Читать книгу Keine Anleitung zum Mord - Anton Theyn - Страница 13
Prato
ОглавлениеPrato – früher ein lebendiger Ort mitten in der Toskana. Geprägt von der Textilindustrie, als in Taiwan und China noch nicht die europäischen Stoffe gefertigt und verarbeitet wurden. Nostalgisch denkt man an die Ballen an Stoff, die in LKWs gewuchtet wurden, Näherinnen, die an langen Tischen Hemden fertigten, an die Abende, wenn sich die Menschen in den Tavernen trafen. In Wirklichkeit mag es wie allerorts wohl dieselbe Ausbeuterei gewesen sein.
Heute ist es ein Ort, bei dem der Reisende an staubige Hinterhöfe im Zwielicht denkt und an italienische Lokalpolitiker, die gegen Sklaverei und das Überhandnehmen chinesischer Manufakturen wettern. Prato ist fest in der Hand der chinesischen Textilmafia. Jeder vierte Einwohner ist Chinese, die vielen Illegalen nicht eingerechnet, die ein Schattendasein fristen - unauffällig und abhängig vom Gutwill ihrer Chefs, allesamt Landsleute.
Immer wieder erscheinen Zeitungsartikel, die auf die Sklavenstadt im Herzen Italiens hinweisen, immer dann, wenn bei Unfällen und Bränden Menschen sterben. Nach einer kurzen Skandalwelle vergessen Politik und Medien Prato wieder, bis der nächste Unfall ins mediale Bewusstsein dringt.
Trotz dieser desillusionierenden Erwartungen, ich muss dringend nach Prato fahren. Dort liegt – hoffentlich – meine Warenlieferung aus Hongkong. Mr. Yang gab mir seinerzeit eine Adresse und eine Telefonnummer. Bevor ich in die Toskana fahre, will ich mich überzeugen, dass die Lieferung für mich bereit liegt. Eine kurze E-Mail an Mr. Yang und zehn Minuten später versichert er mir, dass das Paket sicher bei seinem Cousin liege.
Morgen werde ich nach Prato fahren. Es sind mehr als 900 Kilometer. Das ist eine Ansage, sollte aber zu schaffen sein. Fliegen ist keine Alternative. Mit dem umfangreichen Elektronik-Equipment könnte ich bei einer Zollkontrolle genau das Problem bekommen, das ich mit meiner Toskana-Tour vermeiden wollte. Es bleibt mir nur das Auto. Notfalls mache ich einen Zwischenstopp und übernachte unterwegs.
Kaum habe ich den Brenner hinter mir gelassen, suche ich mir einen Handy-Laden. Ich brauche unregistrierte SIM-Karten. SIM steht für subscriber identity module, also ein Modul, das die Identität des Nutzers trägt. Kein Wunder also, dass der Staat gerne Zugriff darauf hat, wer mit welcher SIM-Karte telefoniert, im Internet surft oder simst. In Deutschland hat man als Normalbürger kaum eine Chance, halbwegs seriös an eine unregistrierte SIM–Karte zu kommen. Um unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle der staatlichen Behörden mit Klienten und Zulieferern zu kommunizieren, sind diese unverzichtbar.
Ich steuere einen kleinen Ein-Mann-Laden an. Das erscheint mir die richtige Wahl. Genau wie in Deutschland muss auch in Italien der Name angeben werden, wenn man eine SIM-Karte kauft. Falls man sagt, man hätte seinen Ausweis vergessen, bekommt man hier jedoch, anders als in Deutschland, trotzdem SIM-Karten. Häufig gegen Zahlung eines kleinen Aufschlags und unter Angabe eines Namens, der selbstverständlich nicht kontrolliert werden kann.
Und richtig, etwas mürrisch bekomme ich eine Karte über die Theke gereicht. Als ich den Verkäufer bitte, mir mehrere Karten zu verkaufen, wird er unwirsch und beschimpft mich auf das Übelste. Er gibt mir zu verstehen, dass ich keine weitere bekomme. Zu keiner Zeit. Ich hab´s vergessen. Wir sind hier in Südtirol. Da will man das Gesetz einhalten. Staatsangehörigkeit italienisch, Mentalität österreichisch. Ich sehe zu, dass ich das Weite suche und bin froh, wenigstens eine SIM-Karte erworben zu haben.
