Читать книгу Keine Anleitung zum Mord - Anton Theyn - Страница 10
San Francisco
ОглавлениеEndlich sitze ich im Flugzeug. Die Stewardess zeigt engagiert Maßnahmen gegen das Ertrinken bei Wasserlandungen. Ich entspanne mich sofort. Wenngleich es mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegt, habe ich das Gefühl, ich komme in eine vertraute Umgebung. Gerne denke ich an die drei Jahre meiner Promotionszeit in San Francisco zurück. Zugegeben, in den fast dreißig Jahren wird sich vieles geändert haben. Ich bin gespannt, was meine ehemaligen Kollegen zu erzählen haben.
Drei meiner früheren Kollegen holen mich vom Flughafen ab. David, John und Mark. Das sind auch die Drei, mit denen ich den meisten Kontakt hatte. David, denke ich für mich, was bist du fett geworden. Früher war er eine Sportskanone und alle Mädels wollten mit ihm ausgehen. John hat schon immer so viel geredet. Er konnte eine Stunde lang reden, ohne zu merken, dass ihm keiner zuhörte. Dass Mark dabei ist, freut mich am meisten. Wir waren wirklich gute Freunde. Ich glaube, er hat sich kaum verändert. Schlank, kaum graue Haare und noch immer den Schalk in den Augen. Ganz der alte Mark. Nur mit Mühe konnte ich sie davon abbringen, bei einem von ihnen einquartiert zu werden. Da ich noch ein paar weitere Pläne habe, möchte ich weitgehend unabhängig bleiben. Ich brauche diesen Freiraum.
Der Empfang ist herzlich und ich werde in den nächsten Tagen überall in den Familien und im Freundeskreis vorgestellt und herumgereicht. Ich komme mir wie ein exotisches Tier vor, das jeder einmal bewundern möchte. Wir alten Kollegen reden, als hätten wir uns vorgestern das letzte Mal gesehen. Gerne würde ich an einigen Forschungsvorhaben und Ergebnissen ihrer aktuellen Arbeit teilhaben. Leider sind die Ex-Kollegen in diesem Punkt sehr zurückhaltend. Geheimhaltung wird nach wie vor großgeschrieben. Es wird regelrecht gemauert. Schade, da hatte ich mir doch mehr erhofft.
Nach einer Woche habe ich genug von alten Geschichten und nehme mir den vermutlich schwierigsten Teil meiner Rundreise vor. Ich fliege nach Mittelamerika. Während meines Australienaufenthalts hatte ich mich hinreichend informiert, welches Land für mein Vorhaben die besten Voraussetzungen bietet. Für mich als unbedarften Mitteleuropäer macht das fast keinen Unterschied. Es funktioniert oder es funktioniert nicht. Am Flughafen angekommen fahre ich per Taxi zu meinem Hotel. Dank des Internets konnte ich mir ein halbwegs passendes Hotel rechtzeitig buchen.
Ich bin das erste Mal in meinem Leben hier und habe das Gefühl, ich bin am falschen Platz. In Australien kam ich gut zurecht, das war kein Problem. San Francisco war mir ohnehin mehr oder weniger vertraut, wenngleich sich vieles geändert hat und die Amerikaner ganz anders als Europäer ticken – sofern es den Europäer gibt. Und hier in Mittelamerika fühle ich mich mindestens so fremd wie in Hongkong. Mit dieser Lebensweise, dieser Mentalität komme ich nicht zurecht.
Mein Ziel - ich benötige eine diskrete Bank. Das große Bankenviertel habe ich von vornherein ausgeschlossen. Die Bank meiner Wahl wird kein Glaspalast mit dutzenden von Stockwerken sein. Nein, ich brauche eine kleine, familiäre Bank. Keine Vorstände, die Aktionären verpflichtet sind. Abseits des großen Bankenviertels beginne ich meine Suche. Naiv wie ein Teenager betrete ich die nächstbeste Bank und trage mein Anliegen vor. „Mein Herr“, werde ich schroff und mit einem strafenden Blick abgewiesen, „da sind Sie bei uns völlig falsch.“
Beim Hinausgehen murmelt er mir noch den Namen eines Instituts zu, das wohl meine Wünsche erfüllen wird. Auf meine Frage, wo genau diese Bank zu finden sei, macht er unauffällig für die anderen Mitarbeiter des Hauses eine Geste, die ich als immer der Straße entlang interpretiere. Der Versuch einer Nachfrage wird mit eindeutiger Miene beantwortet. Mir stehen keine Fragen mehr zu, geschweige denn Antworten.
