Читать книгу Das schwarze Schaf - Annette Röder - Страница 6

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Kapitel 1

Zuerst den Kopf oder den Popo? Das war hier die Frage. Dr. Winnewurp drehte den Regenwurm in seinen großen Händen und beschnüffelte ihn von allen Seiten. Was für ein Jahrhundert-Regenwurm! Gute zwanzig Zentimeter lang, schön schleimig und doch nicht wabbelig. Fünf Jahre hatte das Prachtstück bestimmt auf dem Gürtel. Und dann dieser Duft! Der Geruch von fauligem Holz und Misthaufen ließ Winnewurp die Spucke im Maul zusammenlaufen. Ein echtes Festmahl! Genau richtig, um das erste eigene Zuhause zu feiern. Gestern Abend war er endlich mit allem fertig geworden und dann mausemüde ins Moos gefallen. Dr. Winnewurp hielt inne und blickte sich stolz in seinem Wohnkessel um. Die Wände glänzten wie nackte Welpenbäuchlein. Zur Zierde hatte Winnewurp sogar ein paar Strohblumen in die Erdritzen gesteckt. Das sollte ihm mal jemand nachmachen! Selbst der dicke Moosteppich auf dem Boden war faltenlos. Trotz seiner schlechten Augen legte Winnewurp Wert auf solche Kleinigkeiten. Gleich nebenan wartete die gut gefüllte Vorratskammer. Mehrere Meter Gang würden ihn auch in Zukunft mit frischen Würmern versorgen. Und über alledem thronte ein Maulwurfshügel, der sich sehen lassen konnte. Eine solch sorgfältige Anlage brauchte ihre Zeit. Von der mühseligen Suche nach einem geeigneten Platz gar nicht zu reden. Zugegeben, es gab bessere Wohnlagen auf der Baskeltorper Weide als Pfosten 221B im Backenklee. Aber die waren entsprechend heiß umkämpft. Und Winnewurp wollte sich weder mit seinen Kollegen um einen Bauplatz streiten noch ihnen alle Rüssel lang auf dem Gang begegnen. Im Gegenteil. Er wollte einfach nur in aller Ruhe seine Regenwürmer verspeisen. Und zwar jetzt. Popo voran! Die Entscheidung war getroffen. Winnewurp sog noch einen tiefen Atemzug des modrigen Dufts ein, öffnete das Maul, streckte die Zunge heraus, um den ersten Happen Schleim zu schlecken … als plötzlich ein Brocken Erde darauf fiel.


Verdutzt ließ Winnewurp den Regenwurm sinken und spuckte den Erdbrocken aus. Dabei rieselten weitere Klumpen auf ihn herunter. Wie konnte das sein? Hatte er etwa ungenau gearbeitet und den Kessel nicht überall festgeklopft? Sehr unwahrscheinlich! So eine Schlamperei entsprach nicht seinem Wesen. An der langen Trockenheit des vergangenen Sommers konnte es auch nicht liegen. Er hatte seinen Bau tief genug angelegt, sodass die Erde immer angenehm feucht blieb. Während er noch überlegte, spürte Winnewurp ein Rütteln im ganzen Körper, das immer stärker wurde. Dann ein Donnern. Braute sich draußen ein Gewitter zusammen? Von der Decke löste sich eine Strohblume und landete genau auf seinem Kopf. Winnewurp lauschte angestrengt. Doch nun hörte er nichts weiter als Stille. Vielleicht hatte sich auch nur der Bauer mit dem Traktor an den hinteren Weiderand verirrt und bei Pfosten 221B gewendet, um zurück zum Ausgang zu knattern. Winnewurp hob den Regenwurm wieder ans Maul, streckte die Zunge heraus … und fiel rücklings um, als das Beben über ihm erneut ausbrach. Diesmal toste es, als würde eine Herde Stiere über die Wiese traben! Eine Ladung Kies prasselte auf Winnewurps Bauch. Er schaufelte sich frei und strampelte mit den Beinchen, um sich wieder aufzurappeln. So hatte er sich das Leben in seiner neuen Wohnung nicht vorgestellt! Wer oder was auch immer für den Krach verantwortlich war, sollte sofort damit aufhören!

»Darf ich um Ruhe bitten?«, rief Winnewurp in die Röhre, die vom Kessel durch den Maulwurfshügel nach draußen führte. Schlagartig war es still. So still, dass man die Rädertierchen rülpsen hören konnte.

»Na, geht doch«, stellte Winnewurp zufrieden fest. Man muss nur miteinander reden und nicht immer alles runterschlucken.

Anderes sollte allerdings schon geschluckt werden! Winnewurp erwischte den türmenden Regenwurm gerade noch am Hinterteil und zog ihn zu sich zurück. Dann öffnete er zum dritten Mal das Maul, um endlich seinen Festschmaus zu verputzen. Ein ohrenbetäubendes Krachen sorgte dafür, dass sich Winnewurp stattdessen vor Schreck auf die Zunge biss.

»Au! Was zu viel ist, ist zu viel!«, schimpfte er vor sich hin. »Ich bin ein geduldiges Tier, aber das muss ich mir nicht bieten lassen.« Der Appetit war ihmvergangen, und die Zunge schmerzte. Er stopfte den Regenwurm zurück in die Vorratskammer, verschloss den Eingang mit einer Wurzel und machte sich auf den Weg nach draußen. Auch wenn er nur sehr ungern hinauf in die Welt kletterte, die so grell und gefährlich war. Jetzt war er wirklich wütend. Am helllichten Tag, wenn anständige Tiere in Ruhe ihr Frühstück verspeisen wollten, so einen Lärm zu veranstalten. Da musste Winnewurp einschreiten und seine Grenzen klarmachen. Wer auch immer da oben herumtobte … dem Knallkäfer würde er gleich ordentlich die Meinung sagen! Doch diesen mutigen Entschluss bereute Winnewurp schneller, als er ihn gefasst hatte. Denn genau in dem Moment, als er seinen Kopf aus dem Hügel streckte, raste etwas auf ihn zu. Ein unbestimmbares, furchterregendes Objekt. Ein UFO? Weiß wie eine Wolke, wollig wie …

»Ein Schafspopo! Das glaubt mir doch kein SCHW…MPF!«, schrie Winnewurp, bevor ihm ein Büschel Haare das Maul verstopfte.

Das schwarze Schaf

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