Читать книгу Wie die Sonne in der Nacht - Antje Babendererde - Страница 11

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4. Kapitel


Rabengekrächz von meinem Balkon weckte mich am nächsten Morgen. Zambo bettelte um sein Frühstück.

Ich war noch schlaftrunken und die Ereignisse der Nacht kamen mir wie ein bizarrer Traum vor, doch dann fiel mein Blick auf das Pfefferspray, und ich wusste, dass ich nicht geträumt hatte.

War der sonderbare Junge im Haus? Ich lauschte, hörte jedoch nichts als Zambos Gezeter. Entschlossen schlüpfte ich in meine Sachen, schnappte mir das Pfefferspray und horchte an der Tür. Alles still in der oberen Etage.

Leise schloss ich auf, trat in den Flur und horchte wieder. Nichts. Systematisch durchforstete ich das ganze Haus, um sicherzugehen, dass der Indianer auch wirklich verschwunden war. Ich ging in jedes Zimmer, jede Kammer, blickte in jeden Schrank und unter die Betten. Im Gästezimmer setzte ich mich auf das Bett und roch an der Decke. Salbei und Wildtier.

Er war nicht mehr da, doch statt Erleichterung spürte ich so etwas wie Bedauern. Nun würde ich nie erfahren, wer mein geheimnisumwitterter Gast war, woher er kam und was ihm widerfahren war.

Im Wohnzimmer stellte ich den Fernseher an und schaltete auf einen Regionalsender, aber in den Meldungen kam nichts über einen vermissten Indianerjungen.

Beim Frühstück blätterte ich die Rio Grande Sun von vorne bis hinten durch, um vielleicht irgendeinen Hinweis auf seine Identität zu finden. Eine Zeitungsnotiz über jemanden, der aus einer psychiatrischen Klinik abgehauen war, Eltern, die ihren verstörten Sohn vermissten, oder irgendeine Schießerei in der näheren Umgebung. Doch ich fand nichts dergleichen. Auch meine Suche im Netz blieb ohne Ergebnis.

Schließlich kam mir das rotbraune Tattoo auf dem Unterarm des Jungen in den Sinn, und ich wusste sogar wieder, wo ich es schon mal gesehen hatte: Stern, Halbmond und Handabdruck, diese drei Symbole befanden sich an einer Felswand im Chaco Canyon, einem National Historical Park, rund zweihundert Meilen von hier. Laut David stellte die Felszeichnung vermutlich die Abbildung einer Supernova aus dem elften Jahrhundert dar. Wow.

David hatte an einem sonnigen Apriltag mit Rosaria und mir einen Tag im Chaco verbracht, einem Hochtal, das einst das kulturelle Zentrum der geheimnisvollen und sagenumwobenen Kultur der Anasazi gewesen war, die ihre Blütezeit vor tausend Jahren in den Four Corners hatte, dem Vierländereck, in dem die Bundesstaaten Utah, Colorado, New Mexico und Arizona aufeinandertreffen.

Das plötzliche Verschwinden der Anasazi zweihundert Jahre später gab den Forschern bis heute Rätsel auf. Diese Leute waren in der Lage gewesen, den Verlauf der Sonne, des Mondes und der Gestirne zu errechnen, und sie hatten ihre Dörfer und ihre kilometerlangen Handelsstraßen danach ausgerichtet. Ihr Leben und ihre Zeremonien waren von diesem astronomischen Wissen durchdrungen gewesen. Allerdings waren die Anasazi keineswegs so friedlich, wie man lange Zeit angenommen hatte. Anhand von menschlichen Überresten im Chaco hatte ein Anthropologe Anzeichen für Kannibalismus nachgewiesen.

Etwas war damals gehörig aus dem Ruder gelaufen, und vielleicht war das der Grund für das plötzliche Verschwinden der Anasazi, die ihre geheimnisvollen Städte und sonst nichts als Abertausende Tonscherben, ein paar Knochen und ihre Geheimnisse hinterlassen hatten. Laut David war nur ein Bruchteil der alten Wohnstätten ausgegraben. Viele Schätze und staubige Knochen warteten noch im Wüstenboden oder in verborgenen Felsenhöhlen.

Vielleicht hatten ja ein paar Anasazi unbemerkt überlebt und der junge Mann war einer von ihnen. Ausgesehen hatte er so – na ja, ausgenommen die ramponierten Jeans natürlich. Oh verdammt, meine Fantasie ging schon wieder mit mir durch und ich rief mich in die Wirklichkeit zurück.

Über Nacht war mein Entschluss gereift, meine Solotour durchzuziehen. Es war eine Herausforderung, denn ich würde ganz auf mich gestellt sein. Als ich Nils kennenlernte, wollte ich wie er sein. Ich hatte mich an seiner Seite verändert, war mutiger geworden. Doch nun wollte ich vor allem ich selbst sein. Wer das war, würde ich vielleicht auf dieser kleinen Reise herausfinden.

