Читать книгу Keine Anleitung zum Mord - Anton Theyn - Страница 9
Einkaufstour
ОглавлениеHongkong – die ehemals britische Kron-Kolonie. Sehnsuchtsort. Häuserschluchten, der Blick gleitet nach oben an Hunderten von Stockwerken verspiegelter Hochhausfassaden entlang in einen sternlosen Himmel. Verkehrschaos, entfesselter Kapitalismus und Opiumkrieg. Das alles ist mir egal, als mich meine nächste Station nach Hongkong führt.
Ein wenig wundern sich meine Söhne, dass ich noch ein Zwischenziel habe. Hongkong wollte ich schon lange einen Besuch abstatten. Und wenn ich in der gefühlten Nähe bin, dann nutze ich die Gelegenheit. In Australien habe ich mich bereits auf diesen Besuch vorbereitet. Touristisch bin ich an der Stadt wenig interessiert. Ich will shoppen. Jahrelang galt Hongkong als das Einkaufsparadies für Elektronikartikel. Mindestens zwanzig, aber oft auch mehr als fünfzig Prozent billiger konnte man hier früher elektronische Erzeugnisse kaufen. Mir geht es nicht um billig. Mir geht es um das Besondere. Ich habe konkrete Vorstellungen, zugleich bin ich offen für Inspirationen.
Neben meiner beruflichen Leidenschaft als Biochemiker habe ich mich seit meiner Kindheit für Elektronik interessiert. Und es gab bei mir nach dem Abitur durchaus die Überlegung, Elektrotechnik zu studieren. Ich habe nur ein paar elementare Grundkenntnisse und bin immer wieder fasziniert, welche rasante Entwicklung die Elektrotechnik in der Zwischenzeit genommen hat.
Als Kind habe ich noch in Telefonzellen mit Wählscheibe telefoniert. Und heute hat jeder das Telefon in der Hosentasche, das gleichzeitig Fotoapparat, Videokamera, Taschenrechner, weltweites Navigationsgerät und vieles andere mehr ist. Weltweiter Datenabruf per Internet ist ohnehin Standard. Noch vor zwanzig Jahren hatte Frau Merkel ein Handy, das aufgrund seines gelungen Designs Knochen genannt wurde. Die Beschreibung der oben genannten Funktionalitäten hätten zu der Zeit jeder in die fiktionale Welt eines Agententhrillers verbannt, aber niemals als Realität des beginnenden 21. Jahrhunderts.
Die Intensität dieser Stadt erschlägt mich. Wer Hongkong einmal erlebt, weiß wovon ich spreche. Dieser Mix aus chinesischer Tradition, dem jahrzehntelangem Einfluss der Engländer, das gigantische Wachstum und die für uns doch sehr fremde Kultur. Mir ist das zu viel. Alleine in dieser Großstadt – ich fühle mich völlig verloren. Zu allem Überfluss auch noch die Klimaumstellung. Gestern noch hochsommerliche Temperaturen. Heute nasskaltes Wetter. Für ein längeres Verweilen im Außenbereich eher ungeeignet. Der Verkehr stockt in allen Straßen. Smog steigt als grauer Nebel empor. Ich bin kein Großstadtmensch und Hongkong ist mir definitiv zu laut, zu hektisch. Dank der günstigen Taxipreise und einer gewissen Hartnäckigkeit nähere ich mich langsam meinem Ziel: Spezialläden für Elektronik.
Ich glaube, das ist der richtige Laden. Schon in den Standardläden bekommt man hier Geräte wie aus einer anderen Welt. Die angebotenen Elektronikartikel sind in Europa zum Teil verboten und für unsere Verhältnisse zu einem Spottpreis erhältlich. Abhörwanzen, Abhörwanzenortungsgeräte, Minikameras von der Größe eines Hemdknopfes, Nachtsichtbrillen, die als solche nicht erkennbar sind, Sonnenbrillen mit eingebauter Videokamera und vieles andere mehr. Software zum kinderleichten Ausspionieren fremder Rechner und was mich wahrlich fasziniert, Software mit der Möglichkeit das Mikrophon oder die Kamera fremder Rechner anzusteuern . Dass es das gibt, weiß ich. Dass es so einfach geht, konnte ich mir nicht vorstellen. Ich weiß nicht, ob unsere Geheimdienste so gut ausgerüstet sind. Ich komme mir vor, als sei ich in einem Science Fiction–Film gelandet.
