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Kapitel 3 - Nick
ОглавлениеIch liebe freie Tage. Was gibt es besseres, als auszuschlafen, dazu das Wissen, dass man den lieben langen Tag das machen kann, worauf man Lust hat? Ich genieße die Morgensonne, gepaart mit der frischen Brise, die mir entgegenweht, während ich am Strand durch den Sand jogge. Meine Füße versinken dabei im weichen Sand, während meine Schuhe an meinem Hals hin und her baumeln. Es ist anstrengender hier zu laufen als auf der Straße, aber ich liebe das Meer, die unendliche Weite. Ein Grund, wieso ich nach meiner Ausbildung und meinem Dienst auf dem Festland wieder hierher zurückgekommen bin. Ich liebe diese Insel, jedenfalls jetzt.
Früher, als ich jünger gewesen bin, habe ich weit weg gewollt – viel erleben, Partys feiern, bloß nie mehr zurückkommen. Und jetzt? Jahre später sind wir fast alle wieder hier und glücklich damit. Wir haben gemerkt, was uns die Insel gibt – wie groß der Zusammenhalt ist, wie viel so etwas wert ist. Draußen auf dem Festland bist du ein namenloser Fremder, du kannst dich auf niemanden verlassen, zumindest nicht so wie auf diesem winzigen Fleckchen. Hier hält man zusammen! Leider mischt sich auch die halbe Insel in dein Leben ein, doch sie stehen dir ebenso bei. Selten ziehen Fremde her, was den meisten Einheimischen so gefällt. Nicht, dass wir ungesellig wären, im Gegenteil, dennoch schätzen wir unsere Ruhe. Der eine oder andere findet einen Partner auf dem Festland, das schon, aber so richtig neue Bewohner sind eine Seltenheit – abgesehen von den Sommertouristen.
Ich bin gerade von einem vierwöchigen Lehrgang in der Stadt zurück, und verdammte Scheiße, das Meer hat mir gefehlt. Der salzige Geruch, das Schreien der Möwen, das Rauschen der Wellen. All das vermittelt mir das Gefühl von Freiheit und Ruhe wie sonst nichts auf dieser Welt. Der Strand ist ausgestorben, denn es ist keine Touristenzeit mehr. Der Hochsommer ist vorbei, die Saison neigt sich dem Ende zu. Die paar Touris, die sich hier noch tummeln, sind nicht der Rede wert. Es gibt immer vereinzelte Ganzjahrestouristen, die lieber im Herbst und Winter am Meer sind, harte Fischer, Senioren, die eine oder andere Familie, aber das ist nur eine Handvoll. Endlich gehört der Strand wieder uns, Ruhe kehrt mit dem Herbst ein. Es hat Vor- und Nachteile, wenn Touristen kommen, wie eben alles im Leben. Man lernt interessante Menschen kennen, doch sie verstopfen das Dorf und den Strand. Diebstähle, Schlägereien, all das sind Dinge, mit denen wir meist nur in der Saison zu kämpfen haben. Ebenso der Müll, der oftmals achtlos liegen gelassen wird und den wir Einheimischen beseitigen, weil wir unsere Insel lieben. Manchmal ist es auch etwas langweilig, wenn die Saison zu Ende geht – man kann eben nicht alles haben. Sollte es mir doch irgendwann zu öde werden, was ich bezweifle, steht mir die Welt offen, doch bis es so weit ist, genieße ich das Meer und die Geselligkeit.
Ich bin so in meinen Gedanken versunken, dass ich nicht merke, wie ein weißer Blitz auf mich zugeschossen kommt. Hinzu fliegt ein kleines rotes Ding an meiner Nase vorbei, sodass ich stoppen muss, und obendrein in ein Loch trete, weil ich abgelenkt bin. Ich taumle. Eine Sekunde später werden meine Beine gerammt und ich kann nichts mehr unternehmen, um den Sturz zu verhindern. Meine Arme rudern, auf der Suche nach Gleichgewicht, wild in der Luft herum. Ich rolle mich geübt am Boden ab, bekomme allerdings eine Ladung Sand ins Gesicht, während ich einen Purzelbaum schlage. Wütend spucke ich die Körner aus, trotzdem knirscht es in meinem Mund, als ich genervt die Zähne aufeinanderbeiße.
