Читать книгу Fantasy Sammelband Riyala - Tochter der Edelsteinwelt Band 1 bis 5 - Antje Ippensen - Страница 13

1. Kapitel: Schuld

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Die Wächter führten ihre junge Gefangene alsdann treppauf und treppab und durch die langen ringförmigen Gänge der Mondburg – bis hin zum großen Weißen Saal, in dem das Regentenpaar Recht sprach.

Und dort erwartete man Riyala. Neben zahlreichen Würdenträgern des Hofes waren auch Zuschauer aus dem einfachen Volke zugegen; Bedienstete und Soldaten standen an den weiß gekalkten Wänden des oval geschnittenen Raumes.

Auf dem Richterpodest an der Nordseite jedoch saßen die Matriarchin, der Heros – und der Edelstein-Magister. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos.

Ein wilder, verzweifelter Schrei entstand in Riyalas Brust, stieg ihr in die Kehle ... und erstarb dort.

Man stellte sie in das Innere eines roten Kreidekreises, sieben Schritt vor dem Podest; das war der Platz für den Angeklagten, und dort stand sie nun. Allein.

Drohend ragte der Richtertisch über ihr auf. Eine ganze Weile lang konnte sie nur ihren alten Lehrmeister ansehen. Er, der sie ohne Zögern verraten hatte, saß zur Linken ihres Vaters. Alles, was zu ihrer Verhaftung geführt haben musste, stand ihr in grausamer Klarheit vor Augen, und sie hörte kaum, wie ihr Vater, der Heros von Co-Lha, die einleitenden Formeln sprach, die das Verfahren gegen seine einzige Tochter eröffneten. Seine Stimme drang nur als ein undeutliches Summen an Riyalas Ohr.

„ Riyala Falken!“, donnerte der Heros endlich, und das riss sie aus ihrer Lähmung. „Ihr lasst es an Aufmerksamkeit fehlen! Seht mich gefälligst an, wenn ich mit Euch spreche!“

Als sie das tat, fügte er mit erbarmungsloser Strenge hinzu: „Es geht um Euren Kopf, vergesst das nicht! Ihr seid des Hochverrats angeklagt, und die Strafe dafür ist der Tod! Das Gesetz gilt für jeden.“

Riyala wusste das; Co-Lhas Gesetze waren streng, aber gerecht – jedenfalls hatte sie bis zum heutigen Tag daran geglaubt. Auch dieser Glaube geriet ihr nun ins Wanken ... Wer in Co-Lha schlecht und ehrlos war, wer böse Absichten hegte und Übles tat, der wurde hart bestraft.

Aber ich bin doch nicht ... wird mein eigener Vater mich verurteilen? – Sie spürte deutlich seinen tiefen Schmerz; er fühlte sich von seinem Kind verraten, und daraus entsprang sein Zorn. Riyala kannte ihn gut trotz der Aura von Unnahbarkeit, die er auch ihr gegenüber beibehalten hatte. Der Heros von Co-Lha war immer ein Krieger gewesen, und jetzt, wo sich die Notlage des Landes derart verschärfte, floss mehr Macht zu ihm. Er würde die Verteidigung der Stadt gegen das Landvolk anführen. Riyala bemerkte trotz ihrer eigenen Qual und Verwirrung, dass er den silbernen Kriegshelm mit der scharlachroten Feder trug, und sie wusste auch genau, was das bedeutete. Aber sie wusste ebenfalls, dass er sich stets gewünscht hatte, nie mehr in den Krieg ziehen zu müssen ... erst recht nicht in einen solchen, der das grässliche Antlitz eines Bürgerkrieges trug …

Die Adern seiner Schläfen traten hervor und pochten bedrohlich. Mit seinen fünfzig Jahren war ihr Vater noch immer ein sehniger, kräftiger Mann, der ein Schwert ebensogut zu führen wusste wie der fähigste Soldat der Wache. Seine Augen besaßen die gleiche blaugrüne Färbung wie die seiner Tochter.

Nun erst wagte Riyala es, auch ihre Mutter anzusehen, die zur Rechten des Heros saß. Sie wirkte vollkommen gebrochen, wie eine uralte Frau – sie hatte das Gesicht in ihren Händen vergraben, und entsetzt erkannte Riyala, dass das silbergraue Haar der Matriarchin schlohweiß geworden war.

Als ob alle Lebenskraft sie verlassen hätte.

Flüchtig dachte das Mädchen an ihr letztes Gespräch mit der Mutter, als diese ihr die Regentschaft übergeben wollte ... und nun stand die Tochter des Herrscherpaares als Hochverräterin auf der entgegengesetzten Seite. Die Augen aller Zuschauer im Weißen Saal waren voller Anklage und Verachtung auf Riyala gerichtet; vergebens hielt sie nach jemandem Ausschau, der von ihrer Unschuld überzeugt war. Sie kannte jeden einzelnen hier. Das einzige vertraute Gesicht, nach dem sie vergebens suchte, war das Lanias.

