Читать книгу Jenseits aller Pfade - Annette Kaiser - Страница 9
ОглавлениеIch spreche von innerer Freiheit. Wir haben zum Teil sehr wilde Vorstellungen gehabt – oder haben sie immer noch –, was frei sein bedeutet. Manche Menschen verstehen unter Freisein, dass sie kein Geld verdienen müssen und damit zeitlich nicht gebunden sind. Da bedeutet frei sein dann ein Freisein von Arbeit. Oder man ist frei von der Familie, hat die familiären Verpflichtungen hinter sich gelassen, oder ist frei, sich so viele Partner zu nehmen, wie man will.
Ich meine nicht diese Art von Freisein. Frei sein heißt, dass es nichts zu erreichen gibt, nichts zu tun gibt. Es hat nichts mit einer äußeren Situation zu tun, es gibt nichts zum Festhalten.
In diesem Freisein lobpreist ES sich aus sich selbst heraus. Einfach in dem, wie sich das Leben in diesem Augenblick offenbart. Durch dich, durch mich, durch das Singen des Windes, durch das Rauschen des Meeres, durch das Essen einer Traube, wie auch immer. Das ist Freiheit, die einfach ist. Jeder Augenblick wird im Gewahrsein wie Nektar gekostet – jetzt.
Und insofern kann man sagen, auf der relativen Ebene existieren eine Annette Kaiser, ein Peter, eine Elisabeth oder wer auch immer. Auf der absoluten Ebene nicht. Und so tanzt ES durch ES SEINEN Tanz. Das ist alles. Substanzlose Substanz. Und das ist wirklich so befreiend, wenn ich nichts mehr persönlich nehmen muss.
Daraus ergibt sich ein grundsätzlich anderer Gesichtswinkel, der schon manchmal verrückt erscheinen kann! Wir ha ben zum Beispiel von Palästina und Israel gesprochen; ES sieht diese Bilder, nimmt wahr, was da geschieht, und hat großes Mitgefühl und Anteilnahme, und gleichzeitig ist es einfach Tanz, SEIN Tanz. Wie Farben, Formen, Konflikte, Reibung, Düfte entstehen und – vergehen. In allerletzter Instanz geschieht nichts, absolut nichts.
Durch dieses »Sehen« entstehen Möglichkeiten, diese Schöpfung in einem neuen Geist zu gestalten. Wir probieren aus, experimentieren, der neuen Kultur einen Ausdruck zu geben. Ist der Mensch verankert in dem, was er ist, nämlich universelles Bewusstsein, entstehen die Dinge aus der Quelle heraus in ihrem natürlichen Fluss, der aus sich selbst nach Harmonie und Vollkommenheit strebt.
Wir haben dazu zum Beispiel die traditionellen spirituellen Wege, die meistens einen längeren Prozess beinhalten. In diesen Wegen wird der Mensch durch Meditation, durch Mantrasagen und Ähnliches geschult. Es geht um die Sammlung des Geistes und darum, leer zu werden. Das bedarf der Übung, und es müssen auch eigene Dinge – im Sinne der Schattenarbeit – angeschaut werden.
Alle Wege münden aber letztlich in den pfadlosen Pfad, in den weglosen Weg. So bleibt uns nach dieser ganzen Reise des Sich-Kennenlernens mit all ihren Schatten- und Lichtzeiten nur die Erkenntnis, dass auch das alles noch in den Bereich des Nichtwirklichen gehört. Dass wir auch das alles zurücklassen können. Wir lassen mit der Erkenntnis, dass wir in Essenz nichts sind, dass es nichts als das Nichts gibt, alles zurück, letztlich auch unseren Pfad.
Was uns dann noch bleibt ist dieser Moment. Es bleibt sonst nichts. Und dieser Moment ist das einzige Tor zur Ewigkeit.
Wenn ich mich an gestern erinnere, dann brauche ich das Jetzt der Erinnerung für gestern. Wenn ich mir Sorgen mache über die Zukunft, brauche ich das Jetzt, von dem aus ich die Sorgen in die Zukunft projiziere. Der Mensch lebt immer nur in diesem Augenblick So ist das Jetzt der Schlüssel, denn das Leben vollzieht sich immer nur in diesem Moment. Und der ist absolut neu, immer kreativ. Das Schöpferprinzip arbeitet durch das Jetzt – was zugleich Ewigkeit meint. Wenn der Mensch einen Moment innehält, ganz akzeptiert, was jetzt gerade ist, dann schwingt er in der Ewigkeit.
Und somit muss der Mensch, wenn er in dieses universelle Bewusstsein einschwingen möchte, gar nicht weit rennen. Er hat immer die Möglichkeit – wenn ihm zwanzig Jahre meditieren zu viel sind –, jetzt, gerade jetzt, wach im Hier und Jetzt zu sein. Ganz natürlich.
Ganz so einfach ist das aber wohl nicht, oder?
Natürlich nicht, da fällt man schnell wieder in die Gedanken hinein und vergisst das Jetzt. Aber für mich ist das so genial, dass eigentlich der Schlüssel, das Nadelöhr, ganz unmittelbar vor jedem Menschen liegt, er muss nicht nach Honolulu oder nach Afrika fahren. Nein, gerade dort, wo er ist, in diesem Augenblick ist ES.
Das ist gemeint mit den Worten: »Das Göttliche ist uns näher als die eigene Halsschlagader.« Wir sind das, wonach wir suchen. Und das ist ewig neu, absolut schöpferisch. Unglaublich, in jedem Augenblick! Das berührt mich zutiefst, weil sich darin offenbart, dass das Göttliche und der Mensch nicht-zwei sind. Darum sind wir göttliche Wesen, die eine menschliche Erfahrung machen.
Guruji * hat gesagt, das Ziel jedes spirituellen Pfades sei es, in jedem Augenblick in SEINER Gegenwart zu sein. Manche müssen, dürfen, können einen spirituellen Weg durchschreiten, manche tun das nicht – wir alle sind Eins in diesem Jetzt. Jeder Augenblick – All-Tag. Das ist wirklich ein Wunder. Viele Menschen denken, dass Wunder etwas ganz anderes seien, aber die wirklichen Wunder vollziehen sich in jedem Augenblick. Wunder über Wunder.