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Aus dem Eßzimmer der Larsenschen Villa tönte leise das Klirren von Tellern und Messern. Nora, die noch junge Tochter des Hauses, warf einen letzten, prüfenden Blick über die geschmackvoll gedeckte Tafel.

„Es ist gut, Anton,“ sagte sie freundlich zu dem in respektvoller Haltung ihrer Befehle harrenden Diener. „Bitten Sie Vater zu Tisch! Oder — nein, warten Sie — ich werde ihn selbst rufen!“

Leichtfüßig lief sie durch den teppichbelegten Korridor und dann quer durch das große und elegante Gesellschaftszimmer. Dieser Saal war heute voll von Gästen, fast ausschließlich jungen Leuten in Noras Alter. Seit fünf Jahren, seit dem Tode ihrer Mutter war dies schon so. Beinahe allabendlich versammelte sich in dem gastfreien Hause eine bunte, lustige Gesellschaft, wobei es zwar sehr lärmend, aber dessenungeachtet auch immer sehr harmlos zuging. Hans Larsen gönnte seiner Tochter und einzigem Kinde jede nur erdenkliche Freude, und jeder Wunsch, den er ihr von den Augen ablesen konnte, war schon im Voraus erfüllt. Alles, was sie tat und unternahm, war ihm recht. Beschwerden der Nachbarn über nächtliche Ruhestörung, polizeilichen Strafmandaten für rücksichtsloses Autofahren, ja sogar dem wütenden Zetern und Schreien der Schneiderinnen und Hutmacherinnen, denen Nora wohl die Ware abnahm, sich aber nie um die Bezahlung dieser auch nur kümmerte — alledem begegnete Larsen stets mit demselben nachsichtig-liebenswürdigen Lächeln und stets mit derselben dick gefüllten Brieftasche. Zwei- oder dreimal war es vorgekommen, daß ältere Geschäftsfreunde ihm ernst und eindringlich das Sinnlose seiner Erziehungsmethoden klarzumachen versuchten. Auch diesen Vorhaltungen war Larsen mit demselben liebenswürdigen Lächeln entgegengetreten; nur schien es etwas wehmütiger und schuldbewußter als sonst. Genützt hatten die Vorhaltungen bestimmt nicht. Es blieb alles beim alten.

Abgesehen von einer gewissen Rücksichtslosigkeit und Verschwendungssucht, schien übrigens Noras Charakter unter diesen eigenartigen Erziehungsmethoden kaum gelitten zu haben. Ihr Benehmen war nie arrogant oder schnippisch, sondern stets durch eine ursprüngliche und zuweilen geradezu naive Natürlichkeit gekennzeichnet. Immer war sie bereit, auch den Wünschen und Neigungen ihrer Freunde und Freundinnen Rechnung zu tragen, und nie konnte man einen Unterschied in ihrem Wesen bemerken, ob sie nun mit ihrem Vetter, dem Grafen von Hayen, sprach, dessen Barvermögen auf einige hunderttausend Mark geschätzt wurde, oder aber sich mit dem jungen, hoffnungsfreudigen Reporter Elst unterhielt, dessen Einkommen genau 125 Mark monatlich betrug.

Nora klopfte leise an die Tür des Arbeitskabinetts ihres Vaters und trat auch sogleich ein. Hans Larsen saß an seinem Schreibtisch, hatte den Kopf in die Hände gestützt und die Augen geschlossen. Sein Gesicht drückte etwas Gequältes und Gespanntes aus.

„Vater, was ist dir?“ Besorgt war Nora an seinen Stuhl geeilt und umfaßte liebevoll seine Schultern. Einen Augenblick schien es, als wollte Larsen sich erschöpft gegen Noras Gestalt lehnen, doch gleich darauf stand er etwas hastig auf und drückte seiner Tochter einen flüchtigen Kuß auf die Stirn.

