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Kapitel 4 - Hazel
ОглавлениеAch du meine Güte, er ist ein Polizist. Sofort wird mir heiß und kalt gleichzeitig, ich reibe mir die Arme, um die Kälte zu vertreiben, die sich über meinen Körper legt. Er sieht überhaupt nicht aus wie ein Kriminalbeamter, so gar nicht. Sein linker Arm ist vom Handgelenk an tätowiert. Die Tätowierung verschwindet unter seinem engen T-Shirt, welches einen trainierten Körper vermuten lässt, wenn ich mir seine Oberarme und breite Brust ansehe, an denen sich die Muskeln abzeichnen. Welcher Polizist ist denn bitte so bemalt? Ich kenne keinen. Nicht, dass ich viele kenne … Fuck! So habe ich mir niemals einen Polizisten vorgestellt. So … rockig und … schelmisch. Ich bin zu leichtsinnig. Wieso hat er auch so hartnäckig sein müssen? Ich bin zwar extra zickig und ungenießbar gewesen, um ihn loszuwerden, habe mich dann jedoch in dieses Geplänkel verwickeln lassen.
Ich spüre, wie ich immer nervöser werde und eine leichte Welle der Panik sich anbahnt, Storm tippelt neben mir auf und ab, von meiner Stimmung angesteckt. Er bemerkt meinen Gemütsumschwung, wedelt mit dem Schwanz – unsicher, was er tun soll. Nicht mal ich weiß, wie ich mich verhalten soll. Mir ist bewusst, dass ich vermutlich übertreibe, doch die Angst sitzt in meinen Knochen. Kalt, finster und präsent. Ich habe das Gefühl, plötzlich nicht mehr genügend Luft zu bekommen, lege mir die Hand an den Hals, reibe leicht darüber. Am liebsten möchte ich davonlaufen, was allerdings einen noch absurderen Eindruck vermitteln dürfte. Gut, dann ist er eben Polizist, aber er kennt mich nicht und er gehört nicht zu denen. Immerhin hat Storm ihn umgerannt, nicht er hat den Kontakt gesucht. Oder etwa doch, flüstert eine leise Stimme in meinem Kopf.
Das lockere Geschäker und flirten ist vorbei. Ich will hier einfach nur weg, auf der Stelle. Mein Herz flattert viel zu schnell in meiner Brust. Misstrauen regt sich in mir, lässt jedes Wort in meinen Gedanken Revue ablaufen. »Ich … muss los. Mein Freund wartet auf mich«, lüge ich, beende den kleinen Flirt endgültig mit Nachdruck. Ich hätte mich gar nicht erst darauf einlassen sollen, so nett es auch gewesen ist. Irgendwie hat er es geschafft, mich zu fesseln. Ich weiß nicht, was mich überhaupt geritten hat, auf seine Schäkerei einzugehen. Das habe ich nun davon: ein verdammter Bulle! Seine waldgrünen Augen mustern mich enttäuscht, Bedauern erfüllt mich ebenfalls. In einem anderen Leben wäre ich mit ihm etwas trinken gegangen und hätte sicherlich viel Spaß gehabt.
»Dein Freund? Ernste Geschichte?«, fragt er mit einem Ausdruck im Gesicht, als würde er in eine Zitrone beißen. Ich zögere nur eine Sekunde, ehe ich antworte. Er gefällt mir, leider. Doch in meinem Umfeld ist kein Platz für andere, erst recht nicht für Polizisten. Egal wie attraktiv und lustig er ist oder was für breite Schultern er hat – und mal vollkommen davon abgesehen, dass diese mich quasi einladen, mich in seine muskulösen Arme zu werfen, um mich vor der Welt zu verstecken. Ich bin einfach schon zu lange alleine, das hat mich einen Moment weich werden lassen.
»Findest du deine Frage nicht sehr dreist? Aber ja. Wir sind seit Ewigkeiten zusammen.« Ich versuche, entschuldigend zu lächeln, zucke dabei mit den Achseln. Los, nun hör auf, zu bohren, bitte ich still! Geh einfach!