Ich vergleiche es mit Waffen, die man in den USA in jedem besseren Supermarkt kaufen kann, die in Deutschland nur von Schwerkriminellen genutzt werden. Nach kurzer Zeit merkt der Verkäufer und Eigentümer des Ladens, er stellte sich mir als Mr. Yang vor, dass ich für extravagante Elektronik ein besonderes Interesse hege und geht mit mir in sein Büro. Zu meinem Glück gehört es in Hongkong zu den positiven Hinterlassenschaften der Kolonialzeit, dass die meisten Menschen ein halbwegs passables Englisch sprechen. Hinter einer Regalwand mit Ordnern, aber nur zum Schein und nicht wirklich getarnt, sind die richtigen Spielsachen. Meinem Gesicht sieht der Verkäufer an, dass er ins Schwarze getroffen hat. Er nimmt sich viel Zeit und bietet mir an, gegen Hinterlegung einer kleinen Kaution mitzunehmen, was immer ich will. Ich könne es dann in Ruhe testen. Das nenne ich gutes Marketing. Darauf lasse ich mich gerne ein.
Gerne hätte ich mich in Australien bereits detailliert über die Palette der technischen Geräte in einer Art Katalog informiert. Leider bin ich nicht fündig geworden.
Nach zwei Testtagen verwerfe ich manches wieder, nehme mir aber ein reichhaltiges Sortiment mit ins Hotel. Unter anderem erwerbe ich einen universellen elektronischen Autoschlüssel. Man stellt den Fahrzeugtyp ein, fängt das Signal eines legalen Nutzers beim Öffnen oder Schließen des Fahrzeuges ab und kann dann mit dem Gerät das Auto jederzeit auf- und zuschließen. Wegfahren ist natürlich nicht möglich. Das kann dann eventuell die nächste Gerätegeneration. Für mich als Test und zur Verblüffung ihrer Besitzer öffne ich gerade abgestellte Autos wieder und höre das vertraute Klicken, das den Zustandswechsel des Fahrzeuges anzeigt. Zwei, drei Mal das Auto geöffnet und der verunsicherte Besitzer weiß nicht, ob sich von seinem Auto entfernen kann. Ich muss auch meinen Spaß haben.
Auf meiner Einkaufsliste stehen letztendlich:
Elektronischer Autoschlüssel
Spezialvideokamera, kaum größer als eine Streichholzschachtel und einer Aufzeichnungszeit von rund 24 Stunden
Das gleiche noch einmal, allerdings wird pro Sekunde nur ein Bild erstellt. Damit kann man bis zu einer Woche aufzeichnen.
Ortungssender getarnt als Kugelschreiber
Ortungssender etwa so groß wie zwei Stück Würfelzucker versehen mit einem extrastarken Haltemagneten, verkapselt und sogar unter Wasser bedingt einsetzbar. Keine großen Tiefen, aber für mich reicht es.
Für beides entsprechende Ortungsempfänger mit den Entfernungsanzeigen20, 50, 100, 200, 500 Meter
GPS Tracker, also Aufzeichnungsgeräte, kaum größer als vier Stück Würfelzucker. Das Gerät hat einen extrem starken Haltemagnet, ist verkapselt und funktioniert auch bei Feuchtigkeit. Mit dem Gerät kann ich das Bewegungsmuster von Personen und Fahrzeugen leicht aufzuzeichnen.
GPS-Tracker, allerdings getarnt als Kugelschreiber.
GPS-Spezialsender, mit dem ich die Position eines Fahrzeuges weltweit bis auf wenige Meter Genauigkeit angezeigt bekomme. Leider ziemlich groß. Ziemlich groß heißt in der Größe einer Zigarettenschachtel. Die Daten kann ich weltweit auf einem PC mit Zusatzgerät und Spezialsoftware empfangen.
