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DIE STILLE DER NACHT

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Du öffnest die Augen, vielleicht weil sich dein Herz zusammenschnürt. Plötzlich erwacht, allein, in einer hellen Nacht, sagst du, wieder und wieder: »Wie still es ist …«

Warum bist du aufgewacht? Tiefe Ruhe erfüllt dein Zimmer, und auf deinen Armen liegt der Abglanz der Sterne. Die Sterne stehen hoch am Himmel, ihre himmlischen, suchenden Strahlen bringen Seligkeit. Aber als sie deine ohnmächtigen Arme fanden, bist du erschauert. Der winzige Muskel an deinem linken Augenlid zuckt jetzt noch. Warum? Die Sterne stehen so hoch am Himmel, und das Licht des Himmels ist so segensreich.

Weißt du es nicht? Dann schlaf wieder ein und öffne nachts die Augen nicht, wenn die Gardinen reglos an den Fenstern hängen wie die Gewänder von Statuen. Schlafe, bis der Tag heraufzieht. Am Tag wird die scharfe Sonne die Erde peitschen, in grellen Farben werden die Pflanzen und die Dinge schreien, und die Menschen werden schimpfen und lachen.

Beruhige dich, ruh dich aus, ich stehe dir bei, ich bin die Stille der Nacht. Es gelingt dir nicht? Deine Augen sind tief wie Brunnen in den Bergen, dein Blick dringt durch den Gardinenspalt, du horchst bis es schmerzt, und es kommt dir so vor, als würdest du hören. Du hast recht. Jetzt leben jene, die Er bestattet hat, und Sein Thron ist über den Sternen. Sie sind ruhlos, auch nach dem Tod.

Sie sind verflucht und wissen selbst nicht warum. Wenn du nicht schläfst, dann hör zu, achte nicht auf diesen winzigen Muskel an deinem linken Augenlid, der so hartnäckig zuckt.

Psst … Hörst du? Dort, vor dem Fenster, geht ein toter Soldat. Seine weit aufgerissenen Augen sind blind, ein Flammenwerfer hat sie ausgebrannt. Er geht mit lautlosen Schritten, dieser arme Blinde, und er sucht sein Zuhause. Täusch ihn nicht, beweg dich nicht, sonst könnte der Soldat meinen, dass die Wellen der Gardinen von schlanken kleinen Händen geteilt werden. Bleib liegen. Er weiß ja nicht, der arme Blinde, er weiß nicht, dass der Krieg sein Zuhause verweht hat. Er tastet sich mit den Händen voran, jetzt befühlt er eine Kletterrose, die an der Hauswand blüht. Die Rose ist weich, wie die Haare seines Kindes. Weißt du, warum der Soldat sein Zuhause sucht? Er möchte die Haare des Kinds betasten und sie langsam streicheln, so langsam wie diese Kletterrose hier. Der arme Blinde … poch, poch … und wieder poch, poch …

Ich frage dich, ich, die Stille der Nacht, hörst du dieses schwache Klopfen an einer Mauerwand? Fern von hier kriecht ein kleines Kind umher, das Kind des Soldaten, es wurde in einem Bunker verschüttet, es sucht nach seiner Mutter. Das Kind zittert, ihm ist kalt, es wurde ja nur im Hemdchen hinausgetragen, es bittet um den warmen Körper seiner Mutter. Poch, poch … die ganze Nacht hindurch, zu mehr ist es nicht imstande, dieses dumme Kindchen in dem schmutzigen Hemdchen. Weißt du, dass die beiden sich niemals mehr begegnen werden? Der Fluch wird aufgezeichnet für die Ewigkeit, und Er, der diesen Fluch ausspricht, ist groß und mächtig.

Pssst … Wo siehst du hin? Ah, du schaust durch den Gardinenspalt zu dem fahlen Stern. Ja, du würdest ihn gern vom Himmel holen und an die Brust drücken. Du glaubst, der fahle Stern könnte deine verblassende Hoffnung erwärmen und sie würde kühn und unsterblich brennen wie ein Feuer auf einem Berggipfel. Weißt du, dass denselben Stern ein Mensch gesehen hat, als er verhungerte? Einer von denen, die aufgelesen wurden wie Holzscheite. Weißt du, wie er sich danach gesehnt hat, dieses traurige silberne Licht nicht sehen zu müssen, aber er konnte sich nicht mehr bewegen, er hat auf dem Rücken gelegen, dieser gequälte Mensch, und gierig auf seinen Tod gewartet. Er wurde ruhig und seufzte froh, als kurz vor dem Tod bunte Kreise das weiße Silber erstickten. Doch Er, der den Fluch ausspricht, Er ist erbarmungslos. Unweit von deinem Zuhause ist ein Friedhof. Dort ist einer von denen verscharrt, die wie Holzscheite aufgelesen wurden. Und jetzt liegt er dort auf dem Rücken, und das weiße Licht des Sterns dringt unnachgiebig durch die Erde und brennt in seinen Augenhöhlen. Denn Er, der den Fluch ausspricht, Er mag die Qual.