Er fährt sich durch das dunkelbraune Haar, es bleibt in allen Richtungen stehen, was ihm etwas Jungenhaftes verleiht. Zu gern würde ich die Distanz überwinden und … Stopp! Jetzt gehen meine Gedanken zu weit. Er hat Charisma und eine so charmante Art an sich, dass es mich noch trauriger macht, ihn verletzen zu müssen. Und sein Körper ist wahrhaftig … Wow! Ich muss ihn einfach nochmal mustern. Er ist groß und schlank, nicht mager, eher außerordentlich gut gebaut. Unter seinem engen Laufshirt zeichnen sich stattliche Muskeln ab, die mich weich werden lassen … Und sein Bizeps … Oh ja. Sein Haar reicht ihm knapp über die Ohren, ist vollkommen verwuschelt. Die leicht gebräunte Haut verrät mir, dass er viel Zeit in der freien Natur verbringt. Aber was meinem Herz einen Hüpfer versetzt, sind seine Augen. Dieses tiefe Grün, wunderschön. Es erinnert mich an die Wälder in meiner Heimat. Dazu sein schiefes Lächeln. Selbst die kleine Narbe an der linken Augenbraue passt perfekt zu ihm. Was sie wohl für eine Geschichte erzählen würde? Er wirkt eher wie ein Badboy und nicht wie ein Gesetzeshüter. So kann man sich täuschen und für jemanden wie mich, der solange keinen Kontakt zu männlichen Wesen gehabt hat, ist er ein wahrer Leckerbissen.
»Das heißt, dass du nichts mit mir trinken willst?« Hoffnung blitzt in seinen Augen auf.
»Genau, das heißt es. Mein Freund findet so etwas nicht witzig.« Eigentlich ist seine Frage ziemlich unverschämt, wäre ich wirklich vergeben, aber das verzeihe ich ihm. Immerhin bin ich auf den Flirt zuvor eingegangen. Hätte ich tatsächlich einen Freund, würde das kein gutes Licht auf mich werfen.
»Wieso lässt er dich so ganz alleine an den Strand gehen? Ich würde jede Minute mit meiner Freundin nutzen, wenn ich mit ihr im Urlaub bin.«
»Wir wohnen hier«, rutscht es mir heraus und ich trete von ihm weg.
Sein Gesicht entgleist. »Du lebst hier? Seit wann? Wo?«
Ich Idiotin. Jetzt habe ich seine Neugierde erneut geweckt. Wie blöd kann man denn sein? »Ähm, ich muss los.« Mir fällt nichts Besseres ein, als mich umzudrehen und den Strand entlang zu joggen. Nur weit weg von diesen grünen Augen und seinem intensiven Blick.
»Hey, ich weiß nicht mal deinen Namen«, ruft er, doch ich werde gerettet, denn zwei Mädchen kommen auf mich zu und winken ihm.
»Nick. Hey«, grüßt eine von ihnen – eine kurvige Brünette. Sie strahlt ihn mit einem Hundert-Watt-Lächeln an, streckt die Brust raus, marschiert dann entschlossen über den Sand, ihrem Opfer entgegen. Es ist mehr als deutlich, was sie von ihm will. Ich beiße mir auf die Lippe, schaue nicht zurück. Es ist besser so. Vermutlich ist er ohnehin der letzte Schürzenjäger, so wie er sich gibt. Ein Hauch von Eifersucht wallt in mir auf, ob ich will oder nicht.
