Читать книгу Jenseits aller Pfade - Annette Kaiser - Страница 8

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Wir waren früh aufgestanden, hatten die Terrasse am Meer für uns allein. Zu dieser Jahreszeit waren auch nicht mehr viele Gäste da. Als ich im Sommer schon einmal mit meinem Mann auf Tilos gewesen war, war es voller und windiger gewesen. Ich hatte oft schlecht geschlafen.

Jetzt war es windstill. Die freundliche ukrainische Bedienung mit den Heimwehschatten unter den Augen brachte unser Frühstück.

Wieso wir wohl wieder nach Griechenland gefahren waren? Ging von hier nicht in alten Zeiten diese Spaltung von Geist und Materie, von männlich und weiblich aus? Unser gesamter Kulturkreis ist von ihr durchdrungen. Oder beruht unsere Kultur darauf? Wohin hat uns diese Trennung geführt?

Während wir auf der Terrasse diskutierten, dabei Schafskäse und Honig genossen, sorgten die Wirtsleute dafür, dass unsere Zimmer aufgeräumt wurden, damit wir wieder nach drinnen gehen konnten. Sie waren sehr unterstützend, wollten, dass wir in Ruhe arbeiten konnten.

Im Zimmer rückten wir dann Nachtisch und Stühle zur Seite, breiteten zwei Wolldecken auf dem Boden aus, stapelten die notwendigen Bücher um uns herum, gossen für jede ein Glas Wasser ein, und ich stellte das Tonbandgerät an.

Eine Folge dieser Trennung von »Himmel« und »Erde«, von Geist und Materie ist, dass die Menschen das Geistige stark überhöht und nur in dieser Überhöhung angestrebt haben. So wurde die innere Sehnsucht der Menschen nach der Vereinigung mit dem Göttlichen oder nach der Erkenntnis Gottes als Drang so stark, dass die Welt als beschwerlich, als Hindernis, als Verführung angesehen wurde.

Eine andere Folge wird im gegenteiligen Prozess deutlich: Man hat das geistige Prinzip als illusionär betrachtet und versucht, die Welt in den Griff zu bekommen. Wir kennen das zum Beispiel vom historischen Materialismus, bei dem nur noch die Materie im Vordergrund steht, oder auch von ökologischen Bewegungen, in denen man die Probleme auf einer rein materiellen oder organisatorischen Ebene zu lösen versucht.

Beide Tendenzen finden wir historisch gesehen in unterschiedlichen Varianten, und sie hatten stets ihren enormen Preis, weil immer eine Seite mehr als die andere galt.

Und jetzt geht es um ein Gleichgewicht. Es geht darum zu verstehen, was die Kräfte des Himmels und die Kräfte der Erde – wenn wir übergangsweise so sprechen – für das menschliche Dasein wirklich bedeuten.

Dieses Geist-Prinzip und dieses Erd-Prinzip sind notwendig, um zu erkennen, was Erde ist und was sie vielleicht auch nicht ist, was der Himmel ist und was er vielleicht nicht ist. So kann sich eine weitere Dimension eröffnen. Wenn wir immer tiefer gehen, tiefer gehen, tiefer gehen – sowohl beim Erd-Prinzip als auch beim Himmels-Prinzip –, werden wir erkennen, dass beide nicht-zwei sind. Letztlich, wenn wir tief genug gefragt haben, erscheinen sowohl der Himmel als auch die Erde in diesem Bereich, wo sie nichts und alles zugleich sind.

Das zeigt uns die Wissenschaft mit der Erforschung der Materie, das zeigt uns das Geist-Prinzip in der Erkenntnis der inneren Erfahrung. Jedes Ding verweist in letzter Konsequenz auf seinen Ursprung – das Nichts.

Vermutlich hat uns die hier angesprochene Trennung sehr viel ermöglicht, die ganze technische Entwicklung zum Beispiel. Aber heute ist es an der Zeit, weiterzugehen. Jetzt beginnt uns diese Spaltung, diese Trennung von ich und du, zu bedrohen. Unsere ganze Welt ist bedroht – auf der relativen Ebene. Absolut gesehen ist die Bedrohung eine vollkommene Regung des Ewigen, eine Welle des Ozeans.

Wenn wir den Kosmos anschauen – was ist dann eigentlich unsere Welt? Ein kleines Staubkorn am Himmel, und ob sie existiert oder nicht und ob das wichtig ist oder nicht, wie sollte ich das beurteilen? Unsere Galaxie ist eine unter Milliarden – vielleicht ist es ganz heilsam, diese Dimension im Auge zu behalten. Unsere Erde ist am Himmelsmeer ein so winziges Körnchen. Ein Staubpartikel, ein Sandkorn, ein Sternenkorn, das irgendwann einmal entstanden ist vor Milliarden von Jahren und wieder vergehen wird …

Und auf der anderen Seite – wie wertvoll ist diese Erde, wie würde sie vor Kummer vergehen, wenn wir uns vernichteten …

Eine Hummel hatte sich in unser Zimmer verirrt und rannte sich ständig den Kopf an der Wand oder der Balkontür an. Annette bat mich, das Tonbandgerät einen Moment abzuschalten. Sie stand auf, nahm eine Illustrierte und leitete damit das Tier behutsam nach draußen. Das dauerte eine Weile.

Wir sprachen dann über die unterschiedlichsten Vorstellungen von Freiheit.

Jenseits aller Pfade

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