„Nichts, Kindchen! Was soll denn mit mir sein? Ich arbeite gerade!“

„Oh!“ machte Nora bedauernd. „Wenn ich das gewußt hätte … Nun habe ich dich gestört …“

„Macht nichts!“ Larsen lächelte müde und nachsichtig. „Die Gedanken kommen und gehen. Du hast sie verscheucht, aber sie werden schon wiederkommen.“ Er seufzte. „Ich wünschte, sie kämen nicht wieder!“

Nora verstand den Sinn dieser Worte nicht. Hans Larsen war Schriftsteller; oft genug hatte er ihr erklärt, wie wichtig gerade in diesem Beruf die Denkarbeit ist, und nun wünschte er, daß die Gedanken, die ihm Ruhm und Vermögen einbrachten, nicht wiederkommen möchten. Nora öffnete schon den Mund, um eine Frage zu stellen, als sie wieder deutlich den Ausdruck von Qual und Furcht im Gesicht ihres Vaters wahrnahm. Da unterdrückte sie jede Frage und forderte ihn energisch zum Gehen auf.

„Komm, Vater! Das Essen wird kalt. Komm nur! Es ist wieder eine ganze Menge Leute da!“

„So?“ Ein Freudenschimmer erhellte die Züge Larsens. „Hat sich mein Töchting gut amüsiert? Wer ist denn wieder alles da?“

„Ach“, plauderte Nora eifrig, indem sie mit ihrem Vater langsam nach den Gesellschaftsräumen ging, „da ist der kleine Elst — du weißt, der vom Berliner Tageblatt. Er ist wieder einmal sterblich verliebt! Diesmal eine ganz ernste Sache — sagt er! Aber das behauptet er ja immer. Dann — Inspektor O’Kelly, der heute ein bitterböses Gesicht macht. Er hat einen interessanten, neuen Fall — streng geheim zu halten! Der spukt ihm anscheinend dauernd im Kopf herum. Des weiteren sind erschienen: mein erlauchter Herr Vetter, der Graf von Hayen, ferner Assessor Mühlenthal, Erna, Agnes … Aber da siehst du sie ja alle schon vor dir!“

Während dieses Gespräches hatten die beiden den Salon erreicht. Larsen wurde mit Hallo empfangen und drückte lächelnd die vielen sich ihm entgegenstreckenden Hände.

„Sachte, sachte, Kinners!“ wehrte er ab. „Ihr reißt mich alten Mann ja noch um! Etwas mehr Maß in euren Freudenbezeugungen, wenn ich bitten darf! Und jetzt — los! Marsch ins Eßzimmer! An die Futternäpfe!“

Lachend und lärmend begab sich die junge Gesellschaft zu Tisch. Larsen nahm an dem einen Ende der Tafel Platz, ihm gegenüber saß Nora, die sich vergebens bemühte, die würdevolle Hausfrau zu spielen. Anton, das Faktotum des Hauses, lief mit den geschmackvoll garnierten Schüsseln hin und her und hatte alle Hände voll zu tun, um den ungeniert vorgebrachten Wünschen jedes einzelnen nachzukommen.

O’Kelly war ein häufiger Gast dieses Hauses. Er kannte den ungezwungenen, fast familiären Ton, der hier herrschte, zur Genüge. Es war heute nicht anders als sonst. Und gerade dieser Umstand, daß er hier keinerlei Veränderung vorfand, wunderte ihn, denn er erwartete für heute etwas Besonderes. Je alltäglicher sich das Leben und Treiben hier ausnahm, um so unerwarteter mußte dann allen dieses „Besondere“ kommen. Unerwarteter und gefährlicher … O’Kelly horchte auf. Es war ihm, als hätte er eben einige Worte gehört, die ihn instinktiv beunruhigten. Einen Augenblick saß er still da und versuchte die kurzen Worte in sich nachklingen zu lassen. Richtig! Jetzt fielen sie ihm ein … „Erwartet keine Antwort“ — so lauteten sie. Aber warum in aller Welt beunruhigte ihn das? Warum nur? Aha, jetzt wußte er auch dies! Es war eine Ideenverbindung, die sich in seinem Unterbewußtsein vollzogen hatte. Fast die gleichen Worte hatte er selbst vor einigen Stunden gesagt, als er den Brief des Karo König in der Hand hielt. Sein Unterbewußtsein brachte nach dem Klang der Worte zwei getrennte Ereignisse willkürlich miteinander in Verbindung. Vielleicht bestand aber doch ein Zusammenhang?

O’Kelly blickte rasch auf und sah gerade noch, wie Larsen mit einer achtlosen Gebärde einen Brief in seine Rocktasche steckte. Mit leisen Schritten entfernte sich ein Diener, der ein kleines silbernes Tablett in der Hand hielt.

