Читать книгу Keine Anleitung zum Mord - Anton Theyn - Страница 5
Ein erster Plan
ОглавлениеMittlerweile ist es spät im Frühling. Ich bin seit vier Monaten Ruheständler und ich habe das Gefühl, dass ich meinen Alltag halbwegs bewältige. Am Anfang war ich eher depressiv und es kamen mir tausend Gedanken, die meisten davon waren nicht gut. Ich fahre täglich große Strecken mit dem Fahrrad; entweder per Mountain-Bike durch den Wald oder mit dem Rennrad auf der Straße. Beim Radfahren kann ich am besten entspannen. Da habe ich die besten Ideen. Heute hatte ich eine gute Idee.
Ich fühle mich unheimlich gut. Ich male mir aus, wie es am besten geht. Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde es tun. Egal was passiert. Nur dann werde ich zufrieden sein. Ich werde mich rächen. Das steht fest und davon werde ich mich nicht abbringen lassen. Ich werde mich an Erwin rächen. Ich werde ihn so zerstören, wie er mich zerstört hat. Er wird vor Trümmern stehen.
Steinewerfer gab es auf deutschen Autobahnen schon einige. Mir ist kein einziger Fall bekannt, in dem die Steinewerfer eine konkrete Person im Blick gehabt hätten. Vielmehr ging es ihnen um niedere Beweggründe. Diese reichten, bei aller Tragik der Folgen, von jugendlichem Übermut bis hin zu Hass, der sich an irgendeinem zufälligen Opfer entlud.
Zumindest in den schweren Fällen sind nach meiner Kenntnis alle Täter ermittelt worden. Mein Ehrgeiz sagt mir, dass ich das besser machen will, deutlich besser. Ich werde mich nicht ertappen lassen. Ich weiß, dass Erwin jeden Mittwoch zum Managertreffen in eine andere Stadt fährt. Erwin ist mein Ziel.
Mit dem Managertreffen hat es eine besondere Bewandtnis. Das Managertreffen bezahlt er, es findet etwa 100 Kilometer vom seinem Wohnort entfernt statt und er ist der einzige Manager, der daran teilnimmt. Der andere Teilnehmer ist eine Managerin mit Spezialkenntnissen auf einem einzigen Gebiet. Sollte Erwin auf der nächtlichen Rückfahrt von seiner Managerin einen kleinen Unfall haben, käme er bei seiner Frau in große Erklärungsnöte.
Ob sie sich das gefallen lässt, weiß ich nicht. Im Unternehmen sollte es dazu führen, dass Erwin nicht mehr haltbar wäre. Man denke an amerikanische Politiker. So lange es nicht öffentlich wird, sei es die größte Schweinerei, ist alles in bester Ordnung. Sobald die Öffentlichkeit von den moralischen Verfehlungen erfährt, kommt klar das finale Aus.
Ein Ferrari - Erwins Ferrari - hat eine Bodenfreiheit von 11 cm. Ein Stein mit einer Größe von 15 cm auf der Straße wird seinen Ferrari in die Leitplanken setzen. Das wird unangenehme Fragen aufwerfen. Warum zu dieser Zeit an diesem Ort? Das sollte genügen. Ich habe auch schon eine Idee für den Ort meiner Rache. Eine Grünbrücke auf der Strecke ist ideal. Oft genug schon bin ich bei ausgiebigen Touren mit dem Fahrrad über die Brücke gefahren. Die Herausforderung wird für mich darin bestehen, keine Spuren zu hinterlassen. Es wäre schon eine Ironie des Schicksals, wenn ich meinen eigenen genetischen Fingerabdruck hinterlassen würde. Gentechnik wurde mir schließlich schon einmal zum Verhängnis. Ein zweites Mal sollte mir das nicht passieren, darf mir das nicht passieren.
Bei jeder Fahrradfahrt, und nicht nur da, überlege ich mir genau, wie ich es anstelle. Ich stecke mir immer ein paar unreife Äpfel und Tomaten aus meinem Garten ein und übe. Von einer Brücke versuche ich, mit den Früchten einen Güterzug zu treffen. Mit den tischtennisballgroßen Früchten kann nichts passieren und ich lerne schnell, die Früchte im richtigen Moment loszulassen und meine Ziele zu treffen.
Mal sind es Autos, die auf dem Zug transportiert werden, mal einfach nur Container. Wichtig ist nicht das Objekt, das ich treffe, sondern der richtige Abwurfmoment. Jeder Schüler lernt schon in der 10. Klasse, dass jeder Körper, ungeachtet seines Gewichts, gleich schnell fällt, sofern der Luftwiderstand keine Rolle spielt. Was mit einem kleinen Apfel funktioniert, funktioniert auch mit einem Stein, einem großen Stein.
