Читать книгу Keine Anleitung zum Mord - Anton Theyn - Страница 12
Wieder in Deutschland
ОглавлениеZuhause. Frau Pohl hat mir auftragsgemäß sämtliche Zeitungen meines Lokalzeitungsabonnements aufgehoben. Niemals würde sie eine Anweisung von mir missachten. Ich vermute sogar, wäre wirklich einmal ein Exemplar nicht eingeworfen worden, würde sich der Zeitungszusteller noch sehr gut an das folgende Zusammentreffen mit der Respektsperson erinnern. Es würde ihm mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nie wieder passieren.
Ich sehe alle Zeitungen der letzten vier Monaten durch. Mein Schlafrhythmus ist ohnehin völlig auf den Kopf gestellt und somit verbringe ich fast die ganze Nacht damit, die chronologisch geschichteten Stapel an Zeitungen durchzuarbeiten. Ich suche nach Notizen über den Autounfall mit Erwin. Ich finde nichts. Vermutlich hat die Polizei keinen Verdacht geschöpft. Meine Haushälterin hätte mir bestimmt sofort berichtet, wenn die Polizei nach mir gefragt hätte. Irgendwann übermannt mich der Schlaf. Erst gegen Mittag werde ich wach und finde mich mit schmerzenden Gliedern auf der Couch. Das Bett wäre vernünftiger gewesen.
Im Laufe des Nachmittags greife ich zum Telefon. „Frank, was hältst du von einer Fahrradtour am Wochenende? Ich bin wieder im Land.“ Es ist zwar noch ziemlich kalt, sollte aber gehen. Es ist sehr trocken und gegen die Kälte können wir uns schützen. Frank ist sofort begeistert und wir verabreden uns für das nächste Wochenende. Ich habe viel zu erzählen. Alles erzähle ich nicht. Mittelamerika verschweige ich komplett.
Wie selbstverständlich kommt auch das Thema Erwin noch einmal zu Sprache. Aber außer den Veränderungen im Unternehmen gibt es nichts, was auf Ermittlungen der Polizei schließen lässt. Fragen kann ich leider nicht.
Wenngleich ich aus meiner Sicht einige Fehler gemacht habe und ich im Nachhinein einiges anders machen würde, bin ich stolz auf mich. Mir ist das perfekte Verbrechen gelungen. Moralisch habe ich damit keine Probleme. Ich habe nur für Gerechtigkeit gesorgt. Ich habe das gemacht, was ich am besten kann - geplantes, wissenschaftliches Arbeiten. Ich werde meine Kompetenzen vermarkten. Die Vorbereitungen sind getan. Ich verfüge über umfassendes technisches Equipment, die Infrastruktur in Form einer Homepage und eines anonymen Kontos steht bereit. Was sollte mich jetzt noch hindern, abgesehen von meinen eigenen Skrupeln? Auch angesichts meiner Investitionen bin ich entschlossen. Schließlich muss ich von irgendetwas leben.
Ich will mir frühzeitig einen Panzer zulegen, der sämtliche Skrupel an mir abprallen lässt. Was ist mit der deutschen Waffenindustrie? Ob Produktionsmitarbeiter, Konstruktionsingenieur, Geschäftsleitung oder … die Aktionäre. Wer in dieser Kette denkt an das, was Waffen anrichten können? Was ist mit dem Banker in meiner Straße. Keiner aus der Welt der Großbanken? Nein, eine kleine Genossenschaftsbank. Zig-fach hat man Familien Kredite gegeben, die bei der kleinsten Störung im Familieneinkommen zur finanziellen Katastrophe führten und dann wurde aus dem hilfsbereiten Kredit-Sachbearbeiter ein gnadenloser Finanzhai. Skrupellos wurde bei Ratenverzug die Zwangsversteigerung betrieben und nicht selten dabei kräftig verdient. Zurück bleiben finanziell ruinierte Familien und nicht selten folgten weitere Katastrophen bis hin zum Suizid des gedemütigten Familienoberhauptes. Also, warum soll ausgerechnet ich mit der Fahne der Moral vorweggehen?
Als ich in Australien googelte, bin ich durch Zufall, oder war es kein Zufall, auf eine deutsche Seite gestoßen, die Werbung für eine sehr spezielle Dienstleistung machte: Auftragsmord. Allerdings findet sich ein kleiner Hinweis, dass es sich um eine Satire handelt. Ich habe mir von Tom in Südamerika fast die gleiche Seite erstellen lassen, allerdings ohne diesen Hinweis. Ich meine es ernst, todernst.
Stundenlang saß ich in Australien am Meer und habe mir Gedanken gemacht, wie ich an Kunden komme. Ich kannte das aus meiner Zeit im Unternehmen. Ein gutes Produkt zu haben ist eine Sache, häufig die einfachere. Das Produkt an den Kunden zu bringen, das Marketing ist eine Herkulesaufgabe und nicht selten der Grund, wieso ein gutes Produkt sich nicht durchsetzt. Mir war klar, dass ein schlechtes Marketing in meinem engen Marktsegment einem Scheitern gleichkäme.
