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Kapitel 3 - Nick

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Ich lie­be freie Ta­ge. Was gibt es bes­se­res, als aus­zu­schla­fen, da­zu das Wis­sen, dass man den lie­ben lan­gen Tag das ma­chen kann, wo­rauf man Lust hat? Ich ge­nie­ße die Mor­gen­son­ne, ge­paart mit der fri­schen Bri­se, die mir ent­ge­gen­weht, wäh­rend ich am Strand durch den Sand jog­ge. Mei­ne Fü­ße ver­sin­ken da­bei im weichen Sand, wäh­rend mei­ne Schu­he an mei­nem Hals hin und her baum­eln. Es ist an­stren­gen­der hier zu lau­fen als auf der Stra­ße, aber ich lie­be das Meer, die un­end­li­che Wei­te. Ein Grund, wie­so ich nach mei­ner Aus­bil­dung und mei­nem Dienst auf dem Fest­land wie­der hier­her zurück­ge­kom­men bin. Ich lie­be die­se In­sel, je­den­falls jetzt.

Frü­her, als ich jün­ger ge­we­sen bin, ha­be ich weit weg ge­wollt – viel er­le­ben, Par­tys fei­ern, bloß nie mehr zurück­kom­men. Und jetzt? Jah­re spä­ter sind wir fast alle wie­der hier und glü­cklich da­mit. Wir ha­ben ge­merkt, was uns die In­sel gibt – wie groß der Zu­sam­men­halt ist, wie viel so et­was wert ist. Drau­ßen auf dem Fest­land bist du ein na­men­lo­ser Frem­der, du kannst dich auf nie­man­den ver­las­sen, zu­min­dest nicht so wie auf die­sem win­zi­gen Fleck­chen. Hier hält man zu­sam­men! Lei­der mischt sich auch die hal­be In­sel in dein Le­ben ein, doch sie ste­hen dir eben­so bei. Sel­ten zie­hen Frem­de her, was den meis­ten Ein­hei­mi­schen so ge­fällt. Nicht, dass wir un­ge­sel­lig wä­ren, im Ge­gen­teil, den­noch schät­zen wir un­se­re Ru­he. Der ei­ne oder an­de­re fin­det ei­nen Part­ner auf dem Fest­land, das schon, aber so rich­tig neue Be­woh­ner sind ei­ne Sel­ten­heit – ab­ge­se­hen von den Som­mer­tou­ris­ten.

Ich bin ge­ra­de von ei­nem vier­wö­chi­gen Lehr­gang in der Stadt zurück, und ver­damm­te Schei­ße, das Meer hat mir ge­fehlt. Der sal­zi­ge Ge­ruch, das Schrei­en der Mö­wen, das Rau­schen der Wel­len. All das ver­mittelt mir das Ge­fühl von Frei­heit und Ru­he wie sonst nichts auf die­ser Welt. Der Strand ist aus­ge­stor­ben, denn es ist kei­ne Tou­ris­ten­zeit mehr. Der Hoch­som­mer ist vor­bei, die Saison neigt sich dem En­de zu. Die paar Tou­ris, die sich hier noch tum­meln, sind nicht der Re­de wert. Es gibt immer ver­ein­zel­te Ganz­jah­res­tou­ris­ten, die lie­ber im Herbst und Win­ter am Meer sind, har­te Fi­scher, Se­nio­ren, die ei­ne oder an­de­re Fa­mi­lie, aber das ist nur ei­ne Hand­voll. End­lich ge­hört der Strand wie­der uns, Ru­he kehrt mit dem Herbst ein. Es hat Vor- und Nach­tei­le, wenn Tou­ris­ten kom­men, wie eben alles im Le­ben. Man lernt in­te­res­san­te Men­schen ken­nen, doch sie ver­stop­fen das Dorf und den Strand. Diebs­täh­le, Schlä­ge­rei­en, all das sind Din­ge, mit de­nen wir meist nur in der Saison zu kämp­fen ha­ben. Eben­so der Müll, der oft­mals acht­los lie­gen ge­las­sen wird und den wir Ein­hei­mi­schen be­sei­ti­gen, weil wir un­se­re In­sel lie­ben. Manch­mal ist es auch et­was lang­wei­lig, wenn die Saison zu En­de geht – man kann eben nicht alles ha­ben. Soll­te es mir doch ir­gend­wann zu öde wer­den, was ich be­zweif­le, steht mir die Welt of­fen, doch bis es so weit ist, ge­nie­ße ich das Meer und die Ge­sel­lig­keit.

