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Kriminalinspektor Mac O’Kelly faltete stirnrunzelnd die ihm vom Polizeipräsidium zurückgestellte Unkostenrechnung zusammen und warf sie ärgerlich in ein Fach seines Schreibtisches.

„Wieder haben sie mir sieben Autofahrten gestrichen!“ brummte er unzufrieden. „Ein Verlust von dreizehn Mark und fünfundsechzig Pfennigen! Die alte Geschichte. Man soll überall zurecht kommen, und wenn man dabei ein paar Autofahrten riskiert, so muß man sie hernach selbst bezahlen!“

„Zu Fuß gehen ist billiger!“ bemerkte Wachtmeister Taube philosophisch und betrachtete wohlgefällig seine starken, schweren Stiefel. Er saß in O’Kellys altertümlichem Schaukelstuhl, hatte die Beine bequem übereinander geschlagen und schaukelte emsig hin und her. „Ich gehe immer zu Fuß,“ fuhr er selbstzufrieden fort. „Man kommt dabei viel rascher vorwärts. Von zwei Anwärtern auf einen höheren Posten wird immer derjenige vorgezogen, der billiger arbeitet!“

„Das stimmt!“ sagte O’Kelly ironisch. „Ich möchte aber nicht gern solche Stiefel tragen wie Sie. Das hat entschieden auch seine Nachteile.“ Die Blicke des Inspektors hingen mißbilligend mit stummem Vorwurf an der Stelle, wo Taube mit seinen unförmigen Stiefeln den Schaukelstuhl in Schwung zu bringen pflegte. Die Ölfarbe war an dieser Stelle längst abgetreten, und die nackten Holzbretter wiesen unzählige häßliche Schrammen und Kratzer auf.

Der Wachtmeister setzte umständlich einen Zigarrenstummel in Brand.

„Ich habe es Ihnen doch schon oft gesagt,“ entgegnete er ruhig, „an meinem Hochzeitstag lasse ich diesen Fleck auf meine Kosten streichen.“

„Warum eigentlich erst an Ihrem Hochzeitstag?“ erkundigte sich O’Kelly belustigt.

„Weil ich von diesem Tage an zu Hause schaukeln werde!“ erwiderte Taube würdevoll.

O’Kelly lachte laut auf.

„Bilden Sie sich keine Schwachheiten ein, Taube!“ rief er fröhlich. „Ihre Frau wird Ihnen was husten! Nie und nimmer wird sie zugeben, daß Sie ihren Fußboden derart vandalisch behandeln!“

„Meinen Sie?“ fragte Taube kleinlaut, und versank in dumpfes Brüten. O’Kelly war aufgestanden, hatte Rock und Weste abgeworfen und angelte in einem mächtigen Koffer, der bis obenauf in buntem Durcheinander mit sauberer und schmutziger Wäsche vollgepfropft war, nach einer halbwegs brauchbaren Krawatte.

„Halten Sie in Ihren Tiefbohrungen mehr nach rechts!“ riet Taube mit sachverständiger Miene. „Das Gebiet ist dort aussichtsreicher!“

„Danke!“ sagte O’Kelly kurz. Bald hatte er das Gesuchte gefunden und begann vor einem schäbigen und abgenutzten Spiegelschrank Toilette zu machen.

Man hätte sich kaum etwas Entgegengesetzteres denken können, als den immer frischen, fröhlichen, kaum achtundzwanzigjährigen O’Kelly und den behäbigen, schwerfälligen und fast fünfzehn Jahre mehr zählenden Taube. Und doch bestand zwischen den beiden schon seit Jahren ein eigenartiges Freundschaftsverhältnis. Im Kriminalamt lachte man weidlich über diese Freundschaft, die darin zu bestehen schien, daß sich die beiden ständig zankten und einander immer in den Haaren lagen. Weniger bekannt war es, daß Taube seinen Inspektor schon so manches Mal mit Todesverachtung aus einer heiklen und gefährlichen Situation herausgehauen hatte, und daß O’Kelly wiederum mehr als einmal mit stoischem Gleichmut eine scharfe Rüge seiner Vorgesetzten angehört hatte — für Schnitzer, die nicht er, sondern Taube begangen.

„Mein lieber Taube,“ sagte O’Kelly nach einer Weile, als er mit dem Umziehen fertig war, „ich gehe jetzt zu Larsens. Sie werden sich also wohl oder übel zeitweilig von meinem Schaukelstuhl trennen müssen, außer Sie ziehen es vor, die halbe Nacht hier auf mich zu warten!“

„Ich gehe nach Hause,“ erklärte Taube gähnend. Plötzlich horchte er auf: im Korridor waren Stimmen hörbar geworden und gleich darauf klopfte es.

„Herein!“ rief der Inspektor laut.

Die Tür öffnete sich langsam. Ein Dienstmann, die rote Mütze und ein kariertes Taschentuch in der einen Hand, einen Brief in der anderen, trat herein.

„Kriminalinspektor Mac O’Kelly!“ las er bedächtig und blickte fragend umher.

O’Kelly streckte die Hand vor.

„Das bin ich selbst. Lassen Sie mal sehen. Erwarten Sie Antwort?“

„Nein!“ entgegnete jener und wandte sich zum Gehen.

O’Kelly hatte den Umschlag aufgerissen und starrte mit wenig geistreichem Gesichtsausdruck auf einige kurze Schreibmaschinenzeilen.

„Halt!“ rief er plötzlich. „Bleiben Sie mal noch einen Augenblick da, guter Mann!“

Der Dienstmann drehte sich mürrisch um und kam langsam zurück.

„Wer hat Ihnen diesen Brief gegeben?“ erkundigte sich O’Kelly interessiert.

