Читать книгу Fantasy Sammelband Riyala - Tochter der Edelsteinwelt Band 1 bis 5 - Antje Ippensen - Страница 11

5. Kapitel: Verrat

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Die sengende Sonne hatte auch am folgenden Tage nichts von ihrer Kraft verloren. Nach wie vor lösten ihre Strahlen jedwede zaghaft sich bildende Wolke in Nichts auf.

Riyala Falken jedoch bemerkte kaum, dass Schweiß über ihre Haut rann und ihr Gewand an ihrem Körper klebte. Tief in Gedanken versunken, ging sie auf das Dorf Arjenez zu.

Sie war fest entschlossen, ihr Verhältnis zu Nigel wieder ins Reine zu bringen. Voller Sehnsucht dachte sie an sein Lächeln, seine warmen, starken Hände. Seit ihrem zweiten Zusammensein an der Perlenbrücke, am rissigen Ufer des fast ausgetrockneten, schlammigen Flusses Co wusste sie ganz sicher, dass sie mehr für ihn empfand als für all die jungen Männer, die sie vor ihm gekannt hatte. Ja, und sie liebte ihn gerade wegen seines Stolzes und seiner inneren Kraft, mit der er sich für das einsetzte, was ihm wichtig war.

Und der Edelstein-Magister? Nun, der konnte warten; sie war überzeugt davon, dass er sie bei ihrem nächsten Besuch so empfangen würde, als sei nichts geschehen ... und er würde kein Wort über ihr Benehmen äußern, es sei denn, sie käme von selbst darauf zurück.

Riyala wanderte durch die leeren Gassen des Dorfes – sonderbar, nirgends war ein Mensch zu sehen – und schlug den Weg zur strohgedeckten Hütte der Familie Dha-Na ein. Auf einmal hörte sie vielstimmiges Geraune vom Marktplatz her; es hörte sich so an, als fände dort eine Versammlung aller Dorfbewohner statt. Bestimmt war Nigel ebenfalls da – kurz entschlossen änderte Riyala die Richtung und näherte sich dem runden Platz, dessen Brunnen praktisch versiegt war und nur noch zähen Schlamm förderte.

Es schien wirklich eine Art Versammlung zu sein. Die Dörfler machten eine Gasse für Riyala frei, und dabei registrierte das Mädchen erstaunt, dass viele tuschelnd die Köpfe zusammensteckten oder sie feindselig musterten ...

Was ist denn mit denen los?

Plötzlich gefror Riyala ihr Lächeln auf den Lippen, denn ein heller Schrei gellte zu ihr herüber – ja, er galt ganz eindeutig ihr.

„ Das ist sie! Das ist Riyala, die ehrlose Tochter der verdammten Matriarchin und des verfluchten Heros von Co-Lha!“

Vom Schock bis ins Mark getroffen, blieb Riyala stehen, nur noch wenige Schritte von der leicht erhöhten Mitte des Platzes entfernt.

Da stand – dicht neben Nigel, oh nein, bei der Großen Göttin, NEIN!!! – Sandirilia, das Gauklerkind, und zeigte anklagend mit dem Finger auf Riyala, die sich wie nackt ausgezogen fühlte.

Sandirilia sah furchtbar aus; sie war in zerrissene Lumpen gekleidet, ihr rötlich-sandfarbenes Haar hing strähnig herunter, und sie hatte mehrere blutige Schrammen und bläuliche Prellungen im Gesicht.

„ Sie hat euch die ganze Zeit bösartig hinters Licht geführt! Euch alle nach Strich und Faden belogen – und mit kümmerlichen Almosen abgespeist!“

Sandirilia stieß diese vernichtenden Worte in giftigem Triumph hervor, und Riyala zitterte am ganzen Körper vor Scham und Entsetzen. Ihr Blick irrte zu Nigel, der sie in fassungsloser Enttäuschung ansah.

„ Und heute“, fuhr Sandirilia fort, „heute hat man mich und andere Flüchtlinge mit grausamer Gewalt aus der Stadt gejagt! Seht mich nur an – unter Stockschlägen wurde ich zurück in den Hunger und das Elend geworfen, aus den Armen meiner Schwester gerissen – auf Befehl der Herrscherin und des Herrschers!“

Totenstille breitete sich auf dem geräumigen Platz aus. Niemand sprach ein Wort; man hätte ein Steinchen zu Boden fallen hören können, so ruhig war es ringsum.

Mit rauer Stimme fragte Nigel: „Ist es wahr, was das Gauklermädchen Sandirilia sagt? Hast du sie eingesperrt und ihre Kleidung genommen, um uns auf diese Weise zu täuschen? Ist es wahr, dass du Riyala bist, die Tochter von ...“ Seine Stimme versagte, er sprach nicht weiter. Seine dunklen Augen flackerten, und auch er zitterte.

Riyala konnte es nicht ertragen – sie ging ein paar Schritte auf ihren Geliebten zu und streckte bittend die Hand nach ihm aus. Er rührte sich nicht.

„ Ja“, sagte sie tonlos, „es ist die Wahrheit. Aber ...“

Sie verstummte, als er vor ihr zurückwich. Das war grauenhaft. Sie hätte es nie für möglich gehalten, dass etwas so weh tun könnte.

„ Ich kenne dich nicht mehr“, sprach Nigel, und es klang wie ein Todesurteil.

„ Tötet dieses Miststück, oder behaltet sie als Geisel!“, rief denn auch Sandirilia prompt. Ihre Augen schossen blaue Blitze auf Riyala ab.

„ Wenn sie euren Angriffsplan nicht schon ihren Eltern verraten hat, dann wird sie es ganz bestimmt jetzt tun!“

In der bis dahin fast wie erstarrten Menge der Dörfler entstand Bewegung – zornige, zustimmende Rufe wurden laut, Fäuste reckten sich in die Luft.

„ Ja, nehmen wir sie gefangen!“

„ Ihre Eltern werden sie freikaufen müssen!“

„ Sie ist schlimmer als alle Räuberbanden zusammen – töten wir sie!“

Ja, bringt mich doch einfach um, dachte Riyala. Sie fühlte sich innerlich verwüstet und leer ... ein Teil von ihr – der überleben wollte – bäumte sich jedoch auf, und sie sah sich nach allen Seiten um, wie ein gehetztes, in die Enge getriebenes Tier.

„ Nein!“, ertönte da Nigels Stimme, erhob sich über den Tumult. „Das wäre unserer unwürdig! Dann wären wir so ehrlos wie sie ...“

Er straffte sich, wandte sich an Riyala und sprach sie schroff an, ganz so, als sei sie wirklich eine Fremde: „Habt Ihr uns bereits verraten?“

Riyala schüttelte stumm den Kopf.

„ Schwört Ihr, dass Ihr es nicht tun werdet?“

„ Ich schwöre es“, sagte sie dumpf.

„ Dann könnt Ihr gehen.“

Der heftigste Protest gegen Nigels Entscheidung kam von Sandirilia, die man festhalten musste; das Gauklermädchen war außer sich vor Hass und nahe daran, sich auf Riyala zu stürzen – doch dann siegten Nigels Autorität und sein Charisma. Er war wahrhaftig der geborene Führer.

Die aufgebrachten Bewohner von Arjenez gewährten Riyala also tatsächlich freien Abzug – aber viele Flüche und ein paar Steine flogen hinter ihr her, und ein Kiesel traf sie schmerzhaft an der Schulter, woraufhin sie zu rennen begann.

Nun erging es ihr so, wie es Sandirilia ergangen sein musste, als man sie aus der Stadt jagte ... hatte ihr Vater, dem die Truppen der Stadt unterstanden, in seiner Not wirklich einen derart unmenschlichen Befehl gegeben? Die Lage spitzte sich wohl überall immer mehr zu ...

Was sollte sie jetzt tun?

Ihr fiel nur ein einziger Ort ein, zu dem sie gehen, wo sie Hilfe, Rat und Trost finden konnte, und dorthin begab sie sich unverzüglich, ganz ohne Anwendung des Reisesteins. Sie bezweifelte sowieso, dass es ihr gelungen wäre, Magie zu benutzen, denn ihr fehlte im Augenblick jegliche innere Kraft – vor allem aber wollte Riyala laufen, nichts als laufen, diesem entsetzlichen Erlebnis entfliehen.

