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O’Kelly saß an seinem Schreibtisch und arbeitete. Er hatte dazu eine ganz besondere Methode: eine Menge kleiner Zettel lag vor ihm; auf jedem standen Stichworte, die irgend eine feststehende Tatsache oder zwingenden Schluß andeuteten, die mit dem ihn augenblicklich interessierenden Fall zusammenhingen.

Wenn er nun eine bestimmte Theorie auf ihre Möglichkeit und Brauchbarkeit untersuchte, so rückte er alle diejenigen Zettel zusammen, die sich mit dieser Theorie in Einklang bringen ließen. Dann schrieb er seine theoretischen Mutmaßungen fein säuberlich in ein besonderes Heft und vermerkte mit einer Ziffer die Anzahl der damit übereinstimmenden Tatsachen. Er hielt dieses sonderbare System für das beste Mittel, sich vor Beeinflussung durch eine vorgefaßte Meinung zu schützen und nahm seine Tätigkeit, die mehr einem Spiel als Arbeit glich, äußerst ernst.

Heute schien er jedoch mit den Ergebnissen seiner Untersuchung nicht recht zufrieden. Seine Augenbrauen waren finster zusammengezogen, und die Finger der einen Hand trommelten nervös auf der Tischplatte herum, während er mit der anderen die Zettel ziemlich planlos hin- und herrückte.

Wachtmeister Taube, der wie üblich, ein Buch vor der Nase, in dem Schaukelstuhl lehnte, sah wiederholt von seiner Lektüre auf und betrachtete den Inspektor bedauernd und mitleidig.

„Wann gehen wir zur Brücke?“ fragte er, offensichtlich mit dem einzigen Zweck, eine Frage zu stellen, denn er kannte den Zeitpunkt ganz genau.

„Um halb zehn,“ sagte O’Kelly kurz, ohne aufzublicken. „Stören Sie mich nicht!“

Taube schwieg einige Minuten. Dann begann er wieder:

„Wie alt sind Sie eigentlich, O’Kelly?“

„Ich werde siebzig!“ sagte jener ärgerlich. „Sie sollen mich jetzt in Ruhe lassen!“

„Hm …“ Taube schien bereits über die nächste Frage nachzudenken. Da ihm aber nichts passendes einfiel, steckte er den Kopf wieder in sein Buch. Doch gleich darauf blickte er freudig auf. „Q’Kelly!“ rief er triumphierend. „Hier steht ein komischer Satz — lateinisch, glaube ich. Was heißt — ‚errare humanum est‘?“

„Seid menschlich mit den Irren!“ erwiderte der andere grob. Wütend raffte er die kleinen Zettel zusammen und warf sie in ein Schreibtischfach. „Sie sind unverbesserlich, Taube,“ fuhr er ruhiger fort. „Übrigens wird es jetzt Zeit, daß wir gehen. Wir wollen Dr. Raymond nicht unnötig warten lassen.“

Mit einem Seufzer der Erleichterung klappte Taube sein Buch zu und streckte behaglich seine Glieder.

„Das ist fein,“ sagte er zufrieden. „Es ist immer sehr langweilig, wenn Sie arbeiten.“

„Und immer sehr störend, wenn Sie dazwischenreden. Wann heiraten Sie denn endlich? Ich freue mich riesig darauf — dann habe ich nämlich Ruhe.“

Taube zuckte resigniert die Achseln.

„Ich heirate, wenn die Möbel bezahlt sind. Ich habe sie auf Stottern gekauft, wissen Sie.“

O’Kelly lachte auf.

„Auf Stottern gekauft! Fabelhaft! Dauert das lange?“

„Gekauft habe ich die Möbel in einer Stunde, dagegen zahle ich schon ein Jahr lang daran,“ entgegnete Taube etwas mißgelaunt.

Sie waren inzwischen auf die Straße getreten. O’Kelly blickte suchend umher. Es dauerte aber keine zwei Minuten, als auch schon ein eleganter, großer Buick vorfuhr und Dr. Raymond die Kriminalbeamten aufforderte, einzusteigen.

