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Kapitel 6

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Montag, 15. Juni

»Was ist denn mit deinem Arm passiert? Hattest du nicht gesagt, deine Ferien waren langweilig?«

»Das habe ich nicht gesagt, ich habe nur gesagt, dass ich nicht viel gemacht habe.« Was ebenfalls nur halbwegs stimmte. Ich hatte viel gemacht, doch hatten sich meine Tätigkeiten nicht oft voneinander unterschieden. So gut wie jeden Morgen war ich aufgestanden, hatte entweder mit Lia, Silas oder mit beiden gemeinsam gefrühstückt, bevor ich allein oder mit Silas als meine Begleitung draußen durch die Gegend getigert war. Wir hatten lange Spaziergänge unternommen, ganze Tage im Wald damit verbracht, neue Orte zu entdecken oder am Fluss zu sitzen und die Füße ins Wasser zu halten. Silas hatte es nicht lassen können, auf einer Vielzahl an Bäumen herumzuklettern, während ich unter diesen gesessen und bedauert hatte, dass ich ihm mit meiner noch immer vergipsten Hand keine Gesellschaft hatte leisten können.

Wir hatten uns schnell an das Zusammenleben gewöhnt und es gefiel mir, nicht ständig allein zu Hause zu sein, obwohl es mich zuvor nie gestört hatte. Die zwei freien Wochen waren wie im Flug vergangen und ich war gespannt, wie es weitergehen würde. Keiner von uns, weder Lia noch ich, hatte etwas dagegen, dass Silas eine Weile bei uns blieb.

Doch jetzt, wo die Schule weiterging und ich keine Ferien mehr hatte, würde sich bisschen was ändern. Ich würde die Woche über einen Großteil des Tages in der Schule verbringen und zweimal die Woche abends nicht da sein, weil ich seit einigen Monaten etwas Geld in einem der Tattoostudios bei uns in der Stadt verdiente, indem ich dafür sorgte, dass der Tätowierer jederzeit alle benötigten Materialien vor Ort hatte und diese auch sortiert waren.

Was Silas in der Zeit machen würde, wusste ich nicht, aber ich war mir sicher, dass ihm etwas einfallen würde. Er wirkte wie einer dieser Menschen, denen absolut nie langweilig war, die immer eine Sache fanden, die interessant genug war, um ihre Zeit damit zu verbringen. Und wenn dem nicht so war, setzte er sich irgendwo hin und zeichnete. Er war allgemein ein sehr selbstständiger Mensch, dem es nach ein paar Tagen nicht mehr unangenehm war, das Angebot, bei uns wohnen zu können, angenommen zu haben. Ich wusste nach wie vor nicht, was zwischen ihm und seinen Freunden geschehen war und was ihn veranlasst hatte, lieber irgendwo draußen zu übernachten, anstatt bei ihnen vorbeizuschauen. Doch ich wollte ihn nicht dazu drängen, mir Sachen zu erzählen, die er noch nicht bereit war, mit mir zu teilen.

Während Silas seinen Tag weiterhin so gestalten konnte, wie es ihm passte, saß ich jedenfalls wieder in der Schule, verbrachte Zeit mit meinen Freunden und hoffte, dass sich der Tag nicht unnötig in die Länge ziehen würde.

* * *

Es klingelte zur Pause. Erleichtert stopfte ich meinen Block sowie meine Stifte in den Rucksack und verließ den Klassenraum. Noch drei Stunden, dann konnte ich endlich wieder gehen.

»Sag mal, ist alles in Ordnung bei dir? Du hast dich die ganzen Ferien über kein einziges Mal gemeldet.« Kurz zuckte ich zusammen, da ich nicht bemerkt hatte, dass Timo neben mir aufgetaucht war.

»Sorry. Ich hatte wirklich vor, mich zu melden, doch hab‘s total vergessen. Tut mir echt leid.« Meine Aufmerksamkeit hatte sich in den letzten beiden Wochen so auf Silas gerichtet, dass ich nicht daran gedacht hatte, mich bei meinen Freunden zu melden. Zur Zeit ging alles so schnell, die Tage verflogen, ohne, dass ich wusste, was ich davon halten sollte. Etwas schuldbewusst schaute ich ihn von der Seite an, doch Timo lachte nur leicht.

