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»BRENNENDE FRAU IN PACIFIC HEIGHTS«
Anwesen der Blatchfords ein Raub der Flammen
ОглавлениеAuch am gestrigen Tag wurden viele Anwohner in Pacific Heights durch den Anblick einer in Flammen stehenden Frau in Angst und Schrecken versetzt. Ähnlich wie schon am Freitag auf der Waller St. lief auch am gestrigen Tag eine brennende Unbekannte durch die Straßen. Diesmal ereignete sich der Vorfall im Bereich Broadway und Webster. Zeugen wollen beobachtet haben, wie die Frau zuvor das Blatchford-Haus, 2112 Broadway, mit einem Gegenstand unter dem Arm verlassen hatte. Das Haus des verstorbenen Textilfabrikanten James William Blatchford, das 1878 von Edward Swain in aufwändigem Stil der französischen Gotik erbaut worden war, hatte – anders als die meisten der benachbarten Gebäude – erhebliche Schäden durch das Erdbeben davongetragen. Ein Seitenturm wurde vollkommen zerstört und der große Tiffany-Wintergarten war gemeinsam mit Teilen der Fassade in den Garten des Anwesens gestürzt. Bis auf eine Köchin hat offenbar niemand der Bewohner das Erdbeben überlebt. Was die Fremde in den nur schwer zugänglichen Räumen des Hauses gesucht haben mag, ist nicht bekannt, doch Plünderei scheint am naheliegendsten zu sein. Jedenfalls trug die Frau etwas aus dem Haus hinaus. Und sie brannte!! - Mehreren Zeugenaussagen zufolge hatte die an Haaren und Armen brennende Diebin gerade den Vorgarten erreicht, als das Haus plötzlich förmlich explodiert sei. Viele verglichen den gewaltigen, weit über das Dach hinaus lodernden Flammenball mit der Zündung einer Bombe. Doch niemand hörte das Geräusch einer Detonation, nur das Rauschen, Prasseln und Ächzen der unbezwingbaren Feuerwand. - Hatte die Fremde selbst das Feuer gelegt, um Spuren zu beseitigen? Doch womit? Da seit Mittwoch alle Gasleitungen abgesperrt sind, ist auch diese Möglichkeit auszuschließen. - Das Feuer war so gewaltig, dass befürchtet wurde, die Flammen könnten auf die benachbarten Grundstücke übergreifen. Da die Hauptbrände im Westen und Süden der Stadt am Samstagmorgen endlich eingedämmt werden konnten, war es möglich, recht schnell einige Einheiten der Feuerwehr nach Pacific Heights zu entsenden. - Nur durch den gemeinsamen Einsatz von mehr als 20 Feuerwehrmännern und vielen freiwilligen Helfern gelang es schließlich am späten Abend, den Brand unter Kontrolle zu bringen. Vom Blatchford-Haus blieb jedoch weniger als die Grundmauern stehen. - »Im Vergleich dazu sei das 'Flood-Haus' auf dem Nob-Hill ja geradezu verschont geblieben«, meinte ein Feuerwehrmann kopfschüttelnd. - Die Identität der mutmaßlichen Brandstifterin konnte bislang nicht ermittelt werden. Ähnlich wie schon am Freitag scheint sich auch diese brennende Frau in Luft aufgelöst zu haben. Befragungen des Militärs ergaben, dass man die Fremde auf dem Broadway bis zur Höhe der Octavian St. gesichtet hat, danach aber verliert sich ihre Spur. Erneut stellt sich die Frage, wie ein Mensch mit derartigen Verbrennungen überhaupt einen so weiten Weg zurücklegen konnte. - Einige Abergläubische sind sich sicher, dass beide brennenden Frauen ein und dieselbe Person sind. Sie hat sogar schon einen Spitznamen: ›die Flammende Jenny‹.
W. Grisswald
San Francisco Examiner vom 26. April 1906: