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BAUERNSOHN UND HÖHERE TÖCHTER

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WURZELN UND WERTE DER BILDUNGSBÜRGERLICHEN PFARRFAMILIE


16 Musizieren im Internat in Schiers.

Die Fallstudie einer Pfarrfamilie um 1900 ist zugleich diejenige eines bürgerlichen Vorbildes, eines exemplarischen Einzelfalls, der möglicherweise schon von den historischen Akteuren selbst als eine Inszenierung erlebt wurde: «Seinen Bewohnern erscheint das Pfarrhaus denn auch als eine Bühne, ihr familiäres Leben als Theater. Als spielten sie ihr privates Leben anderen vor, als führten sie ihre Ehe für andere, erzögen ihre Kinder für andere, als inszenierten sie die intimen Szenen des Familienlebens für andere; kurz: als führten andere Regie im Glashaus, so stellt sich der Pfarrfamilie ihre eigene Welt dar, jene bürgerliche Lebenswelt, die das klassische bürgerliche Theater als Spiegel ihrer selbst schuf und die Puppenstube als Miniatur ihres Lebenskreises.»1 Was Wolfgang Steck über die reformierte, deutsche Pfarrfamilie des 19. Jahrhunderts schrieb, konnte David Gugerli für die schweizerische Pfarrfamilie im 18. Jahrhundert festhalten: «Ein besonders christlicher Mann, der ein Pfarrer von Amtes wegen zu sein hat, muss auch eine besonders christliche Familie haben. Die doppelte Autorität von Pfarrer und Hausvater begründet in einer herrschaftlich-patriarchalischen Gesellschaft für die Pfarrfamilie eine Sonderstellung im Beziehungsfeld von Gemeinde, Kirche und Staat.»2

Die Modellfunktion des protestantischen Pfarrhauses basiert auf einem biblischchristlichen Familienbild, wie es von Reformatoren wie Heinrich Bullinger verschiedentlich dargestellt wurde.3 Aushängeschilder des protestantisch-pfarrherrlichen Milieus waren in der Schweiz des 19. Jahrhunderts namhafte Personen wie Johann Caspar Lavater, Heinrich Pestalozzi, Johann Jacob Bodmer, Georg Gessner, Meta Heusser oder Jeremias Gotthelf. Das Pfarrhaus schien von einer Aura umgeben, die Genialität und Vorbildhaftigkeit ausstrahlte. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts sich verselbständigende Narration der bedeutenden Rolle des reformierten Pfarrhauses4 mag mit dem durch die Säkularisierung fast zeitgleich einhergehenden Machtverlust der pfarrherrlichen Obrigkeiten zusammenhängen. Die Aufgaben des Pfarrers, sein Einfluss und seine Position veränderten sich im 19. Jahrhundert mit der Trennung von Staat und Kirche, mit der Abschaffung von Pfrundregelungen und Leichenreden. Die Funktion der Vorbildhaftigkeit des Pfarrers und seiner Familie jedoch bleibt bis ins 20. Jahrhundert bestehen.5

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