»Alles gut, Nico. Wir wissen, dass du sowas vergisst, ohne es böse zu meinen«, neckte er mich, bevor er ernst wurde. »Ich will nur, dass du weißt, dass du immer mit mir reden kannst. Vorausgesetzt es gibt etwas, worüber du reden willst.« Prüfend schaute er mich an, während ich nicht anders konnte, als breit zu grinsen. Ich liebte es, wie selbstverständlich es bei uns war, dem jeweils anderen klarzumachen, dass wir jederzeit füreinander da waren. Manchmal tat es gut, solche Worte zu hören, auch wenn ich momentan nichts hatte, worüber ich mit ihm reden wollte.

Wir verließen das Schulgebäude und suchten den Rest unserer Freunde, den wir schnell fanden. Gemeinsam mit ein paar jüngeren Schülern standen sie am Rande des Pausenhofes und schienen sich angeregt über etwas zu unterhalten. Timo und ich liefen zu ihnen.

»Habt ihr den Überfall auf diese Tankstelle vor einigen Wochen mitbekommen?«, war das Erste, das ich verstand, als wir nah genug herangekommen waren.

»Du meinst den, bei welchem der Typ hinter der Kasse abgestochen wurde?«

»Genau den meine ich. Die haben ja mittlerweile die meisten Beteiligten festgenommen und wisst ihr, was herausgekommen ist? So wie’s aussieht, war Damian einer von denen, die den Typen erstochen haben.« Auch ich hatte von dem Überfall gehört, konnte aber die allgemeine Aufregung nicht nachvollziehen. So etwas passierte doch immer mal wieder, obwohl wenn es selten vorkam, dass so viele Leute einen gemeinsamen Überfall auf eine Tankstelle planten.

»Wer ist Damian?«, erkundigte ich mich. Der Name löste nichts in mir aus, doch an den Reaktionen einiger anderer konnte ich erkennen, dass sie etwas mit dem Namen anfangen konnten.

»Du kennst Damian nicht?« Erstaunte Blicke trafen mich. »Er war mal auf unserer Schule, ist zwei oder drei Jahre älter als wir, aber hat die Schule abgebrochen. Seitdem wohnt er bei Ben, du weißt schon, der Typ, der diese ganzen riesigen Partys veranstaltet.« Auch wenn ich Ben nicht persönlich kannte, so wusste ich direkt, von wem die Rede war. Er war Anfang zwanzig und für seine Partys bekannt. Ich selbst war kein Freund dieser Massenveranstaltungen, feierte lieber im Kreis meiner Freunde und verbrachte meine Abende allein oder mit Lia, anstatt mit dem Rest der Schule auf Bens Partys aufzutauchen.

Der Name Damian sagte mir trotzdem nichts, weshalb ich interessiert auf das Handy schaute, welches mir vors Gesicht gehalten wurde. Meine Stirn runzelte sich verwirrt. Diese tiefbraunen Augen hatten sich die letzten Wochen so in meinen Kopf gebrannt, dass ich sie überall erkennen würde. Es waren Silas‘ Augen, das konnte ich ohne den geringsten Zweifel sagen. Auch seine dunkelblau gefärbten, in alle Richtungen abstehende Haare passten zu Silas, sodass ich mir sicher war, dass es sich bei dem Bild um ihn handelte. Warum kannten einige meiner Freunde Silas als Damian?

»Kenne ich nicht«, murmelte ich und versuchte, mir meine Verwirrung nicht anmerken zu lassen. Auf dem Bild sah er etwas jünger aus als jetzt, seine Finger spielten mit einem filigranen Ring, welcher an seinem Ohr hing. Zufrieden grinste er in die Kamera, schien sich vollkommen wohlzufühlen.

Ich spürte Samanthas irritierten Blick auf mir. Meine Reaktion auf das Foto war ihr nicht entgangen, doch ich schüttelte leicht meinen Kopf, um ihr anzudeuten, dass sie keine Fragen stellen sollte. Zumindest nicht jetzt, da alle anderen um uns herumstanden.

