Читать книгу Gismo, Frauchen und der Rest der Welt - Antje Denker - Страница 4
Start in mein neues Zuhause
ОглавлениеFrauchen:
Hallo Kleiner,
hoffentlich mache ich alles richtig mit deiner Pflege und Erziehung. Du bist mein erster Welpe, alle anderen die ich im Haus hatte waren schon ‚fertig’ erzogen. Ich möchte nichts falsch machen, will dich schützen, dir Liebe und Sicherheit geben, aber dich nicht über behüten. Mal sehen, ob ich das hinbekomme.
Mein neues Zuhause.
Ich bin auf dem Fußweg der vom Haus zur Straße führt. Irgendjemand von meinem Rudel aus drei Menschen, Vater, Mutter, Tochter und meine Hundemutter und meine ältere Hundeschwester, hat die Haustür einen Spalt breit offen gelassen. Ich tapse mit meinen weichen Pfoten auf den alten warmen Klinkersteinen entlang. Die Koordination Beine, Bauch, Po ist nicht so einfach. Aber ich komme mit meinem Wackelgang voran. Es ist Anfang Juli und mollig warm draußen, überall riecht es nach Blumen, Erde und Tieren. Drinnen sind meine Mutter und meine Schwester, aber ich ziehe jetzt mal mein Ding alleine durch. Selbst meine Menschenfamilie ist noch nicht aufgefallen, dass ich auf Tour bin.
Zweidrittel des Weges habe ich schon geschafft, vor mir eine große Weidefläche, hinter der Straße, in Sicht. Die peile ich jetzt mal an. Ein Stück Weg noch. Mist. Was ist das? Ein blauer Kombi versperrt mir die Sicht. Bleibt dort stehen, wo ich über die Straße muss. Beharrlich wackele ich den Weg weiter entlang. Dann höre ich Schritte auf mich zu kommen. Zwei Menschen aus dem blauen Auto. Wer bist Du denn, sagt die Frau. Der Mann brummelt was. Ich will weiter gehen, aber dann höre ich Stimmen, von meinem Menschenrudel aus dem Haus hinter mir. Jetzt werde ich neugierig, vielleicht sollte ich doch wieder zurückgehen und mal nachsehen, was so los ist. Also, den Weg wieder zurück im Wackelgang. Schnell hinter den Menschen rein ins Haus schlüpfen und so tun als wenn ich nie weg war. Sie reden miteinander. Meine Menschenmama sagt, ich sei schon 12 Wochen alt und ganz lieb und würde auch nie alleine auf Tour gehen. Aha, sagt der Mann und kuckt seine Frau an. Die zieht verwundert ihre Augenbrauen hoch. Im nächsten Moment sitze ich vor ihr auf einer kratzigen Fußmatte auf der Beifahrerseite des blauen Autos. Ich fahre gerne Auto, aber jetzt bin ich etwas skeptisch. Ich weiß gar nicht so genau was mich verunsichert, vorsichtshalber behalte ich mal die Frau im Auge.
Verschiedene Gerüche pustet die Lüftungsanlage in den Fußraum. Die Geruchslandschaft verändert sich. Neue Düfte kommen dazu, verdrängen die mir vertrauten Gerüche. Meine feine Nase nimmt sie alle auf, mein kleiner Kopf versucht sie alle zu verarbeiten. Ich lege mich hin und schließe die Augen. Das monotone Motorbrummen lullt mich ein. Mein Kopf wird immer schwerer, ich rolle mich auf der Fußmatte zusammen und schlafe ein.
Ruckartig bin ich wach. Das Brummen fehlt. Die plötzliche Stille hat mich geweckt. Die Beifahrertür geht auf. Eine warme Hand hebt mich aus dem Wagen. Hier war ich noch nie. Es riecht anders, ich sehe und rieche keine anderen Hunde. Sie gehen mit mir durch einen Garten, dann ins Haus. Die Frau gibt mir Trockenfutter in einem Edelstahlnapf zu fressen. Das Futter kenne ich, das ist das Gleiche wie zu Hause, der Napf aber nicht. Aber Essen ist immer eine gute Idee. Dann geht es wieder raus, nach draußen, dann wieder rein nach drinnen. Zwei Menschen habe ich dabei gezählt. An der Frau werde ich mich erst mal orientieren, die war das schließlich mit dem Essen.
Es wird später, ich liege alleine auf einem Kissen auf dem Parkettboden. Die Menschen liegen auf dem breiten Sofa und kucken TV. Ich beobachte ihre Gesichter, auf denen das Fernsehlicht bläulich schimmert. Mir ist langweilig, ich bin müde und schließlich kann ich meine Augen kaum noch aufhalten.
