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Kapitel 6 - Hazel
ОглавлениеSummend reibe ich mir die Beine mit Sonnencreme ein, genieße die warmen Strahlen auf meiner nackten Haut. Neben mir rauschen wütende Meereswellen, die in der Tiefe unruhig gegen den Stein peitschen, während die Möwen über mir kreischend ihre Runden ziehen. Ich habe es mir im Garten gemütlich gemacht, einen Smoothie auf der einen, mein neues Buch auf der anderen Seite. Ja, so gefällt mir mein neues Leben. Ich stöpsle meinen MP3-Player in die Ohren, stelle ihn an, wähle dann einen meiner Lieblingssongs aus. Mit den Füßen wiege ich im Takt der Musik, singe leise einige Zeilen mit, ehe ich mich zurücklege und die Augen schließe. Müdigkeit hindert mich daran, mich richtig auf das Buch vor mir zu konzentrieren.
Gestern hat mich der Tag und die Ereignisse aufgewühlt, ich habe verdammt schlecht geschlafen, noch fieser als sonst. In meinen Träumen bin ich durch ein Labyrinth aus Fluren gerannt, das namenlose Grauen hinter mir, nur hat es diesmal kein Fenster gegeben, kein Ausweg für mich. Ich bin gerannt und gerannt, bis ich schweißgebadet mitten in der Nacht hochgeschreckt bin. Danach ist es mit dem Schlafen vorbei gewesen, mein Herz hat ewig wie wild gegen meine Rippen geschlagen. Wie ich diese Albträume hasse. Ich habe mich in einem alten Fachbuch vergraben, bis zum Morgen darin gelesen, nur um mich abzulenken. Ich hoffe, dass diese Träume irgendwann verblassen, mich wieder schlafen lassen. Das wäre ein Luxus, der mir viel Lebensqualität wiedergeben würde. Doch jetzt fordert mein Körper das zurück, was man ihm heute Nacht verwehrt hat. Am Tag fällt es mir leichter, zu schlafen, wenn die Sonne alle dunklen Schatten vertreibt. Am Tag wirkt alles freundlicher, weniger angsteinflößend.
Ich döse leicht weg, mein Körper übernimmt das Ruder. Er zeigt mir, was er benötigt, und das ist nun mal Ruhe. Etwas, was diese Gegend ausstrahlt. Hier bin ich vorerst sicher, predige ich stets. Wenn ich es oft genug sage, glaube ich es gewiss. Diese Insel ist klein. Wie soll er mich ausgerechnet hier finden? Ich kann mir eine Auszeit nehmen, einige Monate zur Ruhe kommen und weiterschauen, so weit weg von meiner Heimat. Einen neuen Namen, ein anderes Leben, erinnere ich mich. Der gefälschte Ausweis ist schwer zu bekommen gewesen, verdammt teuer, doch auch das habe ich geschafft. Ich bin mir dabei schon etwas verwegen vorgekommen, wie ein Mafioso. Er ist aber eine notwendige Investition gewesen, ich habe ihn gebraucht, um dieses Grundstück zu mieten, Fahrkarten zu erhalten – und, und, und.