Während das Gespräch über den Überfall weiterging, hielt ich mich aus der Unterhaltung raus und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Wenn es sich bei Silas und Damian wirklich um ein und dieselbe Person handeln sollte, dann hatte Silas etwas mit dem Tankstellenüberfall und dem toten Kassierer zu tun. Sagten zumindest die anderen. Hätte Silas mir nicht schon davon erzählt, falls dem so wäre? Ich wusste es nicht und das war genau das, was mich unruhig werden ließ. Wir kannten uns kaum und waren im Prinzip Fremde, die sich zueinander hingezogen fühlten.

Ich war froh, als es zum Pausenende klingelte. Stumm nahm ich meinen Rucksack und verzog mich in Richtung des Schulgebäudes.

»Du kennst Damian, oder?« Samantha hatte es sich nicht nehmen lassen, mir zu folgen. Leise seufzte ich. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte.

»Vielleicht«, meinte ich ausweichend, während wir uns einen Weg zu unserem Klassenzimmer bahnten. Ich merkte, dass sie mehr dazu sagen wollte, weshalb ich mich beeilte, ihr zuvorzukommen.

»Du weißt, dass ich dir nicht absichtlich etwas verschweige. Ich muss ein paar Dinge klären, danach können wir meinetwegen nochmal darüber reden. Okay?« Ich wusste, dass es nicht sonderlich nett von mir war, sie so abzuweisen, doch mir fiel keine andere Lösung ein, wie ich mich anders aus dem Thema winden sollte.

Ich ließ mich auf meinem Fensterplatz nieder, spürte, dass Samantha mir noch einen prüfenden Blick schenkte, bevor sie sich mit einem Schulterzucken abwandte und auf ihren Platz setzte. Sie schien zu spüren, dass es sich nicht lohnte, jetzt weiter nachzuhaken.

Von den restlichen Stunden bekam ich nicht viel mit. Meine Gedanken kreisten um Silas, um das, was die anderen vorhin über den Tankstellenüberfall erzählt hatten und je mehr ich über alles nachdachte, umso mehr Fragen tauchten in meinem Kopf auf. Warum hatte er an einem Überfall teilgenommen? Wieso hatte er nichts gesagt? War es eine gute Idee, ihn bei uns wohnen zu lassen? In meinem Magen breitete sich ein flaues Gefühl aus und ich war froh, dass man mich während des Unterrichts in Ruhe ließ.

* * *

Mein Kopf hatte sich auch auf dem Nachhauseweg nicht sonderlich beruhigt. Die Gedanken kreisten munter weiter, erfanden Geschichten und gaben mir ein schlechtes Gefühl. Ich wusste, dass ich Silas mit dem Ganzen konfrontieren musste, da ich nur so die Wahrheit erfahren würde.

Doch ich wollte nicht, dass es kompliziert wurde. Ich mochte es, wie die letzten zwei Wochen verlaufen waren. Wie viel Zeit wir miteinander verbringen konnten, ohne uns unwohl zu fühlen. Wie wir zusammen lachen und reden konnten. Wie wir bis spät abends vor dem Fernseher saßen und Filme schauten, bevor wir in mein Zimmer gingen, uns hinlegten, und weiterredeten, bis wir irgendwann einschliefen. Ich wollte nicht, dass diese unbeschwerte Zeit vorbei war. Vielleicht war alles ganz anders und nur ein Missverständnis, über das wir nachher kurz sprechen und anschließend grinsen würde. Doch ein Teil von mir wusste, dass es nicht so einfach werden würde.

»Hey, nice dass du wieder da bist!« Ich war dabei mir meine Schuhe auszuziehen, als Silas in der Wohnzimmertür auftauchte und sich an den Türrahmen lehnte. Seine schwarzen Haare hingen ihm ins Gesicht, betonten seine braunen Augen und verliehen ihm ein geheimnisvolles Aussehen.

Ich wandte meinen Blick ab, wusste nicht, wie ich auf ihn reagieren sollte. Wenn sich herausstellte, dass Silas und Damian zwei komplett verschiedene Menschen waren, die absolut nichts miteinander zu tun hatten, dann war das einfach nur peinlich. Doch ich wollte nicht so tun, als wäre nichts passiert. Ich war vollkommen verwirrt.

Leise folgte Silas mir in die Küche und mir fiel erneut auf, wie geschmeidig er sich bewegte.

