Читать книгу Asiaten! Ein Liebesroman aus zwei Welten - Artur Hermann Landsberger - Страница 8
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ОглавлениеBis Yokohama blieb Hana Tatsumi unsichtbar. Sie klagte, so oft Omasan versuchte, sie in ein Gespräch zu ziehen, über Schmerzen im Kopf und im Rücken. Sie erklärte sich außerstande, an Deck zu gehen. Den Arzt lehnte sie ab. Sie sprach nicht und berührte die Speisen kaum, die man ihr in die Kabine brachte. Und doch litt sie nicht übermäßig. Was geschehen war, nahm sie als Schicksal. So war es bestimmt, so mußte es kommen! Sie hatte darüber nie nachgedacht.
Was also empfand Hana, als der Baron Besitz von ihr ergriff? — Daß sie Taizo Hodsumi liebte. Daß dieser Liebe ein Unrecht geschah. Daß sie sich nach ihm sehnte. Plötzlich sich einsam fühlte — und doch nicht wünschte, zu ihm zurückzukehren. — Die Liebe war beleidigt. Nicht der Mensch.
Omasan ließ sie gewähren. Sie wußte, was in Hana vorging, und war sich über deren Gefühl klarer als Hana selbst. Deren Zukunft verlangte diesen Eingriff. Je früher es geschah, um so besser für sie. — Sie überließ Hana ihrer Stimmung. Es gibt Dinge, die das Laute nicht vertragen, die man durch gutes Zureden daher nicht bessert. An die man am besten gar nicht rührt und die man sich selbst überläßt. Dann schlummern sie ein.
Erst kurz vor Mito hielt Omasan es an der Zeit, Hana daran zu erinnern, daß das Leben aus Pflichten bestehe und daß kein Mensch sich den Luxus gestatten könne, seinen Stimmungen zu leben.
„Ich weiß, daß du gut zu mir warst,“ erwiderte Hana, „und ich danke dir, daß du mich daran erinnerst.“
„Ich will aus dir machen, was mir einst für mich vorschwebte. Du darfst meine Fehler nicht wiederholen. Ich will mich in dir erneuern. Denn ich bin wie ein leeres Gefäß, seit Krankheit mich aus der Bahn warf — mitten während des Aufstieges.“
„Wenn ich deinen starken Willen hätte!“
„Ich werde ihn für dich haben. Aber versprich, mir in allem zu folgen. Ich sehe eher als du, wenn du dich verlierst.“
„Was könnte ich anderes tun, als dir folgen? Was ich gelernt habe, verdanke ich dir. Wüßte ich doch nicht einmal, es zu verwerten.“
*
Yokohama war noch immer ein Riesen-Trümmerhaufen. Das Innere der um drei Fuß gesunkenen Stadt mit den selbst für Japan niedrigen Häusern glich einem Lager von Baracken. Selbst die Räumungsarbeiten machten einen trostlosen Eindruck. Etwa: ‚Wozu die Mühe, wo es jeden Augenblick von neuem losgehen kann?‘ — Das schien überhaupt das Gebot der Stunde, nach dem man hier lebte, und der Schlüssel zum Verständnis von allem, was diese Stadt betraf.
Die großen ausgebrannten Staatsgebäude, Banken und Geschäftshäuser standen nach acht Monaten noch wie am Tage der Katastrophe. Die klaftertiefen Gruben und Löcher in der Erde waren noch nicht zugeschüttet, zum Ueberschreiten mit schmalen Brettern belegt und bei Dunkelheit durch Papierlaternen beleuchtet. An der Wiederherstellung der Straßen, in denen man bis zum Knöchel in Lehm watete, hatte noch keine Hand gerührt. Saß man in einer Rikscha, so spritzte der Schmutz einem in das Gesicht, und die armen Kulis mühten sich, den alle paar Minuten festgefahrenen Rikschawagen aus dem Schlamm zu ziehen.