Ich bin so in mei­nen Ge­dan­ken ver­sun­ken, dass ich nicht mer­ke, wie ein wei­ßer Blitz auf mich zu­ge­schos­sen kommt. Hin­zu fliegt ein klei­nes ro­tes Ding an mei­ner Na­se vor­bei, so­dass ich stop­pen muss, und oben­drein in ein Loch tre­te, weil ich ab­ge­lenkt bin. Ich taum­le. Ei­ne Se­kun­de spä­ter wer­den mei­ne Bei­ne ge­rammt und ich kann nichts mehr un­ter­neh­men, um den Sturz zu ver­hin­dern. Mei­ne Ar­me ru­dern, auf der Su­che nach Gleich­ge­wicht, wild in der Luft he­rum. Ich rol­le mich ge­übt am Boden ab, be­kom­me aller­dings ei­ne La­dung Sand ins Ge­sicht, wäh­rend ich ei­nen Pur­zel­baum schla­ge. Wü­tend spu­cke ich die Kör­ner aus, trotz­dem knirscht es in mei­nem Mund, als ich ge­nervt die Zäh­ne auf­ein­an­der­bei­ße.

Ich schaue nach rechts, um zu er­fah­ren, was mich ge­ra­de mit Ge­walt um­ge­ris­sen hat, ent­de­cke da­bei ei­nen Dal­ma­ti­ner, der vol­ler Freu­de in die Flu­ten springt, um nach ei­nem ro­ten Ball zu schnap­pen, der mir zu­vor knapp an der Na­se vor­beige­flo­gen ist. Emp­ört ste­he ich auf, klop­fe mir da­bei zor­nig den Sand von der Ho­se und mei­nem T-Shirt. Immer die­se Hun­de­be­sit­zer, die kei­ne Kon­trol­le über ih­re Tie­re ha­ben. Es muss ein Tou­ri sein, der Hund kommt mir nicht be­kannt vor und wie ge­sagt, hier kennt je­der je­den, selbst je­den ver­damm­ten Hund. Wä­re ich im Dienst, dürf­te die­se rück­sichts­lo­se Per­son ein fet­tes Buß­geld ab­drü­cken. Und was für eins, der wür­de sich grün und blau är­gern. Die­se Tou­ris, die den­ken, sie kön­nen ma­chen, was sie wol­len. Das kommt auf mei­ne Nach­teil­lis­te, so viel ist klar. Na, war­te!

Auf­ge­bracht dre­he ich mich um, er­star­re augen­bli­cklich, als ich mich Na­se an Na­se mit ei­ner wirk­lich nied­li­chen Blon­di­ne wie­der­fin­de. Na ja, Na­se an Na­se kann man nicht sa­gen, denn sie ist win­zig. Ich muss ziem­lich weit nach un­ten schau­en, um in ih­re Augen, die wun­der­schön sind, zu bli­cken – ein tie­fes Braun, was mir ei­ne Gän­se­haut be­schert.

»Oh mein Gott, sind Sie ver­letzt? Es tut mir so leid. Ich bin in Ge­dan­ken ge­we­sen und hät­te bes­ser auf­pas­sen müs­sen, wo­hin ich wer­fe. Storm ist wie ein Ramm­bock. Alles was zwi­schen ihm und sei­nen Ball kommt, wird mit­leids­los weg­ge­fegt. Oje, Sie blu­ten. Ich … ich … War­ten Sie, ich schau mir das an.«

