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Tessa Leuwsha FRIMANGRON

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Ich stehe in Paramaribo vor Anton de Koms Geburtshaus. Es ist ein Eckhaus im Stadtviertel Frimangron. Auf dem Gehweg davor befindet sich ein Gedenkstein mit einer Plakette, auf der ein Zitat des berühmten surinamischen Widerstandskämpfers eingraviert ist: »Sranan, mein Vaterland, einmal hoffe ich, dich an dem Tag wiederzusehen, an dem alles Elend von dir abgewendet sein wird.« Das halb verfallene Holzhaus besteht aus einem Erdgeschoss und einem Obergeschoss. Die grau gewordenen vertikalen Holzbretter hängen schief an den Nägeln, das Wellblechdach ist teilweise eingestürzt. Ein Fensterladen steht offen, die Gardine ist zur Seite geschoben: Das Haus ist bewohnt. Nebenan verbirgt sich hinter einem Bananenbaum ein weiteres kleines Haus. Auf dem Weg zwischen den Häusern taucht ein hagerer schwarzer Mann auf. Sein Haar und der Bart sind grau. Er trägt ein T-Shirt, das ihm genau wie die Badelatschen viel zu groß ist. In der Hand hält er eine in Zeitungspapier eingewickelte Blume. Er setzt sich auf den Gehweg vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie de Kom. Für wen diese Blume wohl bestimmt ist? Um mich kümmert er sich nicht – schließlich stehen viele Menschen vor diesem Haus, um es zu fotografieren.

In den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts warteten hier hunderte Menschen darauf, mit Anton de Kom zu sprechen. Arbeitslose und Arbeiter, die mit ihrem kargen Lohn über die Runden kommen mussten. Nach Abschaffung der Sklaverei 1863 hatte der niederländische Staat im ehemaligen Britisch- und Niederländisch-Indien Vertragsarbeiter für die Plantagen in Suriname angeworben. Mit dem Niedergang der Landwirtschaft strömten diese Arbeiter, gleich den ehemaligen Versklavten, nach Paramaribo. Aber auch in der Hauptstadt mangelte es an Arbeit und herrschte große Armut. Dennoch hofften sie, am Tisch hinter dem Haus von dem Mann empfangen zu werden, der mit dem frischen Wind des Widerstands aus Holland zurückgekehrt war.

Cornelis Gerhard Anton de Kom wurde 1898 in Paramaribo geboren. Er erwarb ein Buchhalterdiplom und arbeitete für einige Zeit im Büro der Balata Compagnie, einer Firma, die den Abbau von Balata, einer Kautschuksorte, vorantrieb. De Kom nahm sich dem schweren Los der Balata-Bleeders an, der überwiegend kreolischen Arbeiter, die im erstickend heißen Urwald die Gummibäume abzapften. 1920 kündigte de Kom, fuhr in die Niederlande und heiratete dort die Niederländerin Petronella Borsboom. Als einer der wenigen Schwarzen in den Niederlanden kam er schließlich mit nationalistischen Javanern in Kontakt, die die Unabhängigkeit Niederländisch-Indiens anstrebten: Indonesien. De Kom übernahm diesen Freiheitsgeist und begann, Artikel für De Communistische Gids zu schreiben, das Sprachrohr der Kommunistischen Partei der Niederlande, die damals die einzige politische Partei mit einem Bekenntnis zum Antikolonialismus war. Seine Artikel, aber auch der revolutionäre Tenor seiner Rede fanden ihren Weg zur Arbeiterbewegung in Suriname. Besonders seine Kritik an der Lohnkürzung für Vertragsarbeiter machte ihn bei dieser Gruppierung populär.

Als de Kom 1932 gemeinsam mit seiner Frau und ihren vier Kindern per Schiff nach Suriname zurückkehrte, um seine kranke, jedoch noch während der Reise verstorbene Mutter zu besuchen, sahen seine Genossen im Geiste der Ankunft sehnsüchtig entgegen. Hinter dem elterlichen Haus richtete er eine Beratungsstelle ein und notierte gewissenhaft die Beschwerden der unzufriedenen Surinamer. Vor allem Javaner, die sich durch die anderen Bevölkerungsgruppen benachteiligt fühlten, suchten Rat bei »Papa de Kom«, ein Spitzname, den sie ihm schnell verpasst hatten. De Kom würde sie wie ein Messias zurück nach Java führen, so das glühende Verlangen. In Wir Sklaven von Suriname schreibt de Kom: »Unter dem Baum aber, an meinem Tisch vorbei, zieht die Parade des Elends. Parias mit eingefallenen Wangen. Hungerleider. Menschen ohne genügend Widerstand. Offene Bücher, in denen sich die mühsam erzählte Geschichte von Unterdrückung und Entbehrung sogleich lesen lässt.« (S. 178) De Kom wollte die gesammelten Beschwerden der Kolonialverwaltung vorlegen, doch die Unruhe, die er mit seinem Büro auslöste, missfiel Gouverneur Abraham Rutgers. Am 1. Februar 1933 zog Anton de Kom mit einigen Anhängern zum Gouvernement. Dort wurde er wegen des Verdachts, einen Umsturz zu planen, verhaftet.

