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Am nächsten Morgen finde ich in der Küche eine Eierschachtel, einen schönen blauen schottischen Fünfpfundschein mit zwei Makrelen darauf und einen Zettel mit der Bitte, bei Brigid Munro Eier zu holen.

Leider hat sich das Wetter über Nacht nicht geändert und ich beschließe, noch zu warten, bevor ich losgehe. Ich checke mein E-Mail-Postfach, aber es gibt keine Nachricht von Dr. Heller. Abgesehen von Ma und ihrer Ärztin haben nur das Jugendamt und Pavel, der tschechische Student in unserer Wohnung, meine Mailadresse und meine neue Handynummer.

Gegen zehn lässt der Regen nach und ich mache mich auf den Weg zum alten Pfarrhaus. Als ich durch die weiße Pforte auf die Old Manse Road trete, streift mein Blick über nassgetränktes Land. Von dunklen Steinmauern über wollige Schafleiber bis zum See, über dessen Oberfläche Nebelfetzen wabern wie tanzende Feen in seidenen Gewändern. Die Hügel im Hintergrund sind noch regenverhangen, doch die Sonne kämpft sich bereits durch die Wolken. Nie ist dieser Blick gleich. Es ist das magische Licht in all seinen Farben, das ihn von Stunde zu Stunde verändert. Oder das fehlende Licht.

Brigid Munros bunte Hühnerschar pickt überall im Gras und zerstreut sich gackernd, als ich näher komme. Ich öffne das schmiedeeiserne Tor und laufe über den Plattenweg, der zum Eingang auf der Rückseite des Hauses führt. Wieder liegt dieser schwere, undefinierbare Geruch in der Luft. Hinter dem Haus, an die westliche Grundstücksmauer gedrückt, steht ein alter, ziemlich baufälliger Hühnerstall, neben dem ich unter einer Plane die Reste eines Torfstapels entdecke. Ziegelsteingroße schwarze Torfstücke, säuberlich übereinandergeschichtet. Daher der brandige Geruch. Sollte die alte Frau dieses riesige Haus tatsächlich noch mit Torf beheizen? Unterwegs hatte Gran mir Torfstiche im Moor gezeigt, lange, scharf begrenzte schwarze Gräben, in denen sich dunkles Moorwasser sammelt. Daneben die zum Trocknen aufgestapelten Torfstücke.

Hinter einer niedrigen Mauer entdecke ich einen wunderschönen Garten mit Blumen, Kräutern, mannshohen Sträuchern, Weißdorn und Ebereschen. Am Boden windet sich eine Spirale aus schneeweißen, faustgroßen Kieselsteinen. Windspiele aus Seeglas, die von Zweigen hängen, klimpern leise im Wind. Fergus, der rot getigerte Kater aus der Choco Factory, streicht um Brigids Beine, während die alte Frau sich damit abmüht, einen großen Sack Mulch zur Steinspirale zu wuchten.

»Hallo!«, rufe ich. »Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Ich schlüpfe durch die hühnerdichte, hölzerne Pforte, packe mit an und gemeinsam schleppen wir den Sack zur Spirale. Ächzend richtet die alte Frau sich auf und streicht mit dem Unterarm eine weiße Haarsträhne aus dem runzligen Gesicht.

»Danke, mein Mädchen.« Sie betrachtet mich mit einem fast wehmütigen Lächeln.

»Ishbel«, platze ich heraus. »Sie ist meine Großtante.«

Brigid nickt. »Aye, ich weiß.« Mit einem Messer schlitzt sie ein Loch in den Sack, gräbt ihre Hände hinein und beginnt, Mulch in den Zwischenräumen der Steinspirale zu verteilen.

Ich tue es ihr nach und bringe vorsichtig Rindenstücke zwischen die weißen Kiesel. »Wissen Sie, ob sie noch lebt?«

Brigid hält inne und schüttelt den Kopf. »Tut mir leid, Carlin. Aber vor einem Jahr bekam ich einen Brief von einer Frau aus Amerika, die schrieb, dass Ishbel gestorben sei.«

Ich schlucke meine Enttäuschung herunter. »Können Sie mir etwas über meine Großtante erzählen?«, frage ich. »Haben Sie sie gut gekannt?«

Brigid mustert mich und über ihren blauen Blick zieht ein Schatten. Sie reibt sich den Dreck von den Händen und weist auf den Eierkarton, den ich auf einem Stein abgelegt habe. »Du willst Eier holen für deine Granny? Na, dann komm.«

Im Hühnerstall riecht es nach frischem Heu und Hühnerkacke. Im Austausch gegen die leere Eierschachtel bekomme ich eine volle Packung und drücke Brigid die blaue Fünfpfundnote in die Hand. Offenbar hat sie nicht vor, meine Fragen zu beantworten, aber ich bin mir sicher, dass sie sie gehört hat.

