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Kapitel 3

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Sonntag, 31. Mai

Ein dunkler Umriss, deutlich größer als ich. Nur ein einziger großer Schemen, ohne dass ich Details erkennen konnte. Bis auf blutrote Augen. Augen, welche mich durchdringend anstarrten, mit einem Blick, der mir durch Mark und Bein ging. Ich versuchte, mich abzuwenden, doch war bewegungsunfähig.

»Du kannst nichts tun, Nico.« Der Schatten bewegte sich auf mich zu, langsam und gleichmäßig, ohne Eile. Ich zitterte bei diesen Worten. Sie waren nur geflüstert, trotzdem vernahm ich sie so laut, als hätte man sie mir ins Ohr gebrüllt. Ich versuchte, mich zu rühren, eine Frage zu stellen. Doch ich war wie eingefroren, die Worte blieben in meinem Hals stecken und ein Gefühl der Hilflosigkeit überkam mich.

»Du bist machtlos.« Nur ein leises Wispern, während er an mir vorbei glitt. Ich spürte seine Anwesenheit hinter mir, aber ich war nicht in der Lage, mich umzudrehen. Mein Zittern nahm zu und ich merkte, wie die Panik sich langsam aber sicher in mir ausbreitete.

»Versuch es erst gar nicht, du wirst dich nicht bewegen können.« Ich spürte einen Lufthauch in meinem Nacken, eine flüchtige Berührung, bei der mir ein Schaudern nach dem anderen den Rücken hinunter lief. Plötzlich befand sich der Schatten direkt vor mir. Der Schemen löste sich auf und ich erkannte die Person aus dem Schatten. Silas. Mit blutroten Augen. Er kam langsam auf mich zu. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung, keine Emotionen. Kein einziges Zeichen, dass er wusste, wer ich war. Er blieb vor mir stehen und streckte seine Hand nach mir aus. Ich war so verängstigt, dass es mich in diesem Moment nicht einmal störte, dass ich mich nicht bewegen konnte, hätte ich doch nicht gewusst, wie ich reagieren sollte.

»So klein und unschuldig.« Ich spürte seinen Atem, als er lachte. Seine Hand streichelte meine Wange, strich meinen Hals entlang und blieb auf meiner Halsschlagader liegen. Ich wusste, dass er meinen schnellen Herzschlag unter seinen Fingern spüren konnte. Sein emotionsloser Blick ließ mich vollkommen verunsichert zurück.

»Hab keine Angst«, flüsterte er. Die Dunkelheit zog sich um uns zusammen, begann Silas immer weiter einzuhüllen und zu verschlucken, bis er vollständig verschwunden war. Mit aufgerissenen Augen starrte ich die Stelle an, an welcher er sich eben befunden hatte. Doch da war nichts mehr. Dennoch war das Gefühl seiner Berührung an meinem Hals nicht verschwunden, es war, als läge seine Hand noch immer auf meiner Haut. Aber auch dieses Gefühl verschwand langsam. Zunächst fühlte ich Erleichterung in mir aufsteigen, nun gab es nichts mehr, was mich verängstigte.

Doch dann bemerkte ich den Rauch um mich herum. Wie ein dichter Nebelschleier kam er auf mich zu, hüllte mich von allen Seiten ein. Die Luft wurde stickiger, der Rauch drang in meine Lungen und ich hustete. Ich spürte, dass ich mich wieder bewegen konnte.

Erleichtert keuchte ich, versuchte, meinen Mund mit meiner Hand zu bedecken, und musste dabei feststellen, dass ich an einen Stuhl gefesselt war. Mitten in einem Raum, der sich immer weiter mit Rauch füllte. Verzweifelt riss ich an den Stricken, mit welchen meine Arme und Beine festgebunden waren, als ich an der mir gegenüberliegenden Zimmerseite Flammen sah. Stumm und wunderschön, aber dennoch heiß und tödlich. Ich drohte, mein Bewusstsein zu verlieren, und meine Angst war genauso schnell wieder an Ort und Stelle, wie sie eben verschwunden war. Doch das durch meinen Körper strömende Adrenalin hielt mich hellwach.

»Hilfe!« Mein Schrei war mehr ein leises Röcheln, als ich sah, wie die Flammen auf mich zugekrochen kamen. »Bitte, hilf mir.« Ich spürte die Anwesenheit Silas‘ und sah Sekunden später seinen Umriss, wie er durch die Flammen auf mich zugelaufen kam.