Hana weinte, als sie das sah und hörte, daß unzählige Tote, die man nicht bergen konnte, noch unter den Trümmern lagen. Sie hatte den Wunsch: schnell fort von hier. Aber Osmana erklärte:
„Der Teil von Yokohama, der uns interessiert, ist wieder aufgebaut.“
Sie stiegen bei einer Bekannten Omasans im Innern der Stadt ab. Sie wohnte in einem Häuschen, das wie alle anderen einer Baracke glich und in einer aufgewühlten, schmalen Straße lag. Sie hieß Matsu Shuto, war alt und häßlich, aber freundlich und gut gekleidet. Die Begrüßung war herzlich. Die Verbeugungen wiederholten sich immer wieder. Und vor allem Hana wurde mit einer Wärme empfangen, die ihr völlig neu war. Es zeigte sich, daß sie Hanas Verhältnisse genau kannte, und obschon Hana sonst nicht viel nachdachte, so sagte sie sich doch, daß sie alles das nur von Omasan wissen konnte.
„Ein Kind ohne Eltern ist schlecht dran,“ sagte sie, „aber wohl ihm, wenn sich andere seiner annehmen, wie Omasan sich deiner angenommen hat.“
„Mein Onkel Yamakana war gut zu mir,“ erwiderte Hana. Aber die Alte hob die Arme und sagte:
„Laß nur, laß! Eine Mutter kann nur eine Frau ersetzen. Und was du bei Omasan gelernt hast, hätte dir auch eine Mutter nicht beigebracht.“
Sie klatschte in die Hände.
Vier junge Nesans (bessere Mägde) erschienen, nahmen die Sachen von Hana und Omasan und trugen sie durch eine Tür, die Matsu Shuto aufgezogen hatte. Man sah in einen hellen, sauberen Raum, der mit Blumen geschmückt war. Gleich darauf brachten die Mägde kleinere Schalen, allerlei Leckerbissen und eine weiße, mit Messing eingefaßte Holzschale voll Reis, die einer Trommel glich. Die Mägde schöpften die Körner aus dem Brei heraus und taten sie in eine Schüssel aus Porzellan.
Matsu Shuto drängte vor allem Hana beständig, zu essen und die Sakeschale zu leeren, die eine Magd auf ihr Zeichen schon zum dritten Male füllte.
Nach Verlauf etwa einer halben Stunde meldete eine Nesan die Ankunft der Haarverschönerin. Omasan gab Hana ein Zeichen. Diese erhob sich. Aber sie fühlte die ungewohnte Menge des heißen Weins in Kopf und Beinen. Omasan und Matsu Shuto entging das nicht.
„Sie wird sich früh niederlegen heute“, sagte die Alte. „Aber erst muß sie meinen Freunden noch etwas von ihrer Kunst zeigen.“
Hana hörte es beim Hinausgehen.
Die Friseurin-Gehilfin verbeugte sich tief, als Hana ins Zimmer trat. Hana begrüßte sie freundlich.
„So einer hübschen Dame habe ich schon lange nicht mehr den Kopf gewaschen.“
Hana dankte lächelnd und staunte über die Fertigkeit, mit der die Gehilfin das Haar wusch, parfümierte und mit einem halben Dutzend Kämme glättete und strich. Sie war eben fertig, als die Nesan erschien und die Ankunft der Friseurin meldete. Im Spiegel sah Hana eine nicht mehr junge Frau mit ein paar Kästen, die sich tief verbeugte. Hana forderte sie auf, näher zu kommen. Die Gehilfin trat beiseite, und die Friseurin begann nach nochmaliger Verbeugung mit der Frisur.
„Welche Frisur darf ich Ihnen machen?“ fragte sie.
„Ich kenne für Mädchen nur diese eine“, erwiderte Hana, worauf die Friseurin lächelnd erwiderte:
„Oh, dann stehen Sie noch im Anfang des Lebens, es gibt vierzehn.“
In diesem Augenblick schob eine Nesan die Tür zur Seite, und Matsu Shuto und Omasan traten ins Zimmer.