Durchaus hätte ich die Möglichkeit gehabt, meine Dienstleistung im sogenannten Dark Net zu publizieren. Das Dark Net ist ein Netzwerk, das quasi abseits des Internets existiert und – wie der Name schon vermuten lässt – die Abgründe des menschlichen Seins abbildet. Im Dark Net findet man alles. Ein düsterer Markt von Drogen, Waffen, Prostitution. Aber auch ein Dienstleistungsportal: Aufträge für alle Arten von Körperverletzungen und Misshandlungen werden angeboten. Menschen, die andere in allen denkbaren Facetten bedrohen und einschüchtern, offerieren ihre Dienste ebenso wie solche, die Auftragsmorde in unterschiedlichen Qualitäts- und Preiskategorien gegen Honorar dezent erledigen.
In Australien war das Dark Net lange Zeit meine favorisierte Überlegung für das erforderliche Marketing. Ich habe mich dann aber in die Rolle möglicher Kunden versetzt. Das Dark Net kennen nicht alle. Um das Dark Net zu nutzen, muss man eine Zusatzsoftware installieren. Sie ist der Schlüssel zu dem Portal und gleichzeitig verschlüsselt sie alle ausgetauschten Informationen. Auf dem heimischen PC ist das nicht unbedingt die beste Idee. Meine Kunden könnten zwar in ein beliebiges Internet-Café gehen und anonym surfen. Software im Internet-Café zu installieren oder danach zu fragen, dürfte im glimpflicheren Fall zu einem Rauswurf oder einem Hausverbot führen.
Ich selbst hatte mir für meine Recherche in Australien einen gebrauchten Laptop gekauft, die Software installiert und an einem Wi-Fi-Point zwei Tage lang im Dark Net gestöbert. Danach habe ich aus dem nach wie vor gut funktionierenden Laptop die Festplatte ausgebaut, diese mit einem Hammer traktiert und das Gerät selbst mehrfach und mit einer nicht begründbaren Wut auf den Boden geworfen. Ich glaube, ich habe damals die richtige Entscheidung getroffen, meinen Kunden das Dark Net nicht zuzumuten. Oder besser gesagt, dieser Kommunikationsweg erscheint mir für meine Dienstleistung ungeeignet in Hinblick auf Kundenakquise und den Schutz meiner Privatsphäre.
Bei Entführungen und Erpressungen ist die Geldübergabe für einen Kidnapper meist der schwierigste Teil. Statistisch gesehen werden bei dieser Aktion die meisten Täter ertappt. Strohmänner et cetera helfen hier leider auch nur bedingt. Da empfinde ich meine, wenngleich teure Kontolösung, als die bessere Variante. Ich brauche keine Angst zu haben, dass mich ein Auftraggeber bei der Übergabe der Abschlusszahlung verrät, weil ihn plötzlich sein schlechtes Gewissen plagt oder er sich durch ein Geständnis bei der Polizei einen Vorteil verschaffen will. Es wird eine anonyme Einzahlung auf ein Konto geben, aber keine Geldübergabe.
Vorstellbar, dass die Polizei eines Tages Interesse an meiner Person haben wird. Sie könnte mir eine Falle stellen. Das dürfte für die Ermittler jedoch eher schwierig werden. Mir ist bewusst, dass mein Geschäftsmodell mit einem gewissen Risiko behaftet ist. Nicht nur die Gefahren bei der Umsetzung muss ich bedenken. Vor allem muss es mir gelingen, in irgendeiner Form mit meinen Kunden in Kontakt zu treten.
Beim Versenden von E-Mails muss ich vorsichtig sein. Auf der Homepage habe ich alle Sicherheitsaspekte für potentielle Kunden präzise beschrieben. Dies ist für die Sicherheit der Kunden und für meine Sicherheit sehr wichtig. Meine Methode wird für mich und für meine Auftraggeber der wichtigste Sicherheitsgarant sein. Denn natürlich werde ich mich nicht auf ein Hochhausdach stellen und mit einem Präzisionsgewehr jemanden erschießen. Ich werde auch niemand mit Messer oder Pistole meucheln. Für mich eine absurde Vorstellung. Meine Methoden werden subtiler sein.
Die Grundidee meiner Arbeitsweise beruht darauf, dass sie unbemerkt bleibt. Und falls wider Erwarten doch eine Ahnung, ein Verdacht auf mein Eingreifen aufkommt, so darf in keinem Fall irgendetwas nachweisbar sein. Mein Können habe ich an der Brücke unter Beweis gestellt. Das war meine Meisterprüfung. Die Regeln sind einfach und stehen alle auf der Homepage – quasi meine Geschäftsbedingungen. Die Seite ist so organisiert, dass Google sie automatisch immer wieder in das Suchverzeichnis aufnimmt.
