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Ein Symbol

Auf dem Weg zu Juris Haus erzählte dieser Maria, was sich am Brunnen mit dem kleinen Hund und Klaus, Dirk und Willi zugetragen hatte.

»Sicher hat der kleine Hund die Aggression in der Luft gemerkt. Hunde sind da sehr sensibel«, versuchte Maria, die Situation zu erklären.

»Ja, schon möglich.«

»Dass die großen Kerle aber solche Schisser vor so einem kleinen Tier sind, hätte ich nicht gedacht.«

»Das Knurren war schon sehr unheimlich«, räumte Juri ein. »Du hättest das mal hören sollen.«

»Na, ich hätte gern die Gesichter von den drei Kerlen gesehen, wie sie sich fast in die Hose gemacht haben«, gluckste Maria in sich hinein.

»Ja«, kicherte Juri, »Das war schon sehenswert.«

Danach weideten sich die beiden Kinder noch bis zu Juris Haustür an seiner lebhaften Erzählung, wie Willi sein Fahrrad erklommen und wie ein Kloß auf Rädern den Marktplatz verlassen hatte. Frau Petkov verstand die Welt freilich nicht mehr, als Juri so lachend und ausgelassen mit Maria hereingepoltert kam, nachdem er so bedrückt vor wenigen Stunden das Haus verlassen hatte. Kopfschüttelnd blickte sie den Kindern nach, als sie die Treppen nach oben stürmten und in Juris Zimmer verschwanden, wo die Tür mit einem lauten Knall hinter ihnen zuschlug.

Nachdem die beiden Kinder von Juri zu Hause sein Teleskop, sein Fahrrad und die Taschenlampe geholt und Frau Petkov Bescheid gesagt hatten, wo sie hingehen würden, standen Maria und Juri ein paar Minuten später in der sommerlichen Brise am Rand der Klippe neben dem Leuchtturm und blickten verstohlen auf den Strand unter ihnen. Maria war gar nicht wohl zumute. Auf dem Weg über den Feldweg war sie sich immer unsicherer geworden, ob sie überhaupt noch einmal zur Grotte zurückwollte. Nun, da sie 30 Meter hoch über dem Strand stand und nach unten blickte, hatte sie die Hosen gestrichen voll. Juri baute das Teleskop auf, mit dem sie im Schutz des hohen Grases die ganze Gegend und den Strand beobachten konnten. Sehr zu Marias Erleichterung rührte sich auf dem Strand nichts. Wind und Wellen hatten mittlerweile die kleinen Fußspuren ausradiert, die aus dem Wasser gekommen waren und auf die Grotte zugehalten hatten. Es sah alles so friedlich und gewöhnlich aus wie immer.

»Also, ich kann nichts Ungewöhnliches erkennen«, bestätigte auch Juri, der vornübergebeugt dastand, ein Auge zugekniffen hatte und mit dem anderen angestrengt durch das Teleskop schaute.

»Lass‘ uns noch ein bisschen warten und ganz sicher gehen«, antwortete Maria. Sie versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken, was ihr nicht vollständig gelingen wollte. Schweigend suchte Juri weiter die Gegend ab.

Schließlich sagte er, »Nee, nichts. Wirklich alles ruhig.«

Damit richtete er sich auf, reckte seinen Rücken und begann, das Teleskop einzupacken.

»Nein, warte, ich will auch nochmal schauen.«

»Na gut, bitte.«

Erst als Maria sich selbst ein Bild von der Lage gemacht hatte, war sie bereit, die Klippen hinab und zum Strand hinunterzusteigen. Mit jedem Schritt schienen ihre Beine jedoch schwerer zu werden. Doch schließlich und unvermeidlich standen die Kinder nebeneinander auf dem weichen Sand am Fuße der Klippen. Die Sonne hatte derweil ihren Höchststand erreicht, und es war sehr warm geworden. Ohne die immerwährende Brise an der Küste wäre es geradezu unerträglich gewesen.

Juri hatte das Teleskop in seinem schwarzen Stoffbeutel mit dem Tragegurt über die Schulter geschlungen. Die lange Stabtaschenlampe hatte er fest in der linken Hand. Seine Augen funkelten vor Tatendrang, und er spürte das Adrenalin in seinen Fingern pulsieren. Juri atmete noch einmal tief ein und aus, dann stapfte er mutig auf den Eingang der Grotte zu. Maria folgte vorsichtig mit ein paar Schritten Abstand.