Komm, wir gehen Pipi machen, sagt die Frau und schaut mich an. Sie öffnet die Haustür und geht zusammen mit mir in den Vorgarten. Es ist noch hell, meine Nase wittert die verschiedensten Gerüche. Es raschelt zwischen den Sträuchern, da muss ich mal nachsehen. Ein kleiner Zweig fällt beiseite, den nehme ich mal mit. Sie schaut mich wartend an. Ich lege den Zweig ab, stecke meine Nase zwischen bunten Blumen. Als nächstes fixiere ich ein buntschillerndes Insekt, das auf einem Stück morschen Holz lang krabbelt. Wo war noch mal der Zweig, vielleicht sollte ich den mitnehmen.
Dann nimmt sie mich hoch, trägt mich ins Haus, durch den Flur und setzt mich erst auf dem Parkettboden wieder ab. Abenteuer Vorgarten ist anscheinend für Heute vorbei. Schade. Es war so spannend.
Ich merke wie es in meinem Bauch zwickt. Meine Blase drückt. Konzentriert bleibe ich auf der Stelle, auf der sie mich abgesetzt hat, stehen. Ein warmer Strahl meiner Hundepipi plätschert aufs Eichenmosaikparkett. Der Mann brummelt. Sie hebt mich an. Dabei sehe ich meine Pfütze gelblich auf den glänzenden Holzfußboden schimmern. Mit einem weißen Papiertuch wischt sie meine Pipi weg und bringt mich wieder in den Vorgarten. Da war ich doch schon.
Am nächsten Tag durfte ich länger im Vorgarten verweilen, ich habe dort sogar Pipi gemacht.
Sie hat mich wieder aufgehoben. Mit ihrer rechten Hand hält sie mich an ihren Körper gedrückt, mit der linken Hand hält sie sich am Treppengeländer fest. Es geht gemeinsam die steile Holztreppe in den Keller runter. Hier kann man durch eine Tür in den großen Garten gehen, da das Haus am Hang steht. Sie setzt mich aber drinnen auf einem weichen Kissen ab. Darauf liegt meine Decke die noch von meinem alten zu Hause riecht. Sie sagt was zu mir und streichelt dabei über meinen kleinen Kopf. Im nächsten Moment höre ich wie sie die Treppe hochgeht und hinter sich die Kellertür schließt.
Soll ich etwa jetzt hier alleine bleiben? War das so gedacht? Wo ist meine Mama, meine Schwester und mein Menschenrudel von zu Hause. Die Kälte vom Fliesenfußboden auf dem mein Kissen liegt, kriecht mir bis in mein kleines Herz. Das Sonnenlicht schimmert unheimlich durch ein Fenster, wird immer weniger, saugt die Farben aus dem Raum. Gespenstische Konturen mir unbekannter Gegenstände, deren Gerüche ich nicht kenne bleiben über. Mondlicht färbt Wesen draußen grau ein. Ich versuche mich auf meinem Kissen bleibend, so weit wie es geht, hinter dem Schrank in Sicherheit zu bringen. Raus aus den Schatten der Wesen. Ich habe Angst. Ich war noch nie alleine. Irgendwer war immer da.
Über mir höre ich Stimmen, Schritte, den Fernseher quakende Geräusche abgebend. Ich fiepe, sie hören mich nicht. Ich werde lauter, fange an zu jaulen. Keine Reaktion von oben. Ich lege noch eine Tonlage zu und fange an zu heulen. Mein Miniwolfsgeheul hallt durch den Keller, die Treppe hoch, sickert durch die Fugen in jeden Raum. Nicht aufhören, durchhalten – ich vergesse die dunklen Schattenwesen – höre nur noch meine hohe Stimme. Den Kopf in den Nacken gelegt mit meiner Schnauze eine O geformt, heule ich was das Zeug hält. Das strengt an und das macht müde. Ich rolle mich zusammen, drücke meinen kleinen Kopf in die Decke. Atme die alten Gerüche ein, rieche meine Mama, meine Schwester. Schwer schluckend schlafe ich ein.
Der neue Tag kann nicht früh genug beginnen. Alles ist neu. Neue Gerüche, neue Abenteuer, ich muss nur bei Ihr bleiben, sie nicht aus den Augen verlieren. Das gibt mir Sicherheit. Manchmal trete ich ihr fast von hinten in die Schuhe, oft wartet sie aber auch auf mich, wenn ich nicht so schnell hinterherkomme.
