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Senior Garcia

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In meiner Phantasie höre ich bereits Sirenen aus der Ferne und male mir aus, wie mich ein unsympathischer Polizist in die Mangel nimmt. Wer wird nach mir fragen, wenn ich in einer kargen Gefängniszelle sitze. Noch mit diesen Bildern beschäftigt, erscheint mein Schweiger wieder und deutet auf mich. Ein Herr, der Kleidung nach aus der Leitungsebene, kommt von der Treppe auf mich zu und begrüßt mich, als würden wir uns schon Jahre kennen. „Mein Name ist Garcia und Sie sind Senior…“, spricht er mich mit einer samtig-schmeichelnden Stimme an. Ich begrüße ihn ebenfalls und will mich gewohnheitsgemäß vorstellen.

Jäh unterbricht er mich breit grinsend. „Sie heißen Senior. Das genügt.“ Er spricht ein ausgezeichnetes Englisch und ich weiß, dass es kein Kommunikationsproblem geben wird. Er führt mich einen Stock höher in sein Büro. Ich habe es richtig vermutet. Die Innenausstattung des Büros spricht Bände. Er gehört zur Leitungsebene und zeigt das ganz klar in der exquisiten Ausstattung seines Büros. Schwere Möbel, Teakholz vermute ich. Ein Ölgemälde in protzig blattgoldenem Rahmen. Statusdenken wird bei allen Banken großgeschrieben – weltweit. Er ist wer.

Nach einer Tasse Kaffee und ein wenig Smalltalk werde ich nach meinem Anliegen gefragt. Ich benötige, und komme mir dabei vor wie ein Steuerhinterzieher in einem alpenländischen Bankhaus, ein diskretes Konto. Ich möchte nicht, dass sie meinen Namen und meine Herkunft kennen. Darauf schallt mir ein freches Lachen entgegen. „Bei dem Akzent - Germany.“

Na gut - Deutschland ist groß. Meine Konten sollen nur eine Nummer haben und keinen Namen. Ich habe sehr genau Vorstellungen. Ich brauche ein Konto für Zahlungseingänge. Ein weiteres Konto unter einem völlig anderen Banknamen für Zahlungsausgänge. Dazu brauche ich ein paar Kreditkarten, mit denen ich weltweit Geld abheben kann. Und eine Telefonnummer, damit ich Sie anrufen kann. Weiterhin möchte ich, dass Sie alle Eingangszahlungen auf das andere Konto umbuchen.

Mit einem erneuten frechen Grinsen bekomme ich die knappe Antwort. Kein Problem - das machen wir oft. Unsere Bedingungen sind ganz einfach. Bei jeder Einzahlung werden 10% „Spesen“ fällig, alles andere ist Service des Hauses. Da erschrecke ich doch ein wenig und mir entgleisen offensichtlich die Gesichtszüge. Das bedeutet letztendlich 10% der Einnahmen gehen weg.

„Welche Garantien habe ich?“, frage ich mein Gegenüber. „Keine - es ist ihr Risiko. Aber wir wollen Sie als Kunde gewinnen und behalten. Wenn wir Menschen ausrauben wollten, würden wir auf die Straße gehen und Touristen ausrauben. Unser Geschäftsmodell ist legal und deutlich gewinnbringender. Und das Beste für Sie ist, wir stellen keine Frage. Wir wissen nicht, woher das Geld kommt, was Sie beruflich machen und auch nicht, ob Sie das Geld versteuern.

Stellen Sie sich doch einmal vor, Sie müssten nur 10% Ihrer Einkünfte als Steuern bezahlen. Würden Sie sich da beklagen? Nein, Sie würden jubeln. „Sehen Sie, wir sind die Guten. Die Finanzämter sind die Gangster.“ Er schaut mich lange grinsend an. Ich bin einfach nur sprachlos. So einfach geht das. Ich habe mir wochenlang den Kopf zerbrochen, wie ich es anstellen kann, ein anonymes Konto zu führen. „Ach so“, fügt mein neuer Bankberater an, „es gibt eine Grundgebühr. Zehntausende Dollar.“ „Wieso das?“, frage ich entsetzt.

„Mein Freund, wir haben früher sehr viele Kunden und keine Umsätze gehabt. Seit wir die Gebühr erheben, haben wir deutlich weniger Kunden, aber alle Kunden haben Umsätze. Diese Kunden benötigen wirklich ein diskretes Konto. Bei zehntausend Dollar, das sind bei dem derzeitigen hohen Wechselkurs mehr als siebentausend Euro, werde ich blass. Ich habe gerade etwa die gleiche Summe in Hongkong gelassen, die Flüge und der Aufenthalt in Australien. Ich habe noch keinen Euro eingenommen. Mir steht Schweiß auf der Stirn. „Wollen Sie das Konto einrichten? Wir haben einen Kontoautomat. Heben Sie das Geld ab und zahlen Sie es gleich ein.“ „Geben Sie mir bitte einen Tag Bedenkzeit. Ich will mir das noch einmal überlegen.“

Bei der Verabschiedung drückt mir mein neuer Bankberater seine Visitenkarten in die Hand und schiebt genüsslich mit sonorer Stimme, fast wie in einem Gruselfilm, noch eine Bemerkung nach. „Alle Banken haben die gleichen Konditionen. Es ist fast wie in Deutschland, die Zinsen unterscheiden sich nicht wirklich. Wir Bankmenschen sind alle aus dem gleichen Holz geschnitzt.“

Halsabschneider. Und für bescheuert hält er mich auch. Wenn ich in seinem Bankhaus das Geld abhebe, kann ich gleich meinen Reisepass vorlegen. Ich will ein anonymes Konto einrichten. Abgesehen davon, zehntausend Dollar kann ich nicht in einem Zug abheben. Zehntausend Dollar sind kein Pappenstiel. Ich bin schließlich kein Millionär. Ich stehe zwar nach wie vor auf der Gehaltsliste meines früheren Arbeitgebers und die monatliche Überweisung ist nicht gerade gering, dennoch habe ich keinen Goldesel. Ich muss mit meinen Einkünften haushalten. Ich werde noch weitere Kosten haben.

Ich sehe keine Alternative. Die Zehntausend sind Risikokapital, es sind schon die zweiten Zehntausend. Ich habe zwei Kreditkarten und kann pro Tag und Karte den Wert von dreitausend Euro abheben. Das bekomme ich gestreckt leicht über zwei Tage abgehoben. Ich weiß allerdings nicht, wie ich die zehntausend Dollar sicher vom Hotel in die Bank bringen kann. Das Risiko, dass ich als Tourist überfallen werde, erscheint mir recht hoch.

Nachdem ich gestern und heute insgesamt zehntausend Dollar abgehoben habe, liegen einhundert Hundertdollarscheine vor mir. Ich komme mir wie nach einem Bankraub vor, wenngleich ich in dieser Branche bisher noch keine Erfahrungen habe. Ein ganz schön dickes Bündel. Ich habe mir ein paar hohe Strümpfe besorgt und stecke je fünfzig Scheine in jede Socke in Höhe der Wade. Unwillkürlich muss ich an Gangster aus einem 50-er Jahre-Schwarz-weiß-Film denken. Was soll´s! Eine bessere Idee habe ich nicht.

So vorbereitet, mache ich mich auf den Weg zu Senior Garcia. Das nächste Taxi winke ich heran, steige ein und gebe dem Chauffeur die Adresse, sicherheitshalber mit einer deutlich höheren Hausnummer. Circa 200 Meter werde ich dann zurücklaufen. Anonym bleiben ist das eine. Wenn der Chauffeur mitbekommt, zu welcher Adresse ich will, könnte er vermuten, dass ich Bargeld in der Tasche habe. Das Risiko ist mir zur hoch. Zu meinem Erstaunen hält der Taxifahrer direkt vor der Eingangstür der Bank. Meinen irritierten Blick quittiert er mit einem breiten Grinsen. Angesichts meiner Geschäfte, meint er unbefangen, sei es besser für mich, nicht so weit zu laufen. Im Grunde bin ich erleichtert, mit dem vielen Geld nicht durch die unsicheren Straßen laufen zu müssen. Ich gebe ihm ein großzügiges Trinkgeld und bitte ihn zu warten.

In der Bank suche ich zunächst die Kundentoilette auf, um meine Dollars angemessen unterzubringen, sprich umzuparken. Das Versteck will ich keinem zumuten. Senior Garcia erwartet mich schon mit seinem breiten Grinsen - daran werde ich mich wohl gewöhnen müssen - und versichert mir, dass ich bei ihm in besten Händen sei. Er bietet mir an, ich könne bei ihm auch eine Vielzahl von Anlagegeschäften tätigen. Diese wären alle kostenfrei.