»Was ist los? Und sag nicht, dass alles in Ordnung ist. Du bist komplett durch den Wind.« Ich hatte stumm damit begonnen, Essen aus den Schränken zu holen und den Tisch zu decken. Als ich mich dem Kühlschrank zuwandte, lehnte Silas an diesem und verhinderte mit locker verschränkten Armen, dass ich seinem Blick ausweichen konnte. Er schaute mich so intensiv an, dass es mir unmöglich war, der Situation zu entkommen. Mein Herz schlug schnell, während ich nach den richtigen Worten suchte. Doch ich fand sie nicht.

»Ein paar Freunde haben in der Pause über den Tankstellenüberfall vor ein paar Wochen geredet.«

Silas‘ sonst so offene und warme Lächeln war verschwunden, stattdessen waren seine Gesichtszüge mit einem Mal wie versteinert. Sein Blick forderte mich dazu auf, weiterzureden und ihm zu erklären, was ich erfahren hatte, weshalb ich so verwirrt war und mich komisch verhielt.

»Sie haben davon geredet, dass du einer der Leute warst, die vermutlich den Kassierer erstochen haben.« Silas‘ Gesicht nahm einen verschlossenen Ausdruck an, seine Finger hielten seine Arme nicht länger locker fest, sondern krallten sich regelrecht in seine Haut. Am liebsten hätte ich nach ihnen gegriffen, um zu verhindern, dass er sich durch seinen eigenen Griff wehtat.

»Haben sie das?« Seine Stimme war ausdruckslos. Er starrte mich an und schien herausfinden zu wollen, was ich von der Sache hielt. Seine Reaktion verunsicherte mich, hinterließ ein ungutes Gefühl in meinem Inneren. Während ich leise erzählte, was ich gehört hatte, hörte Silas wortlos zu, bewegte sich nicht, schien nicht einmal zu blinzeln. Ich wandte meinen Blick ab und scharrte mit den Füßen unruhig über den Fußboden.

»Du denkst also, dass ich jemanden erstochen habe? Bei einem Überfall?« Es hörte sich lächerlich an, als er es aussprach. So ruhig und gelassen, als wäre es nicht er selbst, über den er sprach. Als ginge es ihn nichts an.

Ich wünschte, er hätte über meine Worte gelacht und mir erklärt, was passiert war, sodass wir die Sache vergessen konnten. Doch stattdessen fühlte ich mich von seiner Aussage angegriffen und hatte das Gefühl, mich verteidigen zu müssen.

»Das habe ich nicht gesagt, ich habe nur wiedergegeben, was die anderen mir erzählt haben.« Trotz Silas‘ abweisender Haltung schaffte ich es, ruhig zu bleiben. Langsam begann ich, mir zu wünschen, nichts von dem Gespräch auf dem Pausenhof mitbekommen zu haben. Dann würden wir jetzt gemeinsam etwas essen und danach den Tag in Ruhe ausklingen lassen können. Aber ob das wirklich besser gewesen wäre? Früher oder später wäre ich eh über das Thema gestolpert und wir hätten darüber reden müssen.

»Und was denkst du, was passiert ist?« Seine Stimme war schneidend, wenngleich seine Haltung und Mimik wieder so leblos war, als würden wir über etwas Banales sprechen. Innerlich zuckte ich bei seinen Worten zusammen und sogleich fühlte ich mich noch unwohler.

Leise antwortete ich: »Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, was ich denken soll. Du hast mir gesagt, dass du Silas heißt, während andere dich als Damian kennen. Das ist im Moment alles, was ich mit Sicherheit weiß. Aber so, wie du dich verhältst, sieht es ganz danach aus, als hättest du was damit zu tun. Sonst würdest du ja sagen, was los ist, und hättest du dich mir nicht unter einem anderen Namen vorgestellt. Außerdem würdest du nicht so abweisend reagieren.«

Ich bereute meine Worte in dem Moment, in dem ich meinen Mund schloss und den verletzten Ausdruck über Silas‘ Gesicht huschen sah. Doch er hatte sich erstaunlich schnell wieder im Griff. Für wenige Sekunden schaute er mir fest in die Augen, bevor er sich umdrehte und ging. Erst als die Haustür hinter ihm ins Schloss fiel, realisierte ich, dass ich die Möglichkeit, alles in Ruhe zu klären, vermasselt hatte. Ich löste mich aus meiner Starre und lief zur Haustür, doch als ich die Straße entlangschaute, war von Silas nichts mehr zu sehen. Frustriert schlug ich die Tür zu und ließ mich an dieser hinab auf den Boden gleiten. Silas war weg und ich wusste nach wie vor nicht, was geschehen war.