Den restlichen Tag verkrieche ich mich im Garten, lege ein Hochbeet für Gemüse an, um etwas zu tun zu haben und mich irgendwann selbst versorgen zu können. Umso seltener muss ich unter Menschen und hinunter in den kleinen Laden gehen. Außerdem ist es befriedigend, sein eigenes Gemüse anzubauen und zu ernten. Leider muss ich dabei immer wieder an die grünen Augen denken, was mich schrecklich nervt. Bin ich wirklich so leicht zu beeindrucken? Als hätte ich keine anderen Sorgen als einen Typen. Polizist, erinnere ich mich sicherheitshalber noch einmal. Ich bin eine Idiotin. Vor allem, da dieser Typ zu einhundert Prozent jedem weiblichen Wesen auf der Insel nachjagt. Typen, die so aussehen wie er und sich so benehmen, sind Frauenhelden, das kenne ich noch aus meiner Schulzeit. Und dazu ist er ein Cop, das ist der wichtigste Punkt. Tabu, tabu und tabu. Dreimal tabu. »Hör auf, überhaupt an ihn zu denken«, knurre ich mich selbst an. Storm hebt den Kopf und schaut mich verwundert an. Vermutlich glaubt er, dass ich den Verstand verliere. Vielleicht hat er auch recht damit, wenn ich Selbstgespräche führe. Aber mit wem soll ich denn sonst reden? Ich kann ja wohl kaum jemanden anrufen.
Ich putze mir die Hände an der Hose ab, stecke mir die Stöpsel meines MP3 Players in die Ohren, um mich mit Musik abzulenken. Das beruhigt mich. Es lenkt mich ab und sorgt dafür, dass meine Stimmung sich hebt. Weiß Gott, das habe ich heute nötig. Ich muss diesen Typen aus meinem Kopf verbannen. All diese Sehnsucht liegt nur an meiner Einsamkeit, ganz sicher, nicht an diesen grünen Augen. Dadurch, dass ich jetzt hier ein Zuhause habe, weckt dies andere Wünsche in mir. Früher bin ich ein geselliger Familienmensch gewesen. Früher … Heute bevorzuge ich das Alleinsein. Wann habe ich das letzte Mal mit einem anderen Menschen so richtig herzhaft gelacht? Ich kann mich nicht erinnern. Dieses Wissen schmerzt mich und ich drehe die Musik lauter.
Leise summe ich eines meiner Lieblingslieder mit, verliere mich in der Musik, wie ich es geplant habe. Es tut so gut. Die grünen Augen wandern tiefer in meine Gedanken, bereit, mich später erneut zu triezen, während ich mich im Augenblick vollkommen der Arbeit hingebe. Es ist ein wunderbares Gefühl, etwas Sinnvolles zustande zu bringen. Und es fühlt sich gut an, mir etwas Eigenes aufzubauen, etwas, von dem ich lange zerren kann. Ich erschaffe etwas. Es sorgt noch mehr dafür, dass ich mich heimisch fühle, auch wenn unter meinem Bett eine Notfalltasche mit meinem Geld und dem gefälschten Pass liegt. Startklar, direkt aufzubrechen. Nur so habe ich lange überleben können. Einmal ist es knapp gewesen, da bin ich mir sicher, dass er mich anfangs beinahe erwischt hätte, als ich unvorsichtigerweise zu nahe an meinem Zuhause geblieben bin.
Ja, hier ist mein neues Zuhause, doch ich bleibe vorsichtig. Denn ich darf nicht vergessen, dies ist nur eine vorübergehende Station auf meinem Weg, der niemals enden wird. Für immer werde ich hier nicht sicher sein. So naiv, das zu denken, bin ich nicht. Nein, ich bin realistisch, aber eine Weile kann es klappen. Deswegen darf und will ich niemanden kennenlernen oder mich gar mit Menschen von hier anfreunden. So kann ich meine Zeit auf ein Maximum ausdehnen. Wenig Kontakte bedeutet immerhin weniger Menschen, die Fragen stellen.