Dann standen sie dicht an den Fels gepresst neben dem großen »A« und lauschten angestrengt hinein. Als weiterhin alles ruhig blieb, zupfte Maria Juri am Ärmel. Als dieser sich ihr zuwandte, formte sie wortlos mit ihren Lippen die Worte: »Was jetzt?«

Juri zeigte wortlos auf sich, dann auf seine Augen, dann auf den Eingang. Maria nickte.

Vorsichtig spähte Juri um die Ecke. Der Eingangsbereich war menschenleer. Auch der Boden der Grotte wirkte unberührt. Es waren keinerlei Anzeichen vorhanden, dass jemand diesen Morgen überhaupt hier gewesen war.

Juri zog seinen Kopf zurück und schaute Maria an. Diese war sichtbar bleich, aber ihre Augen waren klar und hell. Er zuckte mit den Schultern und flüsterte: »Nichts. Ich gehe rein.«

Marias blaue Augen weiteten sich, aber sie nickte wieder.

Juri schlich um die Ecke und huschte schnell auf Zehenspitzen zum Ende des Eingangsbereichs, wo der kleine Gang begann, der sich weiter in den Fels erstreckte. Maria sah ihm sorgenvoll vom Grotteneingang dabei zu. Sie sah, wie Juri wieder eine Weile lauschte und dann blitzschnell einmal in den kleinen Gang hineinblickte und sich sofort wieder zurückzog. Er blinzelte ein paarmal, als könnte er nicht begreifen, was er gesehen hatte. Dann wiederholte er den schnellen Blick. Wieder das Blinzeln. Dann winkte er Maria zu.

Maria eilte nun ebenfalls auf Zehenspitzen in die Grotte hinein und drückte sich neben Juri an den kühlen Fels. Der sah sie eine Weile mit unerklärlichem Blick an. Dann sagte er mit normaler Stimme, die in der Stille wie lautes Donnern klang: »Schau.«

Juri und Maria traten gemeinsam gleichzeitig vor und sahen in den kleinen Gang. An der ersten Biegung des kleinen S-förmigen Tunnels war die Decke heruntergestürzt. Ein Brocken, der fast den ganzen Platz allein ausfüllte, stand wie ein Riegel dort und versperrte den Weg. Seine Vorderseite war ungewöhnlich glatt, so als ob die Brandung ihn rund gewaschen hätte. Mitten auf diesem Brocken befand sich auf 2/3 seiner Höhe eine Gravur von der Größe eines Esstellers, die auf den ersten Blick wie ein Haufen aus geraden Linien oder Mikadostäbchen aussah.

Maria spürte sofort wieder dieses elektrische Kribbeln, das sie bereits am Morgen empfunden hatte. Sie wollte weglaufen, aus Angst, dass es noch eine Explosion geben würde, aber sie war wie festgenagelt. Sie konnte ihre Augen nicht von dem Brocken und dem merkwürdigen Symbol abwenden. Irgendetwas setzte in ihrem Kopf aus. In Trance bewegte sie sich Schritt um Schritt auf die Gravur zu. Wie durch einen Nebel oder in einem Traum hörte sie Juri hinter sich sagen, »Was machst du da?«. Es klang merkwürdig verlangsamt, wie von Unterwasser kommend. Sie ging weiter, magisch von dem Zeichen angezogen. Das Symbol brannte sich förmlich in ihre Netzhaut. Beim Näherkommen konnte sie sehen, dass es sich nicht etwa um einen unstrukturierten Haufen aus Linien handelte, sondern dass es die Darstellung einer Ansammlung geometrischer Figuren war: Ein Tetraeder, ein Würfel, ein Oktaeder, ein Dodekaeder und ein Ikosaeder[Fußnote 2] waren miteinander in einem Kreis verschlungen. Maria wusste aus dem Mathematikunterricht, dass dies die regelmäßigen archimedischen Körper waren.

