Читать книгу Das schwarze Schaf - Annette Röder - Страница 7

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Kapitel 2

»Schwmpf?«, wiederholte Texel. Drehte es jetzt durch, weil es zum dritten Mal mit dem Kopf gegen den Pfosten gekracht war? Aber diese Stimme kam nicht aus seinem Gehirn. Sie kam vom anderen Ende seines Körpers.

»Mein Hintern kann sprechen?«, fragte sich Texel. Dies war außergewöhnlich, selbst bei einem hochbegabten Schaf.

»Bflöbpfin!«, antwortete die Stimme. »Pfanna nipf!«

Wenn nicht sein Hintern sprach, wer dann? Texel beschloss dem Rätsel auf den Grund zu gehen. Schließlich war das Entschlüsseln von Rätseln seine Leidenschaft. Während andere Schafe Gras kauten, kauten und noch mal kauten, fütterte Texel lieber sein Gehirn mit Denkaufgaben. Diese hier war einfach zu lösen. Texel rückte zur Seite.

Ein Prusten erklang. »PFFLLP!«

Dann sagte die Stimme überraschend deutlich: »Sehr freundlich, dass du deine Wolle aus meinem Maul nimmst. Als dein neuer Mitbewohner im Backenklee 221B wollte ich dich nämlich darum bitten, nicht so auf mir herumzutrampeln. Besten Dank und guten Tag!«

Ächzend erhob sich Texel auf seine vier Klauen. Zu seinem Bedauern waren Schafe von Natur aus nicht mit besonders sportlichen Körpern ausgestattet. Auch wenn Texel täglich dagegen antrainierte. Es drehte sich um und streckte den Kopf hinunter zu einem platt gedrückten Maulwurfshügel. Scheinbar war sein neuer Nachbar darin gerade wieder verschwunden.

»Wart mal, du!«, rief Texel hinunter. Es wäre nicht das klügste Schaf der Welt gewesen, wenn ihm nicht gerade ein großartiger Einfall gekommen wäre. DIE Lösung für sein Problem! Aufgeregt setzte es nach: »Ich verspreche dir, sofort mit der Trampelei aufzuhören. Aber das geht nur, wenn du mir hilfst! Hast du mich gehört?«

Es dauerte nicht lange, da wuchs vor Texels Augen ein neuer Maulwurfshaufen. Schließlich erschienen in dessen Mitte zwei Grabhände mit extrem schmutzigen Fingernägeln, ein sternförmiges Rüsselchen und zuletzt ein samtig schwarzer Pelzkopf, in dem mohnkornkleine Augen glitzerten.

»Doktor W. Winnewurp ist zwar beinahe blind, aber ganz und gar nicht taub!«, sagte der Maulwurf säuerlich. »Was kann ich für dich tun?«

»Wofür steht das W?«, wollte Texel zuerst wissen. Seiner Aufmerksamkeit entging nie etwas. Denn alles im Leben konnte eine Bedeutung haben. Selbst die kleinste Kleinigkeit. Und wenn es sich dabei nur um vereinzelte Buchstaben handelte.

»Das W steht für einen Vornamen, den ich mir nicht ausgesucht habe«, antwortete Winnewurp geheimnisvoll.

Texel grinste. Schon wieder ein neues Rätsel, das es lösen konnte! Dieser kleine Doktor gefiel ihm. Er schien genau der Richtige für Texels Plan zu sein. Also stellte es sich nun selbst vor: »Ich bin Texel. Das schwarze Schaf von Baskeltorp.«

»Schwarz?« Winnewurp riss erstaunt die Augen auf. »Da muss ich wohl meine Brille besser putzen.«

»Nein, nein, ich bin weiß«, beruhigte ihn Texel. »Zumindest überwiegend.« Dann erklärte es stolz: »Man nennt mich deswegen das schwarze Schaf, weil ich das Ausnahme-Schaf der Herde bin.«


»Das ist mir in der Tat auch schon aufgefallen«, bestätigte Winnewurp. »Kein normales Schaf fliegt rückwärts durch die Luft und presst mit seinem Hinterteil harmlose Maulwürfe platt. Erklärst du mir jetzt bitte, warum du wie eine betrunkene Gans durch die Luft eierst und wie ich dir helfen kann? Ich würde dann nämlich gerne in Ruhe meinen Regenwurm essen.«

Daraufhin kletterte der Maulwurf ganz aus dem Loch und machte es sich auf dessen Rand bequem. Dabei wellten sich kleine Speckfalten an seinem Bauch. Das Kerlchen sah nicht so aus, als würde es verhungern, wenn es ein paar Minuten auf sein Essen warten musste! Da konnte Texel ruhig etwas ausholen. Es begann vor Winnewurp auf und ab zu laufen, während es ihm seine Gedanken darlegte: »Die Sache ist die: Aus einem sehr, sehr dringenden Grund muss ich schleunigst aus dieser Weide heraus. Durch gründliche Überlegung bin ich darauf gekommen, dass es für meinen Ausbruch genau zwei Möglichkeiten gibt:

A über den Weiderost

B über den Weidezaun

Gegen diese Möglichkeiten spricht bei genauerer Überlegung jedoch:

A Schafe können nicht fliegen

B Schafe können nicht fliegen!«

Texel blieb kurz stehen und beobachtete Winnewurps Reaktion auf diese messerscharfe Erkenntnis. Der nickte zustimmend. Zufrieden fuhr Texel fort: »Daraus wäre auch ein weniger kluger Kopf als ich zu folgenden Schlussfolgerungen gekommen:

A der Weiderost muss weg

B der Weidezaun muss weg!«

Jetzt machte Texel wieder eine kunstvolle Pause.