»Hast du Lust auf einen Tee, mein Mädchen?«, fragt sie stattdessen. »Ich habe frische Scones gebacken.«

»Gerne«, erwidere ich, ohne auch nur einen Moment zu zögern.

Als Brigid mir voran ins Haus geht, erzählt sie, dass einer ihrer Vorfahren um 1730 herum Schulmeister an der Pfarrschule am Loch Croispol war, der ersten freien Schule in den Highlands bis zu den Vertreibungen. Ihr Großvater hatte das Old Manse schließlich gekauft, samt einem großen Stück Land, das den See mit einschließt.

»Loch Croispol?«, frage ich. »Ist das der See, an dessen Ufer der Mörder gehängt wurde?«

»Aye. Er, aber auch viele Unschuldige.« Brigid humpelt leicht und ich muss daran denken, was Gran mir von diesem nächtlichen Überfall erzählt hat. »Ich habe meine Kindheit hier verbracht«, fährt sie fort, »bis ich vierzehn war und meine Eltern mit mir nach Inverness zogen. Nach der Schule habe ich eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht, und als mein Großvater starb, vermachte er mir das Haus und das Land. Ich war gerade zweiundzwanzig geworden, und als ich erfuhr, dass man hier eine Gemeindeschwester braucht, bin ich nach Caladale zurückgekehrt. Tja, mehr als ein halbes Jahrhundert lebe ich nun schon hier – und habe nie wirklich dazugehört.«

Als wir das Haus betreten, registriere ich, dass die große Haustür nicht mehr richtig schließt und Brigid sie offenbar innen mit einer Kette verhängt. In der kleinen Eingangshalle mit schwarz-weißem Fliesenboden im Schachbrettmuster und einem teppichbespannten Treppenaufgang wechselt Brigid von ihren Gartenschuhen in gefütterte Hausschuhe. Ich ziehe meine Schnürstiefel aus und gehe auf Socken weiter. Durch eine Flügeltür führt die alte Frau mich in einen Raum, der früher einmal der Salon gewesen sein muss.

»Hier halte ich mich die meiste Zeit auf.« Brigid macht eine umgreifende Handbewegung. »Die Gasheizung ist vor ein paar Wochen kaputtgegangen, deshalb feure ich mit Torf.« Sie zeigt auf die tiefschwarzen Torfstücke in einem dicht geflochtenen Korb neben dem Kamin. »Zum Glück wird bald Sommer.«

Mein Blick streift über die umlaufende, halbhohe Holzvertäfelung, über alte Heizkörper, weiß gestrichene Sprossenfenster, eine dunkle Anrichte und hohe, berstend gefüllte Bücherregale. Eine offene Flügeltür führt in den Wintergarten, aus dem pflanzengrünes Licht in den Salon fällt.

An den einst hellblauen Wänden hängen dicht an dicht Drucke und Grafiken. Vor dem Kamin, in dem die Reste eines Torffeuers glimmen, stehen ein abgewetztes Ledersofa und zwei dazugehörige Sessel im Tartanlook. Alles wirkt abgewohnt und die Oberflächen könnten ein Staubtuch gebrauchen. Aber ich finde es ungeheuer gemütlich.

»Ich bin gleich wieder da«, sagt Brigid. »Sieh dich ruhig um.«

Kurz überlege ich, ihr meine Hilfe anzubieten, doch da bleibt mein Blick an ein paar gerahmten Fotografien kleben, die auf der Anrichte stehen. Als ich näher trete, fällt mir meine Großtante Ishbel sofort ins Auge. Auf dem Foto muss sie etwas älter sein als ich, vielleicht Anfang zwanzig, aber die Ähnlichkeit zwischen uns ist verblüffend. Ishbel und Brigid lachen Wange an Wange voller strahlender Lebensfreude in die Kamera. Wow. Sie müssen sich wirklich gut gekannt haben. Ich kann es kaum erwarten, mehr über die beiden Frauen zu erfahren.

Auf den anderen Fotos ist Brigid als Kind mit ihren Eltern zu sehen und auf einem als junge Frau mit einem Mann, der ihr Großvater sein muss. Kein Ehemann, keine Kinder.

Brigid kommt mit einem Tablett zurück, darauf eine Teekanne, zwei Tassen, Scones und zwei Schälchen, eins mit Erdbeermarmelade und das andere mit Clotted Cream, dickem Rahm. Die frisch gebackenen Scones duften und mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Wir setzen uns in die beiden gepolsterten Korbstühle im Wintergarten an einen runden Holztisch, auf dem eine schöne Keramikschale mit unregelmäßigem Rand steht, und räumen alles auf den Tisch.

»Greif zu«, fordert Brigid mich auf. »Ist ein Rezept von meiner Mutter.«

Ich bestreiche mir ein Scone mit Marmelade und Clotted Cream. Die salzig-süßen Gebäckstücke schmecken genauso köstlich, wie sie duften. In diesem Moment dringt ein Sonnenstrahl durch die Wolken, fällt auf den türkisgrünen Boden der Keramikschale und verfängt sich im netzartigen Muster, das die feinen Risse im Glas bilden. Das Glas funkelt wie blaugrüne Juwelen und ich muss unwillkürlich an Arrans Augen denken. Meine Finger streichen über den Glasboden der Schale.

»Ishbel hat sie gemacht«, sagt Brigid. »Deine Großtante hat eine Weile bei einer Keramikerin in der Künstlerkolonie gearbeitet, um alles über Ton und Glasuren zu lernen. Die Schale ist das Einzige, was mir von ihr geblieben ist.«

»Das Glas, wie hat sie das gemacht?«

»Das ist Meerglas, Stücke von zerbrochenen Flaschen und alten Glaslichtern. Ishbel hat es nach Stürmen am Strand gesammelt. Bei hohen Temperaturen im Brennofen schmilzt das Glas und beim Abkühlen reißt es. So hat sie es mir jedenfalls damals erklärt.«

»Die Schale ist wunderschön.«

»Aye. Ishbel hat viel ausprobiert, sie wollte unbedingt Künstlerin werden, etwas mit ihren Händen schaffen. Aber ihre Eltern, die hatten andere Pläne mit ihr. Sie sollte einen braven Crofterjungen heiraten und als Bäuerin ihr Dasein fristen.« Brigid nimmt einen Bissen von ihrem Scone und spült mit Tee nach. »Damals, vor sechzig Jahren, als die ersten Kunsthandwerker in die alten Armeegebäude einzogen und Little Caladale entstand, war Ishbel so alt wie du und hellauf begeistert. Die Fremden brachten neue Ideen mit, frischen Wind. Und diese Energie, so hoffte sie, würde die Gemeinschaft der Alteingesessenen erneuern.« Brigid zuckt die Achseln. »Doch die wollten von den neuen Mitbewohnern nichts wissen. Sie fürchteten, Moral und Zusammenhalt würden den Bach runtergehen. Die wildesten Gerüchte machten im Dorf die Runde. In Little Caladale würden Nacktrituale und Druidenbräuche abgehalten.«

Ich muss lachen. »War denn etwas dran an den Gerüchten?«

»Nun, einige der Künstler wohnten hier im Old Manse, während sie versuchten, die Armeegebäude bewohnbar zu machen. Und in den hellen Nächten im Sommer gingen sie nach getaner Arbeit im Loch Croispol baden. So lernten Ishbel und ich uns besser kennen und wir verstanden uns auf Anhieb.« In Brigids Augen liegt ein amüsiertes Funkeln.

»Kannten Sie auch meinen Großvater Malcolm?«

Sie nickt mit gerunzelter Stirn. »Ich lernte Ishbels Bruder kennen, als er sich in den Trimesterferien an einem Drahtzaun die Hand verletzte und ich später die Fäden ziehen musste.«

An die Narbe, den wulstigen weißen Strich in Grandpas rechter Handfläche, kann ich mich noch gut erinnern. Ich hatte sie unter meinen Fingern gespürt, wenn ich mit ihm spazieren gegangen war und er meine Hand gehalten hatte.