Ehe ich auch nur ei­nen Ton sa­gen kann, geht sie vor mir in die Ho­cke und ich fol­ge ihr sprach­los mit den Augen, wäh­rend sie be­ginnt, mich mit ge­schick­ten Fin­gern ab­zu­tas­ten, und mir da­bei sehr na­he­kommt. Hit­ze steigt in mir auf, ob ich will oder nicht. Ein Pri­ckeln brei­tet sich ge­nau dort aus, wo sie mich be­rührt. Die­se Frau haut mich to­tal um – im wahr­sten Sin­ne des Wor­tes. Erst rennt ihr Hund mich über den Hau­fen, dann re­det sie oh­ne Punkt und Kom­ma, oh­ne Luft ho­len zu müs­sen, auf mich ein und tas­tet mich zu­dem oh­ne Scham ab. Das über­for­dert mich ge­ra­de. Sie schaut so schuld­be­wusst aus ih­ren lan­gen Wim­pern nach oben, dass mei­ne Wut ver­pufft, ehe sie sich den An­schiss ih­res Lebens an­hö­ren muss – da­bei wä­re ich so gut in Fahrt ge­we­sen. Sie nagt an ih­rer Un­ter­lip­pe, zieht sie zwi­schen die Zäh­ne und tas­tet mein Knie ge­wiss­en­haft ab, wel­ches ei­ne leich­te Schürf­wun­de auf­weist. Die­ser Krat­zer ist ein Hauch von nichts, ich ha­be wei­taus Schlim­me­res er­lebt. Aber … Ir­gend­wie möch­te ich sie noch schmo­ren las­sen. Wie sie so an ih­rer Lip­pe saugt, vor mir auf den Knien, weckt ver­dammt schmut­zi­ge Ge­dan­ken in mir. Ich muss drin­gend et­was Ab­stand schaf­fen, um mich zu ord­nen, und zwar schnell­stmög­lich.

»Das wird mich nicht um­brin­gen«, schmunz­le ich doch ach­sel­zu­ckend, tre­te ei­nen gro­ßen Schritt zurück, at­me tief ein, sehr tief. Aus Ref­lex fah­re ich mir durchs Haar, mus­te­re mein Ge­gen­über aber­mals, ver­su­che ganz auto­ma­tisch, mir ein Bild von ihr zu ver­schaf­fen. Ich ana­ly­sie­re, wür­de mei­ne Schwes­ter jetzt be­haup­ten und sie hät­te recht, das liegt wohl an mei­nem Be­ruf. Auf dem zwei­ten Blick ent­de­cke ich da­bei ei­ni­ge vor­wit­zi­ge Som­mer­spros­sen auf ih­rer Stups­na­se. Ich ha­be ei­ne Schwäche für Som­mer­spros­sen, ehr­lich. Sie zuckt bei mei­nen Wor­ten, was ich aller­dings nicht sinn­voll deu­ten kann. Ih­re brau­nen Augen bli­cken mich ner­vös an, mus­tert mich ein­dring­lich, fast ängst­lich, und sie nes­telt an der Lei­ne in ih­ren Hän­den he­rum. Sie weicht mei­nem Blick schnell wie­der aus, lässt ihr Haar vor das Ge­sicht fal­len, als will sie sich vor mir ver­ste­cken. Das ist kei­ne nor­ma­le Re­ak­tion oder ist sie ein­fach nur schüch­tern? Nein, das passt nicht zu­sam­men. Ver­wun­dert hal­te ich in­ne, doch sie steht be­reits auf, klopft sich eben­falls den lo­sen Sand von ih­ren nack­ten wohl­ge­form­ten Bei­nen. Ich neh­me mir ei­nen Mo­ment, ge­nie­ße den An­blick, der sich mir bie­tet. Sie scheint kei­nes der Be­ach­bun­nys zu sein, wie wir die Son­nen­an­be­te­rin­nen nen­nen, die im Som­mer den Strand be­völ­kern, denn ih­re Haut ist so der­ma­ßen blass, als hät­te sie ei­ne lan­ge Zeit kei­ne Son­ne ge­se­hen. Mein Blick wan­dert nach oben, über ih­re Hüf­te, die schma­le Tail­le, hin zu ih­ren aus­druckss­tar­ken Augen, die mich an Nu­gat­scho­ko­la­de er­in­nern. Ob ihr das schon mal je­mand ge­sagt hat? Ich lie­be Scho­ko­la­de bei­nahe so sehr wie Som­mer­spros­sen und ir­gend­wie lässt die­se Frau mein Herz ge­ra­de ein we­nig schnel­ler schla­gen. Sie hat ein­deu­tig mein In­te­res­se ge­weckt. Sie blitzt mich leicht ver­är­gert an, die Angst, die ich eben ge­meint ge­se­hen zu ha­ben, ist ver­schwun­den, da­für steht ihr Ver­är­ge­rung deut­lich ins Ge­sicht ge­schrie­ben. Ein woh­li­ger Schau­er glei­tet mei­nen Rü­cken hi­nab. So et­was, dass mir ei­ne Frem­de so un­ter die Haut geht, ist mir noch nie pas­siert. Al­so schie­be ich es la­pi­dar auf den Sturz, mög­li­cher­wei­se hat mein Kopf doch et­was ab­be­kom­men.