»Und weiter?«, fragte Winnewurp geduldig.

»Nach Durchführung von A, der Weiderost muss weg, würde darunter eine Grube zurückbleiben«, sagte Texel. »Hier kommen sofort die Gegenargumente A und B, Schafe können nicht fliegen, zum Tragen. Du kannst mir noch folgen?«

Ohne Winnewurps Antwort abzuwarten, führte es weiter aus: »Aus diesem Grund habe ich mich für Schlussfolgerung B, der Weidezaun muss weg, entschieden.«

Winnewurp hatte gut aufgepasst. Denn nun zog er seine eigenen Schlüsse: »Deswegen also der Radau. Du wolltest einen der Zaunpfosten umstoßen. Und zwar Nummer 221B im Backenklee. Den kann der Bauer vom Hof aus nicht sehen, und selbst die Herde hat diesen Teil der Weide selten im Blick, weil die Ulme ihn gut abschirmt.«

»Bist ja weniger dämlich, als ich dachte!« Texel freute sich über den Scharfsinn seines neuen Bekannten. »Es gibt nur ein Problem. Der Vollpfosten will einfach nicht nachgeben. Obwohl ich nun schon dreimal mit Karacho dagegengerannt bin, hat er sich keinen Millimeter vom Fleck bewegt.«

»An deiner Stelle würde ich das auch lieber lassen. Bei jedem Aufprall gehen in deinem Gehirn nämlich kostbare Zellen kaputt.« Um seine Worte zu untermalen, tippte sich Winnewurp gegen die Stirn.

»Davon besitze ich zwar mehr als ihr einfachen Gemüter, trotzdem wäre es schade drum«, stimmte ihm Texel zu. »Und deswegen habe ich mich gerade für Möglichkeit C entschieden: Ausbruch aus der Weide UNTER dem Weidezaun hindurch.«

»Ich möchte dich ja nicht kränken«, warf Winnewurp ein, »aber bei deiner Figur erscheint mir das unmöglich. Ein Fass könnte schließlich auch nicht unter dem Zaun hindurchrollen.«


»Hart, aber wahr«, bestätigte Texel. »Deshalb kommst du ins Spiel. Du kannst dich mit deinen praktischen Schaufelhänden nämlich ganz einfach unter jedem Zaun durchgraben.«

Besorgt runzelte Winnewurp die Stirn. Er schien zu ahnen, worauf Texel hinauswollte. »Das könnte ich vielleicht. Doch wozu? Du verlangst doch hoffentlich nicht von mir, da draußen etwas Gefährliches zu unternehmen?«

»Iwo. Dein Job ist völlig harmlos«, beruhigte ihn Texel. »Du sollst nur kurz rüber in den Wald spazieren und einem Freund von mir eine Botschaft überbringen!«

»Wenn du mich dann in Ruhe meinen Regenwurm essen lässt, mach ich das gerne«, sagte Winnewurp sichtlich erleichtert. »Wie lautet die Botschaft?«

»Sag meinem Freund einfach, dass er mich auf keinen Fall hier besuchen soll. Bis ich ihm etwas anderes mitteilen lasse.«

Nachdem Winnewurp Texels Worte leise für sich wiederholt hatte, fragte er: »Und wer ist dieser Freund?«

Texel sah sich um, ob sie auch niemand hören konnte. Aber keiner kümmerte sich um sie. Die Tiere des Bauernhofs gingen alle ihren gewöhnlichen Morgenbeschäftigungen nach: Das Schwein Odysseus grub mit seinem Rüssel grunzend den Obstgarten um. Hier lagen scheinbar immer noch einzelne, halb verfaulte Äpfel im Gras. Der Großteil der Heidschnucken folgte Widder Walliser zum hinteren Ende der Weide. Mamakuh Helga streckte ihren Kopf über die halb geöffnete Stalltür und muhte ihnen entgegen. Im Bach planschten schnatternd mehrere Gänse. Und die Schafsmädchen Lola-Bé und Lilly-Bé, die Texel und Winnewurp am Nächsten standen, waren in ihr übliches Geblöke vertieft und würden sicher nichts mitbekommen.

Trotzdem senkte Texel die Stimme zu einem Flüstern, als es Winnewurp auf seine Frage antwortete: »Mein Freund ist der böse Wolf.«

Dann setzte es sich schnell auf das Loch im Maulwurfshügel. Eine Nanosekunde bevor Winnewurp hineinspringen und abhauen konnte. Denn Texel war schließlich kein doofes Schaf!

Das schwarze Schaf

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