„Was weiß ich?“ lautete die in unwirschem Ton gegebene Antwort. „Ein Herr hielt mich auf der Straße an, gab mir den Auftrag, den Brief zu besorgen und bezahlte die übliche Gebühr, ohne auch nur einen Pfennig Trinkgeld zu geben. Alles andere geht mich nichts an.“

„Wie sah der Herr aus?“ fuhr O’Kelly beharrlich fort. Er hatte die Finger der rechten Hand lässig in die Westentasche versenkt und klapperte vernehmlich mit einigen Silbermünzen.

Die Mienen des Dienstmannes hellten sich auf.

„Es war ein alter Mann,“ erzählte er nun beinahe eifrig. „Er hat einen langen schneeweißen Vollbart. Trägt eine Brille. Hinkt auf einem Bein. Ist weder groß noch klein.“

„Wie war er gekleidet?“

„Habe nicht besonders darauf geachtet … Hm … Ich glaube, er trug einen grauen, bis obenauf geschlossenen Regenmantel und einen dunklen Schlapphut. Aber genau kann ich’s nicht sagen.“

„Na, gut!“ sagte O’Kelly, und reichte dem Mann eine Silbermünze. „Jetzt können Sie gehen. Es ist möglich, daß ich Sie noch einmal brauche. Ihre Nummer? 24? Gut. Alles in Ordnung.“

„Was ist los, Inspektor?“ erkundigte sich Taube ungeduldig, als sich die Tür hinter dem Dienstmann geschlossen hatte.

„Ich bin mir selbst nicht klar darüber,“ erwiderte der andere kopfschüttelnd. „Hier lesen Sie mal! Und dann sagen Sie mir, was Sie davon halten!“

Taube ergriff den Briefbogen behutsam mit zwei Fingern und begann zu lesen. Der Inhalt des Schreibens war kurz; Anrede und Unterschrift fehlten gänzlich.

„Sie werden vermutlich heute abend Gelegenheit haben, sich in meine Angelegenheiten zu mischen. In Ihrem eigensten Interesse rate ich Ihnen dringend davon ab. Am klügsten wird es sein, wenn Sie heute abend zu Hause bleiben. Sollten Sie im Zweifel darüber sein, ob diese Warnung ernst zu nehmen ist, so empfehle ich Ihnen, bei Kommissar Dr. Link anzufragen, ob er sich des Karo König entsinnt.“

„Nun, wie denken Sie darüber?“ fragte O’Kelly, als sein Kollege mit dem Lesen zu Ende war. „Wer mag dieser mysteriöse Karo König wohl sein?“

„Ich vermute,“ sagte Taube nachdenklich, „ich vermute, es ist ein Verbrecher!“

„Daß er kein hoher Regierungsbeamter ist, habe ich selber erraten!“ sagte O’Kelly bissig. Ärgerlich ballte er den Briefumschlag, den er noch immer in der Hand hielt, zusammen und warf ihn in den Papierkorb. Doch sogleich sprang er hinterher und zerrte den Umschlag wieder heraus.

„Da scheint ja noch was drin zu sein!“ Mit diesen Worten zog er aus dem Umschlag eine französische Spielkarte hervor. Es war der Karo König.

„Auch eine Visitenkarte,“ brummte Taube. „Ich würde an Ihrer Stelle nicht lange Rätselraten spielen, sondern der Weisung dieses seltsamen Königs folgen und mal bei Dr. Link anfragen.“

„Ein guter Gedanke!“ O’Kelly langte hastig nach dem Hörer des Telephons und ließ sich mit Kommissar Dr. Link verbinden. Taube horchte gespannt. Sogar das Schaukeln hatte er vergessen. Das Gespräch war kürzer, als einer von den beiden vermutet hatte. Schon nach einer knappen Minute hängte O’Kelly ein. In komischer Verzweiflung warf er die Arme in die Höhe.

„Wissen Sie, was er gesagt hat?“

„Nun?“

„Das ginge mich den Deibel was an!“

Taube riß verblüfft die Augen auf.

„Das ist grob und deutlich!“

„Allerdings!“

„Dr. Link ist doch sonst nicht so!“

„Im Gegenteil! Er ist stets sehr liebenswürdig und zuvorkommend. Es ist mir schleierhaft, womit ich ihn eben erzürnt haben mag! Denn erzürnt war er! Das ist klar.“

Taube wiegte nachdenklich den Kopf hin und her.

„Wirklich merkwürdig! Aber was wollen Sie jetzt tun? Werden Sie der Warnung Folge leisten und den Abend zu Hause verbringen?“

O’Kelly schüttelte energisch den Kopf.

„Fällt mir gar nicht ein! Entweder die ganze Geschichte ist ein dummer Witz — Bluff, oder aber der Warner weiß genau, was ich heute abend vorhabe. Dann aber ist es sehr wahrscheinlich, daß heute gerade bei Larsens etwas passieren wird, was ich vielleicht durch mein Eingreifen verhindern kann. Folglich muß ich hin!“

„Stimmt!“ erklärte Taube bedächtig. Langsam erhob er sich und fuhr in seinen Mantel. O’Kelly stand schon bei der Tür, Hut und Überzieher in der Hand. Auf der Straße verabschiedete er sich hastig von dem Wachtmeister und sprang in einen vorüberfahrenden Trambahnwagen.

„Nehmen Sie sich in acht, Inspektor!“ rief ihm Taube warnend nach.

O’Kelly nickte fröhlich. Er gestand es sich nicht ein, daß sich seiner eine von Minute zu Minute wachsende Unruhe bemächtigt hatte.

Karo König

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