»Wann immer Ishbel sich zu Hause loseisen konnte, war sie bei mir oder in der Kolonie. Malcolm gefiel nicht, was seine Schwester da trieb, und er schwang die Moralkeule. Ishbel wechselte damals hin und her zwischen den Welten. Sie war wie der Wind, deine Großtante. Unberechenbar, kompromisslos und voller sprühender Energie. Ishbel sehnte sich nach Fülle und nach Glück. Wenn es um ihre wilden Träume ging, sprach sie immer von ihren blauen Wünschen.« Brigid lächelt.

Blaue Wünsche, denke ich. Darin sind wir uns also auch ähnlich.

»Als wir jedoch gemeinsam mit den Kunsthandwerkern gegen den Bau der Atomanlage Dounreay demonstrierten, geriet Ishbel zwischen die Fronten.«

»Eine Atomanlage?«, frage ich perplex. »Hier?«

»Aye, der britische Traum vom unerschöpflichen Stromquell«, bemerkt Brigid voller Sarkasmus. »Ungefähr achtzig Kilometer östlich von hier, an der Küste bei Thurso.«

Mitte der Sechzigerjahre sollten bei Thurso zwei schnelle Brüter und eine Wiederaufbereitungsanlage gebaut werden. Damals bedeutete das dringend benötigte Arbeitsplätze in einer wirtschaftlich zurückgebliebenen Region. »Die Gefahr für ihre einzigartige Küste wollten nur wenige Einheimische sehen und so wurden Künstler und Dorfbewohner zu Gegnern, bevor sie eine Chance hatten zusammenzuwachsen.«

»Und das Atomkraftwerk?«, frage ich.

»Dounreay wurde gebaut und das Leben ging weiter. Um ihre Überzeugungen zu wahren, hat Ishbel sich mit den Einheimischen und auch mit ihrer Familie entzweit. Für eine Weile haben wir hier im Old Manse zusammengewohnt, entgegen allen Normen und Vorstellungen vom vorgefertigten Leben.« Erinnerungen suchen Brigid heim, ich merke es daran, wie zunehmend schwer ihr das Sprechen fällt.

Trotzdem fasse ich mir ein Herz und stelle die Frage, die mir auf den Nägeln brennt: »Was ist passiert? Warum ging sie nach Amerika?«

»Deine Großtante hatte endgültig genug von Caladale, von ihrer bornierten Familie und … von mir.«

»Und Sie haben nie wieder etwas von ihr gehört bis zu diesem Brief?«

Brigid schüttelt den Kopf.

»Aber wieso nicht?«

»Ich habe etwas getan, das sie mir nicht verzeihen konnte, Carlin. Aber diese Geschichte erzähle ich dir ein anderes Mal. Jetzt will ich mich ein wenig hinlegen. Nach der Gartenarbeit meldet sich immer meine lädierte Hüfte.« Brigid drückt mir die Eierschachtel in die Hand, die ich beinahe vergessen hätte, und bringt mich zur Tür.

»Schließt sie nicht mehr richtig?« Ich deute auf die Kette.

»Aye, sie hat sich verzogen.«

»Gran hat mir von dem Einbruch erzählt. Das muss schlimm für Sie gewesen sein.«

Brigid nickt seufzend. »Tja, bei mir ist nichts zu holen, aber offenbar glauben die Leute etwas anderes. Ich wurde damals wach, weil ich über mir im ersten Stock ein Geräusch hörte. Als der Mann mit der Maske plötzlich da oben auf dem Treppenabsatz stand, habe ich mich furchtbar erschrocken und bin gefallen. Oberschenkelhalsbruch. Der Knochen ist geheilt, doch die Angst, die ist geblieben. Vor dieser Sache war ich eine furchtlose Frau, Carlin.« Bedauern hat sich in ihre Stimme geschlichen.

»Vielleicht weiß ich jemanden, der das mit der Tür wieder hinkriegt.« Dabei denke ich an Gavin MacLeod, der laut Gran alles reparieren kann.

»Nun, bei dem alten Kasten liegt so viel im Argen, dass ich gar nicht weiß, wo ich mit dem Hinkriegen anfangen soll«, versucht Brigid, das ganze Dilemma abzutun.

»Darf ich wiederkommen?«, frage ich. »Ich könnte Ihnen helfen, im Haus mal ordentlich klar Schiff zu machen.«

»Ich würde mich sehr freuen, wenn du wiederkommst, mein Mädchen. Aber nicht um zu putzen, sondern um mir Gesellschaft zu leisten.« Sie schenkt mir ein warmes Lächeln, dann schließt sie die Tür hinter mir und ich höre das Rasseln der Kette.