Bei nächster Gelegenheit mache ich bei einem großen Elektro-Discounter Station und kaufe mir ein Dutzend Smartphones vom Wühltisch. Bei einem Stückpreis von 30 € bin ich nicht wählerisch.
Mit einem meiner neu erworbenen Handys und der SIM-Karte vereinbare ich mit dem Cousin einen Übergabetermin. Nur mit Mühen verstehe ich sein gebrochenes Englisch und kann nur hoffen, dass ich alles richtig verstanden habe. Er will mich auf einer Autobahnraststätte treffen und dort das Paket übergeben. Über die Gründe für diesen Übergabepunkt kann ich nur spekulieren. Eventuell hängt es damit zusammen, dass der arme Kerl nur in einer armseligen Baracke mit vielen seiner Landsleute wohnen muss. Vielleicht ist die Erklärung auch eine ganz andere. Kann mir egal sein, die Hauptsache ist, ich bekomme meine Lieferung.
Ich bin pünktlich an der vereinbarten Raststätte. Im Restaurant sitzt ein Chinese, auf den die Beschreibung passen könnte. Er begrüßt mich wie einen alten Freund. Überschwänglich, lachend und mit Handschlag. Ein Außenstehender käme nicht auf die Idee, dass dies unser erstes Zusammentreffen ist. Herr Yang muss ihm eine präzise Beschreibung von meiner Person gegeben haben; vielleicht sogar ein Bild, das unbemerkt von mir gemacht wurde. Der Bote sagt mir, er bekäme hundert Euro für das Überbringen. Dafür hätte ich schließlich den Zoll gespart.
Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich so vereinbart war. Entweder erschleicht sich der Cousin 100 Euro oder es stimmt und er würde sich noch über ein Trinkgeld freuen. Ich bin froh, dass geliefert wurde, und will mich großzügig zeigen. Ich gebe ihm drei Fünfziger. Er strahlt, sichtlich zufrieden. Vielleicht kann ich eines Tages einmal seine Hilfe gebrauchen und bleibe so in guter Erinnerung. Ich verabschiede mich und fahre weiter Richtung Süden. Ich hoffe, dass dort die Regeln beim Verkaufen von SIM-Karten nicht so streng gesehen werden. Die gerade benutzte SIM-Karte vernichte ich. Das war eine kurze Lebensdauer. Nur keine Spuren hinterlassen.
Nach weiteren hundert Kilometern suche ich mir eine Übernachtungsmöglichkeit. Von außen sieht das Hotel halbwegs passabel aus. Als ich das Zimmer betrete denke ich mir, komfortabel ist anders, sauber auch. Aber ich bin völlig übermüdet und will nicht länger suchen. Am nächsten Morgen versuche ich erneut, SIM-Karten zu kaufen. Mühsam und möglichst ohne dabei groß auszufallen, kaufe ich immer wieder nur eine oder maximal zwei SIM-Karten. Mehr als drei pro Stunde schaffe ich nicht. Ich bin jetzt den ganzen Tag unterwegs und habe am Ende zwanzig Stück. Das sollte erst einmal genügen. In einem Elektrogroßmarkt kaufe ich noch einmal ein Dutzend Handys.
Ich bekomme ein erstes Gespür für die Arbeit, die mir in Zukunft bevorsteht. Wenn das Besorgen von ein paar SIM-Karten bereits mit einem derartigen Aufwand verbunden ist, will und kann ich mir im Moment noch gar nicht den vollen Umfang eines Auftrags vorstellen. Ich werde viel unterwegs sein, mühsame Kleinarbeit verrichten und immer auf der Hut sein müssen. Jetzt endlich geht es Richtung Deutschland. An diesem Tag fahre ich noch bis Innsbruck. Hier übernachte ich in einem teuren Innenstadthotel. Ich will nur noch bequem und sauber schlafen, um frühmorgens endlich nach Hause fahren zu können.