Unterwegs erklärte O’Kelly seinen Schlachtplan. Als sie bei der Brücke anlangten, kannte jeder genau die ihm in dem nächtlichen Schauspiel zugedachte Rolle. O’Kelly lief noch eine Weile geschäftig hin und her; dann war alles geordnet, und es wurde still und ruhig.

An dem Brückengeländer lehnte die dunkle Gestalt Hans Larsens. Es regnete und stürmte. Irgendwo in der Ferne blinkte ein schwaches Licht, während die Brücke selbst völlig im Dunkeln lag.

Hinter einem Pfeiler verborgen kauerten O’Kelly und Dr. Raymond. Auf der andern Seite hatte Taube mit einem Kollegen seinen Platz eingenommen. Alles war so angeordnet, daß, wer auch immer zu Larsen wollte, erst eine der Gruppen passieren mußte und sich dann zwischen zwei Feuern befand. Larsen selbst hielt in der linken Hand ein großes Paket, das jedoch nicht Hundertmarkscheine, sondern Ansichtskarten enthielt. Seine Rechte aber umklammerte, in der Manteltasche verborgen, den Griff eines entsicherten Brownings.

O’Kelly hatte alle Möglichkeiten in Betracht gezogen. Sein Plan war bis aufs i-Tüpfelchen durchdacht. Etwa hundert Meter von der Brücke entfernt, harrte ein großer, vollbesetzter Wagen des Überfallkommandos eines Zeichens, und unter der Brücke lag sogar ein Polizeimotorboot, um dem Karo König auch den Weg übers Wasser abzuschneiden.

„Wenn wir ihn nicht kriegen, muß der Teufel seine Hand im Spiele haben,“ flüsterte O’Kelly.

Dr. Raymond fröstelte.

„Beim Karo König hat der Teufel schon manchmal seine Hand im Spiele gehabt,“ sagte er leise. „Ich glaube übrigens gar nicht, daß er selbst kommen wird.“

„Doch,“ widersprach O’Kelly bestimmt. „Ich wurde heute von einem Anonymus angerufen, der sich Kriminalinspektor Vogel nannte. Er versuchte mir einzureden, daß der Karo König nicht kommen würde. Es ist doch ganz klar, daß dies ein Komplice gewesen ist, wenn nicht gar der Karo König selbst, der auf diese ungeschickte Weise mich von der Spur abbringen wollte.“

„Möglich,“ entgegnete Raymond nachdenklich. „Mir scheint aber hier etwas nicht ganz zu stimmen. — Zum Kuckuck, dieser Regen!“

Er schlug den Mantelkragen höher. „Eine etwas ungemütliche Situation, finden Sie nicht auch?“

O’Kelly zuckte die Achseln.

„Ich kenne jedenfalls gemütlichere. Aber eins ist sicher …“ Brüsk brach er seine Rede ab und spähte angestrengt in die Dunkelheit. „Achtung! Aufgepaßt!“ zischte er leise.

Neben Larsen stand ein Mann. Er schien den Schriftsteller etwas zu fragen. Richtig, Larsen antwortete.

„Jetzt geht’s gleich los!“ raunte Raymond aufgeregt.

O’Kelly winkte ärgerlich ab. Alle seine Sinne waren gespannt bis aufs äußerste. Gleich einer schwarzen Katze kauerte er sprungbereit am Boden. Seine Augen flackerten, und der Herzschlag schien sekundenlang auszusetzen. Da! der Unbekannte hatte Larsen das Paket abgenommen und ging weiter — direkt auf O’Kelly zu. Man hörte ihn mit leiser Stimme etwas singen. Einige Worte eines bekannten Schlagers erreichten das Ohr des Kriminalbeamten.

Der Mann ging mit leicht schwankendem Schritt und fuchtelte mit der rechten Hand im Takt zu dem Liede. Nur noch zwei Schritte war er von seinem Beobachter entfernt. Wie aus dem Boden gewachsen stand O’Kelly vor ihm.

„Hände hoch!“ brüllte er. In den Rücken des Fremden bohrte sich der Lauf von Raymonds Revolver.

„Hände hoch!“ wiederholte O’Kelly nachdrücklich.

Langsam leistete der Unbekannte der Aufforderung Folge.

„Allright!“ rief der Kriminalbeamte triumphierend.

Plötzlich knallten fast gleichzeitig zwei Schüsse.

„Was ist das?“ fuhr O’Kelly auf.

Ein lauter Schrei tönte schrill und häßlich durch die Nacht. Dumpfes Getrampel ward hörbar.

„O’Kelly!“ keuchte jemand. „Schnell!“

„Sind Sie es, Taube?“

„Ja. Etwas Furchtbares ist geschehen!“

O’Kelly hörte kaum noch hin.

„Halten Sie den Kerl fest!“ schrie er auf Raymond ein. Dann rannte er in der Richtung zu Larsen. Die Stelle, wo sich soeben noch Larsens Gestalt am Brückengeländer abgezeichnet hatte, war leer. Am Boden aber lag etwas Schwarzes, Unnatürliches.

O’Kelly beugte sich erregt darüber. Seine Blendlaterne blitzte auf.

Larsen röchelte.

„Er hat geschossen,“ flüsterte er. „Ich habe Schmerzen.“ Das Hemd auf seiner Brust war rot gefärbt.

Der Kriminalbeamte zog die Signalpfeife. Ein schriller Pfiff gellte.

Aus der Ferne hörte man das Knattern des anfahrenden Polizeiautos. Wenige Minuten darauf war die Brücke durch die Scheinwerfer des Wagens hell erleuchtet. Der Polizeiarzt bemühte sich um Larsen. Zwei Polizisten aber hielten einen Mann von großer Statur fest, der aus blöden, verwunderten Augen vor sich hinstarrte. In seiner Linken hielt er noch immer krampfhaft das Paket mit den Ansichtskarten.

Taube eilte aufgeregt zu O’Kelly.

„Ich glaube, etwas Unvorhergesehenes ist eingetreten,“ stöhnte er.

„Natürlich!“ rief jener wütend. „Wer hat denn auf Larsen geschossen? Sie müssen es doch gesehen haben?“

Taube nickte gewichtig.

„Es war der zweite Mann.“

„Was? Welcher zweite Mann?“ fragte O’Kelly hastig und beunruhigt.

„Als der erste von Larsen das Paket nahm,“ erklärte der Wachtmeister, „ging an uns ein anderer Mann vorüber. Während Sie den ersten anhielten, war er gerade bei Larsen angelangt, und dann hörten wir zwei Schüsse. Weiter weiß ich nichts.“

„Aber, Teufel noch mal, wo blieb denn der Mann?“

„Er lief doch in der Richtung zu Ihnen.“

O’Kelly sah Taube bestürzt an.

„In der Richtung zu mir? Dann bin ich selbst schuld. Ich dachte, Sie wären es und ließ ihn laufen, ich Esel!“

„Und ließen ihn laufen, Sie Esel!“ wiederholte Taube enttäuscht. „Oh, Entschuldigung,“ fügte er erschrocken hinzu, „das Wort entschlüpfte mir gegen meinen Willen.“

„Macht nichts,“ wehrte O’Kelly bitter ab. „Es ist ein äußerst treffender Ausdruck.“

„Was nun?“ fragte Taube ratlos.

Der Inspektor zuckte die Achseln.

„Der Karo König ist uns jedenfalls entwischt. Wir können uns nur an den festgenommenen Kerl dort halten. Eine etwas teuer bezahlte Ausbeute dieser Nacht.“

Dann machte sich O’Kelly an die Arbeit. Es gab viel zu tun. Der Transport des Verwundeten mußte überwacht, Anordnungen wegen des festgenommenen Verbrechers getroffen werden. Auch galt es, die durch den Lärm und das Licht herbeigezogenen Neugierigen fernzuhalten. Die Brücke wurde von beiden Seiten abgesperrt; zunächst durfte sie niemand betreten. O’Kelly war gerade mit allen diesen Maßnahmen fertig geworden, als er neben dem Polizeiauto einen Herrn gewahrte, der beim Schein der Wagenlampen emsig schrieb. Rasch ging er auf ihn zu. Da bemerkte er, daß es Elst war.

„Was machen denn ausgerechnet Sie hier, Herr Elst?“ rief der Inspektor unwillig.

Elst hielt es nicht für notwendig, auch nur den Kopf zu heben.

„Ich arbeite. Sehen Sie denn das nicht? Die Sache lohnt sich. Wird ein feiner Artikel. Das haben Sie glänzend arrangiert! Ein Verhafteter, ein Verwundeter — wie auf Bestellung!“

„Erlauben Sie mal …“

„Wie überschreibe ich doch am besten die Geschichte?“ fuhr Elst, ohne sich stören zu lassen, fort. „Mitternächtlicher Brückenkampf? Ist etwas zu zahm. Vielleicht …“

„Hören Sie mal,“ unterbrach ihn O’Kelly unwirsch. „Was Sie da schreiben, interessiert mich nicht. Sagen Sie mir lieber, — wie kommen Sie eigentlich hierher?“

„Ich bin immer dort, wo was los ist,“ erwiderte der andere selbstbewußt. „Ich bin der tüchtigste Reporter unseres Blattes; und unser Blatt ist das beste der Welt. Haben Sie das Berliner Tageblatt eigentlich schon abonniert? Wenn nicht, so rate ich Ihnen, sich zu beeilen …“

„Zum Donnerwetter! Was geht mich Ihr Berliner Tageblatt an? Sie scheinen mich absolut nicht verstehen zu wollen. Ich werde mal deutlicher sein: Jeder, der sich jetzt hier auf der Brücke befindet und nicht einwandfrei nachweisen kann, wo er war, als die Schüsse fielen, oder daß er die Brücke erst später betrat, steht unter dem Verdachte, Larsen verwundet zu haben.“

Elst nickte energisch.

„Danke! Danke! Bitte weiter!“

„Was heißt ‚weiter‘?“ fragte O’Kelly verblüfft. „Verstehen Sie denn nicht?“

„Doch, doch. Habe alles notiert. Kommt alles genau so in die Zeitung. Interview des Kriminalinspektors Mac O’Kelly. Sehr spannend! Bitte, fahren Sie fort!“

„So was ist mir doch noch nicht vorgekommen!“ rief O’Kelly zornig. „Ich habe jetzt keine Zeit mehr. Sie müssen mit auf die Wache. Dort unterhalten wir uns noch über den Fall, mein Herr!“

„Zu liebenswürdig, Inspektor,“ pflichtete Elst bei. „Werde nicht verfehlen, Ihr Entgegenkommen der Presse gegenüber lobend zu erwähnen. Etwa so: Inspektor O’Kelly war so freundlich, unseren Mitarbeiter, zwecks genauerer Informierung, in zuvorkommender Weiseim Polizeiwagen auf die Wache mitzunehmen. Dieser Beamte …“

„Taube!“ rief O’Kelly plötzlich. „Hier, bleiben Sie mal an Elsts Seite. Versuchen Sie ihm inzwischen auseinanderzusetzen, daß er zwangsweise sistiert ist. Er versteht’s nämlich nicht.“

Taube nickte, dann wandte er sich an den Reporter:

„Sie sind sistiert! Verstanden?“ erklärte er mit berechtigter Entschiedenheit.

Elst überhörte die Frage vollkommen. Er hatte sein Stenogrammheft gezückt und notierte ruhig weiter, wobei er die Worte laut vor sich hinsprach:

„Dieser Beamte ist bei seiner bekannten Tüchtigkeit ein äußerst netter und leutseliger Mensch. Sein urwüchsiger Humor ist geradezu unübertrefflich. Selbst in den heikelsten Situationen hat er immer ein fröhliches Scherzwort auf den Lippen. So sagte er zum Beispiel unserem Mitarbeiter, während die Signale gellten, die Automobile knatterten und der Verwundete stöhnte … Sind Sie zufrieden, O’Kelly? Der Artikel wird hervorragend!“

Jetzt erst schien Elst dessen gewahr zu werden, daß sich O’Kelly längst nicht mehr an seiner Seite befand.

„Steigen Sie ein!“ sagte Taube, auf das Auto deutend, laut und gebieterisch. „Wir werden Ihnen schon noch Respekt beibringen!“

Der Reporter nickte vergnügt und kletterte behend in den Wagen. Gleich darauf setzte dieser sich in Bewegung.

„Bequemer kann man’s gar nicht haben!“ erklärte Elst mit zufriedenem Schmunzeln.

Karo König

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