Die Seite lässt sich auch nicht wirklich sperren. Wenn überhaupt, dann immer nur für ein paar Stunden. Dafür bezahle ich schließlich Tom. Meine Geschäftsbedingungen und die Kommunikationswege sind sehr einfach. Anfrage per E-Mail. Unter präziser Angabe des Opfers und möglichst vieler Details über die Lebensumstände und die Tagesabläufe. Ich benötige möglichst viele Informationen für die Entscheidung und die Planung. Daraus entwickle ich eine Strategie für einen Angriff, einen Masterplan, individuell und maßgefertigt.
Auch will ich wissen, warum die Person getötet werden soll. Ich werde nicht jeden Auftrag ausführen. Es wird immer eine Gratwanderung zwischen Geschäft und Moral sein. Es gibt Dinge, die ich nicht machen werde. Es wird Fälle geben, wo die Moral vor dem Fressen kommt.
Sobald ich einen Auftrag angenommen habe, werden 50.000 Euro fällig. Nach dem Abschluss meiner Arbeit werden die zweiten 50.000 Euro fällig. Ich glaube nicht, dass jemand den Mut haben wird, die zweite Rate nicht zu bezahlen. Schließlich kenne ich den Auftraggeber aus dem Dossier. Allerdings kennt er mich nicht. Aus meiner Perspektive ein vorteilhaftes Geschäftsarrangement. Die erste Rate ist für den Auftraggeber riskant. Er muss mir großes Vertrauen entgegenbringen. Damit ist für mich auf jeden Fall sichergestellt, dass es der Auftraggeber ernst meint.
Aufgrund des Honorars kann ich sicher sein, dass ich nur bei gewichtigen Gründen beauftragt werde. Ich weiß, dass die Grundleistung auch für 5000 bis 10000 Euro angeboten wird. Im Dark Net habe ich genügend Angebote gefunden. Allerdings besteht grundsätzlich ein erhebliches Risiko für den Auftraggeber. Zum einen, dass er wegen Anstiftung angeklagt wird. Zum anderen, dass er erpressbar ist. Bei Mord wird immer ermittelt. Bei natürlichem Tod wird weder obduziert noch ermittelt. Bei mir wird es keinen Mord geben. Es wird nur Unfälle oder unglückliche Umstände geben – keinesfalls einen Mord. Ermittlungen kann ich nicht gebrauchen. Nicht im Interesse meiner Auftraggeber und schon gar nicht in meinem Interesse.
Auf meiner Homepage kann man sich ein Verschlüsselungsprogramm herunterladen. Schließlich soll kein Geheimdienst und keine Polizei mitlesen. Laut Toms Angaben ist das Verfahren absolut verlässlich. Zur Sicherheit wird die Geschäftskommunikation nur über nicht registrierte Handys erfolgen. Alles ist präzise und verständlich auf der Homepage beschrieben. Die Bezahlung des Honorars kann nur in Raten und als Bareinzahlung erfolgen. Alles andere wäre zu auffällig.
Mit nur einem Auftrag pro Jahr sollte ich nach Abzug der Kosten halbwegs hinkommen. Bei zwei Aufträgen kann ich sogar etwas fürs Alter zurücklegen. Schließlich muss ich keine Steuern bezahlen. Lediglich die zehn Prozent Provision an Herrn Garcia gehen neben den Kosten ab. Ich bin einmal gespannt, ob es wirklich eine Nachfrage gibt. Ab sofort bin ich Unternehmer.
Ich habe mich bereits in Australien gefragt, ob es überhaupt eine Nachfrage gibt. Als ich dann in Australien in dem Daily Telegraph, dem Pedant der deutschen Bild-Zeitung, gelesen habe, dass der AC/DC-Drummer Phil Rodd wegen Anstiftung zum Auftragsmord verhaftet wurde, wusste ich, dass es einen Markt für meine Dienstleistung gibt. Mein Angebot wird sich auf West- und Mitteleuropa, vielleicht auch auf die USA beschränken. Südamerika und einen kleinen Teil des asiatischen Raums habe ich jetzt kennengelernt. Dieser Markt ist für mich ungeeignet. Afrika kenne ich aus Studentenzeit – das ist für mich kein Markt. Dort würde man mir vermutlich niemals ein derartiges Honorar bezahlen. Das gibt es dort günstiger.
Australien ist zum einen zu weit entfernt und, falls man mich dort überführen sollte, wäre das eine Katastrophe. Nein, das möchte ich meinen Söhnen nicht antun. Ich möchte nicht, dass mich meine Söhne in einem australischen Gefängnis besuchen oder ihr Vater auf der Titelseite der lokalen Presse erscheint. Für mich, das habe ich mir reiflich überlegt, sehe ich keine Probleme. Das kann ich mit mir und meinem Gewissen vereinbaren.