Von der Straße aus kann man den Hinterhof nicht einsehen. Die Seitenwand des Hauses ist mit Zinkblech zugenagelt, ein großer Mangobaum stützt sich zum Teil auf das Dach. Vor dem Nachbarhaus fegt eine Frau Laub und Fallobst zusammen. Sie trägt einen rosafarbenen Rock, einen engen Pulli, eine Kappe und eine Sonnenbrille. Wahrscheinlich hat sie wie der größte Teil der Surinamer das Outfit in einem der billigen chinesischen Klamottenläden gekauft, die Paramaribo überschwemmen. Der kleinere Teil der Bevölkerung mit einem größeren Einkommen kauft seine Kleidung im Ausland oder im Internet. In mancher Hinsicht scheint sich zwischen dem Paramaribo, in dem de Kom Anfang des vergangenen Jahrhunderts aufgewachsen ist, und der Stadt von heute nicht viel verändert zu haben. Nur dass die Reichen nicht mehr in den weißgrünen Herrenhäusern im alten Stadtzentrum wohnen, sondern in modernen Steinvillen der grünen Wohnviertel wie Mon Plaisir und Elisabeths Hof.

Dass gerade ein Arbeiterviertel wie Frimangron einen Revolutionär wie de Kom hervorgebracht hat, ist nicht verwunderlich. Schon in der Sklavenzeit zogen die Versklavten, denen es gelungen war, sich freizukaufen, in das damals brachliegende Gebiet am Stadtrand. Früher hatte das ehemalige Hauspersonal in Sklavenbaracken hinter den Herrenhäusern gehaust. Frimangron bedeutet »Erdboden der freien Menschen«. An den langen Sandstraßen zimmerten sich die neuen Bürger einfache Häuschen und übten Handwerksberufe aus. Die Pontewerfstraat war die wichtigste Straße des Viertels. Aus den kleinen Werkstätten klangen das Sägen der Zimmerleute und das Klopfen und Ticken von Schuhmachern, Gerbern und Blechschmieden. Die Frauen arbeiteten als Wäscherinnen und Büglerinnen für die weiße und hellhäutige Elite, die in der niederländischen Kolonie das Sagen hatte. In dieser Straße, die seit Anfang der achtziger Jahre nach Anton de Kom benannt ist, steht sein Geburtshaus.

Auf dem Gehweg, auf dem der alte Mann sitzt, wird auch Anton de Kom in seiner Jugend regelmäßig Zeit verbracht haben. Sein Vater war noch Sklave gewesen, seine Großmutter erzählte ihren Enkelkindern »vom Leid der Sklaverei«, wie de Kom es in seiner scharfen Klageschrift Wir Sklaven von Suriname schreibt. Er publizierte das Buch 1934, ein Jahr, nachdem die Kolonialverwaltung ihn aus Suriname verbannt hatte.

De Kom war ein guter Schüler und hatte schon in jungen Jahren die Fähigkeit entwickelt, Unrecht nicht als Selbstverständlichkeit anzusehen. Die Kinder in seinem Viertel mussten meist barfuß laufen, sie waren in Lumpen gekleidet und trieben sich auch nach der Dämmerung draußen herum. Zwar gab es eine Schulpflicht, doch die wenigsten Eltern hatten die Mittel, das Schulgeld aufzubringen, geschweige denn, anständiges Schuhwerk und Schulkleidung zu kaufen. Es kostete die Eltern schon größte Mühe, ihren Kindern täglich etwas Reis mit gesalzenem Fisch aufzutischen. Wer die Gelegenheit bekam, stellte sein Kind als kweekje zur Verfügung: bei einer gut situierten Familie gegen Kost und Logis das Haus fegen, den Garten rechen und Wassereimer schleppen. Kinderarbeit war üblich. Anton de Kom hatte es vermutlich ein wenig besser. Seinem Vater gelang es als Kleinbauer, mit der Landwirtschaft ein halbwegs gutes Auskommen zu haben. Zudem arbeitete er als Goldgräber. Der junge Anton muss allerdings gelegentlich auf dem imposanten Oranjeplein gewesen sein, in dieser anderen Welt im Herzen der Stadt, wo vor dem vornehmen Gouverneurspalast das Denkmal von Königin Wilhelmina stand, auch wenn sie ihre Kolonie niemals besuchte. Unter den Tamarinden am Platz flanierte das wohlhabende Bürgertum, herausgeputzt in Kostümen oder langen weißen Kleidern. In Frimangron waren alle schwarz. Und daran hat sich bis heute nicht viel geändert.