Sofort war O’Kelly alles klar. Der Brief war von einem Dienstmann gebracht worden, und der Diener hatte Larsen erklärt, daß eine Antwort nicht erwartet würde. Der Schriftsteller hielt den Brief für so unwichtig, daß er das Lesen auf einen geeigneteren Zeitpunkt hinausschob … Doch nein — er schien sich eines anderen besonnen zu haben. O’Kelly war plötzlich die Aufmerksamkeit selbst.

Eine flüchtige Entschuldigung murmelnd, zog Larsen den Brief wieder aus der Rocktasche und öffnete ihn. Mit einem jähen Ruck sprang er auf.

Augenblicklich verstummte jedes Gespräch; aller Augen hingen erstaunt und betroffen an den schreckensbleichen Zügen des Hausherrn. In seinen Augen war ein unruhiges Flackern, auf der farblosen Stirn zeichnete sich, deutlich sichtbar, eine bläuliche Linie ab.

O’Kelly hatte sich zuerst gefaßt.

„Was ist geschehen?“ Mit einigen raschen Schritten war er an Larsens Seite geeilt.

„Lassen Sie mich! Lassen Sie mich!“ stieß jener heftig hervor. Er stand vornübergebeugt mit gesenktem Kopf da und stützte sich mit beiden Händen schwer auf den Tisch. Die Blässe begann aus seinem Gesicht zu schwinden. Grübelnd starrte er vor sich hin. Plötzlich rückte er den Teller mit dem noch unberührten Essen weit von sich, drehte sich kurz um und lief zur Tür hinaus.

O’Kelly folgte ihm auf dem Fuße. Kaum war Larsen in seinem Arbeitskabinett angelangt, als er sich mit einer gänzlich verzweifelten Gebärde in seinen Sessel fallen ließ. O’Kelly war an der Tür stehen geblieben.

„Gehen Sie! So gehen Sie doch!“ herrschte ihn Larsen an. „Ich will allein sein!“

Der Kriminalbeamte schüttelte stumm den Kopf und rührte sich nicht.

„Hören Sie denn nicht?“ zürnte Larsen. „Ich will allein sein! Verstehen Sie nicht, daß Sie mich stören?“

O’Kelly verzog sein Gesicht zu einer Grimasse.

„Nein!“ sagte er kurz. Dann holte er aus seiner Westentasche eine zur Hälfte aufgerauchte Zigarette, setzte sie in Brand und warf sich krachend in einen Ledersessel. Larsen verfolgte sein Tun mit finsteren Blicken, sprach aber kein Wort mehr.

„Sehen Sie, Herr Larsen,“ begann der Inspektor und blies den Rauch seiner Zigarette weit von sich. „Seit etwa fünf Jahren verkehre ich, und mit mir eine ganze Reihe ähnlicher Globetrotter, nun schon in Ihrem gastfreien Hause. Immer waren Sie uns ein lieber, gütiger älterer Freund und väterlicher Berater! Ich sage damit gewiß nicht zuviel!“

„Viel zu viel!“ unterbrach ihn Larsen giftig. „Wenn Sie gar nichts sagen würden, wäre es für mich gerade genug.“

O’Kelly lächelte. Er konnte unendlich liebenswürdig und gewinnend lächeln. Diese Meinung teilten sogar verschiedene rohe und recht ungemütliche Verbrecher, die durch sein kindliches, heiteres Lächeln entwaffnet, Dinge eingestanden hatten, die sie eigentlich als tiefstes und unverbrüchliches Geheimnis mit ins Jenseits hinüberzunehmen beabsichtigten. Auch auf Larsen schien dieses Lächeln seine Wirkung nicht gänzlich zu verfehlen. Seine Stimme klang nur noch leise grollend, als er fortfuhr:

„In sechs Monaten feiere ich meinen fünfzigsten Geburtstag. Die Worte, die Sie vorhin sprachen, eignen sich vorzüglich für eine Ansprache coram publico an diesem weihevollen Tage. Merken Sie sich diese Ihre Worte genau! Sie werden viel Beifall damit ernten — — in sechs Monaten! Jetzt aber, mein Herr, bitte ich Sie ganz energisch — lassen Sie mich allein!“

O’Kelly schüttelte wieder den Kopf.