Ich beschloss, am Nachmittag aufzubrechen. Eine Nacht im Chaco war kein schlechter Start. Das Wochenende war fast vorbei und deshalb hatte ich gute Chancen auf einen der wenigen begehrten Zeltplätze im Canyon. Mein Handy klingelte, es war Ma. Sie erzählte mir, dass meine Oma verwirrt auf der Straße aufgegriffen worden war und sie nun nach einem Heimplatz für sie suchte.

»Aber wir haben doch genug Platz, jetzt wo Papa nicht mehr bei uns wohnt«, protestierte ich. »Warum kann Oma nicht bei uns leben? Ich kümmere mich um sie, wenn ich wieder da bin.«

»Wie soll das gehen, Marie-Johanna? Ich arbeite und du bist in der Schule. Oma wäre stundenlang allein, aber sie ist inzwischen so dement, dass sie rund um die Uhr Betreuung braucht. Erst gestern hat sie mir eine Weihnachtskarte geschickt.«

Mist. Innerlich fluchte ich. Vielleicht hätte ich besser für Oma Inge kämpfen können, wenn ich zu Hause gewesen wäre. Doch statt um Oma Inge kümmerte ich mich um ein fremdes Haus. Ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass es für meine Oma keine andere Möglichkeit gab, als ihre letzten Tage in einem Heim zu verbringen. Aber ich kannte auch meine Mutter. Was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, zog sie durch, da half aller Protest nicht. Schließlich hatte ich diese Eigenschaft von ihr geerbt.

»Grüß sie von mir, und sag ihr, dass ich bald zurückkomme und sie besuchen werde.«

»Erwarte nicht zu viel«, sagte meine Mutter. »Manchmal weiß Oma nicht einmal mehr, dass ich ihre Tochter bin.«

Ich schluckte und meine Augen füllten sich mit Tränen. In den letzten Monaten war es offensichtlich rapide bergab gegangen mit meiner Oma. Wenn ich erst wieder zu Hause war, würde ich mich um sie kümmern, und ich war sicher, dass sie mich wiedererkennen würde. Schließlich war ich ihre einzige Enkelin.

»Ist Nils schon da?«, erkundigte sich Ma.

»Er kommt heute Abend«, log ich. »Ich hole ihn vom Flughafen ab.«

»Es gefällt mir gar nicht, dass ihr ganz alleine in der Gegend herumfahren wollt.«

Jetzt bloß nichts anmerken lassen, Mara. »Mach dir keine Gedanken, Mama. Ich bin in New Mexico, hier gibt es nur nette Menschen. Ich kenne keinen Einzigen, der Trump gewählt hat.«

»Trotzdem tragen alle Schusswaffen mit sich herum.«

»Du guckst zu viele amerikanische Filme, Mama.«

»Pass auf dich auf, Liebes!«

»Klar doch.«

Sie seufzte. »Ich muss jetzt los.«

»Tschüss«, sagte ich, legte auf und stieß erleichtert Luft durch die Zähne. Ich hatte meine Mutter angelogen. Wenn herauskam – und es würde herauskommen –, dass Nils gar nicht geflogen und ich ganz allein unterwegs war, würde sie mir das nie verzeihen.

Egal, ich würde es durchziehen. Mit den Elliots war alles abgesprochen. Josefita, die Haushälterin, hatte einen Schlüssel. Sie würde nach dem Rechten sehen, Pilgrim und Zambo füttern und die Pflanzen gießen.

Ich konnte ein paar Tage weg sein, ohne dass jemand etwas merkte. Josefita würde ich von unterwegs aus anrufen, damit sie nicht auf die Idee kam, Nils kennenlernen zu wollen. Aber bevor ich aufbrechen konnte, musste ich noch ein paar Dinge erledigen. Ein bisschen Ordnung im Haus schaffen, verderbliche Lebensmittel in die Kühlbox packen, den Kater und den Raben füttern.

Obwohl Pilgrims Futternapf am Morgen immer leer gewesen war, hatte ich ihn die letzten beiden Tage nicht gesehen. Ich holte das Katzenfutter aus dem Küchenschrank, öffnete die Terrassentür und rief nach ihm.

Kaum hatte ich die Schüssel mit Trockenfutter gefüllt, kam Zambo angeflogen. Er holte sich einzelne Brekkies und tauchte sie in den Wassernapf, bevor er sie vertilgte.

»Das ist aber nicht dein Futternapf«, rügte ich ihn.

»Pendejo«, krächzte er. Dummkopf.

Ich lachte.

Schließlich erschien Pilgrim zwischen den Terrakottatöpfen und der Rabe flog schimpfend davon. Dem roten Kater fehlte ein halbes Ohr und sein Katzenkörper war voller Narben. Er war ein Kämpfer. Offensichtlich war er ziemlich ausgehungert – trotz meiner täglichen Futtergaben – und er stürzte sich wie wild auf sein Fressen. Ich ging in die Knie und streichelte seinen knotigen, angespannten Körper, murmelte ein paar Koseworte.