»Fer­tig mit der Glot­ze­rei?«, knurrt sie, wo­rauf­hin ich auf­la­che. Sie hat ge­ra­de noch so süß und schüch­tern ge­wirkt, jetzt könn­te man glau­ben, sie will mich gleich in Flam­men auf­ge­hen las­sen – bei den Bli­cken, die sie mir zu­wirft. Okay, ich ge­ste­he ihr zu, dass mei­ne Mus­te­rung zwar nicht höf­lich ge­we­sen ist, den­noch an­er­ken­nend. Sie rümpft ih­re klei­ne Stups­na­se er­bost, lässt da­bei die Som­mer­spros­sen tan­zen, was ein­fach lie­brei­zend wirkt. Fast bin ich in Ver­su­chung, die klei­nen Spren­kel zu zäh­len.

»Al­so, erst rennst du mich um, dann motzt du mich auch noch grund­los an?«, er­wi­de­re ich gut ge­launt. »Außer­dem ha­be ich nicht ge­glotzt. Ich ha­be nur ge­schaut, ob ich klar­se­hen kann, nach­dem ich ge­stürzt bin. Wer weiß, viel­leicht ha­be ich ei­ne Ge­hirn­er­schüt­te­rung? »

»Storm hat dich um­ge­rannt, nicht ich. Im Üb­ri­gen ha­be ich mich ent­schul­digt, mehr­fach. Es tut mir auf­rich­tig leid, aber das ist kein Frei­fahrt­schein, mich so … zu mus­tern. Das ist un­an­ge­bracht und un­höf­lich. Ich bin kei­ne Stu­te auf dem Vieh­markt. Ty­pen wie du, sind ein­fach ät­zend.«

»Ty­pen wie ich? Du kennst mich gar nicht.« Ich muss nun herz­lich la­chen, was sie da­zu auf­for­dert, ih­re Augen noch et­was mehr zu ver­en­gen, da­bei so fins­ter in mei­ne Rich­tung zu schau­en, dass man fast Angst ha­ben könn­te. Sie hat ein klein­we­nig Recht, aber das wer­de ich nicht zu­ge­ben, son­dern strah­le sie ein­fach an. Kei­ne Stu­te auf dem Vieh­markt? Ich mag die­ses Ge­plän­kel wirk­lich, ge­nau rich­tig. Sie hat Feu­er, das ge­fällt mir.

»Ja, Ty­pen wie du. Die den­ken, nur weil sie gut aus­se­hen, kön­nen sie ma­chen, was sie wol­len. Weißt du, das könnt ihr gar nicht. Nur weil man at­trak­tiv ist, ist das kein Frei­fahrt­schein für ein ar­schi­ges Ma­cho­ver­hal­ten, wo­zu dei­ne Mus­te­rung von eben de­fi­ni­tiv ge­hört.«

