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5. »Klar Schiff«
ОглавлениеAblegen in Rostock
Am späten Mittwochvormittag fahren Kay, Anna und ihr Sohn Ben nach Rostock. Bevor sie nach Marienehe, einem Stadtteil von Rostock fahren, machen sie einen kleinen Umweg zum ehemaligen Überseehafen. In den letzten Jahren hat sich im Rostocker Hafen viel verändert und so wollen sie auskundschaften, wo am nächsten Morgen die Fähre nach Gedser abfährt. Die großen Fähranlagen an der Warnow wurden nach der Wende, ab 1990 enorm ausgebaut und das gesamte Hafenareal des ehemaligen Überseehafens den neuen Bedingungen angepasst.
Am Vortag hatte Kay mit Madam telefoniert und sie teilte der kommenden Besatzung mit, dass die »Brise« sich südlich von Stockholm aufhält, und dass sie in der nächsten Zeit weiter nördlich segeln werden. Madam konnte nicht genau sagen, auf welche Route sich die Crew in den folgenden Tagen einigt und in welchem Hafen die »Brise« am Freitag zum Crewwechsel anlegen wird. So gibt sich der Freund mit dem Treffpunkt: »südlich Stockholm« zufrieden. Genaueres werden sie morgen, am Donnerstag erfahren.
Bei Annas Eltern angekommen, laden sie einen Teil des Gepäcks aus, um Frachtraum zu schaffen und fahren einkaufen. Madam hat ihnen eine Einkaufsliste per Telefon übermittelt, die abgearbeitet werden muss. Nach den Informationen vom Smutje werden für die Reise frische Kartoffeln und Gemüse, Brot, Wurst, vier Pakete Küchenrollen (sprich zwölf Rollen), Marmelade, einige Getränke, wie Rotwein oder so was Ähnliches und eine neue Fußmatte benötigt. Bei dem Auftrag: »zwölf Rollen Küchenpapier« kommt die Prinzessin ins Grübeln. Da sie sich nicht vorstellen kann, was sie in vierzehn Tagen mit zwölf Rollen Küchenpapier anfangen könnten, kauft sie nur acht und hofft, mit dieser eigenmächtigen Entscheidung keinen »Engpass« herauf zu beschwören.
Nach dem Einkauf versorgt die Mutter die Crew mit Zucchini, frischem Kräuterquark, getrockneten Backpflaumen und vielen guten Ratschlägen. Der Chef verstaut das Gepäck, die frische Verpflegung, die Fußmatte und andere Utensilien gekonnt und fachmännisch im Auto. Anna hält lieber Abstand. »Packer vom Dienst« ist Kay. Für die Anreise durch Schweden ist die große Kühltasche mit Verpflegung für zwei Tage bestückt und die notwendigen Papiere liegen griffbereit im Handschuhfach.
Die Schlafsäcke und Kopfkissen verpacken sie morgen früh auf dem Rücksitz, da sie sich vorgenommen haben, die folgende Nacht im Auto zu verbringen. Endlich ist alles für die Exkursion vorbereitet und sie haben einige Stunden Ruhe vor dem Start.
An diesem Nachmittag ist das Wetter schön, die gesamte Familie sitzt bei Kaffee und Kuchen im Garten unter dem Fliederbaum und sie plaudern über das bevorstehende Abenteuer.
Plötzlich leuchten die Augen von Annas Mutti und sie schlägt sich mit der flachen Hand vor die Stirn: »Sagt mal, warum wollt ihr eigentlich eine Nacht irgendwo in der Wildnis von Schweden verbringen? Ihr könnt vielleicht am Häuschen von Herbert und Chris euer Auto abstellen und dort schlafen. Wir rufen sie nachher an und fragen nach, ob sie zuhause sind und ob es möglich ist, dass ihr bei ihnen übernachtet. Dass ich auf diese Idee nicht viel früher gekommen bin? Wenn ihr bis in die Nähe Stockholms müsst, dann fahrt ihr beinahe an ihrem Häuschen vorbei!«
Die Urlauber sehen sich überrascht an und die Idee gefällt ihnen sofort. Herbert und Chris sind sehr gute Freunde, die in Hamburg wohnen, jedoch die Sommer in ihrem Häuschen in Schweden verbringen. Es wäre schön, wenn dieses Arrangement klappen könnte, denn dann brauchten sie sich keine Gedanken über eine Herberge für die folgende Nacht zu machen. Außerdem freuen sie sich, das nette Ehepaar zu treffen. Wenige Minuten später sitzt der Vater am Telefon und versucht in Schweden anzurufen. Niemand nimmt das Gespräch entgegen, niemand ist Zuhause!
