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VI

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Genau ein Jahr später saß die Frau mit dem gefärbten Haar in ihrem weichen Sessel, knüllte im Schattenspiel der bestirnten Kaugummireklame den Stofffetzen zusammen, der sich früher einmal Kleid genannt hatte, und dachte über das ungeklärte Problem des Todes nach. Ihr ursprünglicher Schmerz war abgeklungen, und die Gleichgültigkeit, die ihn verdrängt hatte, war bedrückend. Genau ein Jahr – nichts als die Arbeit. Nur manchmal ein belangloses Vergnügen – Kino oder Baden, sonst nichts. Nein, dieser quälende Fetzen, der sich früher einmal …

Es klingelte, lange und hartnäckig, wie vor einem Jahr. Wie vor einem Jahr rappelte sich die Frau aus dem Sessel auf, nur dieses Mal mit ruhigen, bedachten Bewegungen, sie drückte auf den Lichtschalter und betrachtete sich im Spiegel. Ihre schlanke Figur und das gepflegte Gesicht waren schön. Ihre üppigen, verheißungsvollen Lippen waren gerötet, und das gefärbte Haar passte zu dem frisch gepuderten Oval. Die Frau ging mit festen, gleichmäßigen Schritten in den Flur. Das einzige Anzeichen ihrer Geistesabwesenheit war der Stofffetzen in ihrer linken Hand. Vor der Tür, im trüben Licht des Korridors, warfen zwei bebrillte, schmächtige Wesen mit Wörtern um sich. Sie faselten etwas von der Armut im fernen Europa, von Hilfsgütern, von Kleidung. Die Frau mit dem gepflegten Gesicht verstand nicht gleich, was man von ihr wollte. Da zeigte eines der schmächtigen Wesen auf den zerknitterten Stofffetzen in ihrer Hand und erstarrte erwartungsvoll. So standen die drei menschlichen Gestalten eine Weile herum. Dann schleuderte die eine – die mit dem gepflegten Gesicht – das ehemalige Kleid fort. Die Brillenträger fingen es geschickt auf und verschwanden wieder faselnd im Fahrstuhl. Die Zurückgebliebene klammerte sich an die Tür, ihrer Kehle entwich ein seltsames Geräusch. Plötzlich kamen ihr die Tränen, es waren so viele, dass Puder, Creme und Lippenstift zu einer bunten Masse zusammenliefen. Diese menschliche Maske im trüben Licht des Korridors war furchtbar und alt. Vor Tausenden von Jahren haben mit den gleichen furchtbaren Masken im trüben Schein der verlöschenden Feuerstellen die Urfrauen vor Schmerz geschrien, die ihre Männer – die Krieger – verloren hatten.

Und hinter den Wänden brüllte in den verschiedensten Tonlagen die Stadt. Die Stadt, die den Frieden liebte. Den Lärm. Das Geld. Den schnellen Tod.

Apokalyptische Variationen

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