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Australien 1

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Mittlerweile neigt sich der September seinem Ende zu und schöne Tage wechseln zunehmend häufiger mit unfreundlichen, herbstlichen Tagen. Während ich gelangweilt beim Mittagessen die Zeitung zum zweiten Mal durchblättere und den trostlosen Wetterbericht überfliege, packt mich das Fernweh. Auf einen kalten regnerischen Winter in Deutschland habe ich keine Lust.

Ich schreibe eine kurze WhatsApp. „Hallo Daniel und Tobias. Würde euch gerne besuchen. Wie sieht´s aus?“

Keine fünf Minuten später bekomme ich Antwort:

„Super. D&T“

Die Antwort kommt prompt. Wahrscheinlich aus einer Kneipe, schließlich ist in Australien später Abend.

Kurz und präzise entspricht diese Kommunikation meinem naturwissenschaftlichen Denken. Nur die wenig wissenschaftlichen Kürzungen und Emojis lassen für meinen Geschmack zu viel Spielraum für Missverständnisse.

Keine zwei Minuten später bekomme ich die nächste Antwort.

„... und wann? allein? “

„... mit dem nächsten günstigen Flieger und allein. Franz“

„... wie lange?“

„... so lange ihr mich ertragen könnt.“

„... also mindestens den ganzen Sommer, den ganzen langen australischen Sommer ;) ;) 8)

Ich ignoriere die Unsicherheit, welche Bedeutung diesen Smileys zuzuschreiben ist und antworte.

... mal sehen.“

„... wir haben auch eine Überraschung für dich“

„... bin mal gespannt, ich melde mich, sobald ich einen Flug habe.“

Per WhatsApp kommunizieren wir immer so knapp. Mit sechszehn oder siebzehn wurde Papa abgeschafft und konsequent als Franz angesprochen. Als promovierter Wissenschaftler hätte ich es lieber gesehen, wenn meine Söhne ihr Biologie-Studium abgeschlossen hätten. In der Mitte des Studiums blieben sie bei einem Auslandssemester in Australien hängen und verdienen sich seitdem ihren Lebensunterhalt als Tauchlehrer. Meine Begeisterung hält sich in engen Grenzen. Sie müssen selbst wissen, was für sie das Richtige ist.

Zwei Wochen später sitze ich im Flieger Richtung Australien. Neben dem Versuch, zu lesen und mir durch ein paar langweilige amerikanische Filme die Zeit zu vertreiben, analysiere ich wieder einmal meine Situation. Mir wird bewusst, dass mich viele Menschen in meinem Alter beneiden würden. Ich bekomme jeden Monat ein ordentliches Gehalt und kann tun und lassen was ich will.

Die Sache hat nur einen Haken. Ich bin kein Ruheständler - ich bin ein Arbeitsloser mit einem sehr guten Übergangsgeld. Fast die Hälfte dieser Zeit ist vorbei. Danach dürfte es finanziell sehr knapp werden. Ich stehe auf dem beruflichen Abstellgleis und die Verbindungen zum Hauptgleis sind gekappt. Über kurz oder lang muss ich zu regelmäßigen Einnahmen kommen.

Langweile, Übermüdung und die schlechte Luft der Klimaanlage lassen mich immer wieder in eine Art Wachtraum verfallen. Viele Ideen gehen durch meinen Kopf und driften mangels Durchführbarkeit wieder weg. Verkäufer im Baumarkt ist auch keine Option. Lehrer im naturwissenschaftlichen Bereich werden gesucht. Nein, das ist kein Beruf für mich. Abgesehen davon fühle ich mich dafür zu alt. Ich sollte das machen, was ich am besten kann. Ich sollte mich mit meinem Können selbstständig machen. Gleich nach Australien werde ich das in Angriff nehmen. Je länger ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir die Idee und desto genauer kann ich mir das vorstellen. Ich male mir viele Details einer möglichen Selbstständigkeit, meiner Geschäftsidee, aus und entwickle nach und nach eine Strategie.