Halsabschneider, klar sind sie kostenfrei. Die zehn Prozent von der Einzahlung gehen weg. Wir besprechen noch einmal alle Details. Eigentlich ist es völlig überflüssig. Per Telefon ruft er einen Mitarbeiter im überheblichen Ton des Vorgesetzten und bittet mich, ihm die zehntausend Dollar zu überreichen. Kein Nachzählen, kein Beleg, keine Quittung – einfach so.

Alles, aber auch wirklich alles ist vorbereitet. Die Konten, die Verträge, die Kreditkarten, die zugehörigen Pins – einfach alles. Er war sich absolut sicher, dass ich kommen werde. Das Ganze erinnert mich an deutsche Gründlichkeit. Mit südländischer oder lateinamerikanischer Improvisation hat das nichts zu tun. Offensichtlich sind wirklich alle Bankmenschen aus dem gleichen Holz geschnitzt. Nicht zuletzt deshalb habe ich ein derart ungutes Gefühl.

Ich warte nur noch auf den Moment, dass er mich mit meinem Namen anspricht. Ich möchte wetten, dass er ihn kennt und möchte ebenfalls wetten, dass er sich eher die Zunge abbeißen würde, als mich mit meinem Namen anzusprechen. Dann wäre das Geschäft gelaufen. Schließlich ist Diskretion und Anonymität sein Geschäftsmodell.

Beim Verabschieden fragt er mich noch, ob ich weitere diskrete Dienstleistungen benötige. Er hätte gute Kontakte zu vielen Firmen. Natürlich alles diskret. Wir können alles. Für mich ist das wie ein Sechser im Lotto. „Klar“, sage ich, „ich brauche noch mehr Unterstützung. Ich benötige noch eine gute Internetseite und diverse E-Mail Konten.“ „Kein Problem.“ Er zieht wieder sein breites Grinsen auf. „Wir haben alle Formalitäten erledigt.“

Er drückt mir meine drei Kreditkarten in die Hand und will mir am Geldautomaten zeigen, dass die Karten funktionieren. Zum Test soll ich tausend Dollar abheben. Da noch nichts eingezahlt ist, sollte das nicht funktionieren. Der Geldautomat spuckt problemlos 20 Scheine a´ 50 Dollar aus. Senior Garcia nimmt das Bündel und steckt es in seinen Anzug, zieht sein breites Grinsen wieder auf und sagt nur: „Vier Kinder“. Ich habe einen neuen Kontostand: 1000 $ - 1000$ Soll. Das zum Thema Seriosität. Senior Garcia begleitet mich zum Ausgang und geht mit der größten Selbstverständlichkeit der Welt zu meinem Taxifahren und spricht mit ihm. Neben einem festen Händedrucke bekomme ich zum Abschied nicht nur ein „Auf Wiedersehen“, sondern auch noch ein höhnisch klingendes „Auf gute Geschäfte“.

Mein Chauffeur fährt los und lässt mich vor einem Haus aussteigen, an dem ich mich fast nicht trauen würde, vorbeizugehen, geschweige denn, es zu betreten. Nach kurzem Zögern fordert er mich auf, an der Tür zu klingeln. Ein junger Mann macht mir die Tür auf und begrüßt mich. „Ich bin Tom und du bist Mister Senior. Das genügt“. Natürlich wusste auch er schon, dass ich kommen werde. Er grinst breit, alle grinsen hier unentwegt.

Ich trete ein - außen eine Bruchbude, innen nicht wirklich besser. Aber Technik, das würde auch ein absoluter Laie sofort sehen, Technik vom Feinsten. Hier hausen Nerds, wie sie klischeehafter nicht sein könnten. Ein Raum, in der Größe einer kleinen Turnhalle, eingerichtet wie ein Großraumbüro. Fast wie ein Großraumbüro. Außen an der Wand stehen Computer zu kleinen Türmchen aufgebaut. Dazwischen immer wieder Arbeitsplätze, an denen meist junge Männer vertieft arbeiten. In der Mitte des Raumes ein riesengroßer Tisch. Auf der einen Seite des Raumes gibt es eine Art Zwischendeck. Von unten erkenne ich ein paar Flipperautomaten, einen Billardtisch und weitere Spielsachen, die offensichtlich als Pausenunterhaltung für die Computerspezialisten vorgesehen sind.