Es ist gegen siebzehn Uhr und so hofft die Familie, am späteren Abend eine Verbindung herstellen zu können. Gegen einundzwanzig Uhr versucht Annas Vater einen weiteren Anruf. Jetzt haben sie Glück und Chris meldet sich. Die Freunde aus gemeinsamen Segeljahren, sind gerade von einer mehrtägigen Reise zurückgekehrt, als sie mit Mutters Vorschlag überrumpelt werden. Trotzdem sind sie sofort bereit, dem Pärchen für die kommende Nacht Unterschlupf zu gewähren.
Zum Schluss des Telefongespräches wird eine w e i ß e Plastiktüte als Erkennungszeichen für den Abzweig zum Häuschen der Eheleute vereinbart. Wenn sie also in Schweden eine weiße Plastiktüte an einem Busch des Weges entdecken, müssen sie links abbiegen. Die Prinzessin strahlt. So ist die letzte Schwierigkeit ihrer Anreise aus dem Weg geräumt. Der Vater macht ihnen zur Sicherheit eine genaue Wegskizze, nach der sie die Unterkunft auf keinen Fall verpassen können.
Am Abend, vor dem Schlafengehen, verabschieden sich Kay und Anna von den Eltern und ihrem Sohn, um sie am Morgen nicht wecken zu müssen. Die Spannung vor ihrer unbestimmten Reise steigt und steigt und so langsam wird der blonde Lockenkopf nervös. Sie steckt den Freund mit ihrer Zappeligkeit an.
In der Nacht kann die Prinzessin nicht schlafen und sie wälzt sich im Bett hin und her. Die Zweifel und Unsicherheit der letzten beiden Wochen haben sie verrückt gemacht. Jetzt, vor dem Start des Unternehmens weiß Anna nicht, ob ihre Entscheidung die Richtige war? Was ist, wenn die vielen Bedenken Wirklichkeit werden? Was ist, wenn sie sich mit Herkules und Madam nicht verstehen? Was ist, wenn das Wetter regnerisch und windig wird und sie nie trockenen Sachen zum Anziehen haben? Was ist, wenn sie schrecklich seekrank werden? Was ...?
Mitten in der stockdunklen Nacht klettert sie aus dem Bett, schleicht sich aus dem Haus und geistert durch den Garten. Plötzlich steht ein großer, finsterer Mann vor ihr. Sie erschrickt sich fast zu Tode und ihr schriller Schrei fliegt durch die Finsternis.
Der dunkle Mann zuckt ebenfalls zusammen und die beiden Gespenster der Dunkelheit benötigen einen Augenblick, um zu sich zu orientieren.
Dann nimmt Annas Vater sie lachend in den Arm und sie setzen sich auf die Hollywoodschaukel unter dem Fliederbaum. Sie schauen in die Dunkelheit und suchen am Himmelszelt gemeinsam die leuchtenden Sterne des großen Wagens. Anna verspricht ihrem Vater, dieses Sternbild jeden Abend zu suchen und an ihre Familie zu denken.
»He, meine kleine Prinzessin, nun werde mal nicht sentimental! - Aber gut, wir verabreden uns jeden Abend und dann erzählst du mir, ob alles in Ordnung ist! Einverstanden?«, erwidert der Vater, nimmt sie noch fester in den Arm und geht mit ihr zurück ins Haus.