Eines Sonntagmorgens fahre ich über den Anton Dragtenweg, den hübsche Häuser mit Aussicht auf den Suriname-Fluss säumen, zum Viertel Clevia. Seite an Seite stehen dort Bruynzeelhäuser mit kleinen Vor- und Hintergärten. Ich parke vor einem frisch geschmirgelten Zaun. »Ich streiche gerade die Haustür«, hatte Cees de Kom am Telefon ein wenig atemlos gesagt. Anton de Koms 91-jähriger Sohn wirkt noch immer sehr rege. Er lässt mich vorangehen, die Treppe hinauf zum Balkon. Seine ein Jahr jüngere Ehefrau schüttelt mir energisch die Hand. Cees de Kom und ich haben etwas gemeinsam, wir sind beide Halbblüter. Beide haben wir einen schwarzen Vater und eine weiße Mutter. Mulatte war einst der korrekte Terminus für Menschen wie uns. Immer wenn ich Cees treffe, wie bei der Premiere des Films über das Leben seines Vaters, versäumt er es nicht, mich auf diese Gemeinsamkeit hinzuweisen. Wenn etwas sein Leben bestimmt hat, dann dass er als halb angesehen wird.

Cees wurde 1928 geboren. Er war vier Jahre alt, als die Familie in Suriname eintraf. Nach der Festnahme seines Vaters zogen am 7. Februar 1933 unzählige Demonstranten zum Gouvernement, um seine Freilassung zu fordern. Die Polizei eröffnete das Feuer. Es gab zwei Tote und zweiundzwanzig Verwundete. De Kom saß drei Monate im Fort Zeelandia ein, ausgerechnet in jener von den Niederländern erbauten Festung, in der Sklavenhalter gegen Bezahlung ihre vermeintlich unwilligen Versklavten hatten züchtigen lassen. Die grausame Folter durch den Spanischen Bock, die Peitschenhiebe, das Rädern und letztlich lebendig verbrannt zu werden: Wenn es um Körperstrafen ging, übertrafen die holländischen Kolonisatoren die englischen und französischen. Die Arrestzelle musste den Widerstandsgeist in Anton de Kom weiter angefacht haben.

Nach seiner erzwungenen Rückkehr in die Niederlande behielt ihn der Geheimdienst im Auge. Man hielt de Kom für einen Kommunisten, auch wenn er nie Mitglied der Communistische Partij gewesen war. Er hatte größte Mühe, Arbeit zu finden. »Ich erinnere mich daran, dass mein Vater immer am Schreiben war«, sagt Cees, »mit einem Bleistift, den er aus Sparsamkeit bis zum Stummel aufbrauchte. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, ging er in den Widerstand und schrieb für die illegale Presse. Am 7. August 1944 wurde er von der Gestapo verhaftet. In der Hoffnung, er käme zurück, saß meine Mutter stundenlang am Fenster. Aber er kam nicht. Mein Bruder und ich wurden nach Deutschland transportiert, um auf einem Bauernhof zu arbeiten. Nach unserer Rückkehr mussten wir gleich wieder aufbrechen, nach Niederländisch-Indien, um dort Ordnung und Frieden wieder herzustellen, wie der Auftrag lautete. Dabei hatte mein Vater doch mit den indonesischen Freiheitskämpfern sympathisiert! Ich schrieb ein Bittgesuch an den Verteidigungsminister, um nicht fort zu müssen. Nach der Befreiung hatte meine Mutter noch immer nichts von meinem Vater gehört. Die letzte Nachricht war, dass er sich im deutschen Konzentrationslager Neuengamme befand. Ohne Neuigkeiten von ihm wolle ich sie nicht allein lassen, schrieb ich, aber damit hatte der Staat keine Eile. Erst 1950 kam das offizielle Schreiben: Mein Vater war am 24. April 1945 im Konzentrationslager gestorben.« Cees weist in das Vorderzimmer. »Und auf dem Stuhl dort ist meine Mutter gestorben, sie schlummerte einfach ein. Wir wohnten damals schon Jahre in Suriname. Und sie verbrachte die Ferien bei uns.« Vor einiger Zeit fand er es an der Zeit, seine Memoiren zu schreiben. »All der Ballast, den man mit sich herumschleppt.« Er reicht mir einen dicken Packen Papier, eingefasst in ein Ringbuch. Twee culturen, één hart (Zwei Kulturen, ein Herz) lautet der Titel, darunter prangt die Zeichnung von zwei ineinander verschlungenen Kreisen: die Eheringe seiner Eltern.

»In den Niederlanden habe ich meinen Namen einfach mit K geschrieben. Hier habe ich Cees daraus gemacht, das klingt beschwingter, weniger holländisch, denn in den Niederlanden fand ich nichts von meiner surinamischen Kultur wieder.« Als Junge saß er einmal mit seinem Vater in der Straßenbahn, als eine Frau auf Anton de Kom deutete und zu ihrem Kind sagte: »Schau, das ist der schwarze Mann. Pass bloß auf, sonst kommt er dich bald holen.« Es gab auch Kinder, die es auf Cees abgesehen hatten: »Kauf dir bloß keine Seife, du bleibst eh schmutzig«, riefen sie. Und später, immer noch in den Niederlanden, als er für die PTT arbeitete, den Staatsbetrieb für Postwesen, Telegrafie und Telefonie, und mit Kollegen über kulturelle Unterschiede sprach, sagte ein Niederländer unbeholfen: »Wenn ich in Groningen bin, habe ich für die Menschen dort auch einen fremden Akzent.« Bei der Umbettung der sterblichen Überreste seines Vaters am 18. August 1960 auf den Ehrenfriedhof für Kriegsgefallene in Loenen wurden alle Namen vorgelesen, nur der von de Kom nicht. Die Erklärung: ein technischer Defekt. »Immer diese hinterhältigen Gemeinheiten«, seufzt Cees. Immer der Unterlegene sein, nicht verstanden werden – darauf hatte er keine Lust mehr. Sechs Jahre später fuhr er mit seiner Familie auf der MS Oranje Nassau in das Land seines Vaters. Dieselbe Reise, die seine Eltern etwa dreißig Jahre zuvor unternommen hatten. Doch auch in Suriname zeigte sich, dass das Eigene nicht immer genügend geschätzt wird. »Fast alle Bücher, die man hier liest, kommen aus den Niederlanden.« Die Familie ist über eine Stiftung Eigentümerin von Anton de Koms Geburtshaus. Die Mittel fehlen, um es zu restaurieren. Die Behörden kümmert es nicht.

Die niederländische Knute hinter sich zu lassen, das stand de Kom vor Augen, als er sein zum Klassiker gewordenes Buch geschrieben hat: »Kein Volk kann aber zu voller Blüte gelangen, das erblich mit einem Minderwertigkeitsgefühl behaftet ist. Deshalb möchte dieses Buch die Selbstachtung der Surinamer wachrütteln.« (S. 60) 2020, dem Jahr, in dem Suriname seit 45 Jahren unabhängig ist, haben diese Worte nichts von ihrer Kraft eingebüßt. Mit Wir Sklaven von Suriname war de Kom seiner Zeit weit voraus. Nicht nur für die Surinamer, auch für die Niederländer. Das Land, über das die Niederländer über 300 Jahre regiert haben, bildete lange einen blinden Fleck in der Kolonialgeschichte. Erst seit ein paar Jahren nimmt Suriname einen bescheidenen Platz im kollektiven Bewusstsein ein. Eine Veränderung, die nur ruckweise verläuft. Und die Geschichte kommt nicht ohne Auswüchse daher. Als ich in den 1970er-Jahren in Amsterdam aufwuchs, schrieb ich in meiner Kinderhandschrift einen Brief an die Redaktion meiner Lieblingsmädchenzeitschrift Tina. Ich war zwölf Jahre alt. Nach einem Kompliment über die Zeitschrift fragte ich, warum es nie ein schwarzes Mädchen auf das Titelbild schaffe? Jeden Tag suchte ich im Briefkasten nach einer Antwort. Dass ich sie nie erhielt, traf mich tief.