Weil am Nachmittag immer wieder Regenschauer niedergegangen sind, schlüpfe ich nach dem Abendessen in meine glitzernden Prinzessinnengummistiefel und meine Regenjacke. Ich will hinunter zur Bucht und dabei gleich einen Abstecher zu MacLeod, dem Alleskönner, machen.

Als ich die Straße entlanglaufe, höre ich aus Richtung Dorf ein Fahrzeug kommen und Meridas roter Schopf taucht hinter dem Hügel auf. Sie sitzt auf einem Quadbike und düst geradewegs auf mich zu. Erschrocken springe ich auf den Bürgersteig und schaue kopfschüttelnd ihrem wehenden Feuerhaar hinterher.

Das weiße Tor der Kirche steht sperrangelweit offen und in der Mitte des hell erleuchteten Inneren ist das Gerippe eines kleinen Bootes aufgebockt. MacLeod pinselt daran herum. Der vertraute Geruch von Terpentin steigt mir in die Nase, vermischt mit dem fischigen Geruch von Leinölfirnis.

»Was verschafft mir die Ehre, Lassie?«, fragt der Mann in breitem, schottischem Tonfall, als er mich erblickt. Unter MacLeods blauer Wollmütze quillt dichtes graues Haar hervor. Er hat wettergegerbte Haut und einen wilden Bart. Ich schätze ihn auf Mitte sechzig. Er lächelt.

»Ich brauche Ihre Hilfe«, sage ich, ein wenig irritiert, denn er klingt, als würde er mich kennen, dabei ist es das erste Mal, dass ich ein Wort mit diesem Mann wechsele.

»Schickt dich deine Granny?« Seine Augen leuchten hoffnungsvoll. Vermutlich läuft doch etwas zwischen ihm und Gran.

»Nein, ich …« Verdammt, Carlin, stammel doch nicht so herum. Und wennschon. Für sein Alter sieht er ziemlich gut aus und warum sollte meine schöne Oma keinen Freund haben?

»Immer raus damit, Lassie«, meint MacLeod schmunzelnd. »Worum geht es denn?«

»Ich war heute Vormittag bei Brigid Munro im Old Manse. Ihre Haustür schließt nicht mehr und ich dachte, Sie können sie sich mal ansehen.«

»Brigid Munro?«, stößt er ungläubig hervor. »Du warst bei der alten Hexe, die aus Spucke und Hühnerkot Flüche bastelt?«

»Was?« Entgeistert starre ich ihn an.

»War ein Scherz, Lassie.«

»Dann werden Sie sich die Tür anschauen?«

»Wenn ich zu Brigid Munro gehe, werden mich einige Leute aus dem Dorf nicht mehr als Gemeindevertreter akzeptieren.« Er lacht, aber ich habe das Gefühl, er scherzt nicht. »Hat deine Granny dir nicht erzählt, dass Brigid eine Cailleach ist, eine Wetterhexe? Die Leute haben Angst vor ihr, und wer sich mit ihr abgibt, erscheint ihnen suspekt.«

»So ein Schwachsinn«, erwidere ich ärgerlich. »Die alte Frau ist es, die Angst hat, seit bei ihr eingebrochen wurde. Und sie kann nicht mal ihre Tür abschließen.« Ich werfe MacLeod, der mit sich zu ringen scheint, einen finsteren Blick zu. »Es muss ja niemand wissen«, sage ich, denn so schnell will ich nicht aufgeben.

»Die Leute hier sehen und wissen alles, Lassie. Nichts bleibt unentdeckt.« Er fährt sich mit dreckigen Fingern durch den Bart. »Du warst wirklich bei ihr im Haus?«

Ich zucke die Achseln. »Sie hat mich zu Tee und Scones eingeladen und wir haben uns nett unterhalten.«

»Nett unterhalten, soso.« Ein Anflug von Sorge huscht über MacLeods Gesicht, der mich irritiert. »Na, dann pass nur auf, dass die Leute deine Besuche nicht falsch auslegen.«

»Wie denn auslegen?« Langsam werde ich wütend. »Weil ich mit einer alten, einsamen Frau Tee getrunken habe?«

»Da fragst du Brigid am besten selbst.«

»Das werde ich.« Wütend lasse ich MacLeod stehen und laufe über die Straße, wo ein schmaler Weg zwischen zwei Häusern hinunter zur Bucht führt.


Sommer der blauen Wünsche

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