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Das „katholische“ Bayern prescht vor

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1972 kann als Geburtsjahr von Ethikunterricht gelten, allerdings nicht in Österreich, sondern in Bayern. Auch im Freistaat mit den vielen Wegkreuzen und Wallfahrtsorten kehrten mehr und mehr SchülerInnen dem Religionsunterricht den Rücken, im Schuljahr 1969/70 um die dreißigtausend. Empirische Studien wiesen ihn als „unbeliebt“ aus, nicht nur weniger „modern“ als Geschichte, sondern „bedrückender“ als Mathematik, darüber hinaus „unbeweisbar“, „weltfremd“, „unklar“.21 Die Religionspädagogik reagierte, indem sie, an den Universitäten personell aufgestockt, die Ausbildung angehender ReligionslehrerInnen intensivierte: Nicht nur zwei Stunden Katechetik, sondern auch Lernpsychologie, Fachdidaktik, Medienpädagogik etc. Zusehends verschwand der Katechismus aus den Klassen, der für viele ChristInnen Inbegriff von Langeweile war, auch für den Dichter Gottfried Keller, der dessen Sätze „in ewigem Wiederkäuen“ habe auswendig lernen müssen.22 Religionsunterricht gab sich fortan als „problemorientiert“. Erörtert wurde seltener der Unterschied zwischen „lässlichen“ und „schweren Sünden“, sondern bspw. die Folgen gesellschaftsbedingter Frustrationen.

Nachhaltig gestoppt wurde die Abmeldungsflut vom Religionsunterricht erst durch die Einführung von Ethikunterricht, zunächst in Bayern, dessen Verfassung vom 2. Dezember 1946 für die von Religion Abgemeldeten einen „Unterricht über die allgemein anerkannten Grundsätze des natürlichen Sittengesetzes“ vorsah, sodann in Rheinland-Pfalz und sukzessive in allen Bundesländern, zuletzt in Nordrhein-Westfalen im Schuljahr 1997/98.23 Die Implementierung geschah „überstürzt“, zunächst an den Gymnasien, schließlich bis hinunter zur Grundschule. Und warum? Um zu gewährleisten, dass alle SchülerInnen die Goldene Regel oder den Kategorischen Imperativ verinnerlichen? Mitnichten. Kultusminister Hans Maier räumte ein: „Angesichts der leerwerdenden Klassen und um der guten Ordnung halber sollten diejenigen, die sich vom Fach Religion abgemeldet hatten, nicht einfach in den Cafés herumsitzen, zum Ärger der anderen Schüler, die noch bei der Stange geblieben waren.“24

Ethik, um die Teilnahme an Religion zu stabilisieren? „Ziviler Ersatzdienst für die Gottlosen“, wie am 29. Dezember 1977 im „Stern“ zu lesen war? Der Nimbus, funktionalistisch den Religionsunterricht zu stützen bzw. die Abmeldungen zu reduzieren, haftet dem Ethikunterricht bis heute an, auch in Österreich. Dies wurde geradezu amtlich in der Presseaussendung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur vom 15. November 2001, als die wesentlichen Ergebnisse der Evaluation (Abschnitt 3) präsentiert wurden: „Es gibt vielmehr Anlass zu der Annahme, dass durch den am Standort verpflichtenden Ethikunterricht die Jugendlichen sich eher weniger vom Religionsunterricht abmelden, das heißt, durch dieses Ethikunterrichtsangebot wird der Religionsunterricht eher gefestigt.“25 Verständlich, dass Religionsfreie dermaßen funktionalisierten Ethikunterricht kritisieren, aber auch EthikschülerInnen: „So wie Ethik zur Zeit in einigen Schulen betrieben wird, ist es meiner Meinung nach nur ein Mittel zum Zweck. Es wird versucht, die Schüler wieder dazu zu bringen, den Religionsunterricht zu besuchen.“26

Der Ethikunterricht in Österreich

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