Da ich ohnehin kein anderes Ziel habe, laufe ich die endlos erscheinende Straße entlang. Wohl fühle mich ich mich nicht in dieser fremden Stadt, in dieser fremden Kultur und bei tropischer Hitze. Mein Unwohlsein ist völlig irrational. In südeuropäischen Städten sieht es außerhalb der Luxusviertel mit ihren Prachtstraßen kein bisschen anders aus. In früheren Jahren habe ich mehrmals Urlaub in Südeuropa gemacht. Von daher sind mir solche Stadtbilder durchaus bekannt. Das Stadtbild kann somit nicht die Ursache für meine Beklemmung sein.
Sind es die Temperaturen? In Australien war es heiß, meistens dreißig, manchmal sogar vierzig Grad und mehr, aber hier ist es unerträglich. Dabei sind die Temperaturen eher niedriger als in Australien. Das ist nicht das Problem. Die Luftfeuchtigkeit nimmt mir den Atem. Es regnet jeden Tag. Ich komme mir wie im Tropenhaus eines botanischen Gartens vor. Das Unwohlsein, die Beklommenheit können nur eine Ursache haben. Ich habe ein Anliegen, das außerhalb meiner Lebenserfahrung liegt. Ich bin dabei, eine Schattenwelt zu betreten.
Bereits durchs Nichtstun steht mir der Schweiß auf dem gesamten Körper. Hinzu kommt das Laufen entlang dieser nicht enden wollenden Straße. Jeder Schritt, der mich dem nach wie vor unbekannten und unklaren Ziel näher bringt, steigert mein Gefühl, dass das nicht gut gehen kann. Die Anspannung wächst unaufhörlich und ich weiß, glaube zu wissen, dass es keine Alternative gibt. Es gibt nur diesen einen Weg. Diesen einen Weg zur Bank – diesen einen Weg durch die Stadt. Ich sehe, zumal als Alleinreisender, bestimmt wie ein Tourist aus, den man mal schnell ausrauben kann. Ich möchte nicht das Opfer eines Überfalls werden. Und das wäre nur das kleinere Problem.
Tatsächlich komme ich nach fast einer halben Stunde Fußmarsch zu einer Bank, deren Namen so ähnlich klingt, wie das Gemurmelte meines letzten Gesprächspartners. Aber ohne den Namen zu lesen, hätte ich ihn nicht aussprechen können. Mein Spanisch-Wortschatz reduziert sich auf ein Semester Volkshochschule und reicht gerade einmal für das Bestellen einer Mahlzeit und ein paar wenigen Grußformeln.
Völlig durchgeschwitzt und mit einem beklemmenden Gefühl stehe ich unsicher wie vor dem ersten Rendezvous vor der Bank. Jetzt bin ich so weit gereist und habe nun Angst, die Bank zu betreten. Naja, Naturwissenschaftler. Ich bin eben kein BWLer. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und betrete unsicher die Bank. Ich formuliere beim nächstbesten Angestellten meinen Wunsch in der Erwartung, dass mein Gegenüber englisch spricht und mich versteht. Dieser dreht sich schweigend um und verschwindet in einem der hinteren Räume. Was ist jetzt los? Ruft er die Polizei? Werde ich verhaftet?
Er hätte mich abweisen können, das kenne ich schon. Aber mich so stehen zu lassen. Am liebsten würde ich auf dem Absatz umdrehen und unverrichteter Dinge das Weite suchen. Allerdings wäre damit mein Problem nicht gelöst. Ich habe keinen Ansatzpunkt und fange dann wieder bei null an. Ich werde noch eine Minute warten und dann verschwinden. Zumal ich noch ein paar Züge das klimatisierten Gebäudes zwecks Abkühlung genießen möchte. Und ich habe auch noch nichts verbrochen, beruhige ich mich langsam.
Falls die Polizei kommen sollte, werde ich behaupten, man habe mich missverstanden. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich auch für dieses Nichts oder das Missverständnis mit einer unangenehmen Polizeibefragung rechnen müsste. Als Student war ich einmal in Südamerika. Das Polizeiverständnis ist in diesen Ländern ein anderes als das in Deutschland. Man kann für alles bestraft werden, wenn es dem Uniformierten gefällt bzw. er daraus einen finanziellen Vorteil mit nach Hause nimmt.