Читать книгу Das schwarze Schaf - Annette Röder - Страница 8
ОглавлениеKapitel 3
Dieses Schaf hatte kein geniales Gehirn, sondern einen gewaltigen Vogel im Kopf!
»Das kommt überhaupt nicht infrage! Ich gehe nicht zum bösen Wolf!«, protestierte Winnewurp und verschränkte die Arme vor der Brust. Er starrte auf Texels Po, der immer noch auf dem Eingang zu seiner Wohnung saß. »Da kannst du mir den Rückweg versperren, bis dein Allerwertester Wurzeln schlägt.«
Doch Texel bewegte sich keinen Zentimeter vom Fleck. »Hör doch erst mal …«, setzte es an.
Bevor es weitersprechen konnte, stopfte sich Winnewurp schnell die Zeigekrallen in die Ohrlöcher. »Oh nein! Jetzt hörst du erst mal mir zu!«, übertönte er Texel. »Mein Leben ist nicht besonders aufregend. Kein Schriftsteller wird jemals ein Buch darüber schreiben. Aber es ist gemütlich, und ich liebe es! Und deswegen werde ich mich nicht einfach auffressen lassen, sondern lieber selbst meine Regenwürmer fressen. Basta.« Er schnaubte, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Der Wind blies ihm dabei den süßlichen Geruch von Katze in den Rüssel. Zwischen den Blättern der großen Ulme entdeckte Winnewurp gleich darauf die Ursache dafür: Elisabeth I. verfolgte ein Eichhörnchen in die Baumkrone. Zum Glück war sie zu abgelenkt, um Winnewurp gefährlich zu werden. Da war das irre Schaf mit seinen Forderungen eindeutig die größere Bedrohung. Jetzt stupste es ihm sanft mit den Nüstern gegen den Bauch und sagte: »Der böse Wolf würde dich niemals fressen. Außerdem ist er gar nicht so böse. Ich kenne meinen Freund. Für ihn bist du nicht mehr als ein Krümel, den es nicht zu kötteln lohnt.«
Natürlich hatte Winnewurp trotz der Krallen in seinen Ohren jedes Wort verstanden. Das war wirklich frech! Er stemmte die Schaufeln in die Seite und empörte sich: »Erst trampelst du wie ein tollwütiges Warzenschwein über meinem Kopf hin und her. Dann mäkelst du an meiner Intelligenz herum. Danach willst du mich für einen Botengang zu einem gemeingefährlichen Mörder in den Wald schicken. Und jetzt beleidigst du mich auch noch als Krümel! Du denkst wohl, ich lasse mir alles gefallen, nur weil ich klein bin? Da täuschst du dich aber ganz gewaltig, du … du selbstgefälliges Filzknäuel.« Noch nie hatte er jemandem so mutig und klar seine Meinung ins Gesicht gesagt. Aber es musste sein. Jede Milbenplage war erträglicher als dieses Tier! Doch da passierte etwas Unerwartetes: In Texels linkem Augenwinkel begann es verdächtig zu glitzern. Winnewurp wollte es zuerst nicht wahrhaben, aber er hatte sich nicht getäuscht. Das war eindeutig eine Träne! Sofort verpuffte der Ärger in Winnewurps Brust und machte einer heißen Welle Mitgefühl Platz. Das arme Schaf schien die Sorge um diesen Wolf ja viel schlimmer zu quälen, als er zunächst angenommen hatte. »Ach du meine Güte, Texelchen, du wirst doch wegen dieses Wolfs jetzt nicht weinen?«, fragte er.
»Schafskäse. Ich weine niemals«, widersprach Texel schroff. Doch gleichzeitig rollte die Träne über die lustigen weißen Sommersprossen auf seiner schwarzen Backe, fiel auf Winnewurps Bauch und tropfte von dort auf den Boden. Offensichtlich schämte sich Texel auch noch für seine tiefen Gefühle. Das war ja nicht auszuhalten! Winnewurp musste beinahe mitweinen. Er räusperte sich, um den kratzenden Zwergfrosch in seinem Hals zu vertreiben. »Vielleicht erklärst du mir erst mal, warum ich dem Wolf überhaupt diese Nachricht für dich überbringen soll«, schlug er vor.