Ich schaue nach rechts, um zu erfahren, was mich gerade mit Gewalt umgerissen hat, entdecke dabei einen Dalmatiner, der voller Freude in die Fluten springt, um nach einem roten Ball zu schnappen, der mir zuvor knapp an der Nase vorbeigeflogen ist. Empört stehe ich auf, klopfe mir dabei zornig den Sand von der Hose und meinem T-Shirt. Immer diese Hundebesitzer, die keine Kontrolle über ihre Tiere haben. Es muss ein Touri sein, der Hund kommt mir nicht bekannt vor und wie gesagt, hier kennt jeder jeden, selbst jeden verdammten Hund. Wäre ich im Dienst, dürfte diese rücksichtslose Person ein fettes Bußgeld abdrücken. Und was für eins, der würde sich grün und blau ärgern. Diese Touris, die denken, sie können machen, was sie wollen. Das kommt auf meine Nachteilliste, so viel ist klar. Na, warte!
Aufgebracht drehe ich mich um, erstarre augenblicklich, als ich mich Nase an Nase mit einer wirklich niedlichen Blondine wiederfinde. Na ja, Nase an Nase kann man nicht sagen, denn sie ist winzig. Ich muss ziemlich weit nach unten schauen, um in ihre Augen, die wunderschön sind, zu blicken – ein tiefes Braun, was mir eine Gänsehaut beschert.
»Oh mein Gott, sind Sie verletzt? Es tut mir so leid. Ich bin in Gedanken gewesen und hätte besser aufpassen müssen, wohin ich werfe. Storm ist wie ein Rammbock. Alles was zwischen ihm und seinen Ball kommt, wird mitleidslos weggefegt. Oje, Sie bluten. Ich … ich … Warten Sie, ich schau mir das an.«
Ehe ich auch nur einen Ton sagen kann, geht sie vor mir in die Hocke und ich folge ihr sprachlos mit den Augen, während sie beginnt, mich mit geschickten Fingern abzutasten, und mir dabei sehr nahekommt. Hitze steigt in mir auf, ob ich will oder nicht. Ein Prickeln breitet sich genau dort aus, wo sie mich berührt. Diese Frau haut mich total um – im wahrsten Sinne des Wortes. Erst rennt ihr Hund mich über den Haufen, dann redet sie ohne Punkt und Komma, ohne Luft holen zu müssen, auf mich ein und tastet mich zudem ohne Scham ab. Das überfordert mich gerade. Sie schaut so schuldbewusst aus ihren langen Wimpern nach oben, dass meine Wut verpufft, ehe sie sich den Anschiss ihres Lebens anhören muss – dabei wäre ich so gut in Fahrt gewesen. Sie nagt an ihrer Unterlippe, zieht sie zwischen die Zähne und tastet mein Knie gewissenhaft ab, welches eine leichte Schürfwunde aufweist. Dieser Kratzer ist ein Hauch von nichts, ich habe weitaus Schlimmeres erlebt. Aber … Irgendwie möchte ich sie noch schmoren lassen. Wie sie so an ihrer Lippe saugt, vor mir auf den Knien, weckt verdammt schmutzige Gedanken in mir. Ich muss dringend etwas Abstand schaffen, um mich zu ordnen, und zwar schnellstmöglich.