Und überhaupt: Wozu waren all ihre Fähigkeiten nutze, wenn sie nicht einmal die leiseste übersinnliche Warnung empfangen hatte, ehe sie das Dorf betrat?! Wofür taugte die ganze Magie?

Oh Nigel ... dachte Riyala immer wieder in tiefster Qual. Kurz bevor sie den Irrgarten der Felsen erreicht hatte, musste sie innehalten und sich zwischen zwei Lichtdornenbüschen heftig erbrechen. Doch das brachte ihr kaum Erleichterung; ihr war immer noch ganz flau im Magen, und sie flog an allen Gliedern.

Spornstreichs rannte sie in die Höhle der Kristalle hinein. Dort saß der alte Magister in seinem Weidenstuhl und sah ihr entgegen, als habe er sie erwartet.

Riyala warf sich vor ihm auf die Knie.

„ Helft mir, Meister! Helft mir! Ich bin – verzweifelt, ich ...“

„ Beruhige dich, Riyala Falken“, erwiderte er gelassen, und dann – es war unglaublich – ging er zur Feuerstelle, um Teekorn aufzusetzen.

Im Aufruhr ihres gepeinigten Herzens sah Riyala, noch immer auf den Knien liegend, einfach nur zu und versuchte sich zusammenzunehmen. Gab es denn gar nichts, was den alten Hexer aus der Ruhe bringen konnte?!

Aber der frisch gebrühte Tee half ihr tatsächlich. Es dauerte nicht lange, und sie war in der Lage, ihrem Lehrmeister alles zu erzählen. All ihre sorgsam gehüteten Geheimnisse brachen aus ihr hervor; sie beichtete jede Einzelheit. Und während sie sprach, wurde ihr mehr und mehr bewusst, dass sie den Wunsch verspürte, sich an Sandirilia, den Bewohnern von Arjenez und, ja, auch an Nigel zu rächen für die erlittene Schmach. Sie redete sich in Zorn. – Es lag klar auf der Hand, dass sie, Riyala, tatsächlich schwere Schuld auf sich geladen hatte ... doch das heiß in ihr brennende Verlangen nach Rache ließ sich nicht unterdrücken. Um ihr Schuldgefühl zu unterdrücken, ließ sie die hellen Flammen der Wut emporzüngeln und ihr Herz lodernd umschließen.

„ Gut“, erklärte der Magister, als sie endlich schwieg und nur noch ihre keuchenden Atemzüge zu vernehmen waren.

„ GUT?“, kam es fassungslos von ihr.

Er hob mahnend eine Hand.

„ So wie ich es sehe, kannst du zwischen vier Möglichkeiten wählen.“

Sie sah gespannt zu ihm auf.

„ Die erste: Du gehst zu deinen Eltern und zeigst dich als brave, loyale Tochter, welche die Stadt vor einem Angriff der Bauernrebellen warnen und schützen will.“

„ Aber ich habe Nigel geschworen ...“

Er hob die Hand, und in seiner Stimme war etwas Stählernes, als er weitersprach.

„ Die zweite: Du versuchst, dein Unrecht wiedergutzumachen. Flehe deinen Freund Nigel an, dir zu verzeihen und dir eine zweite Chance zu geben. Kämpfe an der Seite der Rebellen, wende deine Magie für sie und gegen deine Eltern an.“

Riyala schnappte nach Luft und schluckte.

„ Deine dritte Möglichkeit: Lass den Dingen ihren Lauf. Tue nichts und bleibe hier bei mir. Überlasse sie alle ihrem Schicksal.“

Er machte eine Pause.

„ Und die vierte?“, flüsterte das Mädchen.

Seine grünen Augen begannen auf seltsame Art und Weise zu glitzern. Riyala musste an smaragdfarbige Libellen denken, die über dunklen Wassern hin- und herschossen.

