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Der Schwertmeister

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Siler kniff völlig verblüfft die Augen zusammen, um in dem Dämmerlicht besser sehen zu können. Dann lachte er laut auf und schlug dem Mann kräftig auf die Schulter.

„Gale! Das glaub ich einfach nicht. Was machst du alter Schwertschwinger an diesem öden Platz?“

Er trat schnell ein, so dass Mohar und Delia auch hereindrängen konnten. Mohar begrüßte den alten Gale genauso begeistert. Dann schob er Delia vor.

„Delia, das ist Gale Flinkhand, ein alter Schwertkamerad von uns. Einige Tricks haben wir tatsächlich von ihm abgeguckt, das muss ich zugeben.“

Gale blickte erstaunt auf das Mädchen herab, welches ihn aus lebhaften Augen neugierig betrachtete.

„Na so was“, staunte er. „Wo habt ihr denn dieses hübsche Wesen aufgegabelt?“

Siler schnaufte. „Das können wir dir noch später erzählen, ist ´ne lange Geschichte. - Hast du was dagegen, wenn wir hier ein eine kurze Zeit pausieren?“

Gale schüttelte den Kopf.

„Nein, fühlt euch wie zu Hause. Hinter dem Haus ist auch ein Stall, und ...“

„Ich mach das schon“, rief Delia und rannte sofort nach draußen. Gale sah ihr verblüfft nach.

„Ein ganz schön aufgewecktes Ding scheint mir.“

Mohar verzog das Gesicht.

„Das ist sie, keine Frage. Sie gibt sich wirklich Mühe.“

Gale lachte leise. „Ich sehe schon, das wird nicht nur eine lange, sondern auch eine interessante Geschichte. Na los, zieht eure Sachen aus. Ich mache euch inzwischen was Warmes.“

Die Männer streiften die Rüstungen ab und ließen sich an dem wohligwarmen Ofen nieder. Bald darauf kam auch Delia hereingestürmt und kletterte auf Silers Schoß.

Gale stellte seinen Gästen grinsend drei Schüsseln Suppe vor die Nase. Es war wirklich ein ungewohnter Anblick: Der lange Siler mit einem Kind auf den Beinen.

Während die drei heißhungrig über die Suppe herfielen, erzählte Gale bereitwillig wie es ihn an diesen Ort verschlagen hatte.

„Ich bin noch nicht lange hier, erst ein paar Monate. Damals kam ich hier vorbei, und die Gegend gefiel mir ganz gut. Zufällig war der Besitzer des Hauses die Abgeschiedenheit inzwischen leid und wollte mit seiner Familie in die Stadt ziehen.“ Er rümpfte die Nase. „Ganz schön dumm von ihm, aber er wird es wohl schon gemerkt haben. Na ja, jedenfalls hatte ich gerade ein hübsches Sümmchen zusammengespart und konnte ihm das Haus samt Land und See günstig abkaufen. Ich hatte sowieso schon länger vor sesshaft zu werden. Für meine alten Knochen ist das Herumreisen nichts mehr. Wie auch immer, ich habe mich jedenfalls entschlossen mich zur Ruhe zu setzen und allenfalls noch ein bisschen Schwertunterricht zu geben. Es gibt genug junge Abenteurer im Küstenland, welche glauben mit einem Schwert in der Hand seien sie Helden. Nun, die bleiben nicht lange - und sie werden wohl auch nicht lange überleben. Aber ein paar haben Talent und auch Geduld. Im Moment habe ich immerhin zwei ernsthafte Schüler. Sie sind zwar nicht unbedingt begnadet, aber zumindest fleißig und nicht tollpatschig.“

Siler und Mohar grinsten. Es wollte ihnen nicht so recht gelingen sich ihren alten Kampfgefährten als geduldigen Lehrer vorzustellen.

„Darf ich noch was haben?“ fragte Delia dazwischen. Gale wies zu dem Topf auf der Feuerstelle.