Übermüdet komme ich in Sydney an. Nach fast 24 Stunden Flug kann und will ich nicht mehr sitzen. Natürlich holen mich meine Söhne vom Flughafen ab. Braungebrannt in bunten Shorts stehen sie hinter der Absperrung. Großes Hallo. Drei Jahre habe ich die beide nicht gesehen. Sie werfen meinen Koffer auf die Ladefläche des neuwertigen Pickups. Den beiden geht es ganz offensichtlich finanziell gut. Ihr privates Glück haben die Zwei auch gefunden. Und beide haben das Hobby zum Beruf gemacht.

Beim abendlichen Bier geben mir die beiden einen verschlossenen Umschlag. „Papa, hier, mach´s mal auf.“ „Was soll diese Anrede? Seid ihr schon betrunken?“ Ich öffne den Umschlag und bin doch irgendwie ergriffen, als ich eine Kopie ihres Masterzeugnisses in den Händen halte. Die beiden haben doch tatsächlich in Australien ihr Examen gemacht. Jetzt betreiben sie erfolgreich eine Tauchschule und beschäftigen sich intensiv mit Meeresforschung.

„Die Überraschung ist euch echt gelungen - Gratulation. Ich bin stolz auf euch. Wenngleich es euer Leben und eure Sache ist, habe ich mir doch immer ein wenig Sorgen über eure berufliche Perspektive gemacht.“ Nachdenklich füge ich hinzu: „Da geht es euch besser als mir.“ In einer ausführlichen E-Mail hatte ich irgendwann meine Söhne über mein berufliches Desaster informiert. Selbstverständlich wissen sie auch, dass Erwin tot ist. Sie kannten ihn recht gut.

Die beiden haben mir eine kleine Wohnung besorgt und wir verbringen eine unbeschwerte Zeit. Das Angebot, ob ich das Tauchen lernen will, hätte ich früher dankend abgelehnt. Hier in Australien brauche ich keine Sekunde zu überlegen. Ich habe die besten Tauchlehrer, die ich mir vorstellen kann, und lerne viel über Meeresbiologie. Ich fühle mich wie im Paradies. So nahe war ich meinen Söhnen seit Jahren nicht mehr. Mir geht´s großartig. Die Zeit geht um wie im Flug. So könnte es bleiben, denke ich mir.

Als Biochemiker und Arzneimittelforscher habe ich mich viel mit Giften beschäftigt. Der bekannt Satz, wenngleich schon rund 500 Jahre alt, von Paracelsus hat nach wie vor seine Gültigkeit: „Alle Ding' sind Gift und nichts ohn' Gift; allein die Dosis macht, das ein Ding kein Gift ist.“

Und Australien ist der Kontinent der Gifte schlechthin. Hier gibt es Gifte, von denen wir uns in Europa keine Vorstellungen machen - und die man in einem europäischen Labor kaum nachzuweisen vermag. Ein unbekanntes Tier würde ich in Australien nie und nimmer berühren. Es könnte eine tödliche Berührung sein.

Crocodile Hunter, bekannt durch seine spektakulären Dokumentationen und Aktionen, dürfte das populärste australische Opfer in Europa sein. Ende der 90-er Jahre bis Anfang 2003 kam er zu weltweitem Ruhm. Mit spektakulären Tieraufnahmen brachte er einem weltweiten Fernsehpublikum die australische Tierwelt nah. Er war lange Zeit der weltweit bekannteste Australier und der Inbegriff von Natur- und Artenschutz. Vor ein paar Jahren verstarb Steve Irwin unerwartet. Trotz bester Kenntnisse der Unterwasserwelt kam er im September 2006 bei Unterwasseraufnahmen durch den Stich eines Stachelrochens ums Leben. So viel zu den Gefahren in Australien.

Selbstverständlich interessiere ich mich nicht nur für Flora und Fauna unter Wasser. Flora und Fauna über Wasser sind gleichsam spannend. Am liebsten würde ich mir von vielen Dingen Proben mitnehmen...