Ich ertrage das nicht!, dachte Riyala wild. Ihr ganzes bisheriges Leben lang hatte sie nur Verehrung, Respekt und Liebe erfahren, und nun ...

Verstohlen tastete sich ihre gefesselte Hand in die Innentasche ihrer Jacke – der Spielraum, den ihr die Ketten ließen, reichte dafür gerade aus. Das Falkenauge würde ihr zur Flucht verhelfen ...

Doch da erklang die spöttische Stimme des Edelstein-Magisters: „Versuche es gar nicht erst, Riyala Falken. Die Zauberpriesterinnen von Co-Lha haben deine Ketten – unter meiner Anleitung – mit einem Bannspruch belegt, der dich daran hindern wird, dich davonzumachen.“

„ Ihr verdammter, auf ewig verfluchter ...“, keuchte Riyala und riss ihre Hand wieder zurück. Ihr war klar, dass er die Wahrheit sprach.

„ Still!“, brüllte nun wieder ihr Vater. Er, der mitsamt seiner Gemahlin dem Kristallhexer noch vor kurzem so misstrauisch begegnet war, wandte sich jetzt ratsuchend an denselben.

„ Soll ich ihr ihre Steine vorsichtshalber abnehmen lassen?“

Der Magister machte eine wegwerfende Geste und schüttelte den Kopf. „Nein, edler Herr, das ist nicht nötig. Sie kann nichts tun. Sie wird dies aushalten müssen.“

Flammende Wut und greller Hass durchrasten Riyala, als sie diese Worte hörte, und sie machte Anstalten, aus dem roten Kreis herauszustolpern. Kettenklirrend schüttelte sie ihre geballten kleinen Fäuste und schrie: „Ihn solltet Ihr anklagen, nicht mich! Er ist der Verderber unseres Volkes – ER hat uns alle verraten, dieser – Hexer!“

„ Schweig!“, dröhnte wieder die Stimme des Heros. In seiner Erregung versäumte er es, seine Tochter, die Angeklagte, weiterhin förmlich anzureden. „Dieser loyale Bürger, der sich Edelstein-Magister nennt, hat Co-Lha vor einer großen Gefahr gewarnt – und sein Zeugnis gegen dich ist erdrückend!“

Im nächsten Moment waren schon die Wachen heran und zerrten die Gefangene in den Kreis zurück. Umsonst versuchte Riyala sich gegen die harten Griffe der Männer zu wehren. Sie stöhnte vor Schmerz, als man ihr die Arme umdrehte und sie auf die Knie zwang. – Das Angeklagten-Rund zu verlassen, war ein Vergehen, das damit bestraft wurde, dass der Beschuldigte nicht mehr aufrecht vor seinen Richtern stehen durfte.

Riyala musste also nun knien, und ihre Wangen brannten unter dieser neuerlichen Demütigung. Offenbar war es ihr bestimmt, den Kelch der Qual bis zur Neige leeren zu müssen.

Mit erzwungener Ruhe fuhr der Heros von Co-Lha nun fort: „Dass du uns, deine Eltern, schmählich hintergangen hast, Riyala, ist noch nicht einmal das Schlimmste. Furchtbarer ist – und genau das wird entscheidend sein für die Schwere deiner Strafe – dass uns durch dich ein Bürgerkrieg bevorsteht und vermutlich jede friedliche Lösung unmöglich geworden ist. Ich musste zuvor schon zu mehreren harten Maßnahmen greifen, weil uns die Dürre so sehr drückt und die Stadt niemanden mehr aufnehmen kann ... und doch gab es noch Hoffnung. Anstatt uns allen zu helfen, hast du diese Hoffnung zunichte gemacht. – Und das einzige, was du vorzubringen hast, ist, deinem Lehrer und Meister hier die Schuld zu geben? Besinne dich, Riyala. Bekennst du dich zu deiner Verantwortung?“

„ Dann bin ich also nicht nur angeklagt, sondern bereits verurteilt?“, rief Riyala höhnisch aus. „Und das soll ein faires Gerichtsverfahren sein – Vater?“

Die Stimme des Heros war scharf wie ein Schwert, als er erwiderte: „Willst du etwa leugnen, dass du von den Plänen des Landvolkes wusstest? Dass du diesem Bauernsohn Nigel verfallen bist, dich mit ihm vergnügt hast, ohne an etwas anderes zu denken? – Ich kann nur hoffen, dass er vernünftiger sein wird als du und seinen Plan aufgibt. Sobald er erkennt, dass die Stadt auf seinen Angriff vorbereitet ist, wird er hoffentlich die richtige Entscheidung treffen. Und er dürfte es jetzt schon wissen. Wir sind bereits gewappnet.“

Verrat, überall nichts als Verrat!

Riyalas Brust hob und senkte sich unter ihren heftigen Atemzügen. Jetzt hasste sie die Drei dort am Richtertisch noch mehr als zuvor, auch die Mutter, die ihrem einzigen Kind bislang nicht einen Blick geschenkt hatte.

