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7. »Setzt die Segel«

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… nach Stockholm

Der Morgen beginnt mit einer interessanten Vorstellung. Die Prinzessin wacht auf und sieht als Erstes im Spiegelbild des aufgeklappten Fensters, eine große Mäusefamilie, die sich friedlich auf der Rückseite des Bungalows tummelt. Niedlich huschen die kleinen Mäusekinder hin und her und suchen nach Fressbarem. Anna will sie nicht stören und steht vorsichtig auf, doch die Mäuse bemerken die leichten Erschütterungen und sind flink in ihrem sicheren Mauseloch verschwunden.

Bei ihrem Weg durch den Garten gefällt der jungen Frau die unberührte Natur dieser Anlage, die sie gestern bei ihrer Ankunft, nicht richtig zur Kenntnis genommen hat. Jede Blume und jeder Stein scheinen gerade zufällig da zu liegen. Es sieht aus, als ob der Mensch nicht viel zu sagen hätte und sich nur vorsichtig in die Naturgesetze der Pflanzen und des Waldes einmischt. Anna spricht diese Mischung aus Rücksichtnahme auf das Vorhandene und der Umsetzung des Notwendigen an. Überall stehen bunte Blumen, blühende Büsche, wilde Wiesen und hohe Bäume.

Leise geht sie den Pfad hinunter durch einen Blätterbogen zum Auto. Auf dem Weg dorthin flechtet sie ihre langen blonden Haare zu einem dicken Seitenzopf. Der Chauffeur schläft tief und fest. Sein lautes Schnarchen dient sicherlich zur Abschreckung der vermuteten Wildschweine. Bei diesen Tönen flüchtet jedes Lebewesen. Auch die Prinzessin. Sie will den Freund nicht wecken und schleicht über die Wiese ums Haus herum, um sich das Anwesen in Ruhe anzusehen. Es gibt drei schön angelegte Sitzplätze, einen lustigen Springbrunnen und unendlich viel Wald. Die Besucherin kann Herbert und Chris gut verstehen, dass sie sich hier wohlfühlen und mitten in der wunderschönen Natur viel Zeit des Jahres verbringen.

Aber wo sind ihre Gastgeber? Im Haus ist alles still. Ob sie noch schlafen?

Zurück bei ihrem Schlafplatz, beschäftigt sich Anna ausgiebig mit der Morgentoilette. Danach sucht sie sich ein ruhiges Plätzchen vor dem Haus, setzt sich auf die Bank am plätschernden Springbrunnen inmitten vieler bunter Blumen. Noch immer ist das laute Zwitschern der Vögel zu hören und sie genießt diesen morgendlichen Augenblick der Ruhe. Sie hat die vorhandenen Karten und Stadtpläne auf dem Tisch ausgebreitet und blättert nebenbei im »Bedaecker«. Anna sucht »Djurgården«. Einen Stadtplan von Stockholm kann sie endlich finden und entdeckt in der letzten unteren Ecke des Planes »Djurgården« - ein Inselstadtteil Stockholms. Der Tag ist gerettet.

Als Anna aufschaut, vernimmt sie in der Ferne Stimmen. Herbert und Chris kommen den steilen Weg vom See herauf. Jeden Morgen machen sie diesen einstündigen Frühsport. Gleich nach dem Aufstehen begeben sie sich zum See und schwimmen einige Runden im glasklaren Wasser. Für das weit über siebzigjährige Ehepaar aus Hamburg eine tolle Leistung. Schon der Weg ist eine Herausforderung, denn die Steigung auf dem Rückweg hat die Besucher gestern zum Zwischenstopp gezwungen.

Anna gefällt diese frohe Lebensart der netten Herrschaften, die sie mit ihrer natürlichen Herzlichkeit einfach gern hat. Vor einigen Jahren haben die Hamburger einen Brunnen fürs Wasser gebohrt und bei ihrem Einzug gab es keinen elektrischen Strom. Das ist mehr als 30 Jahre her. Schade, dass sich die Reisenden nicht einige Tage Zeit lassen können, um sich länger umzuschauen. Anderseits freut sich das gastliche Ehepaar sicherlich auf die gewohnte Ruhe und Abgeschiedenheit, denn es hat sicher seinen Grund, dass sie hier wohnen.