»Hab keine Angst. Sie tun dir nichts. Sie wollen nur spielen.« Seine Augen waren nicht länger blutunterlaufen, sondern so warm und braun, wie ich sie kannte. Doch seine Worte beruhigten mich nicht, kamen nicht gegen die Furcht in meinem Inneren an. Silas lief mit ruhigen Schritten durch die Flammen, ohne dass sie ihm etwas antaten. Er lächelte, als er meinen verstörten Blick auffing.

Vorsichtig streckte er seinen Arm ins Feuer und ich sah, wie sich eine der Flamme an seinem Arm entlang wand und sich an ihn schmiegte. Doch ich konnte mich weder auf Silas noch auf die ihn umgebenden Flammen konzentrieren, da ich sah, dass die erste der Feuerzungen meinen Fuß erreicht hatte. Voller Panik schrie ich laut auf, riss verzweifelt an meinen Fesseln und spürte nichts als pure Angst. Ich wollte nicht verbrennen! Von allen Möglichkeiten zu sterben, war dies schon immer die gewesen, welche mir am meisten Angst bereitet hatte.

Silas lachte leise, als er meinen Schrei hörte. Ich verstand nicht, wie er so ruhig vor mir stehen konnte, ohne mir zu helfen, mich von meinen Fesseln zu befreien.

»Deine Angst ist so groß, dass du gar nicht spürst, dass sie dich mögen. Du spürst ihre Liebe nicht, spürst nicht, wie sie sich sanft an dich schmiegen. Schau dir die Flammen an, Nico! Du darfst dich nicht von deiner Angst besiegen lassen, die Fesseln sind nichts weiter als deine Ängste.« Es dauerte kurz, bis seine Worte zu mir vordrangen. Erstaunt hielt ich inne, als mir klar wurde, dass er recht hatte. Die Flammen krochen an meinen Beinen nach oben, ohne dass ich dabei Schmerzen verspürte. Ich bemerkte die Hitze, welche sie verströmten, aber sie verbrannte mich nicht.

Mein Herzschlag beruhigte sich, als ich mir bewusst wurde, dass keine Gefahr von dem Feuer um mich herum ausging. Ich verspürte nicht einmal mehr den Drang, zu husten. Vorsichtig streckte ich meine Hand nach den Flammen aus, welche die Fesseln um meine Arme und Beine vernichtet hatten.

Kurz zuckte ich zurück, als ich die warme Substanz berührte, die meinen Oberkörper hinauf kroch. Es tat nicht weh. Ehrfürchtig versuchte ich, die Flammen zu fassen bekommen, doch geschickt wichen sie meinen Fingern aus. Sie schienen sich nicht einfangen lassen zu wollen, sodass ich es schließlich sein ließ und ihnen stumm dabei zuschaute, wie sie immer mehr von meinem Körper Besitz ergriffen, als mir Silas wieder einfiel.

Ich hob meinen Kopf und begegnete seinem Blick, mit welchem er mich erfreut anschaute. Wir sagten beide nichts, schauten uns einfach nur gegenseitig an und lächelten. Es gab keine Worte, die beschreiben konnten, wie ich mich in diesem Moment fühlte. Von meinen Fesseln befreit stand ich auf, bewegte mich auf Silas zu und blieb vor ihm stehen. Streckte eine Hand nach seinem Gesicht aus und strich vorsichtig über dieses. Die Flammen, welche sich an seinen Körper geschmiegt hatten, vermischten sich mit den meinen. Bildeten eine warme Hülle um uns herum, die uns vom Rest der Welt abschirmte.

Silas überbrückte die Distanz zwischen uns, legte seine kräftigen Arme um meine Schultern und zog mich sanft an sich. Ich konnte nicht anders, als mich an ihn zu schmiegen; umhüllt von den Flammen und seinen Armen bettete ich den Kopf an seinen Hals und fühlte mich sicher und geborgen.

