Читать книгу Das schwarze Schaf - Annette Röder - Страница 9
ОглавлениеKapitel 4
Worauf hatte Winnewurp sich da nur eingelassen? So tief im Wald konnte man zwischen Tag und Nacht kaum noch unterscheiden. Zitternd blickte er hinauf zu den Tannen, die wie schwarze Maulwurfsfresser über ihm aufragten und im Wind leise knarzten. Bis hierher war er in einem Gang knapp unter der Erdoberfläche gut vorangekommen. Aber dann hatten dicke Wurzeln und große Steine den sicheren, unterirdischen Weg versperrt. Nun musste Winnewurp sich vor allem vor Bussarden, Falken und Elstern in Acht nehmen. Das Kreischen der Raubvögel hallte schon durch die Luft. Aus dem Unterholz knackte es beunruhigend. In der Nähe türmten sich kuhgroße Felsbrocken auf, dunkel von Flechten. Sie bildeten eine Art natürliches Tor. Das musste der Eingang zur Wolfshöhle sein. Auf der Weide von Baskeltorp hatte Winnewurp sich von Texel beschwatzen lassen, dass der Auftrag ungefährlich und einfach zu erledigen sei. Jetzt kamen ihm wieder Zweifel. Er kannte das schwarze Schaf von Baskeltorp doch erst seit wenigen Stunden. Woher wollte er wissen, dass es nicht mit dem bösen Wolf zusammenarbeitete? Dass dies alles nicht nur ein Trick war, um ihn, Winnewurp, dem Wolf geradewegs in den Bauch zu lenken? Andererseits schien ihm Texel zwar ziemlich gaga, aber nicht hinterhältig zu sein … Und seine gesunde Tierkenntnis hatte Winnewurp eigentlich noch nie getrogen. Also weiter, aber auf der Hut! Vorsichtig schlich sich Winnewurp voran. Das Moos fühlte sich unangenehm kalt an. Ihn schauderte, doch er kroch mutig weiter. Und dann stand er vor dem Höhlentor. Noch bevor er den Rüssel in die dämmerige Behausung streckte, wusste er: Der böse Wolf war daheim. Solch einen Gestank hätte nicht einmal ein Flusskrebs mit Schnupfen überriechen können. Ein Wollschwein, das sich im Misthaufen gewälzt hat, duftete gegen diesen Wolf ja wie ein Maulwurfmädchen im Mai! Winnewurp überlegte. Jetzt durfte er nicht unbedacht vorpreschen. Er musste für jeden Fall gewappnet sein. Vor der Höhle fand er zwischen Wolfspfotenabdrücken, abgenagten Knochen und Fellfetzen, die er lieber nicht genauer untersuchen wollte, einen abgebrochenen Ast. Nun ja, eher einen Zweig. Also genau genommen handelte es sich um eine dicke Kiefernnadel. Aber die hatte gerade die richtige Größe für eine Waffe, die Winnewurp gut in der Schaufelhand lag. Damit wollte er sich zur Not verteidigen. So ausgestattet, machte er die letzten Schritte durch das Felsentor. Schon stand er mit einer Pfote in der Höhle. Nach dem anstrengenden Weg klopfte sein Herz bereits doppelt so schnell wie sonst. Doch als er den bösen Wolf nun leibhaftig vor sich sah, raste es los, als wollte es ihm davonlaufen. Das Monster war noch viel schrecklicher, als Winnewurp es sich vorgestellt hatte. Rot glühende Augen! Pfeilspitze Reißzähne! Ein Maul, aus dem Blut triefte! Noch hatte der Wolf Winnewurp nicht bemerkt. Er lag bäuchlings im Sand und kaute genüsslich. Bestimmt an seinem letzten Opfer! Die riesigen Pranken hatte er weit von sich gestreckt. Seine triefende schwarze Schnauze zuckte. Und nun geschah, was passieren musste: Er witterte Winnewurp. Hob den Schädel. Fixierte ihn. Spannte die Muskeln an. Gleich würde er sich mit einem Satz auf ihn stürzen. Doch Winnewurp fasste all seinen Mut zusammen und schwenkte drohend die Waffe. Der Wolf nahm die Warnung ernst und blieb an seinem Platz.
»Was geht, Alter?«, fragte er. Sein knurrender Unterton jagte Winnewurp eine Gänsehaut unter den Pelz. Er packte die Kiefernnadel noch fester und wich gleichzeitig einige Schritte zurück.
»Weißte, beim Chillen krieg ich immer so kribbelige Beine«, erklärte der Wolf und wälzte sich ächzend auf die Seite. »Cool, dass du mich besuchen kommst, Alter. Die meisten pieseln sich ja in den Pelz, wenn sie mich sehen.«
Kein Wunder! Auch Winnewurp war kurz davor, sich ins Fell zu machen. Jetzt leckte sich der Wolf auch noch über die blutverschmierten Lefzen und fragte: »Magste auch paar Heidelbeeren? Schmecken endslecker.«
Winnewurp schüttelte bibbernd den Kopf. Er aß Regenwürmer und kein Gemüse. Und im Moment wollte er sowieso nur eines: nichts wie raus hier! Aber zuerst musste er seine Botschaft loswerden. Dummerweise war er so nervös, dass er kaum noch wusste, was er dem bösen Wolf eigentlich ausrichten sollte. »Grüße von Texel!«, nuschelte er schließlich. Er wollte schon durchstarten, da fiel ihm zum Glück noch das Wichtigste ein: »Bleib mal besser weg von Baskeltorp!« Aber dann raste Winnewurp los, dass es staubte.