»Das wird mich nicht umbringen«, schmunzle ich doch achselzuckend, trete einen großen Schritt zurück, atme tief ein, sehr tief. Aus Reflex fahre ich mir durchs Haar, mustere mein Gegenüber abermals, versuche ganz automatisch, mir ein Bild von ihr zu verschaffen. Ich analysiere, würde meine Schwester jetzt behaupten und sie hätte recht, das liegt wohl an meinem Beruf. Auf dem zweiten Blick entdecke ich dabei einige vorwitzige Sommersprossen auf ihrer Stupsnase. Ich habe eine Schwäche für Sommersprossen, ehrlich. Sie zuckt bei meinen Worten, was ich allerdings nicht sinnvoll deuten kann. Ihre braunen Augen blicken mich nervös an, mustert mich eindringlich, fast ängstlich, und sie nestelt an der Leine in ihren Händen herum. Sie weicht meinem Blick schnell wieder aus, lässt ihr Haar vor das Gesicht fallen, als will sie sich vor mir verstecken. Das ist keine normale Reaktion oder ist sie einfach nur schüchtern? Nein, das passt nicht zusammen. Verwundert halte ich inne, doch sie steht bereits auf, klopft sich ebenfalls den losen Sand von ihren nackten wohlgeformten Beinen. Ich nehme mir einen Moment, genieße den Anblick, der sich mir bietet. Sie scheint keines der Beachbunnys zu sein, wie wir die Sonnenanbeterinnen nennen, die im Sommer den Strand bevölkern, denn ihre Haut ist so dermaßen blass, als hätte sie eine lange Zeit keine Sonne gesehen. Mein Blick wandert nach oben, über ihre Hüfte, die schmale Taille, hin zu ihren ausdrucksstarken Augen, die mich an Nugatschokolade erinnern. Ob ihr das schon mal jemand gesagt hat? Ich liebe Schokolade beinahe so sehr wie Sommersprossen und irgendwie lässt diese Frau mein Herz gerade ein wenig schneller schlagen. Sie hat eindeutig mein Interesse geweckt. Sie blitzt mich leicht verärgert an, die Angst, die ich eben gemeint gesehen zu haben, ist verschwunden, dafür steht ihr Verärgerung deutlich ins Gesicht geschrieben. Ein wohliger Schauer gleitet meinen Rücken hinab. So etwas, dass mir eine Fremde so unter die Haut geht, ist mir noch nie passiert. Also schiebe ich es lapidar auf den Sturz, möglicherweise hat mein Kopf doch etwas abbekommen.
»Fertig mit der Glotzerei?«, knurrt sie, woraufhin ich auflache. Sie hat gerade noch so süß und schüchtern gewirkt, jetzt könnte man glauben, sie will mich gleich in Flammen aufgehen lassen – bei den Blicken, die sie mir zuwirft. Okay, ich gestehe ihr zu, dass meine Musterung zwar nicht höflich gewesen ist, dennoch anerkennend. Sie rümpft ihre kleine Stupsnase erbost, lässt dabei die Sommersprossen tanzen, was einfach liebreizend wirkt. Fast bin ich in Versuchung, die kleinen Sprenkel zu zählen.
»Also, erst rennst du mich um, dann motzt du mich auch noch grundlos an?«, erwidere ich gut gelaunt. »Außerdem habe ich nicht geglotzt. Ich habe nur geschaut, ob ich klarsehen kann, nachdem ich gestürzt bin. Wer weiß, vielleicht habe ich eine Gehirnerschütterung? »
»Storm hat dich umgerannt, nicht ich. Im Übrigen habe ich mich entschuldigt, mehrfach. Es tut mir aufrichtig leid, aber das ist kein Freifahrtschein, mich so … zu mustern. Das ist unangebracht und unhöflich. Ich bin keine Stute auf dem Viehmarkt. Typen wie du, sind einfach ätzend.«
»Typen wie ich? Du kennst mich gar nicht.« Ich muss nun herzlich lachen, was sie dazu auffordert, ihre Augen noch etwas mehr zu verengen, dabei so finster in meine Richtung zu schauen, dass man fast Angst haben könnte. Sie hat ein kleinwenig Recht, aber das werde ich nicht zugeben, sondern strahle sie einfach an. Keine Stute auf dem Viehmarkt? Ich mag dieses Geplänkel wirklich, genau richtig. Sie hat Feuer, das gefällt mir.
»Ja, Typen wie du. Die denken, nur weil sie gut aussehen, können sie machen, was sie wollen. Weißt du, das könnt ihr gar nicht. Nur weil man attraktiv ist, ist das kein Freifahrtschein für ein arschiges Machoverhalten, wozu deine Musterung von eben definitiv gehört.«
»Soll ich mich jetzt dafür entschuldigen, dass du mich attraktiv findest, oder dafür, dass ich dich bewundernd gemustert habe?« Sie steht so dicht vor mir, dass ich runter schauen muss, wenn ich mit ihr rede. Angriffslustig verschränkt sie die Arme vor der Brust, schiebt ihre Lippe trotzig vor. Eine zarte Röte bedeckt ihre Wangen, so aufgebracht ist sie. Es wirkt so herrlich ungekünstelt, dass sie auf Anhieb noch ein paar Sympathiepunkte bei mir sammelt. Ich hasse es, wenn Frauen aufgesetzt und künstlich sind. Ihr ist offenbar egal, was ich von ihr denke, auch wenn sie gerade ein wenig übertreibt. So dramatisch ist meine Musterung nun echt nicht gewesen. »Du bist total niedlich, wenn du sauer bist. Ich kann das gar nicht ernst nehmen bei deiner Größe«, stichle ich, sie schnaubt stattdessen empört.