»Soll ich mich jetzt da­für ent­schul­di­gen, dass du mich at­trak­tiv fin­dest, oder da­für, dass ich dich be­wun­dernd ge­mus­tert ha­be?« Sie steht so dicht vor mir, dass ich run­ter schau­en muss, wenn ich mit ihr re­de. An­griff­slus­tig ver­schränkt sie die Ar­me vor der Brust, schiebt ih­re Lip­pe trot­zig vor. Ei­ne zar­te Rö­te be­deckt ih­re Wan­gen, so auf­ge­bracht ist sie. Es wirkt so herr­lich un­ge­künst­elt, dass sie auf An­hieb noch ein paar Sym­pa­thie­punk­te bei mir sam­melt. Ich has­se es, wenn Frau­en auf­ge­setzt und künst­lich sind. Ihr ist of­fen­bar egal, was ich von ihr den­ke, auch wenn sie ge­ra­de ein we­nig über­treibt. So dra­ma­tisch ist mei­ne Mus­te­rung nun echt nicht ge­we­sen. »Du bist to­tal nied­lich, wenn du sau­er bist. Ich kann das gar nicht ernst neh­men bei dei­ner Grö­ße«, stich­le ich, sie schnaubt statt­des­sen emp­ört.

»Voll­trot­tel. Das ist mir echt zu blöd«, zischt sie, pfeift sog­leich nach ih­rem Hund. Er kommt er­neut wie ein Blitz an­ge­rannt, rem­pelt mich da­bei aber­mals an, so­dass ich ei­nen Schritt nach vor­ne ma­chen muss. Wir wä­ren zu­sam­men­ge­stoßen, wenn sie nicht nach hin­ten hüp­fen wür­de – als wä­re ich die Pest in Per­son. Okay, das ist ver­let­zend. Das bin ich nicht ge­wohnt. Ich bin zwar kein Da­vid Beck­ham, aber auch kein Qua­si­mo­do. Es kratzt et­was an mei­nem Stolz. Sie wirkt fast zu­frie­den, grinst ih­ren trop­fen­den Hund an. »Gu­ter Jun­ge«, lobt sie ihn zu­dem, wo­rauf­hin er er­freut mit dem Schwanz we­delt und mir ei­nen kur­zen Blick zu­wirft.

»An­schei­nend mag dein Hund mich nicht«, mut­ma­ße ich weiter­hin amü­siert über die gan­ze Si­tua­tion. Der Tag ent­wi­ckelt sich bes­ser, als ich an­ge­nom­men ha­be.

»Storm mag es nicht, wenn man mich ver­är­gert.« Sie nimmt ih­re lan­gen blon­den Haa­re zu ei­nem Zopf zu­sam­men. Scha­de eigent­lich, ich mag of­fe­ne Haa­re und ih­re se­hen wirk­lich toll aus, wie sie im Wind we­hen. Wild und zü­gel­los, ge­nau pas­send für mei­ne Fan­ta­sie, wo sich ge­ra­de ei­ni­ges zu­recht spinnt. Am liebs­ten wür­de ich mei­ne Hand aus­stre­cken, ihr die vor­wit­zi­ge Sträh­ne aus der Stirn strei­chen und schau­en, ob sie so weich sind, wie sie aus­se­hen. Sie wirkt so na­tür­lich und frisch mit ih­rer fre­chen Zun­ge, dass sie mich immer neu­gie­ri­ger auf sich macht. Wer ist sie? Wie lan­ge wird sie auf un­se­rer In­sel blei­ben? Der Wind weht stär­ker, steigt ihr von hin­ten un­ters Kleid. Es um­flat­tert sie, wo­bei mein Mund tro­cken wird, als ich ei­nen Blick auf ih­re wohl­ge­form­ten Ober­schen­kel und ein Hauch ro­ter Spit­ze er­ha­sche. Herr im Himmel, sei mir gnä­dig. Ver­lan­gen schießt durch mei­ne Adern, ob ich will oder nicht. Ir­gend­was an ihr zieht mich ma­gisch an, nicht nur ih­re Op­tik. Es ist eher das Ge­samt­paket, was sehr reiz­voll ist und mich an­lockt. Ei­ne Stim­me sagt mir, dass die­se Frau ge­fähr­lich für mich sein kann, dass sie ei­ne gan­ze an­de­re Rol­le spie­len wird, als ich viel­leicht den­ke. Man könn­te es Ein­ge­bung nen­nen oder doch auf den Sturz schie­ben? Sie ist an­de­res, nur wie ge­nau, muss ich noch her­aus­fin­den, drin­gend. »Du tust es schon wie­der. Was bist du? Ein Per­ver­ser?« Sie schüt­telt deut­lich ent­rüs­tet den Kopf und schnipst mit ih­ren Fin­gern vor mei­ner Na­se, um die Auf­merk­sam­keit auf ihr Ge­sicht zu len­ken.