„ Nun, du könntest die Sache auch in meine Hände geben. Wie du es schon einmal getan hast, erinnerst du dich? Lass mich die Dinge für dich in Ordnung bringen.“

All dies hatte er in einem gleichmäßig ruhigen, aber unnachgiebigen Ton vorgetragen. Berührte ihn denn wirklich gar nichts?

„ Die Wahl liegt ganz allein bei dir. Nimm dir Zeit und entscheide dich dann“, riet er ihr noch und fuhr dann in seinen gewohnten Tätigkeiten fort, als sei alles in bester Ordnung.

In den nächsten Stunden befolgte Riyala seinen Rat und widmete sich der Edelsteinmeditation, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Es kam ihr wie eine endlose Zeitspanne vor, in der sie im Innern eines Kreises aus hilfreichen Mineralien saß und lautlos betete.

Und schließlich wählte sie die vierte Möglichkeit.

„ Gut“, sagte der Magister abermals lapidar, „dann kehre jetzt in die Stadt zurück.“

Riyala gehorchte.

Habe ich das Richtige getan? Zweifel bedrückten sie, doch nach und nach schaffte sie es, diese zu verdrängen. Wie immer. Der alte Mann war weise und erfahren und wusste genau, was er tat ...

*

Riyala vermisste ihren Falken. Das war ihr deutlichstes Gefühl während all der langen, langsam dahinkriechenden Stunden, die sie allein in ihren Gemächern verbrachte. Alles andere blieb ein einziges Durcheinander in ihrem Kopf.

Sie hatte also alles dem Magister überlassen ... das hieß nun aber auch, dass sie zu untätigem Warten verurteilt war. Warten ... warten ... warten. Worauf hoffte sie eigentlich? Dass alles wieder so sein würde wie früher? War das etwa vernünftig? Wie genau würde der alte Mann vorgehen, was würde er tun, wie den Bauernaufstand verhindern?

Ohne dass sie einen konkreten Grund dafür hätte nennen können, zog Riyala sich praktische, wetterfeste Kleidung an: enganliegende grüne Hosen aus grobem Leinen, eine eierschalenfarbene Wollweste und darüber eine Jacke, die aus dunklem Makanleder gefertigt war. Diese Jacke besaß eine geräumige, zuknöpfbare Innentasche, in der sie ihre vier ständigen „Steinbegleiter“ verstaute: das Falkenauge, den Rosenquarz, den Blut- und den Bernstein.

Es musste spät am Nachmittag sein, als sie die schweren Schritte und das Waffengeklirr vom Flur her vernahm. Beklommen lauschte sie auf diese näherkommenden Geräusche, doch obwohl sich das unbehagliche Vorgefühl in ihr mehr und mehr verstärkte, sollte sie das, was dann geschah, vollkommen unvorbereitet treffen – wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

Vier Burgwächter traten ein, ohne zu klopfen, und ihr Führer, ein älterer Krieger mit grausilbernem Schnauzbart – ein Mann, den Riyala von Kindheit an kannte – sprach in schnarrendem Ton und mit eisiger Kälte im Blick: „Riyala, Tochter der Matriarchin und des Heros von Co-Lha, Ihr werdet hiermit gefangengesetzt.“

Riyala konnte es nicht fassen, aber das war die offizielle, unpersönliche Formel, die einer jeden Verhaftung vorausging. Sie hatte sich nicht verhört.

„ Und wieso? W-wessen werde ich angeklagt?“, brachte sie stammelnd hervor.

„ Hochverrat“, sagte der Wächter knapp und schroff.

Alles brach zusammen, ihre Welt ging unter ... Riyala starrte in das Gesicht des Mannes, das wie eine steinerne Maske war.

Und schon traten auf einen Wink ihres Führers hin zwei seiner Leute vor, schwarze Eisenfesseln in den Händen. Unfähig zu protestieren, wie gelähmt ließ Riyala es einfach geschehen, dass man sie in Ketten legte, und das nicht gerade sanft. Sie musste die Zähne zusammenbeißen, denn die Fesseln schnitten in ihre zarten Gelenke. Es gelang ihr, keinen Laut von sich zu geben.

Ein ungeheurer Verdacht kam ihr, wuchs und wuchs, bis er ihr gesamtes Denken verschlang ...

ENDE

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