Nachdem ich das beherrsche, steige ich in die nächste Schwierigkeitsklasse auf. Ich nehme mir den ICE vor. Ein kleiner Apfel sollte keinen größeren Schaden anrichten. Hier ist die Situation realistischer. Ich habe nur einen Versuch und die Geschwindigkeit eines ICE kommt etwa der eines Ferraris gleich. Um das Szenarium möglichst realistisch zu simulieren, fahre ich nach dem Abwurf sofort weg. Es erhöht die Spannung und ich laufe weniger Gefahr, dass mich eine alarmierte Polizeistreife aufgreift. Ich käme in arge Erklärungsnot. Leider sind die Abwurfübungen der einfachste Teil meines Unterfangens. Wie schaffe ich es, keine Spuren zu hinterlassen?
Den Stein durch einen Eisklotz zu ersetzen, könnte das Problem lösen. Die Wirkung dürfte etwa die gleiche sein. Der Eisklotz wird zerbersten, die Splitter in kürzester Zeit wegschmelzen und damit als Beweismittel wegfallen. Falls es erforderlich werden sollte, hätte ich kein Alibi. Da muss ich mir noch etwas einfallen lassen. Zuerst werde ich mir ein weiteres Fahrrad besorgen.
Gleich am nächsten Samstag kaufe ich mir bei einer Fundstellenversteigerung ein brauchbares Fahrrad. Ein unauffälliges Mountain-Bike, wie es hundertfach auf den Straßen zu sehen ist, in einem technisch einwandfreien Zustand. Ich werde es ein wenig verändern. Unplattbar muss es werden. Eine Spezialfüllung in den Reifen sorgt dafür, dass selbst bei einem Nagel die Weiterfahrt problemlos möglich ist. Ich muss mich auf mein Fahrrad verlassen können. Weiterhin bekommt meine Neuerwerbung einen Gepäckträger und eine Transportbox. Die Transportbox werde ich bei Gelegenheit noch so modifizieren, dass ich sie mit wenigen Griffen abmontieren kann.
Beim Eisklotz bin ich hin und hergerissen. Entweder absolut reines Wasser nehmen, da gibt es keine Spuren. Oder Wasser mit so viel Genmaterial, dass man bei einer Untersuchung eine halbe Stadt findet. Ich will sehr, sehr vorsichtig sein. Ich bin Naturwissenschaftler und ein gebranntes Kind.
Schon als Kind habe ich mit Interesse Bücher über Kriminalistik und die Entwicklung der Spurensuche gelesen. Nachweise der Fingerabdrücke stellten Mitte des 19. Jahrhunderts Gesetzesbrecher vor neue Herausforderungen. Der Handschuh schützt noch heute jeden Einbrecher vor der verräterischen und eindeutigen Spur des Fingerabdrucks. Ohne Schwierigkeiten hätte man im Nachhinein dem Täter die eine oder andere Straftat nachweisen können. In Unkenntnis des Wertes dieser Spuren und mangels kriminaltechnischer Möglichkeiten hat man diese seinerzeit jedoch nicht gesichert. Glück gehabt.
Seit Ende der 80-er Jahre kennt die Kriminalistik eine starke Waffe bei der Verbrechensaufklärung. Der traditionelle Fingerabdruck wurde durch den genetischen Fingerabdruck, kurz auch DNA-Nachweis genannt, erweitert. Durch entsprechende Kriminalarchive konnte man auch Spuren von Taten auswerten, die weit zurücklagen. Zur damaligen Zeit war aufgrund der kriminalistischen Methoden eine Täterüberführung unmöglich. Man hatte gelernt. Es wurden auch Spuren gesichert, die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht verwertbar waren. Jahre und teilweise Jahrzehnte später konnten diese Taten teilweise aufgeklärt werden.
Die Täter fühlten sich in der Zwischenzeit sicher, hatten meist schon lange nicht mehr mit einer Überführung gerechnet, lebten häufig ein bürgerliches Leben und hatten nicht selten die Tat mehr oder weniger komplett verdrängt. Es werden auch in Zukunft Straftaten aufgeklärt werden können, bei denen die Labors heute noch passen müssen. In regelmäßigen Abständen nimmt sich die Polizei ungelöste alte Fälle, meist Kapitalverbrechen, vor, um zu prüfen, ob die ständig verbesserten kriminaltechnischen Methoden zu neuen Erkenntnissen führen. Und wer weiß, welche Überraschungen die Wissenschaft für uns noch bereithält?