„ Und ICH hoffe, Nigel und seinen Leuten gelingt der Sturm auf die Stadt!“, rief sie mit heller Stimme. „Möge er Co-Lha bis auf die Grundmauern niederbrennen! Ich wünsche ihm alles Glück der Welt, denn ich liebe ihn!“

... DENN ICH LIEBE IHN ... Wie fernes Donnergrollen rollten diese Worte durch den Saal. Erschrockene Stille breitete sich aus – ein paar Augenblicke lang.

„ Das ist bereits ein Geständnis“, entschied ihr Vater sodann. Seine Stimme klang heiser, fast krächzend, aber sie schwankte nicht. „Doch was noch fehlt, ist dein reuiges Bekenntnis.“ Er stand auf und ging auf seine Tochter zu, und der Edelstein-Magister blieb an seiner Seite.

„ Du darfst dich erheben.“

Riyala tat es. Sie war bleich; ihre Augen begegneten denen des Heros jetzt ohne Furcht.

„ Nun? Bekennst du deine Schuld?“

Sie sah von ihm zu dem Magister und antwortete dann: „Nein! Niemals! Ich wollte das Richtige tun und einen Ausweg finden – meine Absichten waren gut! Es ist nicht meine Schuld!“

Ihr Vater seufzte fast unhörbar. Sein Gesicht schien vor ihren Augen zu altern, Dutzende von Falten zu bekommen und einen noch fahleren Farbton anzunehmen.

„ Ich bat diesen Hexer da um Hilfe“, fuhr Riyala erregt fort und zeigte kettenklirrend auf den Magister, „und er versprach mir, die Dinge in Ordnung zu bringen.“

„ Nur dass ich darunter etwas anderes verstand als du“, konterte der alte Mann. Riyala hatte erwartet, dass er nur rätselhaft lächeln würde; seine scharfe Entgegnung verblüffte sie. Das passte nicht zu ihm.

Ihr Lehrmeister und sie starrten einander an ... und erstaunt sah sie in der Tiefe seiner Augen eine winzige smaragdene Flamme leuchten. Ausdruck des Verständnisses und des Mitgefühls.

„ Du bleibst also starrsinnig? – Wir hätten dich weniger nachsichtig erziehen dürfen, deine Mutter und ich. Wir haben dir zuviel Freiheit gelassen ... Nie hätte ich geglaubt, dass ich ... einerlei.“ Ihr Vater sprach nun wieder mit großer Härte, als er hinzufügte: „Ich gebe dir Zeit bis nach der Schlacht. Du wirst ohne Nahrung und Wasser eingesperrt. – Und wenn du dich dann noch immer nicht beugst, zwingst du mich, noch mehr Gewalt anzuwenden, um deinen Willen zu brechen.“

Klamme Furcht packte Riyala. Was meinte er damit? Die Folter wurde in Co-Lha doch schon seit vielen Jahren nicht mehr angewandt? – Aber für mich wird mein Vater eine Ausnahme machen, durchzuckte es Riyala in glühendem Schrecken. Sie begann zu zittern, aber ihr Stolz war stärker als ihre Angst.

„ Ich verfluche euch alle!“, kreischte sie und riss wie wahnsinnig an ihren Fesseln. Rötliche Flammen trübten ihren Blick – sie kämpfte und schlug um sich ... ganz am Rande ihres Sichtfeldes nahm sie wahr, wie ihre Mutter in Weinkrämpfen zusammenbrach.

Die Wachen hatten Mühe, das tobende Mädchen zu bändigen. Der Heros jedoch befahl nur kühl: „Bringt sie in den Schwarzen Turm. Das Schafott kann bereits gezimmert werden.“

Der Schwarze Turm der Mondburg war schmal und hoch; unter seinem spitzen Dach beherbergte er eine einzige Gefängniszelle. Sie war verstaubt und voller Spinnweben, da sie seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt worden war.

Die Wächter hatten Riyala die lange Wendeltreppe hinaufschleifen müssen, so dass ihr ganzer Körper von schmerzenden Prellungen und blauen Flecken übersät war. Noch vor der Zellentür versuchte sie sich verzweifelt zu sträuben, doch man schlug sie mehrere Male und brach so ihren letzten Rest Widerstand.

Alsdann wurde sie stehend an die schwarze Wand gekettet, mit den Händen hoch über dem Kopf – ihre Ketten schlossen die Wächter an Ringen im Gemäuer fest. Der schnauzbärtige Anführer erklärte ihr in höhnischem Ton, weshalb das geschah: damit sie sich ihre Haft nicht durch die Anwendung von Magie erleichtern könne. Und dann fasste er in einem Satz zusammen, was das Volk von Co-Lha über die einst verehrte Riyala dachte: „Wir haben dich für unsere Retterin und Heilsbringerin gehalten, und statt dessen hast du uns noch größeres Unglück beschert!“

Die schwere nachtschwarze Tür fiel ins Schloss.

Und nun war Riyala wirklich ganz allein und vollkommen verlassen.

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