Das Werk von Anton de Kom beeindruckt nicht nur durch seine enorme Aussagekraft, sondern auch durch den Mut, mit dem er Missstände zur Sprache gebracht hat. Es ist eine Anklage gegen den nüchternen Unternehmergeist, die Kleinkrämermentalität, mit denen man ein Land und sein Volk ausgequetscht hatte. Es ist keine schöne Geschichte, aber es ist sehr wohl unsere gemeinsame Geschichte. Die holländischen Vorfahren soffen, hurten und folterten in der Kolonie nur so drauflos, auch aus Langeweile und Frustration wegen des öden Plantagenlebens. Das Ausmaß dieser Dekadenz war im eigenen puritanischen Vaterland undenkbar. De Kom, der in Suriname Geschichtsunterricht über die berühmten niederländischen Seeräuber wie Piet Hein und Michiel de Ruyter erhielt und der die Namen der Gouverneure, die seine afrikanischen Vorfahren in den Schiffsbäuchen verschleppt hatten, auswendig lernen musste, versuchte, tief in die Psyche der Sklavenhalter einzudringen. Er ist ihnen immerzu auf den Fersen und rückt ihnen auf den Pelz, ohne auch nur einen Moment den Druck herauszunehmen. Man kann sich de Kom schreibend vorstellen, weit vorgebeugt auf der Stuhlkante, den Bleistiftstummel auf das Papier drückend. Seine Sprache ist geschmeidig, essayistisch und manchmal lyrisch, mit erstaunlichen Sprachbildern. Von der Handwerkskiste eines Schriftstellers Gebrauch machend, haucht er seinem Werk Farbe und Gefühl ein. Und nirgends vergisst er seinen Hintergrund, wie es treffsicher in einem Odo, einem surinamischen Sprichwort, zum Ausdruck kommt: Im Schnabel eines Vogels kann die Kakerlake ihr Recht nicht geltend machen.

Wann hat das Verschweigen dieser Seite der Geschichte eigentlich angefangen? Wer davon sprach, konnte lange Zeit mit einer schulmeisterlichen Antwort rechnen, wie etwa: »Naja, überlege mal, was die Franzosen und die Briten getan haben, und sogar die Afrikaner!« Wie die Ausrede eines Käufers von Diebesgut. Einmal ertappt, weist dieser eifernd auf den Hehler und den Dieb: Nicht ich, sie! Und doch: Wo keine Nachfrage, da kein Angebot. Hier und da werden Denkmäler errichtet, die an das Leid erinnern. Man bringt erklärende Texte zu in Ungnade gefallenen Kolonialherren an. Sich aber umzudrehen und dem eigenen Monster in die Augen zu starren, das bereitet noch immer Mühe.

Wir Sklaven von Suriname hält uns auch heute noch einen Spiegel vor. Das Buch verbreitet die Botschaft von Macht versus Minderheit, von Kapital versus Armut. Spielend leicht lassen sich Parallelen zur Gegenwart ziehen: die miserable Situation von Flüchtlingen im Westen, auch in den Niederlanden. Chinesen, die mit einem Kartell im Nacken von früh bis spät in Geschäften stehen. Drogenbanden, die in Lateinamerika Bürger erpressen, Frauenhandel, Kinderarbeit in asiatischen Textilfabriken. Es sind immer Systeme, die den Rahmen schaffen, aus denen Individuen ihren Vorteil ziehen. Unterdrückung gründet sich auch ausdrücklich auf Stereotypen: Wir gegen die unbekannten, fremden Anderen. Der Vormarsch rechter Populisten in der Welt basiert zu einem wesentlichen Teil auf diesem Wir-Sie-Denken. Der andere ist faul oder kriminell oder beides. »Wollen wir mehr oder weniger Marokkaner?«, fragt Geert Wilders. Noch entschiedener klingt die Parole: Sei normal oder hau ab. America first, aber wem gehört Amerika eigentlich? Aus dieser Position spricht ein vermeintlicher Anspruch auf Eigentum. De Kom durchschaute diese Sichtweise nur allzu gut. Hinter dem anonymen Wort Sklave fügte er zwischen zwei Anführungszeichen »unsere Väter« hinzu. Unsere Väter, nicht einfach nur namenlose Wesen.

Welche Aktivisten in der Welt gibt es nach Anton de Kom, Mahatma Ghandi, Martin Luther King, Rosa Parks, Malcolm X und Nelson Mandela, die für die als selbstverständlich angesehenen Menschenrechte kämpfen? Sind die Appelle laut genug? Anton de Kom deckte die Mechanismen hinter dem Phänomen der Unfreiheit auf. Hinter der Armut.

Auf dem Gehweg vor der berühmtesten Hütte von Paramaribo lässt die Blume in der Hand des alten Mannes wegen der Hitze ihren Kopf hängen. Er steht auf und schlurft mit den zu großen Badelatschen die Straße hinunter.

Wir Sklaven von Suriname

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