Schweißgebadet wachte ich auf. Im Schlaf hatte ich die Bettdecke zur Seite gestrampelt, weshalb ich leicht fröstelte. Ich war verwirrt, fühlte mich komisch; zufrieden und doch einsam. Mein Kopf war wie leergefegt, wo Sekunden zuvor das Traumgeschehen gewesen war, befand sich nun nichts außer einer gähnenden Leere. So sehr ich es auch versuchte, ich bekam den Traum und dessen Inhalt nicht zu fassen. Leise seufzte ich. An Schlaf war nicht mehr zu denken, ich war hellwach. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es gegen fünf Uhr morgens war. Ich beschloss aufzustehen.

Kurze Zeit später befand ich mich unter der Dusche, genoss mit geschlossenen Augen das Gefühl des lauwarmen Wassers, das auf meine Haut prasselte. Nach dem Duschen lief ich in die Küche und schaute nach, was wir an Essen vorrätig hatten. Nicht mehr viel; einer von uns sollte morgen dringend einkaufen gehen. Ich begnügte mich mit Cornflakes und Obst, welche ich ohne Eile in mich hineinschaufelte.

Nach dem Frühstück schrieb ich Lia einen Zettel. Ich war mir zwar sicher, dass sie sich nicht wundern würde, dass ich nicht zu Hause war, doch ich mochte die Geste, mochte es, ihr diesen Zettel zu schreiben und damit sicherzugehen, dass sie sich keine unnötigen Sorgen machte.

Es dauerte nicht lange, bis ich mir darüber klargeworden war, wie ich den Tag verbringen wollte. Ich wollte mein Glück versuchen und hoffte, im Wald erneut auf Silas zu treffen. Während etwas Essen den Weg in meinen Rucksack fand, beschloss ich, meine Kopfhörer daheim zu lassen. Ich befand mich nicht in der richtigen Stimmung, um beim Laufen Musik zu hören.

Wie von selbst trugen mich meine Beine in den Wald. Doch bevor ich die Richtung des Schuppens einschlug, fiel mir auf, dass es ziemlich früh war. Sollte Silas im Schuppen sein, würde er bestimmt schlafen. Es gab nichts Unheimlicheres, als im Wald zu übernachten und vollkommen unerwartet von einer anderen Person geweckt zu werden. Also beschloss ich, zunächst woanders entlang zu laufen und meinen Gedanken nachzuhängen. Zum Schuppen konnte ich später immer noch gehen.

* * *

Es war gegen acht Uhr, als mir auffiel, dass in meiner Nähe eine andere Person sein musste. Kurz blieb ich stehen, lauschte auf die Geräusche, die mir signalisierten, dass jemand durch die Büsche lief, und stellte fest, dass die Schritte langsam aber sicher näherkamen. Schnell setzte ich mich wieder in Bewegung und gab mir Mühe, möglichst wenig Geräusche von mir zu geben, was nicht so gut wie erwartet klappte. Je leiser ich zu sein versuchte, desto öfter blieb ich mit den Armen an Ästen und mit den Füßen an Wurzeln hängen.

Das Adrenalin begann durch meine Adern zu rauschen. Ich rannte durch den Wald, wohlwissend, dass ich dabei nur noch lauter als ohnehin schon war. Doch ich hatte die Hoffnung, dass ich schneller als die andere Person war, und somit diesen Nachteil meiner Flucht ausgleichen konnte. Nicht einen einzigen Gedanken verschwendete ich daran, dass nicht jeder, der wie ich morgens im Wald unterwegs war, etwas Böses im Sinn hatte.

»Ey, Nico, jetzt warte doch mal!« Die Worte kamen so unerwartet für mich, dass ich eine Wurzel vor mir übersah und mit dem Fuß an dieser hängenblieb. Kurz versuchte ich, mich zu fangen, was aber nur dazu führte, dass ich mit den Armen voran Bekanntschaft mit dem Waldboden machte. Ein stechender Schmerz fuhr durch meine Handgelenke bis hinauf in die Schultern, weshalb mir Tränen in die Augen traten, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Die Schritte hinter mir holten mich ein, was mich aber nicht störte, hatte ich doch durch die Worte gemerkt, dass es Silas war, welcher mir hinterherlief.

»Unsere Begegnungen beginnen jedes Mal auf eine seltsame Art und Weise.« Silas hatte mich eingeholt und hockte sich vor mir auf den Boden, wo ich nach wie vor lag und die Tränen aus meinen Augen blinzelte. Sein Atem ging schwerer als der meine, ihm schien das Rennen mehr ausgemacht zu haben, als es bei mir der Fall war.