„Nein, Herr Larsen! Zu Ihrem Geburtsjubiläum werde ich kein Sterbenswörtchen sagen. Bestimmt nicht! Ich bin nun einmal nicht für überflüssige Worte. Aber heute — das ist etwas ganz anderes! Also ich bitte jetzt ganz energisch — hören Sie mich an!“ Da Larsen schwieg, fuhr O’Kelly sogleich lebhaft fort: „Vielen von uns halfen Sie mit einem guten Rat, einigen durch die Tat, und einen unterstützten Sie sogar einmal mit einer beträchtlichen Summe Geldes, um ihn aus arger Verlegenheit zu retten. Es ist nur recht und billig, daß wir Ihnen nun, da Sie in der Klemme stecken, ebenfalls helfen; und weil ich mich am besten dazu eigne, stelle ich mich Ihnen hiermit zur Verfügung!“

„Warum sollten wohl gerade Sie sich am besten dazu eignen?“

O’Kelly zog die Augenbrauen hoch.

„Weil ich Kriminalbeamter bin.“

„Nun und?“ Aus der Stimme Larsens klang es wie leiser Spott.

„Nun und? Es handelt sich hier bei Ihnen nämlich um einen Kriminalfall!“

„Wo — — Woher wissen Sie denn das?“

„Ich weiß einiges,“ sagte O’Kelly unbestimmt. „Aber auch ohne mein zufälliges Wissen hätte ich hier auf einen Kriminalfall geschlossen. So, wie Sie vorhin, erschrickt man nur bei dreierlei Arten von Nachrichten. Vermögensverlust kann es nicht sein, da die Bank, die Ihnen dies anzeigen könnte, stets Briefumschläge mit Firmenbezeichnung benutzt, was hier nicht zutrifft. Die Todesanzeige eines nahen Verwandten kann es ebenfalls nicht sein und zwar aus dem sehr einfachen Grunde, weil alle Ihnen irgend nahestehenden Personen im Eßzimmer sehr lebendig anwesend waren. Bleibt also nur noch die dritte Möglichkeit …“

„Und die wäre?“

„Erpressungs- oder Drohbriefe! Einen solchen Brief haben Sie eben empfangen. Da dies in mein Fach einschlägt, bitte ich, mir den Brief zu zeigen. Daß Sie zu mir Vertrauen haben können, wissen Sie, und ich verpflichte mich auch, keine Antwort auf Fragen zu verlangen, die Sie aus irgendwelchen Gründen nicht beantworten möchten.“

„So? Dazu verpflichten Sie sich?“ Larsen war nachdenklich geworden. Nach einer Weile fuhr er sinnend fort: „Daß Sie den Inhalt des Briefes ziemlich richtig erraten haben, gebe ich zu. Sie wollen mir also helfen, einer mir drohenden Gefahr zu begegnen, ohne die näheren Umstände zu kennen? Versprechen Sie da nicht ein bißchen zu viel?“

O’Kelly zuckte die Achseln.

„Ich kann Ihnen natürlich nur versprechen, mein möglichstes zu tun, um die drohende Gefahr abzuwenden. Ob Ihnen damit gedient sein wird, hängt von den näheren Umständen ab, die ich ja leider nicht kenne. Schaden aber kann Ihnen die Unterstützung eines Kriminalbeamten jedenfalls nicht!“

„Gut!“ sagte Larsen plötzlich entschlossen. „Versuchen Sie es! Ich habe allerdings sehr wenig Hoffnung.“ Mit diesen Worten zog er aus seiner Rocktasche den bewußten Brief hervor und reichte ihn dem Inspektor. O’Kelly öffnete vorsichtig den Umschlag. Das erste, was er sah, war eine französische Spielkarte — der Karo König. Nun war der Zusammenhang dieses Briefes mit der von O’Kelly selbst empfangenen Warnung endgültig erwiesen. Die Züge des Kriminalbeamten waren gespannt, als er jetzt den ebenfalls auf einer Schreibmaschine getippten Brief auseinanderfaltete. Halblaut las er vor:

„Übermorgen, punkt 10 Uhr abends, werden Sie auf der Jannowitzbrücke sein und mir dort ein Paket, enthaltend RM. 600 000.— in Hundertmarkscheinen, übergeben. Die Scheine dürfen keine fortlaufenden Nummern tragen, und die Kriminalpolizei darf nicht verständigt werden. Die Folgen eines Ungehorsams sind Ihnen bekannt.“

O’Kelly pfiff leise durch die Zähne.