Als ich mich wieder erhob, stand er plötzlich da, mein geheimnisvoller Stalker – stumm wie eine hölzerne Statue.

»Ach du Scheiße!«, stieß ich erschrocken hervor. »Musst du dich so anschleichen?«

Er war kein Junge aus einer meiner Geschichten. Ich roch ihn. Er war echt. Gänsehaut überzog meinen Körper.

Im Licht der Morgensonne sah er dreckig und verwildert aus und kam mir vor wie ein halb verhungertes Tier. In seinen großen, leicht schrägen Augen lag Bestürzung. Sein misstrauischer Blick wanderte zwischen mir und dem roten Kater, der heißhungrig sein Futter verschlang, hin und her. Keine Ahnung, wieso, aber ich war mir auf einmal ziemlich sicher, dass es nicht der Rabe gewesen war, der Pilgrims Mahlzeiten verputzt hatte. In mir gluckste ein Lachen.

»Da bist du also wieder«, sagte ich, um die Konversation, auch wenn sie einseitig war, am Laufen zu halten. Auf einmal merkte ich, wie seine Augen unverfroren in meinen Ausschnitt starrten. Verdammt, dachte ich für eine Schrecksekunde, so harmlos, wie ich mir eingeredet hatte, war der junge Mann offensichtlich doch nicht.

Aber dann wurde mir schlagartig klar, was er anstarrte. Nicht meine Brüste, sondern den Kokopelli. Ich trug den silbernen Anhänger um den Hals, der ihm gehörte. Schnell griff ich mir mit beiden Händen in den Nacken und löste das Band.

»Ich habe ihn am Straßenrand gefunden, er gehört dir, nicht wahr?« Mit einem aufmunternden Lächeln reichte ich dem Jungen den silbernen Flötenspieler.

Auf seinem Gesicht zeichnete sich eine ganze Reihe verschiedener Ausdrücke ab, bevor er zögerlich die Hand ausstreckte. Als unsere Finger sich berührten, zuckte er zusammen und ich spürte, wie ein Funke übersprang.

Dann war der Kokopelli wieder in seinem Besitz.

Als das Fuchsmädchen ihm zulächelte, fühlte er die Welt unter seinen Füßen wanken. Als ihre Finger die seinen berührten, jagte ein Blitz durch seinen ganzen Körper, der ihn beinah umwarf. Er bekam kaum noch Luft und sein Herz raste, aber seine rechte Hand schloss sich um den Kokopelli, während die Linke instinktiv nach dem Nachtstein in seiner Hosentasche tastete.

Der Obsidian war noch an seinem Platz, die Apachenträne, die ihn gegen Hexenzauber schützte. Raben kommunizieren nur mit Hexen und das Mädchen hatte eindeutig mit dem Raben gesprochen. Außerdem hatte sie kleine braune Punkte auf der Nase und einen silbernen Ring im linken Nasenflügel, der bestimmt irgendeinen Zauber bedeutete.

Obwohl sie ihm unheimlich war, fand er Mara schön. Sie war anders, so vollkommen anders. Alles an ihr war fremd und geheimnisvoll. Die eidechsengrünen Augen, die rostroten Haare und die mondweißen Brüste, die er dauernd vor sich sah, seit er Mara gestern eine Ewigkeit lang beim Umziehen beobachtet hatte. Er hatte Angst gehabt, entdeckt zu werden, doch nicht hinsehen war unmöglich gewesen.

Heute wurden ihre Brüste von einem ärmellosen türkisfarbenen Hemd notdürftig verhüllt, doch das rotbraune Fuchstattoo lugte unter dem dünnen Träger hervor.

Hexen konnten finstere Mächte um sich herum weben wie dunkle Schatten. Manchmal sprangen sie durch geflochtene Weidenreifen, um Tiergestalt anzunehmen, und in dieser Gestalt entwickelten sie ungeheure Kräfte, mit denen sie anderen Schaden zufügen konnten.

War das Fuchsmädchen eine bruja, eine Hexe? Würde sie gleich vor seinen Augen Tiergestalt annehmen und versuchen, ihn mit ihren Zauberkräften zu verwandeln? Es gab Hexen, die mit einem Wort oder einem Blick töten konnten.

Trau keinem Menschen, vor allem keiner Frau!, warnte ihn eine körperlose Stimme in seinem Kopf. Sie können sehr hübsch aussehen, doch wenn du ihnen zu nahe kommst, stehlen sie dein Herz und deine Seele und machen dich krank.

Er fühlte sich krank. Und das kam nicht nur von den Schrammen und Prellungen, die er am ganzen Körper hatte, oder von der schmerzhaften Wunde in seinem Arm. Er hatte das Gefühl, an einer furchtbaren Krankheit zu leiden, an der er unweigerlich sterben musste. Auf seinen Körper hatte er sich bisher immer verlassen können, doch nun spielte er verrückt.