»Volltrottel. Das ist mir echt zu blöd«, zischt sie, pfeift sogleich nach ihrem Hund. Er kommt erneut wie ein Blitz angerannt, rempelt mich dabei abermals an, sodass ich einen Schritt nach vorne machen muss. Wir wären zusammengestoßen, wenn sie nicht nach hinten hüpfen würde – als wäre ich die Pest in Person. Okay, das ist verletzend. Das bin ich nicht gewohnt. Ich bin zwar kein David Beckham, aber auch kein Quasimodo. Es kratzt etwas an meinem Stolz. Sie wirkt fast zufrieden, grinst ihren tropfenden Hund an. »Guter Junge«, lobt sie ihn zudem, woraufhin er erfreut mit dem Schwanz wedelt und mir einen kurzen Blick zuwirft.
»Anscheinend mag dein Hund mich nicht«, mutmaße ich weiterhin amüsiert über die ganze Situation. Der Tag entwickelt sich besser, als ich angenommen habe.
»Storm mag es nicht, wenn man mich verärgert.« Sie nimmt ihre langen blonden Haare zu einem Zopf zusammen. Schade eigentlich, ich mag offene Haare und ihre sehen wirklich toll aus, wie sie im Wind wehen. Wild und zügellos, genau passend für meine Fantasie, wo sich gerade einiges zurecht spinnt. Am liebsten würde ich meine Hand ausstrecken, ihr die vorwitzige Strähne aus der Stirn streichen und schauen, ob sie so weich sind, wie sie aussehen. Sie wirkt so natürlich und frisch mit ihrer frechen Zunge, dass sie mich immer neugieriger auf sich macht. Wer ist sie? Wie lange wird sie auf unserer Insel bleiben? Der Wind weht stärker, steigt ihr von hinten unters Kleid. Es umflattert sie, wobei mein Mund trocken wird, als ich einen Blick auf ihre wohlgeformten Oberschenkel und ein Hauch roter Spitze erhasche. Herr im Himmel, sei mir gnädig. Verlangen schießt durch meine Adern, ob ich will oder nicht. Irgendwas an ihr zieht mich magisch an, nicht nur ihre Optik. Es ist eher das Gesamtpaket, was sehr reizvoll ist und mich anlockt. Eine Stimme sagt mir, dass diese Frau gefährlich für mich sein kann, dass sie eine ganze andere Rolle spielen wird, als ich vielleicht denke. Man könnte es Eingebung nennen oder doch auf den Sturz schieben? Sie ist anderes, nur wie genau, muss ich noch herausfinden, dringend. »Du tust es schon wieder. Was bist du? Ein Perverser?« Sie schüttelt deutlich entrüstet den Kopf und schnipst mit ihren Fingern vor meiner Nase, um die Aufmerksamkeit auf ihr Gesicht zu lenken.
»Ich habe mich nur gerade gefragt, wie groß du bist. Eins vierzig? Du bist winzig. Wie eine kleine wütende Fee. Ich nenne dich Tinkerbell, ja das passt zu dir. Eine kleine wütende Tinkerbell.« Ihr Gesicht entgleist kurz, was meine Mundwinkel zucken lässt. Jetzt, wo ich es ausgesprochen habe, stimmt es tatsächlich. Sie ist so klein und zierlich wie diese Fee aus Kinderbüchern. Dazu dieses helle Haar, das herzförmige Gesicht mit der kleinen Stupsnase und den etwas zu großen Lippen, die wirklich verruchte Gedanken in mir wecken. Was sie damit alles anstellen könnte … Ob sie so verlockend schmecken, wie sie aussehen? Sie geht mir unter die Haut, was mir nicht ganz gefällt. Jede Emotion, die kleinste Gefühlsregung, kann man in ihren Augen ablesen. Ihre Stimme ist weich, mit einem leicht rauchigen Kratzen, welches mir eine wohlige Gänsehaut beschert. Wie sie wohl morgens klingt? Oder wenn sie … Halt! Stopp! Nick, komm runter. Sie hat recht, du benimmst dich wie ein Perverser. Was auch immer diese Frau in mir auslöst, jetzt ist Schluss.
