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Zurück zu den Wurzeln: Die dunklen Jahrhunderte
ОглавлениеOb heroische Gestalten auf mythologische Vorstellungen oder Schemata der Märchen zurückgeführt werden können, ist umstritten. Größere Sicherheit herrscht hinsichtlich ihrer historischen Wurzeln. Bereits antiken Helden unterstellte man eine mehr oder weniger reale Verknüpfung mit der Geschichte, so im archaischen Griechenland. Für Alexander den Großen (reg. 336–323 v. Chr.) erübrigt sich die Frage, ist er doch einwandfrei als historische Person bezeugt, die als Ausgang fabelhaften Gestaltens wirkte. Den irischen Sagen kann man nicht mehr als die Vorlage früher Stammeskriege auf der grünen Insel unterstellen, für das Wissen authentischer Personen fehlt schlichtweg die Überlieferung. Das Beowulf-Epos der Angelsachsen wird in seinen historischen Ursprüngen recht glaubwürdig mithilfe anderer Überlieferungen in die Zeit um 500 n. Chr. datiert. Selbstredend gilt das nicht für den Riesen- und Drachenkampf des Helden, der später um den geschichtlichen Kern fabuliert wurde. Erheblich glaubwürdiger wirkt hingegen die in Rolandsliedern gefeierte Heldengestalt aus dem Umfeld Karls des Großen, die als dessen Paladin Roland bezeugt ist, der 778 im Kampf fiel. Für manche germanischen Helden konnten historische Vorbilder gefunden werden, so im Burgundenkönig Gunther des Nibelungenliedes ein realer burgundischer König Gundaharius († 436) oder in Brünhild die fränkische Königin Brunichildis († 613). Insbesondere für Dietrich von Bern ist als Vorbild zweifelsfrei der ostgotische Herrscher Theoderich der Große (reg. 493–526) festzumachen. Ob der Drachenkämpfer Siegfried hingegen historische Wurzeln hat, ist mehr als umstritten. Für die Erforschung der Heldensagen ist nicht nur die Identifizierung mit realen historischen Personen ein Problem, sondern auch, wie sich um eine solche Gestalt neben der Aufnahme in historiografischen Chroniken eine Sage gebildet hat. Jedenfalls greifen Heldensagen das Geschehen einer Epoche auf, das für die jeweilige Gesellschaft von herausragender Bedeutung war oder später doch zumindest so angesehen wurde. Eine solche Zeit wird als Heroic Age bezeichnet, als heroisches Zeitalter, dem die Nachfahren eine große Bedeutung beimaßen. Für die Griechen war das die archaische Ära um den Trojanischen Krieg (dessen historische Authentizität umstritten ist). Die Isländer sahen die Zeit nach der Besiedlung ihrer Insel als ihre erinnerungswürdige Geschichte an (10. Jahrhundert) und schrieben 200 Jahre später darüber Isländersagas. Für die germanische Heldensage gilt die sogenannte Völkerwanderungszeit (375–568) als heroische Epoche, was sich in Migrationsbewegungen und Reichsbildungen ausdrückt, deren Geschehen personalisiert und damit an Taten und der Tragik des Einzelnen festgemacht wird.
Wie lässt sich die Gestalt des Königs Artus in diesem Zusammenhang fassen? Historischer Kontext und Realitätsbezug dieser literarischen Figur wurden schon in der mittelalterlichen Überlieferung angesprochen und diskutiert. Denn für Britannien und seine Monarchie hatte sie außer der sagenhaft-fabelhaften eine exponierte politische Bedeutung. Diese findet sich bereits in Geoffrey of Monmouths Historia regum Britanniae (»Geschichte der Könige Britanniens«, ca. 1136), mit der der »Hype« um König Artus begann. Prominente Förderer fand dieses Geschichtswerk in der normannischen Oberschicht, die ihre Herrschaft gegen das angelsächsische England damit legalisieren und weiter etablieren wollte (vgl. Kap. 4). Der britische Artus diente dabei als exemplarischer Held im Kampf gegen die eingewanderten Angelsachsen. Die Sagenthematik des wiederkehrenden Artus und die Historisierung des Königs gingen bereits im 12. Jahrhundert Hand in Hand: So erzählt etwa der Benediktiner Hermann von Laon († 1147, auch Hermann von Tournai) in seiner Sammlung von Marienwundern De miraculis Sanctae Mariae Laudunensis (»Von den Wundern der heiligen Maria von Laon«, II, 15; um 1140) von einem handfesten Streit, der im Kloster Bodmin in Cornwall ausgebrochen sei – das übrigens nur etwa 20 Kilometer von König Artus’ angeblichem Geburtsort Tintagel entfernt lag: Die einheimischen Briten (Britones) hätten sich der Behauptung eines Mannes mit einem lahmen Arm angeschlossen, wonach König Artus noch am Leben sei. Dies hätten die anwesenden Franzosen (Franci), nämlich Kanoniker aus Laon, bezweifelt. Diese Auseinandersetzung mag dem regionalen Volksglauben Cornwalls geschuldet gewesen sein. Einige Jahrzehnte später ging man von historischen Fakten aus, was im Fund des angeblichen Grabes von Artus und Ginevra einen Niederschlag fand – und das in Glastonbury in Somerset, das für Artus und seine Welt bis heute von größter Bedeutung ist. Dort soll man auch ein Bleikreuz mit einer rätselhaften Inschrift gefunden haben: Hic iacet sepultus inclitus rex Arturius in insula Avalonia, »Hier liegt der berühmte König Artus auf der Insel Avalon begraben« (Wolf 2009, 36).
Ob diese lateinische Inschrift auf irgendeine Art und Weise mit jener Steinplatte korrespondiert, die in Tintagel gefunden wurde, dem 6. Jahrhundert zugeschrieben wird und möglicherweise den Namen des Königs überliefert (vgl. Kap. 8)? Wenigstens führt uns diese in jene Zeit der britischen Geschichte, die später unter den Inselkelten als Heroic Age gesehen wurde, nämlich das 5. und 6. Jahrhundert. Für die Geschichtsschreibung gilt diese Epoche bis heute als die der Dark Ages (»Die dunklen Jahrhunderte«, auch als sogenanntes Dark Age). Die Bezeichnung verdankt sich der Armut an schriftlichen Quellen, was die Verortung eines Königs Artus in dieser Zeit umso schwieriger macht und Spekulationen und mehr oder weniger gewagten Theorien zu einem historischen Vorbild Tür und Tor öffnet.
Die vorliegende Monografie schließt sich der vorherrschenden Meinung an, der sagenhafte König Artus sei (in einem Kern zumindest) auf eine historische Person der Dark Ages zurückzuführen und – womöglich noch wichtiger – auf grundlegende Verhältnisse und vielleicht sogar einzelne Ereignisse des 5. und 6. Jahrhunderts. Für den einzelnen Leser gilt es abzuwägen, was interessanter, was faszinierender ist: die fiktive Gestalt einer Sagenfigur mit mythischen, märchenhaften und geradezu okkulten Attributen oder ihr vermutetes fernes reales Vorbild, das mit diffusen Konturen die Herausforderungen seiner Zeit zu bestehen versuchte.
Eine Anmerkung zum Namensgebrauch: Das Buch verwendet die im Deutschen und Französischen übliche Form Artus, während es im Englischen Arthur heißt. Diese Variante taucht in Zitaten und in entsprechendem Kontext auf. Gemeint ist aber immer der famosus rex Arthurus, »der berühmte König Arthur«, wie ihn Hermann von Laon lateinisch um 1140 und hier frei zitiert nennt: ARTUS.