Nach den üblichen Verbeugungen besprach sich die Friseurin mit den beiden. Sie packte wohl ein Dutzend verschiedener Zierkämme, unzählige Krepp- und Seidenbändchen, farbige Papierflechten, Schleifen aus Goldfäden, zierliche Stahlagraffen und körbchenartige Unterlagen aus. Eine große Auseinandersetzung erfolgte, an der nur die, die es anging, Hana, sich nicht beteiligte.
Die Friseurin fragte, ob Hanas Haar denn auch von Jugend an die richtige Pflege gehabt habe — sonst könne sie natürlich nicht dafür garantieren, daß es die von Omasan gewünschte Frisur länger als ein paar Monate ohne Haarausfall aushalte.
Omasan, die auf diese Frage schwer eine Antwort geben konnte und erst jetzt erkannte, daß sie ein Wesentliches in Hanas Entwicklung vernachlässigt habe, log und sagte:
„Selbstverständlich. Man hat ihr dreißig Tage nach der Geburt das Haar glattrasiert und nur am Scheitel und an den Schläfen vom elften Tage des elften Monats an einen kleinen Kranz wachsen lassen.“
„Ja, und dann? Und dann?“ fragte die Friseurin eifrig, als handle es sich um eine Frage, die über Hanas ganze Zukunft entschied. „Wann hat man sie lang wachsen lassen?“
„Selbstredend erst vom sechsten Lebensjahre an.“
„Das ist ein Jahr zu spät!“ schalt die Friseurin.
„Das Kind war schwach.“
„Um so achtsamer mußte man für den Haarwuchs sorgen!“
„Es ist mit den teuersten Pomaden und Oelen behandelt worden.“
„Und wann hat das ehrenwerte Fräulein zum ersten Male eine Frisur getragen?“
„Eben von ihrem sechsten Jahre an.“
„Sehen Sie hier!“ — und sie wies auf einen kahlen Fleck auf der obersten Stelle des Kopfes — „die Tonsur als Zeichen der Jungfräulichkeit soll rund und nur einen Zoll groß sein.“
„Ja, ist sie denn das nicht?“ fragte Omasan.
„Das sind mindestens vier Fünftel Zoll — und rund ist sie auch nicht.“
„Aber die wird doch verdeckt.“
„Wenn auch. Das Haar ist die Krone der Frau. Es sollte dieselbe Pflege haben wie Körper und Geist. Eine kunstvolle Frisur macht ein breites Gesicht schmal, eine häßliche Frau hübsch, eine alte jung. An eine noch so gut gewachsene Frau mit dem schönsten Gesicht, die zu wenig oder zu schlechtes Haar hat, um daraus eine kunstvolle Frisur zu machen, wird sich kein Mann verlieren.“
Bei der dritten Frisur waren sich alle einig, daß sie die richtige sei. Sie wurde festgelegt, dann sagte die Friseurin:
„Die junge Dame ist von Natur aus durch Gestalt bevorzugt. Zum schönsten Mädchen in Yokohama aber habe ich sie gemacht.“
„Ein Meisterwerk“, stimmte Matsu Shuto bei, und Omasan sagte:
„Sie haben recht! Was ich sie in zehn Jahren gelehrt habe, wiegt nicht mehr als das, was Sie in einer Stunde aus ihr gemacht haben.“
„Wo wird die junge Dame hinkommen?“
„Vermutlich in das Mukojima.“
„Nach Tokio soll sie? Und in ein Teehaus, in das die reichen Leute mit ihren langweiligen Familien gehen?“
„Ja, warum nicht?“
„Weil sie mit ihrer Schönheit da nichts anzufangen wissen. Die Väter und Mütter ärgern sich, daß ihre Töchter nicht ebenso aussehen, und zahlen schlecht.“
„Darin liegt etwas Wahres“, sagte Matsu Shuto. „Im Shin-Bashi oder Yanagi kämen ihre Reize mehr zur Geltung.“
„Warum Tokio?“ erwiderte die Friseurin. „Gibt es in Yokohama keine Geishaviertel? Weder Kyoto noch Osaka kann sich damit messen.“
„Man müßte es sich ansehen“, meinte Matsu Shuto.
