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DAS KLEID I

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Es klingelte lange. Sie wartete ab. Wieder klingelte es. Der Abend warf mit Leuchtreklamen um sich. Strahlende verschiedenfarbige Buchstaben, die plötzlich aufblinkten, einer nach dem anderen, und der bestirnte Markenname eines Kaugummis leckte am blondierten Haar der Frau. Die Frau kauerte in einem Sessel. Direkt neben ihr, an der Wand, war der Lichtschalter. Zum Greifen nahe. Aber die Frau hockte reglos in dem weichen Sessel und versuchte zum ersten Mal in ihrem Leben, sich im Spiel der Schatten zu vergessen. Dämmerung, plötzlich aufscheinende Buchstaben, Leuchtreklame, die in dem Zimmer geometrische Lichter mit Schatten ausstreute, und wieder Dämmerung, die in verschiedenen Tonlagen schrie. Vor dem Fenster heulte die abendliche Stadt. Die Stadt, die den Frieden liebte. Den Lärm. Das Geld. Den plötzlichen Tod.

Genau dieses ungeklärte Problem des Todes versetzte die blondierte Frau in lang anhaltende Erstarrung, diese Frau, die eine Abneigung gegen die Dämmerung hatte. Denn sie liebte das helle Licht, die schnelle Bewegung, rote Lippen, breite männliche Schultern und das garantierte Lächeln von weißen Zähnen. Doch an diesem Abend hockte sie einsam in ihrem Zimmer und knüllte einen Stofffetzen zusammen. Dieser Fetzen hatte sich früher einmal Kleid genannt. Der Künstler, der das Muster auf dem Stoff gemalt hatte, hatte es von tropischen Pflanzen in einer Orangerie abgeschaut. Deshalb wuchsen auf dem gelben Hintergrund des ehemaligen Kleids üppige bronzefarbene Blumen, die ein wenig aussahen wie Sonnenblumen. Vor dem Krieg hatte dieses Muster Erfolg, der Künstler konnte sich einen roten Sportwagen leisten. Dieses Kleid hatte er der blondierten Frau Jack gekauft. Ein breitschultriger, garantiert lächelnder Baseballvirtuose.

»Es steht dir, Darling!« – Der Satz war auf der Straße gefallen und sofort im Lärm der Stadt untergegangen. Doch das letzte Wort, Darling, grub sich in ihr Gedächtnis ein. Jack hatte es zum ersten Mal ausgesprochen. Dann gingen die beiden ins Kino. Auf der Leinwand küssten sich schön gepflegte und frisierte Paare. Jack drückte ihre Hand, und sie spürte, wie seine starken Muskeln bebten. Im Kino haben sich die beiden nicht geküsst. Es geschah später, in einer halbdunklen Gasse, an einem Zigarettenautomaten. Und dann … Dann haben die beiden geheiratet, und einige Zeit später wurden die Straßen von der Kriegserklärung überschwemmt. Jack umarmte sie fest, blitzte mit seinen soliden Zähnen und ging fort. Den Krieg erlernen. Noch ein paar kurze, heiße Wiedersehen, und er flog fort. In den Krieg. Mit einem viermotorigen Bombenflugzeug.

Anfangs war die blonde Frau erschüttert. Tagsüber arbeitete sie in dem immer gleichen Büro einer Fabrik, tagsüber benutzte sie gewissenhaft immer den gleichen Lippenstift von ein und derselben Firma, das immer gleiche, antrainierte Lächeln (traurige Augen, wunderbare Zähne), doch die immer gleichen trüben Abende setzten ihr zu, mit dem ständigen Gedanken, der sich nicht vertreiben ließ:

»Jack ist nicht da, er fliegt, und … wer weiß …«

Später beruhigte sich die blonde Frau, oft konnte man sie im Kreis ihrer Freundinnen fröhlich krakeelen sehen, und die fett gedruckten Nachrichten in den Zeitungen schrien:

»Der Krieg ist bald zu Ende, gleich, gleich ist der lästige Krieg vorbei!«

Apokalyptische Variationen

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