Der Tag vergeht schnell, aber dann kommt die Nacht.
Die Zweite ist so schlimm wie die Erste. Und ich lege mich wieder ins Zeug um mir mit meinem Miniwolfsgeheul Gehör zu verschaffen. Aber nichts passiert. Scheinbar ungehört verhallt mein Gejaule, wird von den Wänden um mich rum zu mir zurückgeworfen.
Die dritte Nacht. Ich vermisse meine Mama und meine Schwester. Ihr Geruch in meiner Decke verblasst. Ich weine, heule, sehne mich nach jemanden der mit mir kuschelt, der mich tröstet. Der Raum ist mir nicht mehr so fremd und so höre ich auf zu heulen und verlasse mutig mein warmes weiches Nest. Ich tapse über die kalten Fliesen Richtung Treppe. Die ist ziemlich steil und zwischen jeder Stufe kann ich durchkucken, dafür schimmert aber auch das Mondlicht auf den grauen Nadelfilzbelag. Ich ziehe mich an den Stufen mit meinen kurzen Beinen hoch. Meinen Kopf auf die nächst höhere Stufe gelegt, rechts und links daneben Vordertatzenkrallen eingehakt, Po und Hinterbeine hoch hievend, geht das gerade so eben mit meinem kleinen Körper. Ich muss mich konzentrieren, ich darf nicht durch die Stufen in den Abgrund rutschen. Mühsam erklimme ich jede einzelne Stufe, während der Nadelfilz an meinem kleinen runden Bauch scheuert und das Mondlicht die Abstände der Stufen verwischt. Eine Ewigkeit später bin ich oben. Es geht nicht mehr weiter. Die Tür ist zu. Ich muss mich mit meinen kleinen Körper längs auf die letzte Stufe legen, um nicht runter zu fallen. Ich sehe die schemenhaften Umrisse der Holztür. Ich jaule kurz auf. Nichts. Sie bleibt zu. Ich will doch zu ihr. Ich höre sie reden. Ich weiß dass sie da ist. Warum hört sie mich nicht. Ich steigere die Lautstärke, gebe alles was ich an Energie habe, alles was aus meinen kleinen Körper raus kommt. Der Klang hallt zwischen den Wänden. Es hört sich genauso an als wäre ich unten in meinem weichen Nest. Das Mondlicht nimmt ab. Ich fixiere den schmalen Lichtspalt unter der Holztür. Irgendwann ist auch der weg. Das Licht hinter der Tür wurde ausgeschaltet. Ich verstumme. Es ist jetzt still. Ich höre niemanden mehr reden.
Ich seufze und schlucke schwer. Wenig Mondlicht sickert noch zwischen den Stufen, zeigt mir den Weg nach unten. Da ist mein Bettchen, mein weiches Nest mit meiner Kuscheldecke. Und ich liege hier oben auf der schmalen Stufe. Es gibt kein Weg zurück. Nicht für mich, für meinen kleinen Körper mit meinen kurzen Beine. Es geht nicht, nicht rückwärts und nicht vorwärts. Langsam dämmere ich in den Schlaf, wache wieder auf und döse kurz wieder ein. Eine lange einsame Nacht auf einem schmalen Streifen Holz mit Nadelfilz.
Die Tür geht auf, die Nacht ist vorbei. Oh sagt sie und hebt mich vorsichtig von meinem gefährlich schmalen Nachtlager. Mäuschen, was machst Du denn da? Sie drückt mich liebevoll an ihren warmen Körper, ich atme ihren mir mittlerweile vertrauten Geruch ein, während sie mich beruhigend streichelt.
In der vierten Nacht bin ich in meinem Bettchen mit meiner Kuscheldecke geblieben und habe auch nie wieder nachts geheult.
Auf dem Weg zur steilen Treppe hat der Mann ein Holzgitter eingebaut.
Frauchen:
Ich höre dich herzzerreißend heulen. Aber da müssen wir jetzt gemeinsam durch. Du musst lernen alleine in deinem Bettchen zu schlafen. Wenn ich auf dein Weinen nicht reagiere, geht es am schnellsten. Du bist allerdings sehr hartnäckig, mit deinen 12 Wochen weiß du genau was du willst, oder besser gesagt, was du nicht willst. Mit deinen weichen Pfötchenballen, deinem rosa Bäuchlein, deinem unproportionalen Körper: Große Pfötchen zum kleinen Körper, kann ich dich nur liebhaben. Dass du mit diesem Körper schaffst die steile Treppe zu erklimmen, damit hatte ich nicht gerechnet. Sorry, Kleiner.