»Du Spinner kannst mich mal.« Sie lacht auf, was eher empört, als belustigt klingt. »Storm, mit so einem … Vollidioten vergeuden wir keine weitere Minute«, teilt sie ihrem Hund mit, wendet sich kopfschüttelnd ab und stapft aufgebracht davon. Ihr Kleid weht hinter ihr her und wie von selbst huscht mein Blick kurz zu ihrem Po. Gut, dass sie das nicht sieht, sonst würde sie mich fertigmachen, ganz sicher.
Langsam jogge ich los, neben ihr her, noch nicht bereit, dieses Treffen zu beenden, »Ich bin Nick,« teile ich ihr mit, auch wenn sie nicht so wirkt, als würde sie das wissen wollen. Das nagt schon ein wenig an mir. Dennoch will ich, dass sie meinen Namen kennt, denn ich muss mehr über die unbekannte Schönheit erfahren, also drossle ich mein Tempo. Dann wechsle ich die Position, laufe rückwärts vor ihr her. Das Lauftraining macht sich glücklicherweise bezahlt. Sie versucht, mich zu ignorieren, was ich ihr möglichst schwer mache. Meine Neugierde ist noch lange nicht gestillt.
»Will ich das wissen?« Sie schaut mich an, hebt eine Augenbraue und versucht, arrogant zu wirken, was ihr so überhaupt nicht gelingt. »Ich glaube nicht, nach deinem Namen gefragt zu haben. Und weißt du, wieso? Er interessiert mich nicht die Bohne.«
Wie frech sie ist, denke ich jauchzend. Ich finde es erquickend, dass sie kein Blatt vor den Mund nimmt und meine Laune steigt immer weiter. »Klar willst du das, du kannst ruhig ehrlich sein. Auch wenn du jetzt so unschuldig guckst, du hast mich ebenso gemustert, Fräulein. Aber weißt du, das ist okay. Guck so viel, wie du willst.« Ich breite die Arme vor ihr aus, woraufhin sie die Augen verdreht. Sie wird rot, herrlich. Ertappt! Ich habe schrecklichen Spaß daran, sie zu ärgern.
»Wunschdenken, mein Freund. Wunschdenken«, kontert sie, noch immer diese leichte Röte auf den Wangen, die ihre Sommersprossen stärker hervorheben.
Mein Freund? Mhh, klingt gut und gefällt mir, was wirklich beängstigend und verrückt zugleich ist. Eventuell entwickle ich mich doch zu einem Psycho. Ich hoffe nicht, doch man weiß ja nie. »Mein Freund? So schnell bin ich nicht«, necke ich sie weiter. »Ein paar Dates vorher wären schon nett, dennoch verstehe ich, dass du Nägel mit Köpfen machen willst. So ein Mann wie ich, ist ratzfatz weg vom Markt. Ich kann dich beruhigen, denn ich bin noch zu haben. Eigentlich wollte ich daran in nächster Zeit nichts ändern, aber mal schauen, was kommt?«
»Wahnsinn, Mister Arroganz persönlich. Was willst du von mir? Da rennt Storm einen verrückten über den Haufen und ich muss es ausbaden? Werde ich dich wieder los?« Sie verdreht die Augen gen Himmel.
»Mhh, kommt drauf an. Fürs Erste ist ein Name ganz nett. Danach vielleicht ein Drink zur Entschuldigung, das wäre durchaus angemessen.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, ich will nur meine Ruhe«, teilt sie mir mit, legt zudem einen Gang zu, um mich zu umrunden.
