Читать книгу Asiaten! Ein Liebesroman aus zwei Welten - Artur Hermann Landsberger - Страница 12
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ОглавлениеIm Hause des alten Lionel Adamson, der in der Gesellschaft Tokios schlechtweg ‚der Bankier‘ genannt wurde, herrschte um diese Zeit hoher Geschäftsbetrieb. Die großen Kapitalien, die er dem Staat, der Industrie und Privatpersonen nach dem Erdbeben zu hohem Zinsfuß ausgeliehen hatte, flossen schneller, als er erwartet hatte, zurück. Sie mußten also neu angelegt werden. Als Land, das Geld suchte und hohe Zinsen zahlte, kam in erster Linie Deutschland in Frage. Alle wertvollen Sicherheiten waren den Alliierten verpfändet. Das Stammhaus Adamsons in Newyork wurde von Johns Bruder William geleitet. Dank der Tüchtigkeit Lionels hatte sich das japanische Geschäft schnell entwickelt und an Bedeutung das Stammhaus überholt. In Tokio war die eigentliche Leitung. Lionel, von seinem Sohne und Ebenbild John unterstützt, disponierte auf Grund der aus Newyork eingehenden Informationen auch in allen wichtigen Fragen des amerikanischen Geschäfts. Auch dort waren große Kapitalien disponibel. Die deutsche Industrie schrie nach Geld. Aber die Unklarheit der Verhältnisse, die durch Schaffung einer stabilen Währung zu Lasten einer Garantie leistenden Landwirtschaft und Industrie nur noch erhöht wurde, gebot Vorsicht.
„Es gibt nur eins,“ sagte der Bankier Lionel Adamson zu seinem Sohne John, „du fährst selbst nach Deutschland und prüfst selbst die Sicherheiten.“
„Dreißig Tage Fahrt“, erwiderte John.
„Das besagt gar nichts. Du bleibst einen Tag in St. Franzisko und zwei Tage in Newyork. Da wir für entliehenes Geld in Amerika kaum ein Viertel der Zinsen zahlen, die uns die Deutschen geben, so nimmst du auf, was du bekommst.“
„Bevor ich die Sicherheiten drüben geprüft habe?“
„Du sicherst dir die Beträge für einen festen Termin zwei Wochen nach deiner Ankunft in Europa.“
„Die Option kostet Geld.“
„Ein halbes Prozent im Höchstfall. Dafür hat man die Sicherheit, daß es festliegt für uns und nicht von anderer Seite in Deutschland angelegt wird. Du fährst noch heute.“
„Unmöglich!“
„Das Wort gibt es für einen amerikanischen Kaufmann nicht.“
„Ich habe dringende Geschäfte, die mich in Tokio halten.“
„Von denen ich nichts weiß?“
„Es ist besser, du weißt es nicht.“
„Sind sie sicher?“
„Absolut!“
„Die Chancen?“
„Nach meiner Berechnung siebzig bis hundert Prozent im Jahr.“
„Also ein schmutziges Geschäft?“
„Das Wort, Papa, gibt es für einen amerikanischen Kaufmann nicht. Jedes Geschäft ist fair, das reell geführt wird. Ein Bischof kann ein Lump, ein Mädchenhändler kann ein Gentleman sein.“
„Ich würde selbst in einem solchen Falle den Bischof vorziehen.“
„In deinem Salon — gewiß! Im geschäftlichen Verkehr ziehe ich den Gentleman vor.“
„Ich ahne bereits, was du vorhast.“
„Unmöglich, Papa!“
„Mir war es schon immer ein Rätsel, warum niemand nach diesem Geschäft griff!“
„Und warum hast du — nicht danach gegriffen?“
„Zu alt, mein Sohn! Es erfordert doch ein gewisses Eingehen in die Materie. — Es ist nicht dasselbe, als wenn man Zinn oder Erz verkauft.“
„Ich meine doch, daß es dasselbe ist.“
„Möglich. Sogar wahrscheinlich. Und wenn du es in dieser Form machst, so wirst du leicht hundert Prozent herauswirtschaften.“
Der Bankier ging an den großen Geldschrank, der offenstand. Er schloß das Geheimfach auf und entnahm ihm ein dickes Aktenstück.