Das seltsame Mädchen hatte ihn verhext, anders konnte er sich nicht erklären, was mit ihm passierte. Der fehlende Atem, das Herzrasen, seine Wortlosigkeit. In Maras Gegenwart konnte er sich nicht einmal an seinen eigenen Namen erinnern.

Plötzlich vernahm er ein hohles Knurren und verspannte sich. Doch das Mädchen verwandelte sich nicht in ein Tier – es war bloß sein leerer Magen, der sich lautstark meldete. Maras Augen sprühten grünes Feuer und ein kehliger, klangvoller Laut kam aus ihrer Brust. Sie lachte über das ganze Gesicht. Ihr Lachen brach den Bann, und er merkte, dass er sich wieder bewegen konnte.

»Du hast Hunger«, stellte sie fest. »Na komm mit, es ist noch was von Lucias köstlicher Hühner-Posole übrig.«

Mara ging ins Haus, und obwohl sie ihm nicht geheuer war, folgte er ihr. Er blieb mit dem Fuß an der kleinen Schwelle unter der Verandatür hängen und kam fast ins Straucheln, so schwach war er vor Hunger und vom Blutverlust.

In der offenen Küche näherte er sich Mara bis auf ein paar Meter. War auf der Hut, für den Fall, dass ihre Freundlichkeit nur ein Trick war. Stumm sah er zu, wie sie einen Topf aus dem Kühlschrank holte und ihn auf den Herd stellte. Schon bald stieg ihm der köstliche Duft von Hühnerfleisch und grünem Chili in die Nase.

Mara schnitt Brot und rührte die Posole um. Dabei wandte sie ihm einige Mal den Rücken zu, und er starrte auf ihr verrücktes Haar, das ohne den Halt der Silberspange wild und rot in alle Himmelsrichtungen springen würde. Er konnte sich nicht erinnern, schon mal jemanden mit solchen Haaren gesehen zu haben. Allerdings konnte er sich ja auch sonst an nicht viel erinnern.

Als es aus dem Topf dampfte, füllte Mara eine Schüssel mit Suppe und stellte sie auf den großen Holztisch. Dazu ein bunter Teller mit drei dicken Scheiben dunklem Brot.

»Na, setz dich schon und hau rein!«, sagte sie und hockte sich mit angezogenen Knien auf einen der Stühle, die auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches standen. Sie kannte keine Scheu, sah ihm schon wieder direkt in die Augen, sodass er den Blick abwenden musste.

Der köstliche Duft ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen und er musste unaufhörlich schlucken. Sein Magen meldete sich erneut mit einem dumpfen Grollen. Außer diesen süßen Bonbons, von denen ihm schlecht geworden war, und dem Katzenfutter, hatte er schon seit Langem nichts Richtiges mehr gegessen. Nun wühlte der Hunger in seinem Magen wie ein Kojote, der eine Maus ausgrub.

Er hatte keine Ahnung, wie er sich verhalten sollte. Ob er das Mädchen direkt anschauen sollte oder besser nicht. Mara nickte ihm aufmunternd zu und er setzte sich. Griff nach dem Löffel und einer Scheibe Brot. Aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Was, wenn das Fuchsmädchen ihm unbemerkt etwas ins Essen getan hatte?

Die Angst nagte an seinen Eingeweiden mit dem Hunger um die Wette und er bekam Schluckauf. Von einer Hexe gereichte Speisen konnten vergiftet sein. Brujas griffen zu jedem Mittel, um Macht über jemanden zu bekommen, dem sie schaden wollten.

Mara lachte schon wieder und ihr ganzes Wesen leuchtete dabei. »Jemand denkt an dich«, sagte sie. »Wahrscheinlich deine Freundin.«

Sie sprach Englisch, trotzdem verstand er manchmal nicht, was sie meinte. Die Sprache der Anglos barg zu viele Fallen, doch Maras Mädchenstimme faszinierte ihn. Sie war wie sonnenwarmer Regen, eine Stimme, die seine Ängste schmelzen ließ. Warum sollte das Fuchsmädchen ihm schaden wollen? Schließlich hatte er sie vor diesem Idioten gerettet, der Dinge getan hatte, die sie nicht wollte und die zu verhindern sie offenbar nicht genug Macht besessen hatte.

Ohnehin: Hexen wirken bei Nacht und er hatte bereits zwei Nächte mit ihr unter einem Dach verbracht, ohne dass sie sich oder ihn verwandelt hatte. Außerdem war er hungrig … nein, ausgehungert traf es wohl besser.