»Wo kommst du denn plötzlich her?« Ich rappelte mich auf, saß vor ihm und strich über meine schmerzenden Handgelenke. Vorsichtig streckte ich meine Finger aus und probierte, welche Bewegungen besonders schmerzhaft waren.

»Was heißt denn plötzlich? Du bist vorhin an mir vorbei gelaufen, ohne mich zu bemerken, und als ich dich gerufen habe, hast du nicht reagiert. Also habe ich meine Sachen zusammengepackt und bin dir hinterhergelaufen, habe dich noch ein oder zweimal gerufen, aber da du so in deinen Gedanken versunken warst, hast du das nicht mitbekommen und ich kam mir etwas seltsam vor, wie ich durch den Wald laufe und deinen Namen rufe. Also dachte ich, ich versuche, dich einzuholen. Konnte ja nicht wissen, dass du dich nicht umdrehst, sondern vor mir davon rennst, sobald du bemerkst, dass dir jemand folgt.«

Etwas peinlich berührt kratzte er sich am Hals, während ich ihn ebenfalls leicht verlegen anschaute. Es war mir unangenehm, dass ich ihn nicht gehört und stattdessen die Flucht ergriffen hatte. Kurz schauten wir uns stumm an, bevor Silas sich aufrichtete und mir seine Hand reichte. Ich ließ mir von ihm hochhelfen, klopfte den Dreck von meiner Kleidung und nahm meinen Rucksack, der bei dem Sturz von meinem Rücken gerutscht war. Auch Silas griff sich seinen Rucksack, welchen er neben sich abgestellt hatte. Langsam trotteten wir nebeneinander her.

»Was hast du eigentlich mitten im Wald gemacht?« Ich versuchte, mich daran zu erinnern, ob ich nicht doch irgendwen während meines Spaziergangs wahrgenommen hatte. Fehlanzeige. Wie Silas gemerkt hatte, war ich vollkommen in meinen Gedanken vertieft gewesen. Ob mir sowas wohl schon einmal passiert war? Dass mich jemand gerufen und ich die Person gar nicht wahrgenommen hatte? Der Gedanke war nicht sonderlich angenehm.

»Ich bin früher als sonst aufgewacht und konnte nicht mehr einschlafen. Und weil mir der Schuppen zu wenig Abwechslung geboten hat, habe ich meine Sachen gepackt und mir einen schönen Platz gesucht, wo ich in Ruhe essen konnte.« Ich hatte mit meiner Vermutung, dass Silas im Schuppen übernachtete, recht gehabt.

»Und was hast du so früh im Wald gemacht? Bist du zum Nachdenken hergekommen?« Ich nickte leicht und versuchte, zu verhindern, dass mein Gesicht rot anlief. Klar, es war nicht gelogen, doch ich musste ihm nicht unbedingt unter die Nase reiben, dass mich die Hoffnung, den Tag heute ebenfalls mit ihm verbringen zu können, hergeführt hatte. Früher oder später würde er schon bemerken, dass er mich seit unserem Zusammenstoß in seinen Bann gezogen hatte.

»Hatte einen komischen Traum und konnte dann nicht mehr einschlafen«, fügte ich seiner Erklärung hinzu. Es war schön, neben ihm herzulaufen, auch wenn meine schmerzenden Handgelenke verhinderten, dass ich unser Gespräch so richtig genießen konnte.

»Worum ging’s in dem Traum?«

»Weiß nicht mehr, ich bin nur total verschwitzt aufgewacht mit so einem komischen Gefühl, das irgendwie schön und irgendwie grässlich war.« Es dauerte nicht lang, bis wir auf einem der Hauptwege landeten, welche aus dem Wald in das Wohngebiet führten. Unentschlossen schauten wir uns an.

»Wie geht’s deinen Händen?« Silas war nicht entgangen, dass diese bei meinem Sturz mehr abbekommen hatten, als mir lieb war. Unwissend, wie ich auf diese Frage antworten sollte, zuckte ich mit den Schultern. Es tat weh, doch solange ich mich nicht zu sehr darauf konzentrierte, war es auszuhalten. Dennoch wollte ein Teil von mir nichts lieber, als zurück nach Hause zu gehen und mich in mein Bett zu legen, in der Hoffnung, dass es nach dem Aufwachen weniger schmerzte. Der weitaus größere Teil von mir war aber zu stolz, um zuzugeben, wie weh es tat, und würde stattdessen den Tag lieber gemeinsam mit Silas im Schuppen verbringen.