Jetzt kommt Kay zum Haus und begrüßt seinen Schatz mit einem flüchtigen Kuss: »Heute bist du nicht Prinzessin, sondern Rapunzel. Wen möchtest du mit diesem langen Zopf anlocken?« Er greift nach dem Seitenzopf und schaukelt ihn lustig hin und her.

»Guten Morgen, mein Lieber! Schon was davon gehört, dass Rapunzel letztlich ebenfalls Prinzessin war?«, neckt sie ihn fröhlich und nimmt ihm den Zopf aus der Hand.

Gegen elf Uhr haben alle zusammen gefrühstückt, Annas Kühltasche ist mit Eis gefüllt, der Fahrer hat die Autokarte studiert und sich über die Lage von »Djurgården« informiert.

Der weitere Weg durch Schweden, nach Stockholm beginnt. Die angehenden Segler bedanken sich herzlich bei ihren Gastgebern für die nette Aufnahme und kutschieren weiter auf der Straße Nr. 49. Entlang des Westufers des Vättern fahren sie bis zu seinem nördlichsten Zipfel nach Askersund und dann auf die Straße Nr. 50. Auf dieser Fahrt staunen sie, wie schon gestern, über die den Vätternsee umgebende Landschaft von Bergen und Wäldern. Dieses ist ihr erster Besuch Schwedens und das Gesehene wird bleibende, beeindruckende Erinnerung an ein wunderschönes Land sein. Auf der Europastraße 20 geht die Fahrt weiter östlich, bis die Beiden das Hinweisschild »Gripsholm« am Straßenrand entdecken.

Kay sieht seine Freundin fragend an und bevor sie reagieren kann, biegt er nach Mariefred ab. Anna ist neugierig auf dieses Schloss, von dem sie die Erzählung gelesen und den Film gesehen hat. Schon ihre Eltern lieben Tucholsky.

Hier, in dieses idyllische Schloss, flüchtete Kurt Tucholsky vor den Nazis. Das königliche Gemäuer verewigte er in seiner Erzählung »Schloss Gripsholm« und der gleichnamige romantische Film hat den Bekanntheitsgrad dieses Ortes gewaltig gefördert. Sogar ihren Kosenamen »Prinzessin« hat Anna dieser Erzählung zu verdanken.

Das Schloss Gripsholm im charmanten Mariefred ist in Deutschland fast bekannter als in Schweden. Das erklärt, warum sie auf dem Parkplatz vor dem Schloss sehr viele deutsche Fahrzeuge entdecken.

Kurt Tucholsky schreibt: »Das Schloss, aus roten Ziegeln erbaut, stand leuchtend da, seine runden Kuppeln knallten in den blauen Himmel.« Genau so liegt dieses Schloss vor den Besuchern. Gnadenloser blauer Himmel, keine Wolke und 30 Grad Celsius Hitze im Schatten.


Das Pärchen nimmt eine Decke und die Picknicktasche aus dem Auto und sie setzen sich auf den Rasen gegenüber dem Schloss, sodass sie die Anlage genau bewundern können.

Die Träumerin fragt ihren Begleiter: »Weißt du, welches meine Lieblingsstelle im Film ‚Gripsholm’ ist?«

»Nein, erzähle!«

»Daddy und Prinzessin wollen nach Gripsholm fahren und haben sich verabredet. Daddy ist ganz aufgeregt, weil Lydia immer noch nicht da ist, und er ruft bei ihr an. Sie läuft völlig kopflos durch die Wohnung und weiß nicht, was sie anziehen soll. Das Telefon klingelt, sie nimmt den Telefonhörer ab, hat einen Hut auf und Stöckelschuhe an, sonst nur das Unterkleid. Daddy fragt, wann sie endlich fertig ist. Auf seine Frage antwortet sie: Ja doch, ich bin gleich da, den Hut habe ich schon auf!«

Kay nimmt Anna in den Arm und stellt zufrieden fest: »Dieser Spruch hätte tatsächlich von dir sein können. Darum also ‚Prinzessin’!«

Sie schlendern durch den angrenzenden Park und schauen auf den See und das Schloss. Verträumte Winkel und eine sehr gepflegte Anlage lassen verstehen, dass »Gripsholm« etwas Besonderes ist.

