Читать книгу Die stummen Gäste von Zweitlinden - Anny von Panhuys - Страница 5
2. Kapitel
ОглавлениеGraf Wulf Speerau auf Schloß Wiesenthal! Das klang sehr melodisch und gewichtig. Aber es stand hinter dem Titel und Namen nicht mehr allzuviel Bedeutung.
Die Herren von Speerau hatten nicht verstanden, so zu wirtschaften wie die Zweilindens, und je mehr sich deren Besitz vergrößerte, um so mehr verkleinerte sich der ihre. Der letzte Graf Speerau war wie seine Vorfahren. Er liebte Wein, Weib und Kartenspiel, doch er beherrschte die Kunst, seine Leidenschaft zu verbergen. Frankfurt am Main war nicht allzu weit, und in der großen Stadt fand er die Sorte Frauen, die seinem Geschmacke entsprach, dort gab es ein paar Kumpane, die mit ihm tranken und lumpten, und dort gab es auch einen geheimen Klub, in dem er bis zum Morgengrauen spielen konnte, so lange, bis er sich die Taschen leer oder voll gespielt, je nachdem ihm das Glück günstig war oder nicht.
Daheim galt er als guter, solider Landwirt, der nach ein paar flotten Jugendjahren den Wert der Arbeit erkannt und begriffen hatte, daß er fleißig sein und solide leben mußte, um sein Gütchen auf leidlicher Höhe zu halten.
Er hatte einen alten Inspektor, der schon von seinem Vater her auf Wiesenthal in Diensten stand, ein treuer, ehrlicher Alter, der zuweilen wagte, dem Grafen Wulf, wie man so zu sagen pflegt, die Leviten zu lesen. Aber niemals hätte der treue alte Ludwig West ein schlechtes oder nachteiliges Wort über seinen Herrn gesprochen. Er war Witwer und kinderlos und hing sehr an Wiesenthal.
Es war ein sonniger Vormittag, als Wulf von Speerau das Schloß verließ, das nur zwei Stockwerke hoch war, über die sich ein rotes Ziegeldach schob. Es stammte mit seinen zwei kurzen, von Türmen flankierten Seitenflügeln aus dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. Der Gutshof schloß sich dicht an das Schloß an. Er setzte sich zusammen aus einer Kette von Schuppen und Ställen, und dazwischen zwängte sich das kleine Inspektorhaus ein. Knechte und Mägde gab es im Winter hier nur ein paar; erst im Frühjahr wurden einige Landarbeiter eingestellt, die bis zum Herbst blieben.
Wulf von Speerau verließ seinen Besitz mit einem kecken Gassenhauer auf den Lippen.
Er wollte zu Fuß nach Zweilinden hinüber, um sich dort Bettinas Hand zu sichern und damit die Gewißheit, recht bald ein bißchen besser leben zu können, als es jetzt möglich war. Es reizte ihn, die Welt kennenzulernen, weit zu reisen, mit eleganten Frauen Feste zu feiern und nicht immer gleich in der Klemme zu sitzen, wenn einmal die Karten nicht günstig fielen.
Bettina Claudius war der Goldfisch, den er sich eingefangen hatte, um ein Dasein nach seinem Geschmack zu führen. Nun brauchte er nur noch den Segen ihres Pflegevaters, dessen Reichtum seine leere Kasse mühelos füllen sollte.
Er ging zu Fuß, weil er im Kopf einen leichten Druck spürte. Er hatte gestern abend noch ein halbes Dutzend Kognaks gekippt, in der Freude, jetzt so dicht vor dem ersehnten Ziel zu stehen.
Bettina war nicht sein Geschmack. Ihre ganze Art war ihm zu einfach und harmlos. Er liebte die Frauen, denen ein ordentlicher Schuß Leichtsinn im Blute saß, Frauen mit kokettem Wesen und launenhaftem Charakter, der sprunghaft immer Abwechslung suchte und Abwechslung schuf.
Es war nicht weit von Wiesenthal nach Zweilinden. Ein Waldweg von einer halben Stunde lag zwischen beiden Gütern.
Wulf Speerau rauchte eine Zigarette und legte sich unterwegs zurecht, was er Konrad von Zweilinden sagen wollte, um ihn schnellstens von seiner großen Liebe zu Bettina zu überzeugen.
Wulf Speerau warf seine Zigarette weg. Es war wohl gut, wenn er nicht rauchte, denn sein Kopfschmerz war schlimmer geworden anstatt besser.
Seine Augen hingen am Boden, den hier am Waldrand dünnes Frühlingsgras deckte, da sah er plötzlich etwas, was ihn haltmachen ließ. Dicht vor ihm auf dem lichtgrünen Grasteppich lag ein Revolver – ein fast neuer Revolver.
Wulf Speerau blickte sich nach allen Seiten um, seine Augen suchten den Boden gründlich ab, denn unwillkürlich dachte er sofort an einen Selbstmord; aber er sah nichts, weder einen toten noch einen lebendigen Menschen.
Rechts von ihm lief die Waldchaussee, und da das niedrige Strauchwerk noch nicht üppig belaubt war, konnte man ziemlich weit in den Wald hineinschauen.
Der Revolver war gesichert. Drei Patronen befanden sich noch im Magazin.
Er betrachtete die Waffe interessiert von allen Seiten. Sie gefiel ihm, war modern, von hübscher Form, und er entdeckte daran ein Messingschildchen mit der Firma einer Waffenhandlung in London. Also in der Hauptstadt Englands war das Dingelchen gekauft worden. Er kannte niemand hier in der weiteren Umgebung, der in den letzten Jahren aus England gekommen war.
Er steckte den Revolver in die hintere Hosentasche. Wenn er hörte, daß die Waffe von jemand gesucht wurde, konnte er sie ja immer noch zurückgeben, sonst behielt er sie einfach. Wulf Speerau hatte eine Vorliebe für Gegenstände, die er nicht zu bezahlen brauchte.
Er schritt etwas schneller aus als vorher. Als er Zweilinden vor sich liegen sah, schlug es vom Dorfe gerade elf Uhr. Er blieb stehen, betrachtete das Bild vor sich mit den Augen des künftigen Besitzers und – schmunzelte. Das stattlichste Gut weit und breit war Zweilinden, hatte das größte Herrenhaus und den prächtigsten Park. Und den Riesenbesitz würde Bettina einmal nach dem Ableben ihres Pflegevaters erben. Der alte Herr hatte ja die Mitte der Sechzig schon überschritten.
Eine feine Sache war es, dachte Wulf Speerau, daß Ottfried Zweilinden nach einem bösen Krach mit seinem Vater davongelaufen war in die weite Welt, wahrscheinlich so weit, daß er sich nicht mehr zurückfand in die Heimat. Seine Mutter war darüber gestorben, und sein Vater hatte zu seinen Freunden gesagt: „Rede mir niemand mehr von dem schlechten Bengel! Ich will nichts mehr von ihm hören. Für mich ist er tot, und er wird, falls er noch irgendwo aus einer Versenkung aufsteigt, keinen Heller von mir erhalten.“
Die Herren von Zweilinden hatten alle zwei besondere Fehler: ihren Jähzorn und ihren Trotz. Wegen einer Bagatelle waren Vater und Sohn vor zehn Jahren aneinandergeraten und hatten sich deswegen für immer getrennt.
Wulf Speerau schmunzelte. Vor allem sollte Schwiegerpapachen erst einmal sein Scheckbuch öffnen und seiner Bettina, an der er sehr hing, eine gute Mitgift geben, damit er seine Verhältnisse ordnen konnte. Er hatte dieses langsame Weiterkrebsen bis zum Halse hinauf satt.
Vor dem langgestreckten, einförmig weißen Herrenhause standen zwei mächtige alte Linden, die schon an ihrem Platz gewesen, ehe noch der Grundstein zu dem Herrenhaus gelegt wurde, und die dem Gut den Namen gegeben hatten. Zwischen ihnen gab es einen Platz mit hübsch gehaltenen Anlagen. Der junge Rasen war eben vom Gärtner besprengt worden, auf den feinen Halmen glitzerten die Wassertröpfchen wie kleine Brillanten.
Ein Diener in grauer Livree öffnete dem Besucher, ließ ihn in die Eingangshalle treten und bat ihn, zu warten. Er kehrte bald zurück, sagte höflich: „Herr von Zweilinden läßt Herrn Graf Speerau bitten!“
Er nahm ihm Mantel und Hut ab und führte ihn in das Arbeitszimmer des Gutsherrn.
Konrad von Zweilinden saß am Schreibtisch, der so groß war, daß er das ganze Zimmer beherrschte, und legte eben eine Zahlenaufstellung fort, als der Graf eintrat. Er erhob sich, ging dem Besucher ein paar Schritte entgegen und reichte ihm die Hand. „Nun, Graf, was haben Sie auf dem Herzen? Fassen Sie sich bitte ein bißchen kurz, denn ich muß in einer halben Stunde in die Kreisstadt fahren. Da ist ’ne Gerichtssitzung, und ich bin als Sachverständiger vorgeladen. Wissen Sie, so ’ne blöde Kartoffelgeschichte. Ein Händler hat faulendes Zeug geliefert. Aber ich will uns mit dem Kram nicht aufhalten. Bitte, nehmen Sie Platz.“
Er ließ sich wieder in seinen Schreibtischstuhl fallen, nachdem sich Graf Speerau gesetzt hatte.
Wulf von Speerau wurde plötzlich angesichts des ruhig forschenden Blickes unsicher. Aber in der nächsten Sekunde hatte er sich schon wieder klargemacht, daß er ja kein beliebiger Mann war, der Bettina zur Frau begehrte, sondern der Graf Speerau. Schließlich hieß Bettina nur Claudius und stammte aus dem Dorfschulhaus.
Konrad von Zweilinden würde ihm das Mädel mit Kußhand geben.
Also los! Sein Zögern war töricht.
Er schnellte von seinem Stuhl hoch, nahm Haltung an, sagte mit Ernst und Wichtigkeit: „Herr von Zweilinden, ich bin heute mit einer großen Bitte hierher zu Ihnen gekommen, und ich hoffe, Sie werden sie mir erfüllen. Ich liebe Ihre Pflegetochter Bettina und bitte Sie um deren Hand. Ich möchte gleich noch hinzufügen, auch Bettina liebt mich.“ Er blieb stehen, sah den Gutsherrn von Zweilinden erwartungsvoll und doch sicher an.
Dieser schwieg zunächst, strich ein paarmal über sein Kinn, als überzeuge er sich, ob es auch gut rasiert war, und erwiderte dann: „Setzen Sie sich nur wieder, Herr Graf. Machen wir die Angelegenheit in Ruhe und Gemütlichkeit ab.“
Wulf Speerau lächelte. Na also, das ging ja ganz gut! Er war auch für Ruhe und Gemütlichkeit.
Er nahm wieder Platz und glaubte nicht recht zu hören, als Konrad Zweilinden in festem Tone fortfuhr: „Wir sind Gutsnachbarn, und mit Ihrem Vater war ich angenehm befreundet; deshalb wollen wir uns nicht veruneinigen; aber Bettina kann ich Ihnen leider nicht zur Frau geben.“
„Und warum nicht?“ fragte der andere.
Sein Gesicht sah plötzlich sehr fahl und scharfzügig aus.
„Wollen Sie mir in Ihrem Interesse die Antwort nicht lieber erlassen?“
„Nein, es wäre beleidigend für mich, Herr von Zweilinden, wenn Sie mir die Antwort auf meine Frage verweigern würden.“
In der Stimme des Grafen schwang Erregung.
Konrad von Zweilinden brummte: „Sie täten klüger, nicht so neugierig zu sein, aber ganz, wie Sie wollen. Also, mein bester Graf, Sie führen ein zu unsolides Leben.“
Der andere wollte eine heftige Erwiderung geben, doch eine Handbewegung gebot ihm Schweigen.
„Lassen Sie mich ausreden. Erst waren Sie neugierig; nun dürfen Sie mich auch nicht gleich unterbrechen. Ich wiederhole Ihnen, Sie führen ein zu unsolides Leben. Nicht auf Schloß Wiesenthal, bewahre, das halten Sie rein, so klug sind Sie, aber in Frankfurt toben Sie sich aus und versuchen sich immer noch die Hörner abzurennen, die Sie sich nach meiner Ansicht längst abgerannt haben müßten.“
Jetzt konnte Wulf Speerau doch nicht mehr schweigen.