* * *

»Wo ist Silas?« Lia hatte bemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmte. Gemeinsam saßen wir in der Küche. Lustlos stocherte ich in meinem Essen herum. Schweigend zuckte ich mit den Schultern, woraufhin ich einen weiteren intensiven Blick abbekam, bevor sie es mit einem Schulterzucken abtat. Lia wusste genau, dass es in solchen Momenten nichts brachte, mich zum Reden zu zwingen.

Nach dem Essen verzog ich mich in mein Zimmer und verkroch mich in mein Bett. Obwohl es draußen warm war, kuschelte ich mich unter meine Decken und schloss die Augen. Warum nur hatte ich es nicht geschafft, vernünftig mit Silas zu reden?

Erneut ließ ich unser Gespräch Revue passieren. Im Prinzip hatte ich es schon in dem Moment vermasselt, in welchem ich ihm nicht normal in die Augen hatte schauen können. Ich hätte ihm von Anfang an sagen sollen, was mich beschäftigte. Ich hätte mir nicht zuvor so viele Gedanken über alles machen sollen. So war es mir gar nicht möglich gewesen, unvoreingenommen Silas‘ Erklärung zu hören. Nach wie vor wusste ich absolut gar nichts darüber, was es mit dem Überfall auf sich hatte. Stattdessen hatte ich ihm vorgeworfen, mich zu belügen, und ihm das Gefühl gegeben, dass ich gar nicht an der Wahrheit interessiert war. Fuck.

Ich griff nach meinem Handy und steckte meine Kopfhörer ein. Da wir die letzten Wochen den Großteil unserer Zeit miteinander verbracht hatten, waren wir bisher nicht auf die Idee gekommen, unsere Nummern auszutauschen, weshalb ich ihn weder anrufen, noch ihm schreiben konnte.

Silas hatte nicht so gewirkt, als bräuchte er nur kurz Zeit für sich, bis er am Abend wieder vor der Tür stehen würde. Im Gegenteil, sein Blick, bevor er gegangen war, hatte nicht danach ausgesehen, als habe er vor, heute oder morgen wiederzukommen. Ich ärgerte mich, dass ich nicht schneller reagiert und ihn daran gehindert hatte zu gehen. Ob er wohl zu seinen Freunden gegangen war? Hatte er vielleicht sogar wegen des Überfalls Ärger mit ihnen?

Bevor ich weiter über diese Option nachdenken konnte, hielt ich inne. Es war Silas gegenüber nicht fair. Ich sollte ihm die Möglichkeit lassen, mir selbst zu erklären, was passiert war. Mir fiel auf, dass mich der Gedanke, er habe etwas mit dem Tankstellenüberfall zu tun, deutlich weniger störte, als der, ihn mit meinen Worten so verletzt zu haben, dass er gegangen war.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich beschloss, rauszugehen. Mein Handy fand seinen Platz neben dem Schlüssel in der Hosentasche, ich sagte Lia Bescheid, dass ich draußen war, bevor ich die Haustür hinter mir schloss. Lia hatte mir nur einen weiteren nachdenklichen Blick geschenkt, doch sie hatte mich nicht am Rausgehen gehindert.

Auf direktem Weg lief ich zum Wald. Obwohl es draußen noch hell war, verfing sich das Tageslicht in den Baumkronen und bot einen düsteren Anblick. Mit Musik in den Ohren bahnte ich mir einen Weg durch die Büsche und Pflanzen, bis ich vor dem Schuppen ankam. Von außen deutete nichts darauf hin, dass sich im Inneren jemand befand; ein Eindruck, der sich mir bestätigte, als ich das Gebäude betrat. Meine unausgesprochene Hoffnung, Silas hätte sich den Schuppen als Zufluchtsort ausgesucht, wurde enttäuscht.