Die Sonne brennt auf meinen Kopf, Schweiß rinnt mir den Rücken hinab, doch ich grabe unermüdlich in der weichen Erde. Ich genieße das Gefühl, den warmen Boden mit den Händen umzugraben, neues Leben zu erschaffen. Vielleicht bekomme ich sogar mal etwas Farbe im Gesicht und sehe nicht mehr aus wie Hui Buh - das Gespenst. Allerdings wird es mehr Sommersprossen sprießen lassen und ich werde zum Streuselkuchen, ein großer Nachteil. Ich muss an die beiden Mädchen vom Strand denken, wie braun sie gewesen sind, und kann mir ein wenig Neid nicht verkneifen. Kein Wunder, dass Nick sofort aufgegeben hat, als sie angekommen sind und ich vergessen gewesen bin. Dagegen stinke ich so dermaßen ab und sehe aus wie eine Wasserleiche. Nicht, dass ich schon mal eine gesehen hätte, außer natürlich auf Bildern in der Pathologie. Das hat gereicht. Ich möchte nicht in Erinnerung bleiben. Reiner Schutzmechanismus. Auch wenn ich es früher geliebt habe, mich schön zu machen. Hässlich bin ich heute definitiv nicht. Ich habe genügend Selbstbewusstsein. Früher bin ich … besser in Schuss gewesen. Ob dies das richte Wort ist? Na ja, eben nicht so blass oder mager wie jetzt. Meine Kurven haben mir immer gefallen, doch jetzt sind sie nur noch zu erahnen. Ich muss es in den Griff bekommen. Ich will mich wieder rundherum gut fühlen, mich erholen und ein wenig zu mir selbst finden. Meine Seele braucht dies. Selfcare oder wie nennt man es aktuell so modisch in den Medien.
Samen für Samen setze ich in die Erde, bewässere sie. Ich habe heute zu viel riskiert. Auf einen lächerlichen Flirt kann man eingehen, aber nicht mit einem Kerl mit Dienstmarke. Vorsichtig schiebe Sand auf die kleinen Löcher, klopfe ihn fest, ehe ich ihn erneut begieße. Es ist schon fast Abend, als ich endlich fertig werde. Ich wünschte, Granny könnte es sehen, sie wäre total stolz auf mich – ihr kleiner Garten hat immer wie eine Feenlandschaft mit Schmetterlingen, Hummeln und Bienen, die in all der Farbenpracht herumgeschwirrt sind, ausgesehen. Zufrieden bewundere ich mein Werk, klatsche in die Hände, die ganz schwarz von der Erde sind. Wie ich so bin, habe ich die blöden Gartenhandschuhe vergessen. Vor mir erstreckt sie ein großes Hochbeet, gute sieben mal zehn Meter. Es ist wunderschön, ich kann es kaum erwarten, die ersten Triebe zu entdecken. Geduld ist nicht meine Stärke, von mir aus kann es gleich morgen so weit sein.
Ich mache mir zu Abendbrot ein paar Nudeln mit einer frischen Sauce aus Kräutern, Tomaten und buntem Gemüse, welches ich vom Markt mitgebracht habe. Es schmeckt wunderbar. Ich genieße jeden Bissen und zelebriere ihn geradezu. Danach schlendere ich pappensatt mit Storm eine letzte Runde über den Strand, während die Sonne im Meer versinkt.
Die ersten Sterne erscheinen am Himmel, der noch in satte Farben getaucht ist. Ein Gefühl der Zufriedenheit durchfährt mich in diesem Augenblick, wie ich ihn lange nicht gespürt habe. Ich laufe dicht am Wasser entlang, lasse die Wellen meine Füße umspielen. Es fühlt sich befreiend an und weckt Erinnerungen an meine Kindheit, wenn ich mit meinen Eltern am Strand gewesen bin. Zum ersten Mal seit langem schaue ich nicht hinter mich, sondern voraus. Die Luft ist merklich kühler als heute Nachmittag, deshalb ziehe ich meine Strickjacke um meinen Körper fest zusammen.
In der Ferne höre ich Musik und Stimmen, schaue auf. Eins der Häuser am Strand muss eine Party feiern, ein Grund für mich, wieder umzudrehen. Immerhin suche ich keine Gesellschaft, ich möchte nur Ruhe und Frieden.