„Wer hat mich so infam bei Ihnen angeschwärzt und verleumdet? Nennen Sie mir den Namen des Schuftes, Herr von Zweilinden, damit ich mich mit ihm auf meine Art auseinandersetzen kann.“
Der Gutsherr lächelte ein wenig.
„Niemand hat Sie verleumdet und angeschwärzt. Niemand. Ich habe nur bemerkt, daß Sie sich seit einiger Zeit bemühten, Bettina Raupen in den Kopf zu setzen, und anfangs ließ ich auch alles gehen, denn ich hatte nichts Ernstliches gegen Sie einzuwenden. Dann fiel mir einmal auf, daß sich da um Ihre Lippen die kleinen Fältchen schärfer ausprägten, als es eigentlich zu Ihren dreißig Jahren paßt, und eines Tages sah ich Sie in Frankfurt mit einem sehr angemalten Dämchen ein Haus betreten in etwas anrüchiger Gegend. Ich fuhr mit dem Auto durch diese Straße. Da wurde ich mißtrauisch und ließ Sie ein Weilchen überwachen, gut überwachen, denn das liebe Geschöpf, die Bettina, soll keinen Menschen heiraten, der nicht ganz koscher ist. Und so kam heraus, was mich jetzt veranlaßt, Ihnen mit einem glatten Nein zu antworten. Sie führen eine Art Doppelleben, verehrter Herr Graf, was ja für Sie seine Reize haben mag, mir aber an einem Schwiegersohn nicht gefallen würde. Auf Wiesenthal mimen Sie den braven Landjunker, und in Frankfurt erholen Sie sich von den Strapazen der Bravheit in den Armen diverser Lulus, Lilis und Mimis. An einem Abend haben Sie zum Beispiel fünfzehntausend Mark verloren, und am nächsten Tag haben Sie bei ’nem Wucherer in Frankfurt, im Gäßchengewirr unten am Main, noch ’ne Hypothek auf den letzten Schornstein von Wiesenthal ’raufgewuchtet.
So, jetzt wissen Sie Bescheid. Gegen mein Nein gibt es keinen Einspruch. Ich helfe nicht dazu, das Mädel ins Unglück zu stoßen. Bettina tut mir leid, wenn sie sich wirklich in Sie verliebt hat, wie Sie vorhin sagten; aber sie ist jung, sie wird vergessen.“
Wulf Speerau wäre am liebsten mit den Fäusten auf den Mann losgegangen, der alle seine Zukunftspläne mit ein paar Sätzen umwarf, doch er nahm sich zusammen und bat fast demütig: „Gut, Herr von Zweilinden, ich habe ein bißchen leichtsinnig gelebt, ich gebe es zu, ich liebe indes Bettina sehr und werde ihretwegen ein völlig anderer Mensch werden. Ich verspreche Ihnen, genau so zu leben, wie Sie es haben wollen.“
Der Gutsherr schüttelte den Kopf.
„In Ihrem Alter kriecht man nicht mehr so ganz aus seiner Haut heraus, dazu ist sie schon zu fest gewachsen. Nein, nein, zu Experimenten habe ich kein Vertrauen. Um Wiesenthal steht es sehr schlecht, und Sie rechnen damit, daß Bettina eine reiche Erbin ist und ihre Mitgift nicht zu knapp ausfallen dürfte.“
Wulf von Speerau erhob sich.
„Sie beleidigen mich, Herr von Zweilinden.“
„Ich stelle nur Dinge fest, die naheliegen“, war die ruhige Antwort. „Bettina werde ich den Grund mitteilen, der mich veranlaßt hat, Ihnen meine Zustimmung zur Ehe mit ihr zu verweigern. Sie ist vernünftig und wird sich freiwillig fügen.“
Der Graf nahm sich mit aller Kraft zusammen; aber die Wut, daß dieser Besuch so geendet, erstickte ihn fast. Er konnte kein Wort mehr sprechen, verneigte sich nur stumm und verließ hastig das Zimmer.
Ins Freie wollte er, allein sein, um nachzudenken, wie er den Entschluß des Pflegevaters Bettinas ändern konnte. Er mußte ein Mittel dazu finden.
Er brachte es noch fertig, dem Diener, der ihm Hut und Mantel aushändigte und den er seit Jahren kannte, ein paar freundliche Worte zu sagen.