden voller Unruhe, Gedanken des Hin- und Herwälzens. Ich wollte aufgeben einfach alles lassen, mich hielt nichts mehr, mein Herz war leer gefegt.
Ich war hohl und es machte mir nichts mehr aus. Gefühle waren spurlos verschwunden, mit dem Weinen weggespült worden. Ich war leer. Kein Lachen, kein Weinen, es gab nichts mehr, was ein Echo in mir hervorrief, nichts was mich berührte.
Ich spürte nicht mehr, wenn mir etwas weh tat und ich hatte keine Angst mehr zu sterben. Er war schon gegangen. Ich wusste, dass ich nicht alleine war auf der anderen Seite. Jetzt nicht mehr. Aber das war nicht die Lösung, ich musste durchhalten alleine wegen meiner 4 Kinder. Ich musste. Und wenn ich es auch noch so wenig wollte, es ging kein Weg daran vorbei. Ich musste wieder aufstehen, ich musste aus dieser Geschichte irgendwie herausfinden, ich musste das Ganze einfach überwinden.
Also fing ich mit Meditation an und versuchte Rat bei diversen Freundinnen zu finden und fand nur ähnliche Geschichten und sich gleichende Aussagen und stellte mit einem Mal fest, dass deren Männer wie auch all die Märchenprinzen dieser Welt, einen schalen Beigeschmack bekommen hatten – sie wurden mit einem Mal blass und verlogen und auch der Mann der Freundin oder der Nachbarin, von dem man das niemals vermutet hätte, konnte sich mit besonderen Dingen rühmen. So begann ich tief in mir selbst zu suchen, ich wollte wissen was da blieb.
Was musste ich heilen, damit ich irgendwie weitermachen konnte. Und mit einem Mal wusste ich es – es war mein Herz. Das war dieses komische Ding, das so unfein mit mir umging.
Mein Herz – ich blickte mit vollkommen überraschten Augen dieses Ding an, ich wog es in der Hand, ich spürte hinein, ich suchte und fragte und erinnerte mich an Worte: „Leg es dem Leben nicht zur Last, scheint sein Wert dir Plunder, wenn du Märchenaugen hast, dann ist die Welt voll Wunder.“
Das war ein Spruch, welchen mir meine Großmutter zu Jugendzeiten schon mit auf den Weg gegeben hatte. Ich fühlte die Wahrheit ganz langsam aus diesen Worten an die Oberfläche steigen. Ja, wahrhaftig, Märchenaugen musste man haben. Ich nahm mir einen Kajalstift und schrieb es in dicken fetten Buchstaben auf meinen Badezimmerspiegel. Es glänzte und war doppelt zu sehen. Aber es war da, dieser Gedanke war da, auf dem Spiegel, unauslöschlich. Ich ließ es da stehen und legte mich auf mein Bett um zu meditieren.