»Worauf wartest du denn noch?«, fragte Mara ungeduldig. »Iss!«

Kayemo beschloss, es zu riskieren. Am ersten Löffel verbrannte er sich Gaumen und Kehle und der Schmerz trieb ihm Tränen in die Augen. Doch er ließ sich nichts anmerken. Iss!, hatte sie gesagt, also aß er. Biss ins Brot, um den Schmerz zu lindern. Suppe und Brot schmeckten köstlich, viel besser als Katzenfutter und Bonbons. Er vergaß alle Vorsicht und schlang das Essen in sich hinein. Dabei verschluckte er sich und hustete.

»Mach langsam!«, sagte Mara kopfschüttelnd. »Es ist noch genug da.«

Sein Magen füllte sich, und es schien ihm, als füllte sich auch die Leere in seinem Inneren. Der Kokopelli war wieder in seinem Besitz, dadurch kam er sich nicht mehr ganz so verloren vor. Aus irgendeinem Grund wusste er, dass der silberne Anhänger wichtig für ihn war, auch wenn er keine Ahnung hatte, in welchem Zusammenhang.

Auf einmal wurde er gewahr, wie Mara ihn mit ihren grünen Augen unverwandt anstarrte. Blicke, denen er nicht entkommen konnte. Er schluckte schwer an einem Bissen Brot. Was wollte sie von ihm? Warum sah sie ihn so an, wie kein Mädchen einen Jungen ansehen sollte? Er hatte das Gefühl, sie könne ihm bis auf die Knochen sehen.

Hexen können Gedanken lesen und man kann nichts vor ihnen verbergen. Als die körperlose Stimme sich diesmal meldete, hörte er einfach nicht hin.

»Du bist wohl nicht sonderlich mitteilsam, was?«

Er schluckte trocken.

»Wie dem auch sei, ich möchte, dass du eins weißt«, sagte Mara. »Ich bin froh, dass du Ronnie in die Flucht geschlagen hast. Er ist ein Arschloch.«

Arschloch?

»Du verstehst mich doch, oder?«

Die Worte verstand er, aber einiges von dem, was Mara sagte, klang ziemlich verwirrend.

»Verrätst du mir, wie du heißt?«

Wenn er nur gekonnt hätte, dann hätte er ihr seinen Namen gesagt – Kayemo – doch er wusste nicht mehr, wie das ging: sprechen. Seine wunde Zunge lag ihm wie eine Kröte im Mund. Er bewegte die Lippen und benutzte seine Hände, aber Mara sah ihn nur verständnislos an.

»Sag mal, kannst du vielleicht gar nicht sprechen?« Das Grün ihrer Augen wurde dunkel und ihre Stimme war auf einmal voller Mitgefühl.

Rasch schüttelte Kayemo den Kopf. Froh, dass die Fragen nun ein Ende haben würden. Doch Mara stand auf und ging zum Küchenschrank, öffnete eine Schublade und kam mit einem gelben Schreibblock und einem Stift zurück. Beides legte sie vor ihm auf den Tisch.

»Aber schreiben kannst du doch?«

Sie sah ihn hoffnungsvoll an, und weil er sie nicht enttäuschen wollte, schob er die leere Schüssel zur Seite und zog den Block heran.

Kayemo schrieb er und drehte den Block um, damit sie seinen Namen lesen konnte.

»Kayemo.« Maras Gesicht strahlte. »Ein seltsamer Name, aber er gefällt mir. Woher kommt er?«

Woher sein Name kam?

»Ich meine, hat er eine Bedeutung?«, wollte sie wissen. »Mein Name – Mara – hat viele Bedeutungen. Traum zum Beispiel, oder Meer oder einfach nur Frau.

TraumMeerFrau. Er zog den Block zu sich heran und schrieb: Fallende Blätter.

Mara las und betrachtete ihn mit schief gelegtem Kopf. »Fallende Blätter – krass. Und dein Nachname? Du hast doch sicher auch einen Nachnamen.«

Sie sprach betont langsam und sehr deutlich, als wäre er schwerhörig oder begriffsstutzig. Kayemo versuchte, sich daran zu erinnern, ob er einen Nachnamen hatte, was ihm jedoch nicht gelang. Also schüttelte er den Kopf.

»Na gut, dann eben nur Kayemo«, sagte Mara. »Und wo kommst du her?«

Angestrengt dachte er nach, versuchte verzweifelt herauszufinden, woher er kam und warum er hier in der Stadt war. Doch seine Erinnerung beschränkte sich auf ganze drei oder vier Tage. Immer wieder dachte er: Ich muss nach Hause. Und gleich darauf: Wo ist das?

»Soll ich jemanden für dich anrufen?«, fragte Mara.

Anrufen? Irritiert schüttelte er den Kopf.

»Aber du musst doch Familie haben – oder wenigstens Freunde.«

Tief in Kayemos Inneren regte sich ein Schmerz, doch er wusste nicht, warum.

»Weißt du, wer auf dich geschossen hat? Bist du überfallen worden?«

Jetzt, wo Mara seine Verletzung erwähnte, spürte er wieder das Pochen und Kribbeln in seinem Oberarm. Der Arzt im Krankenhaus hatte ihm dieselbe Frage gestellt, und er hatte keine Antwort gewusst, noch hätte er sie aussprechen können. Daran hatte sich nichts geändert.