Wieder rief Juri etwas. Marias Haare auf den Armen und im Nacken standen zu Berge. Das elektrische Kribbeln wurde immer stärker. Dieses Symbol. Es war wunderschön. Langsam streckte sie die Hand aus, um es zu berühren.

»Maria, neeeeiiiin!« erklang Juris Stimme wie aus den Tiefen des Ozeans.

Elektrische Spannung. Blaues Schimmern. Geometrische Körper. Rauschen der Brandung.

Maria berührte das Relief, und Zeit und Raum lösten sich auf.

Dunkelheit. Stille.

Maria stand auf einer hohen nackten Felsnadel. Das Universum breitete sich vor ihr bis in die Unendlichkeit aus. Sie sah Planeten, Sterne, Galaxien, die sich auf ihren Bahnen bewegten. Ein unendlicher Tanz voller Schönheit und Eleganz. Da waren Merkur, Venus, Mars, Jupiter und all die anderen bekannten Planeten ganz nah, die sich um die Sonne drehten. Maria konnte die Beziehungen zwischen ihnen deutlich spüren. Es war ein Pulsieren, ein Fließen, ein Ineinandergreifen. Lange Zeit stand Maria nur staunend da und betrachtete den Reigen, der sich vor ihr abspielte, genoss die unverkennbar vorhandene aber für sie nicht genau bestimmbare Logik der Bewegung, der Kausalität und des Seins. Doch wurde das Sonnensystem als Teil der sich drehenden Milchstraße bald an Maria vorbeigewirbelt. Auch die Milchstraße rollte weiter, entfernte sich und tanzte mit den anderen Galaxien. Und dann bemerkte sie, dass jedes der himmlischen Objekte eine kleine goldene leuchtende Spur wie einen dünnen Kometenschweif hinter sich herzog, neben der in feinen goldenen Linien Zahlen und Formeln erschienen, sich veränderten, durch neue ersetzt wurden. Es gab weitere Linien, die Abstände und Längen maßen. Dann mischten sich mit silbernen Kanten gezeichnete geometrische Figuren zwischen die tanzenden Galaxien. Dreiecke, Quadrate, Tetraeder, Quader, Dodekaeder, Ikosaeder. Es wurden immer mehr und immer kompliziertere Figuren, und der Tanz wurde schneller und schneller. Dazu kam ein wunderschönes Singen aus der Tiefe des Nichts, leise zuerst, dann stetig anschwellend, bis es zu einer gewaltigen kosmischen Melodie aufbrandete. Maria wollte weinen und lachen zugleich. Schließlich musste sie sich die Ohren zuhalten, weil sie den wunderschönen Klang nicht mehr ertragen konnte. Als Sie dachte, sie müsse jeden Augenblick vor Glück und Ehrfurcht zerspringen, vernahm sie aus den Tiefen des Alls eine unbekannte Stimme, die so weich war wie Karamell: „Reveni, Maria.[Fußnote 3]

Maria blinzelte. Sie musste sich erst einen Moment erinnern, wo sie eigentlich war. Sie stand noch immer in dem niedrigen Gang vor der Einsturzstelle. Juri ergriff gerade von hinten ihre Schulter und zog sie weg.

»Mensch, spinnst du? Da können doch noch weitere Steine herunterfallen. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?«

Es blitzte, als Juri mit seinem Handy ein Foto von dem Relief machte. Dann ließ sich Maria von Juri aus der Grotte auf den Strand ziehen. Sie folgte ihm mit gummiweichen Knien und immer noch völlig abwesend und mit glasigen Augen. In ihren Ohren klang noch die wunderbare Melodie. Langsam begann sie zu begreifen, dass alles, was sie gesehen hatte, mathematischen und logischen Regeln folgte, so wie sie es sich immer erhofft hatte. Aber nicht nur das, sondern die Mathematik und die Welt waren irgendwie eins auf eine wunderbare und komplizierte Art zugleich. Oder hatte sie es sich nur so stark erhofft, dass ihr nun ihr Sinn einen Streich gespielt hatte? Nein, sie war sich eigentlich ziemlich sicher.

Juri plapperte derweil unaufhörlich auf sie ein, aber Maria hörte es gar nicht. Als sie ein wenig abseits wieder am Aufstieg zum Leuchtturm standen, fragte Maria:

»Wie lange stand ich denn dort vor dem herabgestürzten Brocken und dem merkwürdigen Zeichen? Wie spät ist es eigentlich?«

»Wie? Was meinst du? Das war vielleicht nur eine Sekunde. Mann, du bist da einfach reinspaziert wie ein Zombie. Mach‘ das bitte nie wieder.«

Maria überlegte, ob sie Juri von ihrer Vision erzählen sollte. Für sie war es, als ob sie stundenlang auf der Felsnadel im Kosmos gestanden hätte. Sie entschied sich aber dagegen, weil sie selbst erstmal gründlich weiter darüber nachdenken wollte. Stattdessen fragte sie: »Was machen wir denn jetzt wegen des Einsturzes? Wenn du mich fragst, ist das eine Folge der Explosion von heute Morgen. Und das Zeichen hat eindeutig eine Bedeutung. Das ist auf jeden Fall kein Warnschild wie ‚Achtung Sprengung! Einsturzgefahr!‘. Das ist etwas ganz anderes.«

»Tja, weiß nicht. Vielleicht finden wir ja bei den Bekanntmachungen am Rathaus oder im Internet einen Hinweis auf irgendwelche Arbeiten hier an der Steilküste. Ich könnte auch meinem Vater eine Mail schreiben. Vielleicht weiß der ja etwas.«

Und damit machten sich die beiden Kinder wieder auf den Rückweg zu Juri, denn der hatte ja den leistungsfähigen Computer, mit dem sie sich auf die Suche nach Antworten machen wollten.

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Ein paar Kilometer weiter weg kickten Klaus, Dirk und Willi halbherzig mit dem Ball herum. Es war eigentlich viel zu warm, um sich körperlich zu betätigen. Außerdem musste man ja cool sein. Und dazu gehörte eher, sich neben dem Bolzplatz auf die Bank zu hocken, mit seinem Handy herumzuspielen und wichtige Sprüche abzulassen.

»Mann, hab‘ ich einen Durst!« sagte Klaus und ging hinüber zur Bank, an der sein Rucksack lehnte, in dem sich eine große Flasche Cola befand. »Willi, hol‘ den Ball!«

Der Ball war bei seinem letzten Pass weit über Willis Kopf ins Gebüsch gesegelt.

»Wieso denn schon wieder ich?« maulte er. »Geh‘ du ihn doch holen. Du hast ihn ja schließlich da hineingeschossen.«

»Weil du den Ball nicht richtig angenommen hast und dir außerdem die Bewegung gut tut.«

Dirk kicherte. Er liebte es genauso wie Klaus, den Willi zu schikanieren. Aber trotzdem gehörte Willi zu ihrer Gruppe, weil sein Vater reich war und Willi immer ein dickes Portemonnaie hatte und die zwei anderen Jungen finanzierte, wenn es um Kino, Eis oder andere Dinge ging. Willi hatte auch immer das neuste Smartphone und die coolsten Computerspiele, was ihm einen gewissen Status verlieh, wenn man die Welt aus der Perspektive von Klaus und Dirk betrachtete.

Willi stapfte notgedrungen los, wobei er unablässig vor sich hin maulte. Dann stand er schließlich vor dem Gebüsch, das den Rand des Bolzplatzes begrenzte. Der Ball war nirgends zu sehen. Willi drehte sich um und rief, »Ich sehe ihn nicht!«

»Mensch Willi, jetzt streng dich mal an«, tönte es von der anderen Seite des Platzes zurück, gefolgt von schadenfrohem Lachen.

Es half nichts. Willi seufzte und drängte in das Gebüsch. Es war dicht, und einige Äste zerkratzten seine Arme und nackten Waden. Er drehte sich seitlich, damit er sich besser weiter voran zwängen konnte. »Wo war der Ball nur hingeflogen?« fragte er sich. Er müsste eigentlich in dieser Richtung liegen. Er schob sich weiter, blieb an einem Spinnennetz hängen und vollführte einen kleinen Tanz vor lauter Ekel, bis er die klebrigen Fäden abgestreift hatte. Dann sah er endlich etwas Weißes ein paar Schritte weiter auf der Erde liegen. Er kämpfte sich weiter vor und stand einen Augenblick später vor dem Ball. Willi bückte sich hinunter und streckte seine fleischigen Arme aus, um nach ihm zu greifen, doch hielt er mitten in der Bewegung inne.

Direkt hinter dem Ball sah er auf zwei nackte gelblich-grüne Füße herab, die in billigen Flipflops steckten. Er folgte mit seinem Blick den Knöcheln und Waden aufwärts und erreichte den Saum eines grauen Trenchcoats. Der Träger des Trenchcoats hatte offenbar nicht viel darunter an, denn Willi konnte sehen, dass der Mantel halb offen stand und darunter eine schmutzige weiße Windel und viel mehr gelbgrüne Haut zu erkennen waren. Die Haut war mit lauter Dodekadern tätowiert.

Erschrocken richtete sich Willi auf und kam Auge in Auge - eigentlich Nase an Nase - mit einem breiten hässlichen Gesicht. Eigentlich konnte er nicht sagen, dass das Gesicht hässlich war, denn die Nase dominierte alles, und der Rest war durch eine enorme schwarze Sonnenbrille verdeckt. Darüber befand sich ein karierter Schlapphut, der direkt aus einer Sherlock-Holmes-Verfilmung hätte stammen können. Darunter lugten rechts und links lange Spock-Ohren hervor.

Die Erscheinung hob eine patschige Hand und einen dicken Finger an seine farblosen dünnen Lippen und machte, »Pssst!«. Willi nahm beiläufig wahr, dass die Hand nur über vier Finger verfügte, wie bei einer Comicfigur. Er konnte kein Wort sagen und sich auch nicht rühren.

»Wo habt ihr Eure Bücher?« zischte das kleine Männchen.

Willi konnte nur verständnislos mit den Schultern zucken.

»Wo habt ihr Eure Bücher?« wiederholte die Gestalt. Sein Atem roch nach irgendetwas Vergammeltem, das obendrein mit Kreidestaub gepudert war und Willi unwillkürlich an Schultafeln denken ließ.

Als Willi nur unzusammenhängend herumstotterte, nahm die Erscheinung ihre Brille ab, und Willi sah in zwei bösartige schlitzförmige grüne Augen.

»Antworte!«

»Ich … äh … äh … Bücher … äh ... Bücherei«, brachte Willi hervor.

»Bücherei? Wie komme ich da hin?«

»M-Marktplatz«, stammelte der Junge.

»Gut, gut, gut!« hauchte die große Nase mit den grünen Augen und den spitzen Ohren. »Ich brauche Zutritt.«

»Zutritt?«

»Du denkst zu langsam. Das ist ja geradezu widerlich. Wie das kleine Einmaleins. Ich muss unbedingt zu euren Büchern. Wie?«

Willi, dessen Gedanken sich unter dem stetigen Blick des kleinen Mannes zu Brei verwandelten, griff wie ein Zombie in seine Hosentasche und holte sein Portemonnaie mit seinem Büchereiausweis heraus. Diesen zog er hervor und hielt ihn dem gelblichen Gesicht hin.

Die patschige Hand mit den vier Fingern griff zu und verstaute den Ausweis in der Innentasche seines offen stehenden Trenchcoats. Dann setzte das Männchen seine Brille wieder auf.

»Ich war niemals hier«, hauchte es.

Und damit verschwand es aus Willis Erinnerung, der sich plötzlich wieder auf dem Bolzplatz am Rande des Gebüschs wiederfand, den Ball unter dem Arm.

»Achtung! Granate!« brüllte Willi und schoss den Ball so hoch er nur konnte auf die Bank zu, auf der Klaus und Dirk Platz genommen hatten. »Hey, wartet auf mich! Ich will auch ´ne Cola!«

»Ey, spinnst du?« rief Klaus, der sich wegen des herabsausenden Balls mit den Armen schützen musste und dabei fast sein Getränk umgekippt hätte. »Das hat ja ewig gedauert!«

Willi trabte über den Bolzplatz zu seinen Kumpanen und plumpste in den Schatten. »Ist das eine Affenhitze!« stöhnte er. »Jetzt gib schon ´ne Cola.«

An kleine gelbgrüne Männchen im Trenchcoat mit Büchereiausweisen dachte er nicht mehr.

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