»Ich ha­be mich nur ge­ra­de ge­fragt, wie groß du bist. Eins vier­zig? Du bist win­zig. Wie ei­ne klei­ne wü­ten­de Fee. Ich nen­ne dich Tin­ker­bell, ja das passt zu dir. Ei­ne klei­ne wü­ten­de Tin­ker­bell.« Ihr Ge­sicht ent­gleist kurz, was mei­ne Mund­win­kel zu­cken lässt. Jetzt, wo ich es aus­ge­spro­chen ha­be, stimmt es tat­säch­lich. Sie ist so klein und zier­lich wie die­se Fee aus Kin­der­bü­chern. Da­zu die­ses hel­le Haar, das herz­för­mi­ge Ge­sicht mit der klei­nen Stups­na­se und den et­was zu gro­ßen Lip­pen, die wirk­lich ver­ruch­te Ge­dan­ken in mir we­cken. Was sie da­mit alles an­stel­len könn­te … Ob sie so ver­lo­ckend schme­cken, wie sie aus­se­hen? Sie geht mir un­ter die Haut, was mir nicht ganz ge­fällt. Je­de Emo­tion, die klein­ste Ge­fühls­re­gung, kann man in ih­ren Augen ab­le­sen. Ih­re Stim­me ist weich, mit ei­nem leicht rau­chi­gen Krat­zen, wel­ches mir ei­ne woh­li­ge Gän­se­haut be­schert. Wie sie wohl mor­gens klingt? Oder wenn sie … Halt! Stopp! Nick, komm run­ter. Sie hat recht, du be­nimmst dich wie ein Per­ver­ser. Was auch immer die­se Frau in mir aus­löst, jetzt ist Schluss.

»Du Spin­ner kannst mich mal.« Sie lacht auf, was eher emp­ört, als be­lus­tigt klingt. »Storm, mit so ei­nem … Voll­idio­ten ver­ge­uden wir kei­ne weite­re Mi­nu­te«, teilt sie ih­rem Hund mit, wen­det sich kopf­schüt­telnd ab und stapft auf­ge­bracht da­von. Ihr Kleid weht hin­ter ihr her und wie von selbst huscht mein Blick kurz zu ih­rem Po. Gut, dass sie das nicht sieht, sonst wür­de sie mich fer­tig­ma­chen, ganz si­cher.

Lang­sam jog­ge ich los, ne­ben ihr her, noch nicht be­reit, die­ses Tref­fen zu be­en­den, »Ich bin Nick,« tei­le ich ihr mit, auch wenn sie nicht so wirkt, als wür­de sie das wis­sen wol­len. Das nagt schon ein we­nig an mir. Den­noch will ich, dass sie mei­nen Na­men kennt, denn ich muss mehr über die un­be­kann­te Schön­heit er­fah­ren, al­so dross­le ich mein Tem­po. Dann wech­sle ich die Po­si­tion, lau­fe rück­wärts vor ihr her. Das Lauf­trai­ning macht sich glü­ckli­cher­wei­se be­zahlt. Sie ver­sucht, mich zu ig­no­rie­ren, was ich ihr mög­lichst schwer ma­che. Mei­ne Neu­gier­de ist noch lan­ge nicht ge­stillt.

»Will ich das wis­sen?« Sie schaut mich an, hebt ei­ne Augen­braue und ver­sucht, ar­ro­gant zu wir­ken, was ihr so über­haupt nicht ge­lingt. »Ich glau­be nicht, nach dei­nem Na­men ge­fragt zu ha­ben. Und weißt du, wie­so? Er in­te­res­siert mich nicht die Boh­ne.«

Wie frech sie ist, den­ke ich jauch­zend. Ich fin­de es er­qui­ckend, dass sie kein Blatt vor den Mund nimmt und mei­ne Lau­ne steigt immer weiter. »Klar willst du das, du kannst ru­hig ehr­lich sein. Auch wenn du jetzt so un­schul­dig guckst, du hast mich eben­so ge­mus­tert, Fräu­lein. Aber weißt du, das ist okay. Guck so viel, wie du willst.« Ich brei­te die Ar­me vor ihr aus, wo­rauf­hin sie die Augen ver­dreht. Sie wird rot, herr­lich. Er­tappt! Ich ha­be schre­ckli­chen Spaß da­ran, sie zu är­gern.