Kayemo zog den Block zu sich heran und schrieb: ich kann mich an nichts erinnern.

»Aber warum bist du aus dem Krankenhaus abgehauen?«

Von Maras Fragen und seinem Kopfschütteln wurde Kayemo ganz schwindlig. Was konnte er antworten, um sie zufriedenzustellen? Der Doktor hatte ihm eine Nadel in den Hintern gejagt, dann hatte er leise mit der Schwester gesprochen, hatte geglaubt, sein Patient könne ihn nicht hören. Doch Kayemo hatte das Gehör einer Fledermaus.

Der Junge hat eine Schusswunde, das muss ich der Polizei melden. Vermutlich werden sie ihn einsperren, aber das ist nicht unser Problem. Machen Sie einfach weiter und lassen Sie sich nichts anmerken …

Als der Doktor den Raum verlassen hatte und die Schwester ihm für einen Moment den Rücken zuwandte, war Kayemo durch das offene Fenster hinaus auf den Parkplatz geflohen.

Er griff zum Stift und zeichnete flink eine große Spritze.

Mara lachte, offenbar war das also eine gute Antwort. »Du hast Angst vor Spritzen«, sagte sie, »deshalb bist du weggelaufen.«

Kayemo sah in ihre Augen, die wie grüne Feuer leuchteten, wenn sie lachte. Pure Magie.

Ich habe Angst vor allem hier, auch vor dir, dachte er. Weil du aus einer fremden Welt stammst und ich keine Ahnung habe, wie ich in meine zurückfinden kann.

»Und wie bist du hierhergekommen? Wie hast du mich überhaupt gefunden?«

Draußen, auf dem Krankenhausparkplatz, war Kayemo ein zweites Mal knapp einem Zusammenstoß mit einem Auto entkommen. Und dann hatte er das Mädchen mit den roten Haaren wiedergesehen, als es gerade aus dem Pick-up gestiegen war.

Kayemo zeichnete den Truck und wie er auf die Ladepritsche kletterte. Er hatte sich unter der alten Plane versteckt, die dort lag, und gewartet. Hatte gehofft, das Mädchen würde wieder dort entlangfahren, wo es ihn gefunden hatte. Stattdessen waren sie hier, in diesem Haus gelandet, von dem er nicht mehr wusste, ob es Zuflucht oder Falle war.

Neugierig darauf, wie andere Menschen lebten, war er durch die Räume gestreift und hatte sich alles angesehen und ausprobiert. Die Toilette mit der Wasserspülung, die bequemen Sessel, das Bett mit der weichen Matratze. Er hatte die Fotos an den Wänden studiert und sein Gesicht im Spiegel betrachtet. In der Küche gab es überall Nahrung, doch er hatte nicht zu essen gewagt, aus Angst, die Lebensmittel könnten vergiftet sein.

Nur den Bonbons hatte er nicht widerstehen können und dann war ihm schlecht geworden davon. Geschlafen hatte er in einem Zimmer mit einer Tür, die in den Garten führte, damit er unbemerkt hinein- und hinausschlüpfen konnte.

»So einfach war das also«, murmelte ich nachdenklich.

Mein geheimnisumwitterter Gast hieß Kayemo – Fallende Blätter, und mehr schien er selbst nicht über sich zu wissen. Hatte er im Bad vor dem Spiegel gestanden, seine Hand an das kalte Glas gedrückt und sich gefragt, wer er war?

Komisch, aber ich glaubte ihm. Kayemo – stumm und unwirklich wie ein fremdes Wesen aus einer anderen Zeit, das nur so aussah wie ein Junge. Wachsam wie ein scheues Tier.

Irgendwo war er verloren gegangen, und der Zufall hatte es gewollt, dass ausgerechnet ich ihn finde. Halbmond, Stern, Handabdruck, die Chaco-Symbole auf seinem Arm befeuerten meine Fantasie und meine Neugier. War Kayemo ein Zeitreisender, ein Wanderer zwischen den Welten? Waren böse Mächte hinter ihm her? Zu meinem eigenen Leidwesen glaubte ich nicht an solche Dinge.

Doch woher kam er und was mochte ihm zugestoßen sein? Hatte ein traumatisches Ereignis seine Erinnerungen gelöscht? Kayemos Verletzungen, der Gedächtnisverlust und die Tatsache, dass er stumm war, riefen etwas in mir wach. Vielleicht war es Mitleid oder Neugier, vielleicht auch etwas ganz anderes. Ich wollte ihn so gerne berühren, um sicherzugehen, dass er real war, doch ich hatte Angst, dass er sich dann wieder in Luft auflösen könnte.

»Was machen wir denn jetzt mit dir?«, murmelte ich nachdenklich.