Ich schildere Tom mein Anliegen. Er schaut mich fast verächtlich an und sagt: „Kein Problem, das ist sehr einfach.“ Und dann mit einem Blick, als wolle er sagen, du kennst das Spiel, kommt der Nachsatz. „Zweitausend Dollar“ und nach einer kurzen Pause, „zweitausend Dollar pro Jahr.“ Und mit einem genießerischen Blick geht er mit mir in eine Ecke des Raumes. Dort steht zu meinem Entsetzen ein ATM, also ein Geldautomat und ich weiß, was zu tun ist. Ich nehme meine neue Kreditkarte, tippe 2000 Dollar ein und ehe ich mich versehe, greift eine Hand zu. Das kenne ich schon. Es fehlt nur noch die Bemerkung mit den vier Kindern. Mit zweitausend Dollar muss in diesem Land manche Familie fast ein komplettes Jahr auskommen.

Ich verbringe fast den ganzen Tag bei einem Mitarbeiter von Tom. Zwischendurch bringt ein etwa zehn Jahre alter Junge ein großes Paket mit kulinarischen Köstlichkeiten einer international aufgestellten Fast-Food-Kette und etlichen Dosen eines koffeinhaltigen Getränks. Das Geschäftsessen wird gemeinsam an dem riesigen Tisch in der Mitte des Raumes eingenommen. Ich fühle mich sofort an meine Studentenzeit erinnert.

Ich bin gut vorbereitet. Im Internet findet sich eine vergleichbare Homepage, die wir als Grundlage verwenden. Zusätzlich habe ich eine klare Vorstellung, wie meine Internetpräsenz aussehen soll. Die Internetseiten wird sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache erstellt. Das deckt meinen erhofften Kundenkreis zur Genüge ab. Es gibt Funktionalitäten, die unverzichtbar für meine zukünftigen Projekte sind. Aufgrund meiner guten Vorarbeit kommen wir gut voran.

Ich bekomme alle Kontaktdaten und Zugänge und habe jetzt das Gefühl, ich bin in einer seriösen deutschen Firma. Alles wird zu meiner vollsten Zufriedenheit gelöst. Bei der Verabschiedung fragt mich Tom, ob ich noch weitere Geschäfte in der Stadt zu erledigen hätte. Man könne alles liefern. Mit der rechten Hand macht er ein Zeichen, wie das Abziehen an einer Pistole. Ich bedanke mich herzlich, habe aber keinen Bedarf. Für was halten die mich? Ich bin doch nicht Al Capone. Ich brauche nur ein Konto und eine Internetseite.

Mein Taxi bringt mich sicher zum Hotel zurück und ich bin froh, dass alles erledigt ist. Ich will so schnell wie möglich diese Stadt und dieses Land verlassen. Problemlos, allerdings mit etwas Glück, bekomme ich am nächsten Tag einen Flug zurück nach San Francisco und bin froh, mich wieder in einer halbwegs vertrauten Kultur bewegen zu können.

Dieser kleine Trip hat mich eine schöne Stange Geld gekostet. Aber ohne die Investitionen in Hongkong und Südamerika brauche ich mit meiner Selbständigkeit erst gar nicht zu beginnen. Es würde nicht funktionieren. Es sind für den Start unverzichtbare Investitionen.

Noch am Zielflughafen suche ich mir ein Internetcafé und recherchiere. Ich benötige einen Spezialkunststoff für 3D-Drucker, der in Deutschland nicht erhältlich ist. Ich habe da noch eine Idee. Nicht lange und ich werde fündig. Der Kauf erweist sich zunächst als schwierig. Man braucht für diesen Kunststoff eine amerikanische ID-Card oder einen Führerschein. Das geht nicht. Das Problem lässt sich dann aber doch recht leicht lösen. Ich bitte einfach einen Taxifahrer, den ich eigens für diese Tour engagiert habe, für mich das Problem zu lösen. Er zückt ohne Einwände, gegen eine vergleichsweise bescheidene Gebühr seinen Führerschein an der Kasse. Ob er das für eine Waffe, für die ähnliche Kaufbedingungen bestehen, gemacht hätte? Ich will es gar nicht wissen.

Nach über vier Monaten möchte ich wieder nach Deutschland. Ich war lange genug unterwegs. Ich freue mich auf Zuhause und bin gespannt, ob es Neuigkeiten gibt.

Keine Anleitung zum Mord

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