Seufzend ließ ich mich auf der Matratze nieder, auf welcher wir uns das erste Mal richtig unterhalten hatten. Es war faszinierend, dass diese Begegnung erst etwas mehr als zwei Wochen her war. Wie war es möglich, dass man in solch einer kurzen Zeit so vertraut miteinander umgehen konnte? Was war der Grund dafür, dass ich mich so unbegreiflich stark zu Silas hingezogen fühlte? War es sein Aussehen? Seine Ausstrahlung? Sein Charakter?

Ich war mir nicht sicher, doch wahrscheinlich war es eine Mischung aus all dem.

Während die Musik weiter durch meine Kopfhörer dröhnte, wurde ich mit einem Mal so müde, dass ich nicht anders konnte, als mich zusammenzurollen und die Augen zu schließen. Die Erzählungen auf dem Pausenhof, meine darauffolgenden Gedanken in der Schule und auf dem Nachhauseweg, die Unterhaltung mit Silas und nun die Frustration über meine eigenen Worte hatte mir mehr Kraft geraubt, als mir bewusst gewesen war. Innerhalb weniger Minuten war ich in einen traumlosen Schlaf abgedriftet.

* * *

Einige Stunden später wachte ich in völliger Dunkelheit auf. Ich stoppte die noch immer laufende Musik und steckte das Handy samt Kopfhörern in meine Jackentasche. Stattdessen lag ich stumm in der Finsternis, lauschte den Geräuschen draußen im Wald und war froh über die Stille in meiner direkten Umgebung. Die Nacht war nicht sonderlich warm, doch richtig kalt war mir auch nicht. Ich fühlte mich geborgen in dieser Hülle aus Dunkelheit und genoss es, abgeschieden von allem anderen zu sein. Teilweise zumindest, dann ich verspürte den Wunsch, Silas neben mir liegen zu haben. Ich wollte neben ihm einschlafen und neben ihm aufwachen. Ich wollte nachts wach bei ihm sein und ihm beim Schlafen betrachten.

Stück für Stück kam die Erkenntnis, festigte sich zu einem greifbaren Gedanken. Ohne ihn wirklich zu kennen, hatte ich mich Hals über Kopf in Silas verliebt.

Die Minuten vergingen wie im Flug. Erst als mein Wecker klingelte, bemerkte ich, dass ich langsam aber sicher meinen Rückweg antreten sollte. Obwohl ich kaum geschlafen hatte und mir nicht danach war, mich mit jemandem, der nicht Silas war, zu unterhalten, beschloss ich, in die Schule zu gehen. Vielleicht würde es mich ablenken und falls nicht, dann war es wenigstens eine effektive Lösung, um zu verhindern, dass ich den gesamten Tag meinen Gedanken nachhing und die Zeit vollkommen aus den Augen verlor.

Gähnend machte ich mich auf den Rückweg. Zu Hause verschwand ich kurz im Bad, bevor ich etwas aß und in Richtung Schule trottete. Dort angekommen setzte ich mich unter einen der wenigen Bäume auf dem Pausenhof und vertiefte mich erneut in die vertrauten Klänge meiner Musik.

* * *

Der Schultag zog sich scheinbar endlos in die Länge, weshalb ich froh war, als endlich die letzte Stunde überstanden war. Um zu verhindern, dass Samantha oder einer der anderen versuchen würden, mit mir zu reden, verschwand ich so schnell wie möglich aus dem Schulgebäude.

Eine Weile trottete ich durch die Stadt und ärgerte mich darüber, dass ich am Morgen nicht daran gedacht hatte, mein Fahrrad mit in die Schule zu nehmen. Da es schon nach fünfzehn Uhr war und in einer Stunde meine Arbeit im Tattoostudio begann, lohnte es sich nicht mehr, nach Hause zu gehen. Unterwegs kaufte ich mir etwas zu essen, bevor ich bei meinem Arbeitsplatz ankam.

Joe, mein Arbeitgeber, schien mir anzumerken, dass ich heute nicht für viel zu gebrauchen war, weshalb er mich nach hinten schickte, damit ich dort etwas Ordnung schaffen konnte.

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