Verunsichert sah er sich um, ob noch jemand im Haus war.

»Ich könnte dich ein wenig mit dem Auto in der Gegend herumfahren«, schlug ich vor, »vielleicht hilft das deinem Gedächtnis auf die Sprünge. Aber so dreckig und halb nackt kannst du nicht unter Menschen gehen. Ich muss deine Wunde verbinden und du brauchst etwas zum Anziehen.«

Kayemo sah an sich herunter, und es schien, als würde er jetzt erst begreifen, wie er aussah. Er musste unter die Dusche und brauchte ein T-Shirt und andere Hosen, denn seine Jeans waren so weit jenseits von Vintage, dass er damit unweigerlich aufgefallen wäre, sogar in Taos.

Ich wusste, dass Lucia in der Garage Kartons mit Kleiderspenden aufbewahrte. Ausrangierte Klamotten von ihren zahlreichen Freundinnen, die sie in regelmäßigen Abständen einem gemeinnützigen Verein in Albuquerque brachte. Vielleicht war ja etwas Brauchbares für Kayemo darunter.

Ich nahm ihn also mit in die Garage und wir sahen die Sachen durch. Kayemo entschied sich für eine Levi’s und ein langärmeliges grünes T-Shirt mit einem Comic-Roadrunner und der Aufschrift SUPERBIRD darauf. Ich fischte noch zwei weitere T-Shirts und eine warme grüne Fleecejacke aus den Spendenkisten. Zuletzt durchforstete ich das Schuhregal der Elliots und fand ein Paar schwarze Chucks in der passenden Größe, die neu aussahen und hoffentlich nicht zu Davids Lieblingsschuhen gehörten.

»Und jetzt wird geduscht«, sagte ich, als wir wieder im Flur standen. »Das Bad ist da drüben«, ich deutete auf eine Tür. »Aber das weißt du sicher schon. Frische Handtücher liegen im Regal.«

Kayemo verschwand mit den Klamotten im Bad und schloss die Tür hinter sich. Ich wartete einen Moment, dann schlich ich mich hin und lauschte. Hörte nichts. Gar nichts. Was machte er dadrin? Keine Toilettenspülung, kein Wasserrauschen. Als die Tür plötzlich aufging, holte ich geräuschvoll Luft und machte einen Satz zurück.

»Ähm … stimmt was nicht?«

Er trug nur ein Handtuch um die Hüften und seine Lippen formten die Worte: Kannst du mir helfen?

»Beim Duschen?«, stotterte ich verlegen und hoffte, dass mein Gesicht nicht so rot war, wie es sich anfühlte.

Kayemo ging ins Bad zurück, trat vor die offene Duschkabine und deutete auf die chromglänzenden Armaturen. Es war eine dieser raffinierten Massageduschen, ausgestattet mit sieben Düsen, die in alle Richtungen Wasser versprühen. Zuerst war ich auch nicht mit den futuristisch anmutenden Armaturen klargekommen, deshalb wusste ich sofort, was er von mir wollte.

Ich erklärte ihm, wie die Hebel und Knöpfe funktionierten, und hoffte, dass er es kapierte, denn vorführen konnte ich es ihm schließlich nicht. Nachdem ich noch eine neue, eingeschweißte Zahnbürste aus einer Schublade geholt und Kayemo gegeben hatte, verließ ich fluchtartig das Bad, blieb aber wieder hinter der Tür stehen, um zu lauschen. Diesmal hörte ich das Rauschen des Wassers.

Ich glaube, das war der Moment, der meine letzten Zweifel wegspülte. Kayemo hatte sich nicht im Bad eingeschlossen. Wer er auch war, zu fürchten brauchte ich mich nicht vor ihm. Abgesehen von seinen Augen, seinem Haar und seiner Haut war nichts Dunkles an ihm.

Nach einer halben Stunde wurde ich unruhig und klopfte an der Tür. Kayemo öffnete mir und ich stieß einen leisen Schrei aus, als ich die Überschwemmung sah. Offensichtlich hatte er beim Duschen die Tür der Duschkabine nicht geschlossen. Na super!

Bestürzt sah er mich an, schien jedoch nicht zu wissen, was mein Problem war.

»Schon gut«, brummte ich, »das lässt sich aufwischen.«

Das Haar hing Kayemo in glatten, feucht glänzenden Strähnen bis über die Schulter. Der silberne Kokopelli lag auf seiner Brust. Sein dunkler, kantiger Oberkörper war von blauen Flecken, Abschürfungen und unzähligen kleinen Narben übersät. Helle Striche und Haken, die wie geheimnisvolle Schriftzeichen in seine Haut geritzt waren. Auf seinen Armen und dem flachen Bauch zeichneten sich Muskeln ab, doch ich konnte seine Rippen zählen, so dünn war er.