Das Lied wechselt gerade, als ein Schatten über mich fällt. Mein Herz scheint kurz auszusetzen, ehe es im Galopp zu rasen beginnt. Er hat mich gefunden. Ich reiße augenblicklich die Augen auf, sehe nur die Umrisse eines Mannes, der sich gerade zu mir beugt, die Sonne in seinem Rücken. Seine große Hand wandert drohend auf meine Kehle zu, was mich völlig in Panik geraten lässt – ich habe Todesangst. Oh mein Gott, er bringt mich um, schießt es mir immer wieder durch den Kopf. Ich schreie wie am Spieß, Storm kläfft vom anderen Ende des Grundstücks. Er wird nicht rechtzeitig hier sein, um mich zu beschützen. Aber ich bin nicht mehr so hilflos wie früher. Kampflos werde ich nicht sterben. Niemals. Mit voller Wucht trete ich zu, treffe meinen Gegner mitten in den Bauch und höre ein ersticktes Uff, ehe ich mich aufrappele, dann verdutzt stoppe, als ich in schmerzverzerrte grüne Augen blicke. Waldgrüne Augen, um genau zu sein, die mir bekannt vorkommen und mir den ganzen Tag im Kopf herumgegeistert sind. Jetzt wo die Panik nachlässt, das Blut nicht mehr in meinen Ohren rauscht, erkenne ich ihn. Vor mir steht nicht mein Albtraum, sondern Nick – in Uniform, die ihm wie an den Leib gemeißelt ist und seine breiten Schultern betont. »Sag mal, hast du einen Knall? Du kannst dich nicht so anschleichen«, brülle ich ihn mehr als wütend an. Ich reiße mir die Kopfhörer aus den Ohren, werfe sie heftig zu Boden. Was denkt er sich dabei? Mein Herz schlägt noch immer viel zu schnell, ich habe mir fast in die verdammte Hose gemacht. Zitternd entweicht Luft aus meinem Mund. Du bist sicher, flüstere ich mir zu. Versuche, wieder runter zu kommen. Falscher Alarm.
»Ob ich einen Knall habe? Was bist du, eine Ninjaelfe? Du hast mir mit voller Wucht einen Kick in den Magen verpasst. Verdammt!« Er reibt sich den Bauch, mein Mitleid hält sich allerdings in Grenzen, zu sehr habe ich mich erschrocken. Dies ist mein Grund und Boden. Er hat nicht einfach herzukommen.
»Selbst schuld. Ehrlich. Sei froh, dass ich keine Zeit zum Zielen hatte und nicht tiefer abgerutscht bin. Das ist Privatbesitz.« Ich bin echt auf hundertachtzig. Mein Puls beruhigt sich gar nicht mehr. Ich habe gedacht, er hat mich hier gefunden. Gerade, wo ich mich langsam einlebe. Mit dem Gefühl des Friedens ist es schlagartig vorbei. Ich fühle mich augenblicklich verfolgt und möchte mich sofort verkriechen. Jetzt erreicht uns auch Storm, aber der alte Verräter tänzelt schwanzwedelnd vor Nick auf und ab. »Storm«, brumme ich vorwurfsvoll, woraufhin mich seine braunen Augen fragend anschauen. Plötzlich bemerke ich einen anderen Polizisten, der vor Lachen Tränen in den Augen hat, während Nick noch immer angepisst aus der Wäsche schaut und sich den Bauch reibt.
»Oje, ich hätte das so gern gefilmt. Das ist wirklich ein Ninjakick gewesen. Filmreif. Lasst mich Hollywood anrufen.« Ich mustere den blonden Kerl stirnrunzelnd, denn ich finde das absolut nicht witzig. Misstrauisch beäuge ich beide – zwei Polizisten sind schlimmer als einer.
»Habe ich etwas verbrochen oder was wollt ihr?« Ich reibe mir über die Arme. Die Angst sitzt mir in den Knochen, lässt mich frösteln. Haben sie herausgefunden, dass mein Ausweis gefälscht ist? Ich suche mit den Augen unauffällig nach einem Fluchtweg, was völlig albern ist. Ich bin mitten in meinem Garten. Wohin soll ich flüchten? Über die Klippen?
»Ja, wir müssen deine Personalien aufnehmen.« Nick schaut mich ernst an.