Nach diesem romantischen Zwischenstopp kommen sie gegen 16.00 Uhr in der Hauptstadt des Königreichs Schweden an. Nichts ist mehr übrig von der Einsamkeit und Abgeschiedenheit der Morgenstunden. Die Ruhe im Landesinneren von Schweden und die Turbulenzen in der Hauptstadt stehen in einem krassen Gegensatz zueinander. Stockholm ist eine große, moderne Stadt. Sie strahlt Besonnenheit und Fröhlichkeit aus.

Für die Neuankömmlinge bedeutet dieses geschäftige Treiben, dass sie sich zurechtfinden müssen. Sie haben keinen vernünftigen Stadtplan und keinen Euro in Kronen umgetauscht. Wenn sie mit ihren morgendlichen Recherchen richtig liegen, müssen sie, um zum vereinbarten Treffpunkt zu kommen, immer Richtung Zentrum fahren. Dort unbedingt die Strandvägen finden, von der aus eine Brücke auf die Insel »Djurgården« führt.

Langsam fährt Kay durch die schöne Innenstadt von Stockholm und bei der Suche nach den Straßenschildern entdeckt Anna einen Bankautomaten. Sie finden eine Parklücke und begeben sich mit dem vorhandenen Notstadtplan auf die Suche nach »Navishamn«.

Sie schlendern durch die Straßen, holen sich die benötigten Kronen aus dem Bankautomaten und stehen plötzlich vor dem Schloss, dem Reichstag, mitten in der malerischen Altstadt. Sie wissen, in Stockholm ist der Sitz der Ministerien und des höchsten Gerichts, es gibt eine Universität und Kunstakademie, mehrere Hochschulen und wissenschaftliche Institute und in Stockholm hat die Stiftung des Nobel-Preises ihren Sitz. Im weithin sichtbaren Rathaus mit dem hohen Turm werden jährlich die Nobelpreise verliehen.

Anna hat auf der Herfahrt im Stadtführer gelesen und erzählt: »In der Hauptstadt des Königreichs wohnen ungefähr 700.000 Menschen und mit den vielen Vororten sind es sogar 1,6 Millionen Einwohner. So wie ganz Schweden fast nur aus einer wunderschönen Seenlandschaft besteht, liegt auch Stockholm auf vielen kleinen Inseln und Halbinseln.«

In Stockholm bildet die Mündung des Mälarsees eine tiefe Bucht. Die Schären und hochaufragenden Felsen, die jeden Besucher beeindrucken, sowie die zahlreichen

Wasserarme dieser küstennahen Region, machen die reizvolle Lage Stockholms aus. Seen und Kanäle sowie unzählige Brücken verbinden die Stadt mit dem Binnenland und den vielen Inseln.

Das Paar steht jetzt in einer belebten Straße, die mit Hunderten von Fahnen geschmückt ist. In kleinen Straßencafés, Geschäften und großen Kaufhäusern herrscht lebendiges Treiben. Sie sind in der Drottninggatan gelandet und können endlich ihre Position genau bestimmen. Auf ihrer Karte finden sie endlich den weiteren Weg zur Insel »Djurgården«.

Sie gehen zurück zum Auto und fahren durch die Strandvägen bis zur Djurgårdensbron, überqueren diese Brücke und die Djurgårdensvägen entlang, bis es nicht mehr weiter geht.

Also mitten in der Weltstadt eine Straße, die im Nichts endet.