Ich will sicher sein, dass keine Spuren von mir eines Tages die Ermittler zu mir führen. Tagelang, ob beim Radfahren, einer Tasse Kaffee am Nachmittag oder nachts vor dem Einschlafen - permanent überlege ich, welcher Weg der richtige ist. Ich plane alle Details.
Letztendlich entscheide ich mich für das Prinzip tarnen und täuschen. Griffe von Einkaufwägen, Geländer, Türgriffe sind nur drei Beispiele für ein riesiges Reservoir, um Genspuren von Hunderten von Menschen zu bekommen. Ein bei Regen im Garten aufgestellte Kunststoffwanne dient mir zur Gewinnung von Regenwasser. Ich darf kein Leitungswasser nehmen. Leitungswasser hat eine völlig andere Zusammensetzung als Regenwasser. Bei einer eventuellen Untersuchung der Eiswürfel wäre sofort klar, dass das Eis nicht natürlichen Ursprungs war.
Höchste Vorsicht ist geboten. Eine Hautschuppe, eine Wimper oder ein Schweißtropfen könnten verräterische Spuren hinterlassen. Durch meine Laborarbeit sind derartige Gebote für mich nichts Ungewöhnliches. Zwecks Konservierung friere ich das Regenwasser immer sofort ein. Bakterielle Verunreinigungen oder schlimmer noch die Eier einer Stechmücke wären verräterische Spuren. Mittlerweile habe ich nach meiner Einschätzung alle Vorbereitungen getroffen.
Und ich bewundere täglich mein Meisterwerk: ein einfacher Eiswürfel der Kantenlänge 20 cm und einem Gewicht von 8 kg. Der Stein wäre etwas kleiner ausgefallen. Das Gewicht ist etwas geringer als das des ursprünglich vorgesehen Steins. Wie ein Blitz durchfährt mich ein Gedanke. Ich fürchte, der Klotzt ist zu stabil und braucht nach dem Aufprall zu lange, bis er weggeschmolzen ist. Ich muss ein Experiment durchführen. Mein Original bleibt unberührt. Um das ist es zu schade. Ich brauche eine Kopie, die leicht herzustellen ist. Allerdings brauche ich etwas Zeit. Ein Eisklotz lässt sich nicht in zwei Stunden herstellen. Mindestens einen Tag muss ich mich gedulden.
Mit dem Mountainbike fahre ich den neuen Eisklotz zu einer alten Eisenbahnbrücke. Bevor ich mein Experiment durchführe, fahre ich ein paar Runden um die alte Brücke. Die vielen Stechmücken in dieser Ecke machen ein längeres Verweilen von Jugendlichen in Feierlaune oder Liebespärchen, die ein paar romantische Stunden verbringen möchten unmöglich. Trotzdem vergewissere ich mich, ob ich allein bin.
Nach diesen Sicherungsmaßnahmen fahre ich auf die Brücke und simuliere das Auftreffen des Eisklotzes auf der Autobahn. Der Klotz fällt und zerschellt. Zerborsten liegen einige Teile am Boden. Sie sind so groß wie eine Männerfaust, zu groß, um keine Aufmerksamkeit zu riskieren. Wenngleich die Temperaturen des lauen Sommerabends die Eisbrocken in wenigen Stunden zu unscheinbaren Pfützchen entsorgen würden, gehe ich auf Nummer sicher und werfe die Brocken in den angrenzenden Fluss.
Die Sicherungsmaßnahmen kosten mich viele Tropfen Blut, da die Stechmücken von meinem durchgeschwitzten Körper unwiderstehlich angezogen werden. Ich nehme eine wichtige Erkenntnis mit nach Hause. Der massive Eisklotz ist ungeeignet. Ich hinterlasse zu viele mögliche Spuren. Das Eis muss sich schneller auflösen. Es darf kein massiver Eisklotz sein. Viele kleine Eisklötzchen haben im Moment des Aufpralls die gleiche Schlagkraft, zerfallen dann aber und lösen sich in der Wärme schnell auf. Das Problem ist jedem Chemiker bestens bekannt: Styropor. Das Problem ist damit so gut wie gelöst. Styropor ist im Prinzip nichts anderes, als Kunststoff mit vielen eingeschlossene Luftbläschen. Schnee ist im Prinzip auch nichts anderes als Eiskristalle mit vielen Lufteinschlüssen.
