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Reisegefährten
ОглавлениеDie Stadt Pulicaria, Hauptstadt des West-Landes Aega, war groß, laut und überaus dreckig – zumindest empfand Delia das so. Der Gestank raubte ihr schier den Atem. Von Trand her war sie wesentlich reinlichere Straßen und Häuser gewöhnt. Auch Gesindel war auf Trand kaum vorhanden, während es hier in Pulicaria den Hauptteil der Bevölkerung zu bilden schien. Das Geschrei schüchterte sie erst ein, aber dann siegte ihre Neugier und sie spähte hinter Mohars Rücken in die dichte Menschenmenge.
Die beiden Krieger ritten bis zu einem einigermaßen reinlich aussehenden Gasthaus und nahmen dort ein großes Zimmer. Dann berieten sie, was mit Delia zu geschehen hatte.
„Vielleicht finden wir ja jemanden, der sie in die Lehre nimmt“, schlug Siler vor. Mohar brummte nur.
„Und welches Gewerbe schlägst du vor, hä? Bei allen Göttern, das ist ein Mädchen!“
„Na und? Es gibt doch auch Näherinnen, Waschfrauen ... äh ... und ...“
Mohar schnaufte. „Waschfrau - einfach originell.“
„Besser als gar nichts“, verteidigte sich Siler. „Mach doch einen anderen Vorschlag.“
Mohar kratzte sich am Kopf.
„Ich nehme an, vom Gaststättengewerbe hast du die Nase voll“, fragte er Delia. Die nickte hastig. Siler grinste höhnisch.
„Hach, genauso originell. Dann kannst du sie ja gleich ins nächste Freudenhaus stecken. Du glaubst doch nicht, dass so ein süßes Küken davon verschont bleibt?“
Dem konnte Mohar nichts entgegenhalten.
Eine Woche lang mühten sie sich ab, für Delia eine passende Bleibe zu finden. Aber es war wie verhext. Entweder brauchten die Angesprochenen keine Hilfskraft, oder sie wirkten nicht sonderlich vertrauenerweckend, und weder Siler noch Mohar konnten sich entschließen, das Mädchen in unfreundliche Hände zu geben.
Delia verfolgte ihre Bemühungen mit sehr gemischten Gefühlen. Zwar war sie ihnen dankbar, dass sie sich so für sie einsetzten, aber eigentlich war sie nicht sonderlich begierig darauf, irgendwo wieder arbeiten zu müssen. Sie wäre viel lieber bei den beiden geblieben.
Als die Krieger dann nach besagter Woche aufgaben, fiel sie Siler begeistert um den Hals.
„Darf ich jetzt bei euch bleiben?“ fragte sie mit glänzenden Augen. Siler stöhnte auf und verdrehte die Augen.
„Das fehlte noch. Mädchen, wie stellst du dir das vor?“
„Oh, ich kann mich doch weiter um eure Pferde und ums Kochen kümmern, und ...“
„Sei still“, befahl Siler und befreite sich aus ihrer Umarmung. Mohar hatte das Ganze teils amüsiert, teils mit Schaudern beobachtet. Jetzt brummte er: „Wenn ich das geahnt hätte, hätte ich sie bestimmt nicht zu den Ställen geschickt. Dann wäre vielleicht niemals rausgekommen, dass sie uns gewarnt hat.“
„Aber dann wäre ich noch bei Germer“, rief Delia erschrocken.
„Stimmt, aber da wärst du wenigstens nicht im Weg.“
Delia war wie vor den Kopf geschlagen. Zum ersten Mal begriff sie, dass die beiden in ihr eine Last sahen - und froh wären, sie los zu sein. Wie betäubt sackte sie in sich zusammen und vergrub ihr Gesicht in den Armen.
Die Männer sahen sich unbehaglich an. Die Situation gefiel ihnen ganz und gar nicht.
Schließlich piepste Delia. „Dann... dann lasst mich doch einfach hier. Ich komme schon zurecht. – Hauptsache, ich bin nicht mehr bei Germer.“
Tapfer blickte sie zu Mohar auf. Der fluchte unterdrückt. Am liebsten wäre er auf ihren Vorschlag eingegangen, aber ihm war völlig klar, dass Delia in dieser Stadt nicht die geringste Chance hatte in ein geregeltes Leben zurückzukehren. Sie war ein gefundenes Fressen für alle üblen Halunken. Und immerhin hatte sie Siler und ihm das Leben gerettet.
„Kommt nicht in Frage“, knurrte er also. „Wir werden zusammen weiter reiten. Vielleicht bietet sich ja unterwegs eine bessere Gelegenheit. - Na los, Kleines. Kopf hoch! Wir lassen dich nicht hängen, mein Wort darauf.“
Delia klammerte sich dankbar an ihn, und Mohar schloss resignierend die Augen. So wie es aussah, würde die Kleine ihnen noch einige Zeit erhalten bleiben. Keine tolle Aussicht, aber es hätte schlimmer sein können. Immerhin war das Mädchen flink und bei wachem Verstand und hatte bereits bewiesen, dass sie eine nützliche Reisebegleiterin war.
Ein langes Jahr ritt Delia mit den beiden Kriegern. Anfangs machten diese noch ein paar halbherzige Versuche das Mädchen loszuwerden, aber irgendwie kam immer etwas dazwischen, und schließlich schliefen diese Versuche nach und nach ein.
Delia genoss die Zeit sichtlich, aber sie vergaß nie, dass die zwei in ihr eher eine Last sahen, auch wenn sie das nicht mehr erwähnten. Sie versuchte sich so nützlich wie möglich zu machen und niemandem im Weg zu sein.
Ab und zu übernahmen die Krieger kleinere Aufträge und bewachten Transporte oder Reisegesellschaften. Einmal überlegten sie, ob sie sich als Söldner in einem Heer verdingen sollten, aber nach einigem hin und her und einigen Blicken auf Delia ließen sie es bleiben. Der Gedanke, das Mädchen in ein Kriegsgebiet mitzuschleppen, gefiel ihnen überhaupt nicht.
In dieser Zeit ritten sie nach Osten durch die Länder Aega, Rhus und Sidan. Dann bogen sie ab nach Norden, Nord-West und näherten sich wieder der Westküste.
An einem stürmischen Abend gelangten sie an ein einsam gelegenes Haus, das nahe der Straße an einem kleinen See stand. Müde und verfroren klopften sie.
Ein älterer, knochiger Mann mit langen grauen Haaren öffnete und musterte Siler von oben bis unten. Dann grinste er breit und meinte: „Sieh an, der lange Siler. So eine Überraschung. Da kann Mohar der Fuchs nicht weit sein.“