»Wunsch­den­ken, mein Freund. Wunsch­den­ken«, kon­tert sie, noch immer die­se leich­te Rö­te auf den Wan­gen, die ih­re Som­mer­spros­sen stär­ker her­vor­he­ben.

Mein Freund? Mhh, klingt gut und ge­fällt mir, was wirk­lich be­äng­sti­gend und ver­rückt zu­gleich ist. Even­tu­ell ent­wi­ckle ich mich doch zu ei­nem Psy­cho. Ich hof­fe nicht, doch man weiß ja nie. »Mein Freund? So schnell bin ich nicht«, ne­cke ich sie weiter. »Ein paar Da­tes vor­her wä­ren schon nett, den­noch ver­ste­he ich, dass du Nä­gel mit Köp­fen ma­chen willst. So ein Mann wie ich, ist ratz­fatz weg vom Markt. Ich kann dich be­ru­hi­gen, denn ich bin noch zu ha­ben. Eigent­lich woll­te ich da­ran in näch­ster Zeit nichts än­dern, aber mal schau­en, was kommt?«

»Wahn­sinn, Mis­ter Ar­ro­ganz per­sön­lich. Was willst du von mir? Da rennt Storm ei­nen ver­rück­ten über den Hau­fen und ich muss es aus­ba­den? Wer­de ich dich wie­der los?« Sie ver­dreht die Augen gen Himmel.

»Mhh, kommt drauf an. Fürs Er­ste ist ein Na­me ganz nett. Da­nach viel­leicht ein Drink zur Ent­schul­di­gung, das wä­re durch­aus an­ge­mes­sen.«

»Du brauchst dich nicht zu ent­schul­di­gen, ich will nur mei­ne Ru­he«, teilt sie mir mit, legt zu­dem ei­nen Gang zu, um mich zu um­run­den.

So schnell ge­be ich nicht auf. Sie ver­wirrt und be­ein­druckt mich zu­gleich. Erst flir­tet sie, da bin ich mir ganz si­cher, und dann macht sie plötz­lich dicht? Ich mer­ke, dass sie hin und her­ge­ris­sen ist. Ich wet­te, da­hin­ter steckt ei­ne in­te­res­san­te Ge­schich­te, die ich un­be­dingt wis­sen will. Wenn ich ehr­lich bin, bin ich noch nie so neu­gie­rig auf ei­ne Frau ge­we­sen wie jetzt ge­ra­de. Der Po­li­zist in mir will je­des Ge­heim­nis er­grün­den – rei­ne Be­rufs­krank­heit. Ich möch­te alles über sie wis­sen, wo­her sie kommt und wie lan­ge sie bleibt, doch für den An­fang reicht es, nur mit ihr zu re­den. So viel Spaß ha­be ich ewig nicht mehr mit ei­ner frem­den Frau, die nicht zu mei­nen Freun­den zählt, ge­habt – was je­doch da­ran liegt, dass mich Tou­ris­ten nicht fas­zi­nie­ren. Die Zeiten, wo man sich ein Tou­ri mit nach Hau­se nimmt, sind ir­gend­wie vor­bei. Ich bin nicht an ei­ner Be­zie­hung in­te­res­siert, mein Job ist mo­men­tan alles, was zählt. »Wie­so ich? Du musst dich ent­schul­di­gen. Du hast mich fast um­ge­bracht. Oh, ich mei­ne na­tür­lich dein Hund. Aber Eltern haf­ten für ih­re Kin­der, du dem­nach auch für dei­nen Hund.«

Sie beißt auf ih­re Lip­pe, ich er­ken­ne ein kur­zes Zu­cken ih­res Mund­win­kels. Ah, das ge­fällt mir, da­rauf kann ich auf­bauen. »Das ist nur ein Krat­zer. Bis du hei­ra­test, ist das ver­schwun­den«, lässt sie mich fach­män­nisch wis­sen.