„Da ist ein ganzer Kessel voll, das sollte dir wohl reichen.“

Delia kletterte sofort über Siler und Mohar zum Feuer hin. Während die Männer sich weiter unterhielten, erforschte sie neugierig die Hütte, während sie ihre zweite Portion Suppe verspeiste. Gale wohnte so, wie es wohl alle Männer tun, die zeitlebens herumgereist waren und niemals ein wirkliches Heim bewohnt hatten. Der große Raum in dem sie die Mahlzeit einnahmen enthielt lediglich die Feuerstelle, einen alten wackligen Holztisch, den die Vorbesitzer wohl nicht hatten mitnehmen wollen, drei ebenso wacklige Stühle, eine lange Küchenbank und eine große Holztruhe, in der Gale seine wenigen Habseligkeiten verstaut hielt. Kein Bild oder sonst etwas Persönliches zierte die Holzwände. Lediglich einige Waffen, vornehmlich Schwerter und Schilder, sowie Textilrüstungen und eine schäbig aussehende Lederrüstung hingen an der Wand. Neben der Truhe lag eine Kettenrüstung, die offensichtlich gerade repariert wurde. In einem angrenzenden Raum erhaschte Delia einen Blick auf ein altes Bettgestell, und in einem kleineren Zimmer daneben sah sie Strohmatratzen auf denen immerhin einige Decken ausgebreitet waren. Alles in allem wirkte Gales Heim ärmlich und ungemütlich. Schließlich hockte Delia sich müde neben das Feuer und schloss die Augen. Augenblicklich war sie eingeschlafen. Als Gale das sah, lächelte er.

„Das scheint ein anstrengender Tag gewesen zu sein.“

„Das täuscht“, brummte Siler. „Die Kleine ist ein zäher Brocken. Aber sie beherrscht mittlerweile das Kunststück in allen möglichen Situationen und Positionen einzuschlafen. - Dafür ist sie den Rest der Zeit recht munter.“

„Nun, ich glaube ihr seid trotzdem müde genug. Und eure Geschichten könnt ihr auch morgen noch erzählen. Kommt, ich zeige euch eure Schlafstelle.“

Er führte die beiden Krieger in den kleinen Raum, der mit den Strohmatratzen voll gestopft war. Dann verschwand er und kehrte kurz darauf mit der schlafenden Delia zurück.

„Vergesst euer kleines Schmuckstück nicht.“

„Wie könnten wir“, brummte Mohar und bettete das Mädchen sorgfältig auf die Matratzen.

Der nächste Tag begann mit dichtem Nebel, aber bis zum Mittag klarte es auf und die Sonnenstrahlen brachen sich ihre Bahn. Delia war begeistert und turnte den ganzen Nachmittag am Seeufer herum. Derweil hockten die drei Männer vor der Hütte, tranken Bier, und Mohar erzählte Delias Geschichte.

Gale schüttelte nachdenklich den Kopf.

„Na, da habt ihr euch was Schönes eingebrockt. In eurer Haut möchte ich wirklich nicht stecken.“

„Es wäre alles halb so schwer, wenn die Kleine nicht so süß und anständig wäre“, grollte Siler. „Jedes Mal, wenn ich in ihre ängstlichen Augen sehe, krieg‘ ich ein schlechtes Gewissen.“

Gale grinste dünn. „Die scheint euch ja gut im Griff zu haben.“

Mohar knurrte einen wüsten Fluch. „Da kannst du dein Schwert drauf verwetten. Aber ich glaube nicht, dass sie das bewusst macht. - Sie hat einfach nur Angst wieder Freunde zu verlieren und irgendwo in schlimmen Händen zu landen.“

Gale sah ihn erstaunt von der Seite an. Soviel Einfühlungsvermögen hatte er Mohar gar nicht zugetraut.

„Zu dumm für euch - und für die Kleine. Sie ist wirklich ein süßes Ding.“

Mohar und Siler wechselten einen raschen Blick. Sie hatten beide den gleichen Gedanken. Mohar räusperte sich. „Hm, sie gefällt dir?“

„Oh ja, sie ist ... he, Moment mal.“ Gale erkannte sofort den hinterhältigen Fallstrick. „Schlag dir das aus dem Kopf, Mohar. Das fehlte noch, dass ich hier ein Kind rumhüpfen habe, - und noch dazu ein Mädchen!“

„Sie ist wirklich nützlich“, warf Siler schnell ein. „Sie kann gut kochen, kennt sich mit Pferden aus und hat immerhin ein Jahr Haushaltserfahrung in einer Raststätte hinter sich.“

„Außerdem ist sie kräftiger als sie aussieht und nicht zimperlich“, setzte Mohar die Liste hastig fort.

„Und noch dazu mutig“, schloss Siler. Gale wirkte erst völlig perplex, dann lachte er halb ärgerlich, halb amüsiert. „Soso, und warum behaltet ihr sie dann nicht selbst?“

„Zum Teufel“, stöhnte Mohar, „Das würden wir wirklich gerne, aber zufällig sind wir herumziehende Krieger und seit die Kleine bei uns ist, haben wir keinen anständigen Auftrag mehr annehmen können. Und zum Sesshaft werden sind wir nun wirklich noch zu jung. Überleg es dir. Die Kleine ist wirklich eine wertvolle Hilfe, da bin ich mir sicher. Sie ist fleißig und hat Grips im Kopf. Und außerdem ist sie hübsch.“

„Was nicht unbedingt ein Vorteil ist“, brummte Gale, Aber er sagte damit nicht nein, und Mohar und Siler gaben nicht auf. Jetzt wo sie endlich eine Chance sahen, Delia mit gutem Gewissen unterzubringen, ließen sie nicht locker.