So schnell gebe ich nicht auf. Sie verwirrt und beeindruckt mich zugleich. Erst flirtet sie, da bin ich mir ganz sicher, und dann macht sie plötzlich dicht? Ich merke, dass sie hin und hergerissen ist. Ich wette, dahinter steckt eine interessante Geschichte, die ich unbedingt wissen will. Wenn ich ehrlich bin, bin ich noch nie so neugierig auf eine Frau gewesen wie jetzt gerade. Der Polizist in mir will jedes Geheimnis ergründen – reine Berufskrankheit. Ich möchte alles über sie wissen, woher sie kommt und wie lange sie bleibt, doch für den Anfang reicht es, nur mit ihr zu reden. So viel Spaß habe ich ewig nicht mehr mit einer fremden Frau, die nicht zu meinen Freunden zählt, gehabt – was jedoch daran liegt, dass mich Touristen nicht faszinieren. Die Zeiten, wo man sich ein Touri mit nach Hause nimmt, sind irgendwie vorbei. Ich bin nicht an einer Beziehung interessiert, mein Job ist momentan alles, was zählt. »Wieso ich? Du musst dich entschuldigen. Du hast mich fast umgebracht. Oh, ich meine natürlich dein Hund. Aber Eltern haften für ihre Kinder, du demnach auch für deinen Hund.«
Sie beißt auf ihre Lippe, ich erkenne ein kurzes Zucken ihres Mundwinkels. Ah, das gefällt mir, darauf kann ich aufbauen. »Das ist nur ein Kratzer. Bis du heiratest, ist das verschwunden«, lässt sie mich fachmännisch wissen.
»Oho, jetzt willst du durch die Blume erfahren, ob ich vielleicht doch eine Freundin habe? Nein, ich bin Single, wie ich bereits gesagt habe. Du hättest mich das gerne direkt fragen können. Nur keine Scheu, ich bin wie ein offenes Buch.«
Jetzt lacht sie laut, das gefällt mir noch mehr. »Oh Gott, du bist ja von dir überzeugt. Das ist echt schrecklich. Kann man das Buch auch wieder schließen?« Ihr Lachen vermischt sich mit dem Schreien der Möwen über uns und dem Rauschen der Wellen. Es passt perfekt zusammen. Ich will mehr davon, es macht mich schon jetzt süchtig. Der heisere Klang verursacht ein Ziehen in meiner Brust. Ich muss sie nochmal lachen hören, egal wie krank das gerade klingt, aber es jagt kleine Schauer über meine Haut.
»Das nennt man gesundes Selbstbewusstsein.« Ich zwinkere ihr zu, woraufhin ihre braunen Augen vergnügt funkeln. Es macht ihr offensichtlich doch Spaß, sieh an. Ihre Stimmung wechselt sekündlich, also will ich sie etwas weiter hervorlocken. »Ein Drink ist das Mindeste. Womöglich behalte ich eine Narbe, wer weiß das schon … Für die Jungs auf der Wache muss ich mir allerdings eine bessere Geschichte ausdenken. Die lachen mich sonst aus. Kannst du dir vorstellen, was das für ein Gerede geben würde?«
»Du bist Polizist?« Ihr Gesicht entgleist kurz, aber sie fängt sich schnell. Jeglicher Schalk, der eben noch in ihren bezaubernden Augen gestanden hat, ist fort. Sie nimmt eine unbewusste Abwehrhaltung ein, wirkt fast panisch, schaut sich kurz um, als würde sie checken wollen, ob außer uns noch andere Menschen am Strand sind. Ihr Hund spürt es ebenfalls, tritt dichter an sein Herrchen heran, während sie sich anscheinend schematisch über die Arme reibt. Den meisten Frauen gefällt es, einen Polizisten zu daten, sie hingegen guckt mich an, als hätte ich ihr eröffnet, dass ich Toiletten putze und das nackt vor laufender Kamera. Ich kenne dieses Verhalten von meiner Dienstzeit auf dem Festland. Ihre Körpersprache verrät es mir. Diese Frau hat etwas Schlimmes erlebt. Nur was? Der Gedanke raubt mir einen Moment den Atem, weil mir sämtliche schrecklichen Fälle im Kopf umherschwirren, die ich im Laufe der Jahre bearbeitet habe. Häusliche Gewalt, Vergewaltigung, Misshandlung. Eine endlose Liste im Leben eines Polizisten. Nicht immer bin ich rechtzeitig vor Ort gewesen, um den betroffenen Frauen zu helfen – diese Fälle verfolgen mich an grauen Tagen noch immer.
»Ja, ich bin ein Cop.«