»Warum?« Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und versuche, cool zu wirken, auch wenn ich innerlich vor Panik zittere. Ich habe ihnen keinen Grund zu dieser Handlung gegeben. Das stinkt doch zum Himmel. Schlagartig verstehe ich es. Er sagt das nur, um mich aus der Reserve zu locken. Er will mich ärgern, genießt es ganz offensichtlich, wenn man seine zuckenden Mundwinkel betrachtet. Sie können nicht wissen, wer ich tatsächlich bin. Niemals. Dafür bin ich zu vorsichtig gewesen und das beruhigt mich etwas. Also richte ich mich gerade auf, schaue Nick in seine vergnügt funkelnden Augen. Er erwidert meinen Blick bewusst unschuldig. Dieses blöde Arschloch. Ich muss ihm zugestehen, dass er nichts über meine Vergangenheit weiß, trotzdem kann ich nichts gegen die Wut, dass sie mir solche Angst gemacht haben, tun.
»Wir sind hier, weil Nick sonst durchdreht … Weil er deinen Namen nicht weiß«, ertönt es vom blonden Polizisten, der Storm den Bauch krault. Dieser Verräter seufzt verzückt, sein Bein zuckt dabei. Er hat augenscheinlich kein Schamgefühl. Er kann doch nicht vor jedem fremden Wesen seinen Bauch entblößen.
»Dann muss er wohl damit leben oder durchdrehen. Mir ist das ziemlich egal.« Ich verschränke mit Nachdruck die Arme vor der Brust. »Das ist Belästigung. Wenn ihr ohne Grund hier seid, wie es mir scheint, belästigt ihr mich. Das ist strafbar. Solltet ihr beide auch wissen, sofern ihr gut in eurem Job seid. Also bitte ich euch hiermit offiziell, mein Grund und Boden zu verlassen.«
»Es ist Tradition, die neuen Inselbewohner zu begrüßen. Wir sind eine Gemeinschaft und gewisse Dinge musst du eben akzeptieren. Ich werde nicht der einzige sein, der Hallo sagt. Warte ab.« Nick grinst noch breiter, mir wird ganz bange. Er lässt sich nicht von meiner kalten Mine einschüchtern. Meint er es ernst, dass hier mehr von den Bewohnern auftauchen werden? Oh, bitte nicht. Das passt so gar nicht in meinen Plan.
»Er hat recht, du Ninjaelfe, hier erwartet man, dass du zu jedem Stadtfest kommst und aktiv am Inselleben teilnimmst«, stimmt sein Kollege ein. Beide nicken sich bestätigend zu. Oh mein Gott, das ist ja furchtbar. So viel zum Thema Ruhe und Frieden. »Wir sind eine kleine Gemeinschaft, so nervig das sein kann, hier hält man zusammen. Jeder kennt jeden, jeder hilft jedem. Ein riesiger Haufen Musketiere, wenn man so will.«
»Das ist ein Witz, oder?« Ich stöhne innerlich, will meine Ruhe und keine … Inselsekte. Wo bin ich hier nur gelandet? Früher hätte mir das vielleicht gefallen, aber jetzt? Warum habe ich über so etwas nicht nachgedacht? Großstadt bietet Anonymität, die ich hier eigentlich auch suche, was anderes habe ich nicht mal in Betracht gezogen.
»Alsoooo, wie darf ich dich nennen?« Nick angelt sich meinen MP3-Player und wickelt sich das Kabel um den Zeigefinger. Ich reiße ihm das Teil augenblicklich aus der Hand, schnaube entrüstet. Er ist so verdammt frech. Ich schwöre, mein Herz klopft nur so wild, weil ich sauer bin, nicht, weil er mir imponiert.
»Ich möchte, dass ihr umgehend mein Grundstück verlasst, aber zackig!« Ich mache winkende Handbewegungen in Richtung Straße, spreche dabei mit besonders viel Nachdruck. Das müsste jetzt selbst der letzte Trottel verstehen.
»Nick, ich weiß jetzt, was für einen Narren du an ihr gefressen hast. Sie ist entzückend. So widerspenstig, dabei so niedlich verpackt. Sie macht es dir wenigsten mal schwer, das gefällt mir. Also, wenn du sie nicht datest, würde ich sie glatt darum bitten.« Der blonde Polizist zwinkert mir zu, ich hebe eine Augenbraue. Sind hier alle so arrogant? Was ist das, die Insel der Playboy-Polizei?