»Vielleicht wäre es besser, wenn du nach Hause gehst, deine Gelenke kühlst und sie den Rest des Tages nicht mehr so viel bewegst.« Sein Vorschlag klang vernünftig, aber ich wollte nicht den ganzen Tag allein in meinem Zimmer sitzen.

»Willst du mitkommen?« Mir war klar, wie schüchtern die Frage meinen Mund verließ, doch es hatte mich einiges an Mut gekostet, sie überhaupt zu stellen. Wäre da nicht dieser Hauch von Bedauern in Silas‘ Stimme gewesen, als er darüber sprach, dass ich besser nach Hause gehen sollte, so hätte ich mich wahrscheinlich nicht getraut, ihn zu fragen, ob er mitkommen wollte. Umso glücklicher war ich, als ich sah, wie seine Augen erfreut aufleuchteten, und er kurz nickte.

»Gern, wenn’s dich nicht stört.«

Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zurück zu mir nach Hause. Es freute mich, dass er mitkam, auch wenn es mich etwas nervös werden ließ, dass er erfahren würde, wie und wo ich wohnte. Doch so, wie ich ihn bisher kennengelernt hatte, war ich mir sicher, dass es ihn nicht weiter störte, dass Lia und ich nicht das größte Haus der Stadt bewohnten.

Bei mir zu Hause angekommen, wussten wir nicht, was wir tun sollten. Nachdem wir etwas im Wohnzimmer herumsaßen und keine richtige Unterhaltung zustande kam, beschloss ich, Silas mit in mein Zimmer zu nehmen. Dort fühlte ich mich wohl und sicher, außerdem hatte ich die Hoffnung, dass Silas wieder mehr aus sich herauskam und das Gespräch in Gang brachte. Es war komisch, wie wir plötzlich so schüchtern vor dem anderen waren, wie zurückhaltend Silas sich in unserem Haus umgeschaut hatte, so als wolle er nicht ungefragt in unsere Privatsphäre vordringen.

Ich holte schnell zwei Kühlpacks und verzog mich anschließend mit Silas in mein Zimmer. Wie ich es mir gedacht hatte, taute Silas etwas auf und schaute sich neugierig um. Während er zuvor nur vorsichtig einen kurzen Blick auf unsere Einrichtung und Wanddeko geworfen hatte, ließ er nun keine Kleinigkeit in meinem Zimmer unbeachtet. Interessiert fuhr er mit der Hand über die Buchrücken, welche sich in meinem Regal aneinanderreihten. Bei manchen blieb er kurz hängen, so als würde er überlegen, ob er sie kannte.

Während ich ihn beobachtete, zog ich meine Schuhe aus und setzte mich auf das Bett, rutschte an die Wand und lehnte mich zufrieden an diese. Je mehr ich mich bewegte, umso mehr schmerzten meine Handgelenke, weshalb ich froh war, mich einfach nur entspannt zurücklehnen zu können.

»Darf ich mir das ausleihen?« Silas schaute mich fragend an und hielt meine Ausgabe von Hesses Demian in der Hand. Ohne überlegen zu müssen, nickte ich. Mir gefiel der Gedanke, dass er sich etwas von mir borgen wollte, schließlich implizierte dies, dass wir uns spätestens, wenn er mir das Buch zurückgab, erneut sehen würden. Und dagegen hatte ich nicht das Geringste einzuwenden.

»Kennst du das Buch schon?«

Nun war er es, der kurz nickte. »Habe es vor ein paar Jahren durch Zufall gelesen und seitdem hat es mich nicht mehr losgelassen. Nicht, dass ich noch sonderlich viel vom Inhalt wüsste, doch es ist eins dieser Bücher, bei deren Namen ich sofort weiß, dass es verdammt gut ist. Ich würde es jedem empfehlen zu lesen, egal wie alt man ist.« In mir stieg ein warmes Gefühl auf, als ich sah, wie er andächtig über das Buchcover strich und es anschließend zufrieden in seinen Rucksack packte.

