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2. »Die Schiffskonstruktion«

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Sommer, vor vielen Jahren

Es war einmal ein kleines Mädchen, das hieß Anna.

Annas Vater baute den »Kiek ut« und diese Segelyacht war der Stolz der ganzen Familie. Gemeinsam nahmen sie an großen Regatten teil und verbrachten ihre Freizeit auf diesem Boot. Annas Vater arbeitete als freischaffender Architekt und er nutze jede freie Minute, den Segelsport als Ausgleich für durchgearbeitete Nächte zu genießen.

Der »Kiek ut« war Mitte der fünfziger Jahre einer der erfolgreichsten Regattasegler in Warnemünde und Rostock. Als Krönung der vielen Regattaerfolge gewann der Vater 1958 die Gesamtdeutschen Segelmeisterschaften in seiner Schiffsklasse. Stolz feierten sie diesen Sieg, wie den Gewinn einer Olympiamedaille.

Die kleine Anna wurde bereits als Baby auf den Segeltouren mitgenommen und der

»Kiek ut« war ihr schaukelndes Kinderzimmer. Eine akribisch sicher konstruierte Hängematte hing am Mastbaum des Seglers. In dieser abenteuerlichen Konstruktion hielt Anna bereits im Alter von wenigen Wochen ihren Mittagsschlaf und blinzelte vorsichtig in die Sonne. Damals nahm sie das Gefühl für Wind und Sonne mit in ihr weiteres Leben, wobei ihr großer Bruder singend auf dem Großbaum saß und sein Schwesterchen in den Schlaf schaukelte.

Gute Freunde segelten mit der Familie über die Ostsee und begleiteten sie während dieser schönen und fröhlichen Zeit. Lustige Begebenheiten und Anekdoten sorgen noch sechzig Jahre nach ihrem Geschehen für amüsante Erzählungen und freudige Stunden. Dieses unbeschwerte, heitere Miteinander prägte das tägliche Leben, auch wenn kein Fruchtischwein in der Kombüse vernichtet wurde.

Eines Tages, sie segelten von Stralsund zur Insel Hiddensee, bewölkte sich der blaue Himmel und es kam starker Wind auf. Die zweijährige Anna saß in der Plicht vom

»Kiek ut«, zwischen den Beinen von Herkules und spielte verträumt mit Eimer und Schaufel vor sich hin. Die blonden Locken fielen ihr ins Gesicht und der Sand rann kribbelnd durch ihre Fingerchen.

Herkules war ein Schiffbaustudent und Segelfreund, der Annas Vater regelmäßig auf den Törns und Regatten begleitete. Übrigens wunderten sich alle Freunde und Bekannten, dass seine Eltern schon bei der Namensgebung »Herkules« die Ausmaße seiner zukünftigen Statur berücksichtigt hatten. Ebenso passten die dichten schwarzen, zurückgekämmten Haare, die ihm bei starkem Wind immer wieder ins Gesicht fielen, zu seinem eindrucksvollen Erscheinungsbild.

Dieser Riese, mit den markanten Gesichtszügen, warf ab und zu einen wachsamen Blick auf das spielende Mädchen, um sicher zu stellen, dass ihr bei dem aufbrausenden Seegang nichts geschah. Das Boot schaukelte zusehends kräftiger von einer Seite zur anderen. Der Wind nahm mit jeder Minute zu und die Wellen schlugen mächtig gegen die Bordwand. Zur Sicherung wickelte Herkules der Kleinen einen langen Strick um den Oberkörper, wie ein Leibchen und so wurde das Mädchen vor der brausenden Gefahr geschützt. Aus ihrer schaukelnden Sandkiste blinzelte Anna Herkules an und feixte keck.

Gern spielte sie mit seinem großen Zeh und freute sich, ihn ein wenig zu kitzeln.

Herkules zuckte bei ihren Berührungen kurz zusammen, grinste und sah zu dem kleinen Frechdachs hinunter. Anna wollte schon damals Aufmerksamkeit und sie bekam, was sie wollte. Herkules beobachtete sie in Gedanken versunken und musste über ihre Unbeschwertheit lächeln. Plötzlich lief etwas Warmes über seinen Fuß. Erschrocken zog er sein Bein zur Seite und sah nach unten. Anna blickte ihn etwas verlegen an und schluckte, beugte den Kopf weit nach vorn und übergab sich abermals in einem hohen Bogen. Damals wurde Anna seekrank und spielte unbeeindruckt weiter mit den, jetzt glitschigen Zehen von Herkules.