Ich starrte ihn an, die Neugier war stärker als mein Taktgefühl. Kayemos Magerkeit, die blauen Flecken, die Schrammen und diese merkwürdigen Narben auf seiner Brust – sofort entstand ein neues, finsteres Szenario für seinen Gedächtnisverlust in meinem Kopf.

Vielleicht hatte sich seine Familie dafür geschämt, dass er nicht sprechen konnte, und hatte ihn versteckt gehalten. Vielleicht hatte er hungern müssen, war misshandelt worden und hatte es schließlich geschafft, abzuhauen. Dabei hatte irgendwer eine Kugel auf ihn abgefeuert, weil er verhindern wollte, dass alles ans Licht kam.

So abwegig war mein Gedanke gar nicht. Erst vor ein paar Wochen war die Geschichte von zwei Brüdern aus Oregon durch die Presse gegangen, die – von ihrem eigenen Vater entführt – jahrelang in einem Wohnwagen im Wald gehaust hatten, zusammen mit zwei großen Hunden. Der Vater ließ die beiden meist allein, sodass ihre einzige Gesellschaft die Hunde waren. Als man die Jungen schließlich fand, knurrten und bellten sie und weigerten sich zu sprechen.

Auf einmal wurde mir bewusst, wie unangenehm es Kayemo sein musste, so angestarrt zu werden, und mein Blick wanderte verlegen nach unten. Seine Hosenbeine schleiften auf dem Boden und der Saum hatte sich eine Handbreit mit Wasser vollgesogen. Seine schmutzigen Jeans lagen in einer trüben Wasserlache. Ich ging in die Knie, um mit dem nassen Handtuch notdürftig den Boden trocken zu wischen. Dann steckte ich es zusammen mit den Jeans und den Klamotten aus der Kleiderkiste in die Waschmaschine und stellte das Programm ein.

Kayemo stieß einen ungläubigen Laut aus. Er ließ sich auf den Badewannenrand sinken und starrte wie hypnotisiert auf die rotierende Trommel mit der nassen Wäsche darin, als hätte er so etwas noch nie gesehen.

Irgendetwas stimmte nicht mit ihm, da war ich mir sicher. Okay, er schien harmlos, aber etwas stimmte nicht. Ganz und gar nicht.

Finde es raus, Mara! Du hast alle Zeit der Welt.

Mein Blick fiel auf die tiefe Kerbe im oberen Teil seines linken Oberarms. Die Streifwunde brauchte einen Verband, bevor ich mich mit ihm in die Öffentlichkeit wagte. Ich holte Wundspray und Verbandsmaterial aus dem Badezimmerschrank. Als ich seinen Arm berührte, zuckte Kayemo zusammen.

»Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte ich, »aber es ist besser, ich verbinde das.«

Kayemo sah mich an, und ich entdeckte etwas in seinen Augen, das ich zuvor schon wahrgenommen hatte. Es war, als schien er sich auf seltsame Art vor mir zu fürchten.

Nur warum?

Die körperlose Stimme in seinem Kopf warnte Kayemo davor, dass Hexen einen Mann auf diese Weise einfangen: mit ihren Blicken und den Versprechungen darin. Wenn du so einer gegenüberstehst, dann dreh dich um und lauf!

In seinen Ohren begann es zu rauschen, und erneut konnte er Maras Macht spüren, ihren Zauber, mit dem sie ihn bannte. Doch der Nachtstein, der steckte in der Vordertasche seiner alten Jeans und die wirbelten gerade in der Waschmaschine herum. Nun war er Mara gnadenlos ausgeliefert, sie hatte ihn zu völliger Willenlosigkeit verhext. Nicht einen Zentimeter konnte er sich bewegen, während sie seinen Arm hielt und mit interessiertem Blick die blutige Scharte begutachtete.

»Ich glaube, sie heilt.« Mara lächelte, aber dann sprühte sie etwas aus einer kleinen Dose auf die Wunde und sein Arm brannte wie Feuer. Er zog scharf die Luft ein und seine Armmuskeln spannten sich.

»Das ist ein Wundspray«, bemerkte Mara entschuldigend, »damit sich die Verletzung nicht entzündet. Ich hätte dir vorher sagen müssen, dass es ein bisschen brennt.«

Ein bisschen? Kayemo biss die Zähne zusammen, spürte, wie der Schmerz nachließ und zu einem dumpfen Pochen wurde. Sein Mund war trocken, und er hatte das Gefühl, nicht mehr genug Luft zu bekommen. Mara legte ihm einen Verband an. Ihre Nähe betäubte den Schmerz und trieb ihm Schweißperlen auf die Stirn. Während sie sich mit konzentriertem Gesichtsausdruck seiner Verletzung widmete, starrte er wie paralysiert auf das kleine Fuchstattoo.

Es befand sich jetzt direkt vor seiner Nase, und obwohl Mara sich um ihn kümmerte, kam sich Kayemo vor wie ein verwundetes Tier in der Falle.

Wie die Sonne in der Nacht

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