Eine Weile schaute er sich noch um, doch nichts gewann seine Aufmerksamkeit auf die Weise, wie es meine Bücher getan hatten. Als er sich genügend umgesehen hatte, setzte er sich im Schneidersitz vor mir auf das Bett. Es gefiel mir, wie er sich in meinem Zimmer verhielt. Wenn ich bei anderen zu Besuch war, so hielt ich mich die erste Zeit immer zurück und war unsicher, ob es für jeden cool war, wenn ich mich ungefragt irgendwo hinsetzte. Viel zu oft hakte ich nach, anstatt es auszuprobieren und anhand der Reaktionen zu erkennen, ob mein Verhalten okay war. Falls es jemanden störte, wie ich mich in seinem Zimmer verhielt, würde er mir das schon mitteilen. Silas schien kein Problem damit zu haben, sich in meinem Zimmer wie zu Hause zu fühlen.

»Wie geht’s deinen Händen?« Während sich meine Schultern wie von selbst hoben, lächelte ich, da er unbewusst die gleichen Worte wie zuvor im Wald benutzte.

»Nicht so gut, um ehrlich zu sein.«

»Tut mir echt unglaublich leid, dass ich dich so erschreckt habe.« Man sah ihm an, dass er seine Worte ernst meinte.

»Kannst du ja nichts dafür, ich bin selbst schuld dran. Wäre ich nicht so in meinen Gedanken gefangen gewesen, hättest du mich gar nicht so erschrecken können.« Seine Mimik machte deutlich, dass er sich trotz meiner Worte zumindest ein Stück weit dafür verantwortlich fühlte, dass ich nun mit schmerzenden Händen vor ihm saß. Mir an seiner Stelle wäre es mit Sicherheit nicht anders gegangen. Vorsichtig streckte er seine Hand nach mir aus und schob die Kühlpacks zur Seite. Erschrocken zog er die Luft ein, als er die blauen Flecke sah, welche mir selbst noch gar nicht aufgefallen waren. Er drehte meine Hand in verschiedene Richtungen und achtete auf meine Reaktionen.

»Was machst du da?«

Er grinste leicht. »So wirken als hätte ich Ahnung von dem, was ich tue, um dich im Anschluss möglichst einfach davon überzeugen zu können, zum Arzt zu gehen.«

Ich schloss mich seinem Grinsen an, bevor sich dieses zu einer Grimasse verwandelte. Auch wenn er lachte, spürte ich, dass er es ernst mit seinen Worten meinte.

»Ein Kumpel von mir ist nach einem Sturz auf die Handgelenke nicht direkt zum Arzt gegangen und später hat sich herausgestellt, dass eins einen komplizierten Bruch hatte, der hinterher falsch zusammengewachsen ist, sodass sie ihm im Krankenhaus die Knochen noch einmal brechen mussten, damit sie richtig zusammenwachsen konnte. Soweit ich weiß, kann er seine Hand nicht mehr so wie früher benutzen und hat manchmal Schmerzen. Ich würde wirklich zu einem Arzt oder ins Krankenhaus gehen, denn selbst wenn sich herausstellt, dass es nur eine Prellung ist, bist du auf der sicheren Seite.«

Mein Seufzen zeigte uns beiden, dass ich mich geschlagen gab. »Ich hasse Krankenhäuser«, murmelte ich vor mich hin, was Silas zum Grinsen brachte.

»Ich bin noch niemandem begegnet, der Krankenhäuser geliebt hat. Wenn du möchtest, kann ich mitkommen, dann ist dir beim Warten auf die Behandlung nicht so langweilig.« Ich war froh über das Angebot, doch wollte gleichzeitig nicht, dass er ebenfalls einen Tag auf diese Art und Weise vergeudete.

»Fände ich schön. Aber musst du wirklich nicht, du hast bestimmt Besseres zu tun.«

»Als mit dir in einem überfüllten Wartezimmer zu sitzen und sicher zu gehen, dass es dir gut geht? Nein, eigentlich fällt mir nichts ein, womit ich unter den gegebenen Umständen lieber meine Zeit verbringen wollen würde.« Er grinste mich schief an, während meine Wangen sich rot färbten. Mein Herz schlug schnell und aufgeregt, doch ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich seine Worte freuten.

»Dann lass uns lieber gleich losgehen, bevor ich es mir anders überlegen kann.«

Nico & Silas - falling for you

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