„Allerhand!“ knurrte er. „Ich habe in meiner Praxis schon manchen Erpressungsbrief in den Händen gehabt, ein solches Maß von Dreistigkeit und Unverfrorenheit ist mir aber doch noch nicht vorgekommen.“

Larsen schwieg.

„Zunächst einmal eine Frage!“ fuhr der Kriminalbeamte fort. „Wer ist der Karo König, und womit droht er Ihnen im Falle eines Ungehorsams?“

„Wer der Karo König ist, kann ich Ihnen nicht sagen …“

„Können nicht, oder wollen nicht?“ warf O’Kelly rasch dazwischen.

Der Schriftsteller seufzte.

„Das läßt sich schwer auseinanderhalten … in diesem Falle. Eines dürfte so richtig sein, wie das andere.“

„Gut. Und wie steht es mit dem zweiten Teil meiner Frage?“

„Da kann ich Ihnen eine befriedigende Auskunft geben!“ Larsen lächelte ironisch und ein wenig bitter. „Im Falle eines Ungehorsams droht mir nicht mehr und nicht weniger als der Tod!“

O’Kelly nickte.

„Ich dachte es mir. Nun aber zur Hauptfrage: halten Sie den Fall für ernst? Mit anderen Worten — wollen Sie zahlen?“

Abwartend betrachtete er Larsen. Dieser sah mit trüben Augen zu ihm auf.

„Ich will zahlen,“ sagte er in gemachter Ruhe. Dann aber warf er den Kopf zurück und sagte so eindringlich, daß O’Kelly erschrak: „Ich … ich kann aber nicht!“

„Sie können nicht?“ Der Kriminalbeamte schien betroffen.

Larsen schüttelte melancholisch den Kopf.

„Sie verkennen meine Vermögenslage. Ach, nicht Sie allein … Jedermann hält mich für reich. Warum? Weil ich vor aller Augen etwa RM. 75 000.— jährlich ausgebe. Da muß doch Kapital vorhanden sein — denken die Leute. Es würde über den Horizont dieser Leutchen gehen, wenn man ihnen erklären wollte, daß dieses Geld mein jährlicher Verdienst und nicht etwa die Zinsen von irgendeinem Kapital sind, und daß ich im Jahr genau soviel ausgebe, wie ich verdiene. Und doch ist es so. Wenn Sie mich heute fragen würden, wieviel ich besitze, so müßte die Antwort lauten: nichts! Es ist möglich, daß ich sogar Schulden habe.“

O’Kelly war sehr ernst geworden. Er hatte sein Kinn auf die Faust gestützt und starrte, ohne Larsen anzusehen, an ihm vorbei nach einer Zimmerecke.

„Es steht mir nicht zu, Kritik an Ihrer Handlungsweise zu üben,“ sagte er sachlich. „Ich will mich lediglich auf den uns interessierenden Kriminalfall beschränken. Da finde ich eines sehr, sehr sonderbar …“

„Was?“ fragte Larsen rasch.

„Daß der Erpresser, dieser Karo König, sich anscheinend ebenfalls durch den Aufwand in Ihrer Lebensweise hat täuschen lassen. Im allgemeinen pflegen Erpresser, zumal solche, die mit derart hohen Beträgen operieren, sich vorher sehr genau über die Vermögenslage des ausersehenen Opfers zu informieren.“

„Das brauchte der Karo König nicht,“ entgegnete der andere bedrückt. „Er kennt meine Vermögenslage nur zu gut.“

„Und dennoch?“ rief O’Kelly verwundert. „Und dennoch verlangt er RM. 600 000.—?“

„Ich kann Ihnen das nicht erklären,“ sagte Larsen leise.

„Ach so … Ein Teil Ihres Geheimnisses!“ Der Inspektor erhob sich. „Ich gehe jetzt. Lassen Sie mich, bitte, durch eine Seitentür hinaus — ich möchte nicht mit neugierigen Fragen belästigt werden. Und morgen werde ich Ihnen mitteilen, was wir unternehmen wollen, um dem Karo König das Handwerk zu legen.“

„Glauben Sie, daß Sie mir … mir … helfen können?“ fragte der Hausherr stockend.

O’Kellys Mienen waren undurchdringlich.

„Ich weiß nicht,“ sagte er kalt.

Karo König

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