1961 schob die Stasi diesem Sport für Annas Familie und den Segelfreunden einen endgültigen Riegel vor. Die Segler durften nur noch mit Sondergenehmigungen auf der Ostsee ihren Sport ausüben.

Noch vor dem Bau der Berliner Mauer wurde Annas Vater als Staatsfeind verhaftet. Das Boot, sowie das gesamte Eigentum der Familie wurde beschlagnahmt. Die Yacht ging in sozialistisches Volkseigentum über und ist heute im Besitz der Universität Greifswald.

Die Staatsanwaltschaft Rostock machte sich mit der Verhaftung von Annas Vater viel Arbeit. Es wurde ein großer Schauprozess mit viel Medienrummel »gegen die Feinde des Sozialismus« inszeniert. Die Zeit während der Untersuchungshaft war die schlimmste Demütigung und Menschenverachtung, die sich der Architekt je hatte vorstellen können. Im Prozess wurde der Vater als Kopf einer antisozialistischen Bande dargestellt, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, den Sozialismus im Bezirk Rostock gezielt zu untergraben und zu vernichten. Selbst bei Beginn des Prozesses konnten sich die später Verurteilten nicht vorstellen, dass die Anklage mit solchen haltlosen Beschuldigungen ans Ziel kommen würde. Sie irrten sich. Im Urteil wurde deutlich gezeigt, was Feinden des Sozialismus droht ...

Das Leben von Annas Familie änderte sich schlagartig. Die Mutter wurde zu Bewährung verurteilt und ihr wurde von höchster Stelle, der Bezirksleitung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der SED, eine Arbeit zugewiesen und somit wurde sie unter die Obhut eines »Kollektivs der sozialistischen Arbeit« gestellt. In dem volkseigenen Frauenbetrieb sollte sie zu einem würdigen Mitglied der sozialistischen Gesellschaft erzogen werden.

Resigniert arrangierte sie sich mit diesen Gegebenheiten, denn sie wusste nun, zu welchen Konsequenzen das Regime fähig war. Sie musste ihre Kinder allein großziehen und ihr fehlte Geld und Geborgenheit. Jeder Tag war ein Kampf um ihre Existenz. Diese Jahre waren für alle eine schwere Zeit, in der ihnen gegenseitige Liebe und das Warten auf den Vater die nötige Zuversicht gaben, Probleme zu bewältigen, und nur heimlich zu weinen. Die Mutter wünschte sich manches Mal abends einzuschlafen, ohne sich über den nächsten Tag Gedanken machen zu müssen.

In der Schule mussten die Kinder um Anerkennung kämpfen, da ihr Vater im Knast saß. Anna hatte zum Glück ihren großen Bruder, der nicht zuließ, dass die anderen Kinder sie hänselten.

Das kleine Mädchen wurde in dieser Zeit stark und sie lernte sich zu wehren. Kinder sind bekanntlich in ihren Urteilen und Handlungen gnadenlos. Die gesamte Familie hielt tapfer sechs Jahre diese Momente der Anfeindungen aus. Sie schafften es, zusammenzuhalten und zu überleben.

Erst im Jahr 1966 wurde Annas Vater aus der Haft entlassen und konnte zu seiner Familie zurückkehren. Sie begannen, ihr Leben neu zu ordnen. Sie kannten nun die Konsequenzen, die Nichtsympathisanten des Regimes zu erwarten hatten.

Nach den körperlichen und physischen Quälereien der Machthaber versuchten sie, sich den vorhandenen sozialistischen Gegebenheiten anzupassen und ein normales Leben zu führen.

Der Familie war es erst im Jahr 1990, nach der Änderung der Machtverhältnisse im sozialistischen Deutschland möglich, auf der Ostsee zu segeln. Annas Eltern wurden rehabilitiert, doch diese Geste konnte die Entbehrungen der vergangenen Jahre nicht wieder gut machen.

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