In der Medikamentenforschung werden Gifte schon immer als Grundstoff verwendet. Die südamerikanischen Urwälder sind voll mit Stoffen, die wir noch nicht kennen. Die rücksichtslose Abholzung der Urwälder wird unwiederbringlich Tiere und Pflanzen vernichten, die wir eines Tages schmerzlich vermissen werden. Man spricht auch vom grünen Gold, das wir leider rücksichtslos vernichten. Die Menschheit bedient sich von jeher tierischer und pflanzlicher Produkte neben der Nahrungsaufnahme zum eigenen Nutzen. Man denke an Pfeilgifte, die aus dem Sekret des Pfeilfrosches hergestellt werden, dem Moschusparfüm, gewonnen aus den Drüsen des Moschushirsches, dem Herzmittel Digitalis, das aus dem hochgiftigen Fingerhut gewonnen werden kann. Die Reihe ließe sich endlos fortsetzen.

Das Weihnachtsfest verbringen wir überwiegend am Strand. Wir Mitteleuropäer verbinden Weihnachten, jahreszeitlich bedingt, mit Schnee und kerzenerfüllten, kalten Abenden. Hier werden die Schneemänner am Strand aus Sand gebaut, die Weihnachtsmänner laufen in Badehose oder in Bermuda-Shorts bei bis zu 40 Grad im Schatten umher oder spannen Kängurus vor den Schlitten. Grillen am Strand kann man sich aus der Perspektive unserer Dezembertemperaturen nur schwer vorstellen.

Weihnachten alleine zu Hause in Deutschland wäre wenig erbaulich. Hier am Strand habe ich zwar keine wirkliche Weihnachtsstimmung, aber die vermisse ich auch nicht. Vielmehr genieße ich Sonne, Meer und Strand. In Deutschland sollten wir Weihnachten auf den Sommer verschieben – ist einfach besser. Depressive Stimmung kann nicht aufkommen. Man sollte es einmal vorschlagen. Bei aller Geselligkeit, und allemal besser als alleine im kalten Deutschland, steigt bei mir so etwas wie Wehmut auf. Selbstverständlich verbringe ich Heiligabend und Weihnachten nicht nur mit meinen beiden Söhnen, sondern auch mit ihren Freundinnen. Und zwischen diesen beiden Paaren komme ich mir bei aller Geselligkeit ein wenig deplatziert und einsam vor.

Manchmal sitze ich stundenlang am Meer und lasse den Gedanken freien Lauf. Mit jeder Welle, die sich auf die endlosen Sandstrände zubewegt, bekomme ich einen neuen Impuls, einen neuen Gedanken für meine zukünftige Selbständigkeit. Ich überlege mir viele kleine Details. Zwischendurch recherchiere ich im Internet oder leihe mir Fachbücher aus der Bibliothek. Meine Pläne werden zunehmend konkreter und ich weiß genau, welche Schritte ich nach Australien unternehmen muss. Mein Plan steht – die Umsetzung wird folgen.

Zwischendurch denke ich an die Ereignis an der Brücke und Erwins Unfall. Eine emotionale Belastung, ein schlechtes Gewissen oder gar Schuldbewusstsein will sich bei mir einfach nicht einstellen. Ich habe eine erhebliche Distanz zu den Ereignissen. Ohnehin weiß ich bis heute nicht, ob der Eisklotz der Auslöser war oder der gesamte Unfall eine Verkettung unglücklicher Ereignisse mit meiner eher zufälligen Anwesenheit.

Die Wochen verfliegen und ich habe das Gefühl, es ist die schönste Zeit meines Lebens. Nach gut drei Monaten Australien bin ich der Meinung, dass es genug sei. Die Versuche meiner Söhne, mich zum längeren Bleiben oder gar unbefristeten Bleiben zu überreden, wehre ich standhaft ab. Ich muss wieder erwerbstätig werden. Der Abschied fällt uns dreien schwer, aber es muss sein. Vielleicht gibt es bald ein Wiedersehen.

Keine Anleitung zum Mord

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