Ich werde einen instabilen Eisklotz erstellen. Eine kleine Pumpe aus meinem Labor bläst bis zum Durchfrieren genügend Luft in meinen neuen Klotz. Ein paar Versuche und Veränderungen der Bedingungen und ich bin mit meinem neuen Klotz durchaus zufrieden. Ich lege ihn auf die Waage und aufgrund der deutlichen Gewichtsreduzierung weiß ich, dass genügend Luftbläschen eingeschlossen sind. Zwei Tage später mache ich mich wieder auf den Weg zur alten Eisbahnbrücke, checke schon routiniert die Umgebung und lasse wieder meinen Klotz in die Tiefe fallen. Tausend Splitter liegen weit verstreut um den Aufschlagpunkt.
Ich muss nur wenige Minuten warten und fast ausnahmslos haben sich die kleinen Eisbröckchen bei den abendsommerlichen Temperaturen rückstandsfrei in Wasser verwandelt. So werde ich es machen. Die zahlreichen Mückenstiche nehme ich fast mit Genugtuung hin. Wieder Zuhause angekommen gönne ich mir einen Drink und gehe wie in einem Film immer wieder meinen Plan durch. Zufrieden schlafe ich ein, werde irgendwann mitten in der Nacht meinen Schlafplatz verlassen und gehe ins Bett. Ich fühle mich einfach gut.
Seit Tagen grübele und grübele ich. Es gibt nach wie vor ein ungelöstes Problem. Ich werde kein Alibi haben und muss eventuell meine Nähe zum Tatort erklären. Plötzlich - eine Idee. Warum bin ich nicht früher darauf gekommen. Foto, ganz einfach Foto. Ich spiele die Rolle eines leidenschaftlichen Hobbyfotografen und werde das als Tarnung nutzen. Die Details werde ich mir noch überlegen. Mein Puzzle ist komplett. Selbstverständlich habe ich dann kein Alibi. Aufgrund meines Singlelebens ist es glaubwürdig, dass ich meistens keines habe. Zumindest gebe ich bei Bedarf eine plausible Erklärung für meine Anwesenheit.
Wir haben einen extrem heißen Sommer. Alle zwei bis drei Tage kommt eine Abkühlung durch ein Gewitter, um dann in den Folgetagen eine fast unerträgliche Schwüle zu erzeugen. Wieder einer dieser heißen Sommertage - schnell noch vor dem Gewitter, mähe ich den Rasen.
Kaum fertig, setzt wieder ein heftiges Gewitter ein und der Himmel sendet mir eine Botschaft. Hagel, taubeneiergroße Hagelkörner. Welche eine Pracht! Nie habe ich solch schöne Hagelkörner gesehen. Im Fernsehen wird von den vielerorts niedergegangenen Hagelschauern berichtet. Schäden in der Landwirtschaft, an Häusern und Fahrzeugen werden in eindrucksvollen Bildern gezeigt. Gebraucht hätte ich sie nicht. Ich habe meinen Plan bereits modifiziert.
Ich kaufe mir Formen für runde Eiswürfel. Runde Eiswürfel, was für eine idiotische Bezeichnung. Demnächst gibt es eckige Kugeln. Ich störe mich nicht weiter an der Bezeichnung, aber am Ergebnis. Die ersten Eiskugeln gefallen mir nicht. Google-Anfrage „Eiswürfel machen" und ich habe genügend Anleitungen.
Meine tischtennisballgroßen Eiskugeln sind fertig und das Ergebnis stellt mich zufrieden. Trotzdem, ich habe kein gutes Gefühl. War das ein Fehler, ein schwerer Fehler? So was darf mir nicht mehr passieren. So etwas darf mir nie mehr passieren. In Zeiten von NSA und Datenvorratsspeicherung kann ich nicht via Internet bei Google anfragen. Ich darf keine Fragen an Google richten, die mich verraten könnten. Entweder muss ich diese Google-Anfrage, diesen Fehler akzeptieren oder den Plan noch einmal ändern. Das könnte mich verraten. Selbst der schlechteste Ermittler wird sämtliche Internetspuren und vor allem die Suchbegriffe untersuchen. Ich entscheide mich für das Risiko.
Etwas anderes wird mir bewusst. Ich wollte einen Klotz erstellen. Jetzt habe ich lediglich einzelne Kugeln. Will ich das? Die Idee war die geringe Bodenfreiheit des Ferraris auszunutzen. Die Kugeln richten dort nichts an. Höchstens zerschlagen sie die Windschutzscheibe. Will ich das? Das wäre eine neue Dimension. Nein, das ist nicht meine Absicht.