Diverse Abhörwanzen nebst einem Empfangsgerät
Ein Nachtsichtgeräte mit Kopf-Mount-System, das heißt man kann es mittels eines Kopfbügels fixieren und hat die Hände frei
Ein Nachtsichtgerät mit zehntausendfacher Lichtverstärkung und zuschaltbarer Infrarot-Erkennung. In Deutschland würde ich dafür vermutlich etwa zehntausend Euro bezahlen. Ich bekomme es für weniger als ein Zehntel. Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Gerät nicht zur Generation 4 gehört, die zurzeit ausschließlich dem Militäreinsatz vorbehalten ist und hier illegal vertrieben wird. Das gäbe beim Zoll richtig Ärger.
Die beiden Nachtsichtgeräte sind fast als eine Art Reminiszenz an die Ereignisse auf der Brücke zu sehen.
Die meisten Geräte haben keine Stecker. Der Datentransfer und das Aufladen des Akkus erfolgt über Induktion, ähnlich wie bei einer elektrischen Zahnbürste. Durch die komplette Kapselung würde ein ungewolltes Auffinden keinen Argwohn hervorrufen. Die hochkomplexe Elektronik im Inneren sieht man den grauen Kunststoffgehäusen nicht an. Irritiert, wenngleich erfreut ist der Verkäufer, dass ich von GPS-Trackern und den Ortungssendern gleich zehn Stück nehme. Von dem GPS-Spezialsender kaufe ich fünf Stück. Hinzu kommt noch die Spezialsoftware, die er mir auch gerne fünfmal verkauft hätte. Da ich die Software nur einmal kaufe, ermahnt mich Mister Yang, ich dürfte sie nicht kopieren. Sonst käme er persönlich nach Deutschland und lacht ohne Ende. Er steigert sich derart in sein Lachen, verschluckt sich, bekommt einen Hustenanfall und ich befürchte fast, dass er erstickt. Der Erfolg meiner Einkaufstour übertrifft meine Erwartungen. Allerdings auch finanziell. Der Spaß kostet mich fast hunderttausausend Hongkong-Dollar, also rund zehntausend Euro. Das könnte Ärger beim Zoll geben. Nein, das wird Ärger bei Zoll geben oder noch einmal entsprechende Kosten. Wie ich jeweils zehn Stück erklären soll, muss ich mir noch überlegen.
Genau genommen gibt es nichts zu überlegen, es kann nur eine Lösung geben. Mr. Yang muss mir helfen. Ich frage Mr. Yang, ob er direkt nach Deutschland liefern könne. Das könne er mir leider nicht anbieten. Zum deutschen Zoll hätte er keine guten Kontakte, dieser sei da viel zu genau. Ob mir denn mit Italien geholfen wäre? Mit dem italienischen Zoll könne man verhandeln. Ich habe Phantasien, was er mit Verhandeln meint. Sein Cousin lebe in Prato.
Na klar, in Prato, wo sonst, denke ich für mich. Ich werfe ihm fragende Blicke entgegen. Wo soll Prato sein? Das habe ich in meinen Leben noch nie gehört. Er hält mir sein Tablet-PC unter die Nase. Ich googele Prato. Ok, Prato liegt in der Toskana und dort arbeiten tausende von Chinesen in der Bekleidungsindustrie. Soweit ich das auf die Schnelle lese, unter meist ausbeuterischen Bedingungen. Offensichtlich eine moderne Form der Sklaverei.
Diese Form des Warentransports sollte machbar sein. Jedenfalls allemal besser als dem deutschen Zoll irgendwelche Erklärungen abzugeben. Ich nicke zufrieden und nehme das Angebot gerne an. Ich hätte es wissen können - das Ganze hat einen Haken. Der Haken heißt Vorkasse. Für mich ein erhebliches Risiko. Zehntausend Dollar sind auch bei dem derzeitig günstigen Wechselkurs für mich kein Pappenspiel. Ich nehm´s mit unserer Kanzlerin. Für mich ist es alternativlos.
Nach dieser Erledigung strebe ich das nächste Ziel an. Ich werde nach Kalifornien fliegen. Per E-Mail schreibe ich ein paar ehemaligen Instituts-Kollegen aus meiner Promotionszeit in den USA und kündige meinen Besuch an. Wir haben nach wie vor noch Kontakt oder treffen uns gelegentlich auf Kongressen. Ich verbringe noch ein paar Tage in Hongkong, aber nur, bis meine Maschine nach San Francisco startet. In dieser Stadt – und dann noch alleine – fühle ich mich nicht wohl.