„Hier“, sagte er zu seinem Sohne, „sind die Anlagen, Entwürfe und Berechnungen.“
„Wie? — Du hast dich bereits damit befaßt?“
„Kannst du dir denken, daß ein Mensch mit geschäftlichem Instinkt nicht nach einem Aufenthalt von vierundzwanzig Stunden erkennt, daß es in Japan nur ein großes Geschäft gibt und daß dies Geschäft seit Jahrhunderten so ungeschäftlich wie nur möglich betrieben wird?“
„Wie erklärst du dir dann, daß noch niemand nach diesem Geschäft gegriffen hat?“
„Für den Japaner kommt es nicht in Frage, denn der sieht es nicht, weil er die ganze Institution mit andern Augen betrachtet als wir, nämlich mit den Sinnen. Die Europäer, die nach Japan kommen, sind Esel — oder bist du anderer Ansicht?“
„Gewiß nicht! Denn es sind Diplomaten, Künstler oder Lehrer.“
„Sehr richtig. Der Diplomat hat ein Brett vor dem Kopf. Hätte er das nicht, so wäre er natürlich Kaufmann geworden. Jeder Künstler hat einen Defekt und überhaupt kein Auge für die Wirklichkeit — na, und der Herr Professor betrachtet im Höchstfalle die ‚Sache an sich‘, statistisch, zahlenmäßig — und verfaßt eine Abhandlung über ‚Begriff und Wesen der Kurtisane‘ oder ‚Das Liebesleben in Japan in den letzten drei Jahrtausenden.‘
„Aber es gibt doch genug Amerikaner in Japan!“
„Die hält die Mentalität davon zurück.“
„Auch wenn es Millionen zu verdienen gibt?“
„Sie machen es wie ich.“ — Er wies auf das Aktenstück. „Ich bin überzeugt, daß es nicht das Einzige ist. Viele werden wie ich das Geschäft kalkuliert haben. — Um es auszuführen, dazu gehört eben mehr als die Kalkulation.“
„Du meinst doch nicht etwa Unmoral oder Gottlosigkeit?“
„Aber nein! Ich kann mir sogar denken, daß man ein solches Unternehmen gradezu moralisch und gottgefällig führen kann.“
„Mit hundert Prozent Verdienst?“
„Das natürlich nicht. Aber es genügt ja, wenn man dem Unternehmen einen solchen Mantel umhängt.“
„Und weshalb hast du das nicht getan? Und weshalb tun es die anderen Amerikaner nicht?“
„Ihrer Frauen wegen.“
„Du meinst, die Frauen würden es anders beurteilen?“
„Sie sind exaltiert und unberechenbar. Auch kommt es ja nicht auf ihr Urteil an. Sie sind im Grunde genau wie wir. Wir wollen Geld verdienen. Sie wollen es ausgeben.“
„Also fragen sie auch nicht, woher das Geld kommt.“
„Sie lieben aber auch die Sensation. Die Amerikanerin, die sich eine Sensation entgehen läßt, muß erst geschaffen werden. Denke dir, was sich da herausholen läßt. Wenn es so einer Frau einfällt, nimmt sie plötzlich für die Japanerinnen, die sie bisher verachtet hat, Partei. Es bedarf nur einer geschickten Propaganda, etwa daß ein paar Dutzend Amerikanerinnen erklären, sie fühlten sich durch die ihren japanischen Schwestern angetane Schmach in ihrem Geschlecht gekränkt — und am nächsten Tage rast durch die ganzen Vereinigten Staaten ein Sturm der Entrüstung. Das Geschäft ist ruiniert, die Unternehmer sind gesellschaftlich tot, und Amerika ist um ein paar Dutzend Comitées von ehrgeizigen Weibern reicher, die ihr Leben für die Befreiung und Emanzipierung der japanischen Frau einsetzen. So eine Entrüstung läßt sich bei uns innerhalb einer Woche organisieren. Moral und Unmoral sind ja nicht etwa Gegensätze — waren es nie. Du wirst das Geschäft ‚im Namen der Moral‘ führen, genau, wie man sich fünf Jahre lang ‚im Namen Christi‘ gemordet hat. — Das Zeichen, verstehst du, das Markenzeichen, das man einem Geschäft umhängt, bestimmt den Charakter. Sieh meine Pläne durch. Vielleicht, daß sie sich mit den deinen decken.“
„Ich werde also meine Reise nach Deutschland um drei Wochen verschieben.“
„Das entscheide ich. — Du fährst noch heute!“
„Und wenn ich die Firma an dem Geschäft beteilige?“
„Dann kable ich nach Neuyork, daß William vorausfährt. Und du folgst in vierzehn Tagen.“