Warum leuchten deine Augen auf? Ah, im Haus der Nachbarin ist ein fröhliches Licht angegangen. Ein angenehmes, alltägliches. Und dir ist leichter. Jetzt vertreibst du mich, die Stille der Nacht, jetzt machst du mir Vorwürfe, jetzt verstreust du Worte. Du sagst, dieses Land sei so wunderbar ruhig, es sei kaum berührt vom Krieg, die Menschen hier hätten das Lächeln nicht vergessen und würden Blumen pflanzen. Du sagst: Sie seien oft sanft wie schnurrende Katzen. Ja, im Haus deiner Nachbarin ist das Licht angegangen. An und wieder aus. Dort sind zwei Liebende vereint. Jetzt liebkosen sie einander, leidenschaftlich und glücklich. Du kennst sie, deine Nachbarin, sie grüßt dich jeden Morgen mit Gottes Namen. Ich sehe, du freust dich und erinnerst dich an das alte, eingepaukte Sprichwort – die Liebe ist stärker als der Tod. Aber siehst du denn den Mann nicht, der sich an die Mauer drückt? Es ist der Ehemann deiner Nachbarin, er beobachtet die Verliebten. Du meinst, er sieht ruhig zu, die Hände in die Taschen gesteckt. Weißt du, dass er nicht imstande wäre, sie so leidenschaftlich zu liebkosen wie der Neue?

Ich flüstere dir zu, ich – die Stille der Nacht: Der Mann deiner Nachbarin hat keine Hände mehr. Sie wurden ihm abgeschnitten, im Winter, im hohen Norden, weißt du, dass es dort im Winter furchtbar kalt ist? Dann ist er gestorben, wie viele Häftlinge, und seine unstillbare Sehnsucht hat ihn hierher geführt. Du meinst, er würde seelenruhig zusehen, die Hände in den Taschen? Ich sage dir, ich, die Stille der Nacht, was dieser ruhige Mann sich wünscht. Er wünscht, er hätte wenigstens eine Hand, denn auch die Leblosen vergießen schmerzliche Tränen, und er kann sie sich nicht abwischen. Doch Er, der den Fluch ausspricht, verzieht nur die Mundwinkel zu einem Lächeln.

Pssst … Beweg dich nicht. Besser nicht. Er ist groß und böse.

Richte deinen Blick auf diese Mauer. Du schaust nach Nordosten. Dort, im Nordosten, wachsen Kiefern und Fichten, Birken und Weiden. Dort riecht es nach Harz und nach Moos, dort würdest du gern herumtollen, wie früher, und fröhlich krakeelen. Dort ist ein Wald in deinem Land. Dort steht eine hohe, eine sehr hohe Fichte, sie ist so schlank wie ein siebzehnjähriges Mädchen, und unter der Fichte tollt dein Bruder herum. Ein Fremder hat ihn erschossen. Er tollt herum, bis er erstarrt und neben ihm eine Frau kniet, die sich aus Verzweiflung die Lippen zerbissen hat. Über ihr Kinn laufen kleine Rinnsale von Blut, sie erreichen die Delle in ihrem Kinn, und das Blut tropft auf den Gestorbenen. Du weißt, die Frau sagt immer und immer wieder dasselbe:

»Wir sind vergessen, wir sind vergessen, wir sind vergessen.«

Ihre Gedanken werden verworren, Wahnsinn ergreift sie.

Doch Er, der den Fluch ausspricht, verzieht nur die Mundwinkel zu einem Lächeln. Er sitzt oben, hoch oben, höher als die weißen Sterne, und Seine Augenhöhlen sind finster. Niemand hat je Seine Augen gesehen. Er sitzt da mit verschränkten Armen, unbarmherzig und höhnisch, und Er gestattet es nicht, für immer zu sterben.

Pssst … Beweg dich nicht. Ich weiß, du möchtest aus dem Bett springen, du möchtest Ihm drohen und laut schreien, dass Er es hört, dass Er sich regt, dort oben, über den weißen Sternen, dass Er erklärt:

Warum ist das so?

Du musst wissen, dass Er, der diesen Fluch ausspricht, ängstlich ist. Er wird mit dir nicht offen kämpfen. Er wird es dir vergelten, ohne das Geheimnis zu lüften. Er wird dich dazu bringen, deinen Menschenbruder zu vernichten, und dieser wird lachen an deinem Leichnam.

Pssst … Hör genau hin. Ich werde leise flüstern, ich – die Stille der Nacht. Ich sage dir:

Warum ist es so?

Weil … Er sich fürchtet vor dir, weil du nicht aus Ihm geboren bist, weil du ein Mensch bist und weil du in dir den Funken eines einst bezwungenen Gottes trägst. Erinnerst du dich an die alten Legenden, die heiligen Schriften? Dort gibt es immer zwei Namen. Dort gibt es immer zwei, die miteinander ringen. Osiris und Seth, Ahura Mazda und Ahriman, Gott und Satan. Erinnerst du dich an das Märchen vom Paradies, das Märchen vom Goldenen Zeitalter? Das ist sehr lange her, und Er, der den Fluch ausspricht, hat gesiegt. Und dieser zweite – Er lächelt zufrieden, sitzt über den weißen Sternen, erbarmungslos und höhnisch, und Er straft die Menschen, denn sie tragen einen Funken des besiegten Gottes in sich.

Doch … vielleicht, eines Tages … Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht – ich, die Stille der Nacht, aber wenn diese Funken den Himmel entzünden, dann geht Sein Thron über den weißen Sternen vielleicht in Flammen auf. Und vielleicht ersteht dann der Gott des Lichts wieder auf.

Pssst … Er könnte es hören. Beweg dich nicht. Schlaf besser wieder ein. Und öffne in einer hellen Nacht die Augen nicht, wenn dein Herz beklommen ist. Möge es still sein, mögen die Gardinen vor dem Fenster reglos herabhängen wie die Gewänder einer Statue.

Apokalyptische Variationen

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