Noch einmal muss ich meinen Plan modifizieren. Das Prinzip ist einfach und es mir aus der Modellbildung des Chemieunterricht entliehen. Fünf mal fünf Reihen aneinandergelegt ergibt die Basis. Leicht antauen und dann wieder anfrieren. Und das Ganze in fünf Schichten. Die ersten Haltbarkeitsversuche. Ich teste die Festigkeit mit dem Vorschlaghammer.
Jeden Durchlauf habe ich gründlich protokolliert. Das habe ich lange genug beruflich gemacht. Endlich wieder ein wenig wissenschaftliches Arbeiten. Erst als ich mit dem Ergebnis zufrieden bin, traue ich mich wieder an die Brücke. Schon fast wie ein Ritual prüfe ich erst die Umgebung auf mögliche Beobachter, um dann das Experiment zu beginnen. Das Ergebnis des Wurfversuches ist für mich überzeugend. Die Stechmücken haben sich wieder über meinen Besuch gefreut und können mit meinem Blut den Fortbestand der nächsten Generation absichern.
Mein erster Eisklotz muss heute umziehen. Ich nehme ihn aus der dem Tiefkühlschrank meines Privatlabors und gebe ihn in den Laborkühlschrank. Er muss heute leider geopfert werden. Ich muss den Aggregatzustand ändern. Er muss aufgetaut werden. Ich benötige das Wasser, das Regenwasser. Heute erzeuge ich die hoffentlich letzte Version meines Klotzes. Bisher gab es nur Testobjekte. Jetzt kommt die finale Phase. Um Verunreinigungen zu vermeiden, taue ich mein gefrorenes Regenwasser im Kühlschrank auf. Das dauert zwar deutlich länger, ist aber sicherer. Noch stehe ich nicht unter Zeitdruck.
Ich glaube, ich bin bestens vorbereitet. Ich hoffe, an alles gedacht zu haben. Nicht eine Sekunde kommt mir der Gedanke, dass ich von meinem Vorhaben ablassen sollte. Mein Bedürfnis, mich zu rächen, ist nach wie vor ungebrochen. Kameraausrüstung im Fotorucksack, das spezielle Mountainbike, ein spezielles Fernglas für Jäger und gerade nachts besonders geeignet, Regenschutz und mein selbstgemachter Klotz. Die von mir ausgewählte Brücke liegt etwa 60 km entfernt. Im Prinzip ist das in Ordnung. Ich muss nur auf den richtigen Tag warten. Oh verdammt, ich habe schon wieder einen Fehler gemacht.
Zwischen meiner Abfahrtszeit mit dem Fahrrad und dem Ereignis werden mindestens vier Stunden liegen. Bei meinen Tests an der Brücke musste ich immer nur eine halbe Stunde fahren. Bei vier Stunden laufe ich Gefahr, dass mein Klotz und die einzelnen Kugeln auftauen und damit nicht mehr hinreichend verbunden sind. Die Lösung ist für mich einfach. Ich muss es nur berücksichtigen.
Aus einem speziellen Isolierschaum fertige ich einen Transportbehälter, der zum einen gut isoliert und gleichzeitig die Kugelkonstruktion vor eventuellen Schäden durch den Transport auf dem Fahrrad schützt. Ich habe es im Garten ausprobiert. Vier Stunden in der prallen Sonne haben einem Eisklotz in seiner Verpackung so gut wie nichts anhaben können. Auch ein kräftiger Schubs über mehrere Treppenstufen hat die Transporteinheit problemlos überstanden.
Es ist Sonntag und für die kommende Woche sind für jeden Abend Hitzegewitter angekündigt. Der kommende Mittwoch könnte mein Tag werden. Ich werde wach. Wir haben Mittwoch und der Wetterbericht sagt für heute wieder Gewitter voraus. Gewitter haben leider den Nachteil, dass Sie in der Regel lokal auftreten und fast nicht kalkulierbar sind. Ich werde es versuchen und losfahren. Notfalls gibt es noch einige Mittwoche.
Jetzt wird es ernst. Ich bin bereits auf dem Weg und merke, dass ich einen großen Fehler gemacht habe. Es gibt doch sehr viele Möglichkeiten, Spuren zu hinterlassen. Ich habe mein Handy dabei. Das wäre eine fatale Spur und vor allem eine Spur, die nach Wochen und Monaten noch existieren würde. Wie kann mir nur so etwas passieren?
Aus Gründen der Tarnung fahre ich in den naheliegenden Baumarkt, kaufe die ohnehin benötigten Ersatzblätter für meine Stichsäge, um Zuhause Sägeblätter und vor allem das Handy zurückzulassen. Ich starte einen zweiten Versuch. Noch bin ich gut im Zeitplan; einen weiteren Zeitverlust kann ich mir allerdings nicht erlauben.