An der Endhaltestelle von mehreren Buslinien angelangt, steigt Anna aus dem Auto, geht zu einem der Busfahrer und fragt ihn, ob er ihr sagen kann, wo sie »Navishamn« findet.

Vorsichtshalber hat sie alles ordentlich auf einem Zettel notiert, den sie dem Busfahrer vor die Nase hält. Dieser schüttelt den Kopf und kennt diesen Hafen nicht. Um der Touristin zu helfen, will er wissen, wo sie mit dem Schiff hinfahren will. Etwas irritiert, da es für den Hafen gleichgültig ist, wo sie hinfahren will, antwortet sie: »Baltik Sea«

Der Fahrer hebt verständnislos die Schultern, sieht sich um und fragt die Fahrgäste des Busses nach »Navishamn«. Jedoch auch von den Fahrgästen ahnungsloses Kopfschütteln. In der Zwischenzeit ist ein kleiner Menschenauflauf vor dem Bus entstanden, da die wartenden Fahrgäste vorn in den Bus einsteigen und beim Fahrer bezahlen wollen. Die Fragende blockiert den Zugang. Einige Urlauber beginnen zu drängeln und zu schubsen. Anna wird die Situation zusehends peinlicher. Sie will hier plötzlich nur noch weg, sich zurückziehen und bedankt sich beim Busfahrer. Die nachrückenden Fahrgäste haben sie immer weiter in den Bus geschoben und es kostet sie einige Mühe, wieder zum Eingang zu gelangen. Als Anna völlig entnervt und beinahe panisch an der Einstiegstür angelangt ist, fasst eine junge Frau, die gerade in den Bus steigen will, sie am Arm und sagt: »There is »Navishamn«. Die junge Urlauberin zeigt auf den kleinen Yachthafen vor dem sie stehen. »That´s »Navishamn?« Anna schaut sehr ungläubig. »Yes, yes that`s right!«, betont die junge Frau. Im Bus entsteht ein eigenartiges Getuschel und im Gelächter hört niemand Annas: »Thank you, very match!«

Auf dem Weg zum Auto wird Anna plötzlich klar, warum der Busfahrer wissen wollte, wohin sie mit dem Schiff fahren will. Er hat an eine Überseefähre oder Ähnliches gedacht und wollte sie zum richtigen Fährhafen schicken. An eine Segelyacht und einen Sportboothafen hat er keinen Gedanken verloren. Genau so wenig, wie der Suchenden die Möglichkeit einer Überseefähre in den Sinn kam. Ihre sinnige Antwort, dass sie auf die Ostsee fahren wolle, konnte nur zu schmunzelndem Unverständnis führen.

Mit hochrotem Kopf kommt Anna zurück zum Auto und Kay erkundigt sich: »Na, Prinzessin, was hast du an der Bushaltestelle für einen Menschenauflauf verursacht? Hast du gezaubert oder Märchen erzählt? Einen Striptease gegen Informationen angeboten oder Schlimmeres?«

Prinzessin stutzt: »Es gibt Schlimmeres? Beziehungsweise, was ist an einem Striptease von mir schlimm?«

»Kein Striptease von dir!«, antwortet der Gefragte und hebt vorsichtig die Augenbraue.

Anna entspannt sich und muss plötzlich hemmungslos lachen, bekommt kaum ein Wort über die Lippen: »’Navishamn’ liegt bestimmt am anderen Ende der Welt, denn es kennt kaum jemand, aber wir sollen es hier in diesem kleinen Hafen versuchen.«

Und richtig, dort werden die Urlauber erwartet, denn Herkules hat die Freunde aus Rostock beim Hafenmeister angekündigt. Eine nette, deutschsprachige Dame begrüßt sie herzlich in Schweden und zeigt ihnen den Anlegeplatz der »Brise«. Dann erläutert sie ihnen sehr eindringlich und ausführlich und zum wiederholten Mal die NICHT vorhandenen Parkmöglichkeiten.

Anna und Kay sind angekommen!

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