»Ich werde niemanden daten.«
»Sie ziert sich nur«, antwortet Nick gut gelaunt, wobei ich nicht leugne, dass mir seine schlanke Statur mit den definierten Armen sehr zusagt – sein Diensthemd betont jede darunterliegende Erhebung. Ob ich will oder nicht fällt mir einfach auf, dass er verdammt sexy ist und mein Körper darauf reagiert, was aber eine ganz natürliche Reaktion ist, beruhige ich mich. Meine letzte Verabredung ist ewig her, das sind einfach Sehnsüchte, die freigesetzt werden. Punkt. Ich meine, jede Frau hat Bedürfnisse, oder?
»Redet nicht über mich, als wäre ich nicht da. Wenn es nicht so lächerlich wäre, würde ich euch drohen, die Polizei zu rufen, solltet ihr euch nicht vom Acker machen.« Ich fahre mir genervt durch die Haare. Genau das ist es, was mir ein Angstgefühl beschert. Die Polizei macht, was sie will. Auch wenn die beiden hier anscheinend nur Spaß wollen, fühlt ein Teil von mir sich in die Enge getrieben und bedroht. Sie wollen mich necken, ich bin ja nicht blöd, doch mein krankes Hirn sieht das anders.
»Okay, lass uns ein Deal eingehen. Ein Date und ich bin weg.« Nick fährt sich mit der Zunge über die Lippen, meine Augen folgen ihm genau. Wie seine Küsse wohl schmecken? Moment, was denke ich denn da? Bin ich denn verrückt geworden! Er soll verschwinden und keine Fantasien in mir heraufbeschwören. Ich bin definitiv zu lange alleine. Das ist kalter Entzug! Ich lache auf, spüre, dass ich rot werde und er mich genau beobachtet. Vermutlich habe ich einen Sonnenstich – ja, das ist möglich. Dabei rate ich meinen Patienten stets dazu, im Sommer einen Hut zu tragen. Seine Küsse. Ha, was für Ideen ich doch habe. Das würde in eine völlig verkehrte Richtung laufen. Vor allem da sein Blick mir Blitze durch den Körper jagt und ein warmes Kribbeln in meinem Bauch auslöst. Ganz falsch.
»Ich bin Hazel. So, mehr gibt es nicht für deinen Seelenfrieden. Und ja, es existieren Frauen, deren Höschen nicht direkt feucht werden, nur weil ein schnuckeliger Polizist vor ihrer Tür steht. Für das Protokoll, damit kennst du dich ja aus: Ich habe kein Interesse an einem Date mit dir, deinem Freund oder sonst wem auf dieser Insel. Klar soweit? Ich möchte meine Ruhe und dass ihr verschwindet. Hau ab. Va' al diavolo. Piérdase. Get lost oder auf welcher Sprache soll ich es dir noch sagen? Chinesisch? Zou Kai.« Ich bin schon immer gut in Sprachen gewesen. Nick entgleist kurz das Gesicht, während sein Freund schallend lacht. Ich hasse es, vulgär zu werden, aber das ist mir einfach herausgerutscht. Ich möchte so unsympathisch wie möglich wirken, sodass er das Interesse an mir verliert.
»Hat sie das gerade wirklich gesagt?« Nick schaut seinen Freund an, dieser stützt sich vor Lachen auf seine Oberschenkel. Ich werde immer röter. Vermutlich raucht mein Kopf bereits oder ich gehe gleich in Flammen auf.
»Ja, hat sie. Oh man, ich hätte euch aufnehmen sollen. Die ganze Zeit. Herrlich, das ist so gut, besser als Kino. Ich mag dich, Lady. Du bist verdammt lustig. Ich bin Brad.« Seufzend ergreife ich seine Hand.
»Ich würde ja sagen, nett dich kennenzulernen, aber dem ist nicht so. Und ich lüge ungern. Ihr beide nervt mich gerade tierisch.«