Schließlich warf Gale verzweifelt die Hände in die Luft.

„Bei allen Göttern, meinetwegen. Aber nur unter zwei Bedingungen. Erstens, nur wenn die Kleine freiwillig hier bleibt und zweitens, ihr kommt öfter vorbei und falls ich die Nase voll von ihr habe, nehmt ihr sie wieder mit.“

Mohar und Siler grinsten breit.

„Okay“, meinte Siler. „Das ist fair. - Wer sagt es ihr?“

Auffordernd sah er Mohar an. Dieser fluchte unterdrückt.

„Warum immer ich? Das Mädchen wird mich noch hassen.“

„Blödsinn, aber du kannst wesentlich besser mit Worten umgehen als ich.“

„Feigling“, schnaufte Mohar. Auf den Gedanken einfach heimlich wegzureiten kamen sie nicht. Es wäre feige und nicht gerade anständig gewesen - zumal sie ja freiwillig bleiben sollte. Also mussten sie wohl in den sauren Apfel beißen und sich mit Delia auseinandersetzen.

Delia saß völlig aufgelöst zwischen ihren Freunden und sah von einem zum anderen.

„Ich... ich soll hier bleiben?“ flüsterte sie dann.

„Delia.“ Mohar redete sanft, aber nachdrücklich auf sie ein. „Du wusstest, dass du nicht immer mit uns durch die Gegend ziehen kannst. Das ist nicht gut für uns und auch nicht für dich. Gale ist ein alter Freund von uns. Er mag zwar seine Macken haben, aber im Großen und Ganzen ist er wirklich in Ordnung. Er wird sich um dich kümmern, und du wirst ihm ein bisschen im Haushalt helfen. Das ist auf jeden Fall besser, als wenn du dich eines Tages mit gespaltenem Schädel auf der Straße wieder findest. Das siehst du doch ein, oder?“

Delia drängte tapfer die Tränen zurück. „Ja.“ sagte sie leise.

Die Männer sahen sich unbehaglich an. Schließlich räusperte sich Siler.

„Delia, kleiner Schatz. Wir können dich nicht zwingen hier zu bleiben. Wenn du auf gar keinen Fall bei Gale bleiben willst, musst du es nicht. Aber du solltest selber wissen, dass es wirklich besser für dich ist. Und es ist kein Abschied für immer. Wir werden ab und zu vorbeikommen und nachsehen, wie viel du gewachsen bist. - Also, schlaf eine Nacht darüber. Morgen früh reiten Mohar und ich weiter, - und bis dahin hast du Zeit für deine Entscheidung.“

Delia verbrachte eine schlaflose Nacht. Unruhig wälzte sie sich herum und überdachte verzweifelt die Worte ihrer beiden Freunde. Ihr war klar, dass sie ihnen eine Menge zu verdanken hatte, - und dass sie ein Klotz an ihrem Bein war. Doch alles in ihr sträubte sich dagegen von den beiden getrennt zu werden. Sie hatten ihr Schutz und Zuneigung geboten, und Delia hatte beide zutiefst lieb gewonnen.

Schließlich schlief sie dann doch ein und träumte das erste Mal seit sehr langer Zeit wieder von Drachen.

Als sie am Morgen aufwachte, konnte sie sich nicht mehr genau an den Traum erinnern, aber sie hatte ihren Entschluss gefasst.

Tapfer sah Delia den beiden Kriegern zu, wie sie sich zum Aufbruch rüsteten. Doch als sie sich ihr zum Abschied zuwandten, warf sie sich in ihre Arme und drückte ihr schmales Gesicht an ihren Hals.

„Ich habe euch schrecklich lieb“, flüsterte sie. Siler und Mohar streichelten ihren Kopf.

„Keine Sorge, wir sehen uns wieder“, brummte Siler und schwang sich hastig auf sein Pferd. Ohne sich umzusehen ritt er weiter Richtung Küste, und Mohar folgte seinem Beispiel.

Gale trat neben Delia und legte seine knochige Hand um ihre Schultern. Als die beiden Reiter über der nächsten Hügelkuppe verschwunden waren, zog er sie sanft zur Hütte.

„Na komm, zum Trübsal blasen bist du wirklich noch zu jung. Jetzt räumen wir erstmal auf und überlegen dann, wo wir dich unterbringen. In ein oder zwei Tagen werden meine Schüler wieder hier auftauchen, und bis dahin wäre es gut, wenn du dich schon eingelebt hast.“

Drachenkind

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