»Oho, jetzt willst du durch die Blu­me er­fah­ren, ob ich viel­leicht doch ei­ne Freun­din ha­be? Nein, ich bin Sing­le, wie ich be­reits ge­sagt ha­be. Du hät­test mich das ger­ne direkt fra­gen kön­nen. Nur kei­ne Scheu, ich bin wie ein of­fe­nes Buch.«

Jetzt lacht sie laut, das ge­fällt mir noch mehr. »Oh Gott, du bist ja von dir über­zeugt. Das ist echt schre­cklich. Kann man das Buch auch wie­der schlie­ßen?« Ihr La­chen ver­mischt sich mit dem Schrei­en der Mö­wen über uns und dem Rau­schen der Wel­len. Es passt per­fekt zu­sam­men. Ich will mehr da­von, es macht mich schon jetzt süch­tig. Der hei­se­re Klang ver­ur­sacht ein Zie­hen in mei­ner Brust. Ich muss sie noch­mal la­chen hö­ren, egal wie krank das ge­ra­de klingt, aber es jagt klei­ne Schau­er über mei­ne Haut.

»Das nennt man ge­sun­des Selbst­be­wusst­sein.« Ich zwin­ke­re ihr zu, wo­rauf­hin ih­re brau­nen Augen verg­nügt fun­keln. Es macht ihr of­fen­sicht­lich doch Spaß, sieh an. Ih­re Stim­mung wech­selt se­künd­lich, al­so will ich sie et­was weiter her­vor­lo­cken. »Ein Drink ist das Min­de­ste. Wo­mög­lich be­hal­te ich ei­ne Nar­be, wer weiß das schon … Für die Jungs auf der Wa­che muss ich mir aller­dings ei­ne bes­se­re Ge­schich­te aus­den­ken. Die la­chen mich sonst aus. Kannst du dir vor­stel­len, was das für ein Ge­re­de ge­ben wür­de?«

»Du bist Po­li­zist?« Ihr Ge­sicht ent­gleist kurz, aber sie fängt sich schnell. Jeg­li­cher Schalk, der eben noch in ih­ren be­zau­bern­den Augen ge­stan­den hat, ist fort. Sie nimmt ei­ne un­be­wuss­te Ab­wehr­hal­tung ein, wirkt fast pa­nisch, schaut sich kurz um, als wür­de sie che­cken wol­len, ob außer uns noch an­de­re Men­schen am Strand sind. Ihr Hund spürt es eben­falls, tritt dich­ter an sein Herr­chen he­ran, wäh­rend sie sich an­schei­nend sche­ma­tisch über die Ar­me reibt. Den meis­ten Frau­en ge­fällt es, ei­nen Poli­zis­ten zu daten, sie hin­ge­gen guckt mich an, als hät­te ich ihr er­öff­net, dass ich Toi­let­ten put­ze und das nackt vor lau­fen­der Ka­me­ra. Ich ken­ne die­ses Ver­hal­ten von mei­ner Dienst­zeit auf dem Fest­land. Ih­re Körper­spra­che ver­rät es mir. Die­se Frau hat et­was Schlim­mes er­lebt. Nur was? Der Ge­dan­ke raubt mir ei­nen Mo­ment den Atem, weil mir sämt­li­che schre­ckli­chen Fäl­le im Kopf um­her­schwir­ren, die ich im Lau­fe der Jah­re be­ar­bei­tet ha­be. Häus­li­che Ge­walt, Ver­ge­wal­ti­gung, Miss­hand­lung. Ei­ne end­lo­se Lis­te im Le­ben ei­nes Poli­zis­ten. Nicht immer bin ich recht­zei­tig vor Ort ge­we­sen, um den be­trof­fe­nen Frau­en zu hel­fen – die­se Fäl­le ver­fol­gen mich an grau­en Ta­gen noch immer.

»Ja, ich bin ein Cop.«

Lost Island

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