Aus Texels rechtem Auge tropfte nun auch eine Träne, aber es grinste schon wieder, während es eifrig berichtete: »Okay. Unser Hütehund Gutti ist heute Nacht spurlos verschwunden. War am Morgen einfach weg. Und jetzt schau dir das hier an …« Es deutete mit dem Kopf auf den schmalen Grasstreifen hinter Pfosten 221B.
»Ein abgenagter Möhrchenstrunk neben … pfui Teufel … einem Kackhaufen«, sagte Winnewurp und verzog den Rüssel. »Du hast recht, das ist höchst eigenartig. Wer hat da wohl das Möhrchen fallen lassen?«
»Aber nein, dieser Biomüll interessiert doch kein Schwein. Es geht um die Wurst!«, sagte Texel. »Das ist Wolfslosung! Bettel hat sie sofort entdeckt und dem Bauern gezeigt. Der hat das Gewehr aus dem Schrank geholt und will nun in den Nächten Wache schieben, bis er den Wolf erwischt.«
»Der böse Wolf hat also den ersten Hütehund von Baskeltorp verschleppt und wahrscheinlich gefressen«, fasste Winnewurp zusammen. »Das hat der zweite Hütehund dem Bauern gemeldet. Dass der Wolf dafür vom Bauern eines auf den Pelz bekommt, geschieht ihm mehr als recht, finde ich.« Warum wollte Texel das Untier überhaupt beschützen?
Texel sprang auf und stampfte ungeduldig mit den Klauen. »Du Hirni, das ist genau das Gegenteil von gerecht! Wer behauptet, der Wolf hätte nichts anderes verdient, ist pupsdumm. Immer diese Vorurteile gegen diejenigen, die man nicht kennt!«
Winnewurp kratzte sich den Kopf. Sein Magen knurrte inzwischen so laut, dass er kaum denken konnte. »Du bringst mich ganz durcheinander. Ich habe überhaupt nichts gegen Fremde, solange sie mich in Ruhe lassen«, versuchte er Texel zu beschwichtigen. Dann fragte er: »Aber wieso sollte der Wolf unschuldig sein, wo er doch so offensichtlich sein Kacka hinterlassen hat?«
»Weil … also«, Texel begann plötzlich zu stottern, »weil er … weil ich … weil er und ich …«, plötzlich platzte es heraus: »… weil wir zwei die ganze Nacht miteinander Ich sehe was, was du nicht siehst gespielt haben. Deswegen liegt das Häufchen hier am Zaun.«
»Ich sehe was, was du nicht siehst?« Winnewurp musste leise kichern, als Texel verlegen nickte. Dieses Geständnis kam wirklich unerwartet. Das schwarze Schaf und der von allen gefürchtete böse Wolf spielten heimlich miteinander harmlose Kinderspiele? Wie putzig! Konnte Winnewurp da wirklich seine Hilfe verweigern? Und tatenlos mit ansehen, wie Jagd auf einen Unschuldigen gemacht wurde? Nicht mit gutem Gewissen. Zudem würde Texel Winnewurp eh keine Ruhe lassen, bis er den Auftrag erledigt hatte. Der schnellste Weg zu seinem ersehnten Frühstück war vermutlich, die Botschaft gleich zu überbringen. Aber zu einfach wollte er es Texel auch nicht machen. Er pflückte einen Grashalm und betrachtete ihn von allen Seiten. »Schon mal was vom Zauberwort gehört?«, fragte er beiläufig.
»Klar, du meinst das B-Wort«, sagte Texel. »BE-eilung!«
»Na ja, fast.« Winnewurp ließ den Grashalm fallen. Geschickt bohrte er sich ins Erdreich und verließ die Weide Richtung Wald.