Die Friseurin fuhr fort:
„Ich habe in meinem Leben wohl an tausend Mädchen meine Kunst geübt. Ich nehme den Mund nicht gern voll — aber mit der werden Sie bei jeder Oiran Dochu den Vogel abschießen.“
„Das Mädchen soll keine Kurtisane werden“, erwiderte Omasan. „Sie soll in einem vornehmen Teehause tanzen und Samise spielen.“
„Kurtisane hin, Kurtisane her. Wenn eine Frau in Japan keine Aussicht hat, Kaiserin zu werden und aussieht wie die“ — dabei wies sie auf Hana, die noch vor dem Spiegel des Frisiertisches stand und ohne auf das Gespräch zu achten, staunend die mit ihr vorgegangene Veränderung sah — „dann soll sie nur einen Ehrgeiz haben: Königin der Kurtisanen zu werden.“
„Sie überstürzen das Tempo“, erwiderte die Alte, und meinte:
„Erst soll sie sich einmal an Menschen gewöhnen. Sie war ihr Leben lang allein.“
„Das Leben ist kurz. Das Leben einer Geisha noch nicht mal halb so lang. Jetzt ist die Zeit, wo das Glück ihr in den Schoß fällt. Wenn eine Geisha anfängt, es zu suchen, merkt sie meist erst, daß es vorüber ist.“
„Sie sprechen klug“, sagte Omasan.
„Ich spreche aus Erfahrung. Nennen Sie mir eine Geisha, die in Asakusa oder Mukojima war und ihr Glück gemacht hat? Ich gebe zu, es gibt in ganz Tokio keine besseren Teehäuser! Aber Männer, die dahin gehen, sind schmalbrüstig und engherzig und heiraten keine Geisha. Sehr zu deren Glück. Denn sie sind dann in ein paar Jahren nichts anderes als Kinderhüter und Osadons. Eine Oiran aber bleibt auch in der Ehe ein Schmuckstück, mit dem sich der Mann gern zeigt. Ich kenne Dutzende beider Arten. Hätte ich eine Tochter, die aussieht wie die“ — wieder wandte sie sich an Hana, stürzte auf den Frisiertisch zu und drehte hastig einen kleinen Handspiegel, den Hana mit der Vorderseite nach oben gelegt hatte, um. „Wissen Sie nicht, daß der Spiegel das Symbol des Frauenherzens ist, das man nie offen legen darf, weil sonst eine andere Frau das Herz des Geliebten gewinnt?“
„Ich habe keinen Geliebten,“ erwiderte Hana.
„Aber Sie werden einen haben — und es ist gut, wenn man sich beizeiten daran gewöhnt.“ — Da Hana schon wieder in den Spiegel sah, so fuhr sie fort: „Haben Sie gewußt, daß Sie so schön sind?“
„Nein, ich habe nie darauf geachtet.“
Sie nahm ein paar Blumen, die in einer kleinen violetten Schale schwammen, und machte Anstalten, sie sich ins Haar zu stecken.
Die Friseurin riß sie ihr aus der Hand.
„Ja, Kind, Sie wissen ja rein gar nichts!“ rief sie entsetzt.
„Was bedeutet denn das?“ fragte Hana.
„Frauen, die frische Blumen in den Haaren tragen, werden ihre Eltern auf dem Sterbebett nicht sehen,“ wurde sie belehrt.
Da sah Hana traurig vor sich hin und sagte:
„Ich habe keine Eltern mehr.“
„Oh, wie traurig!“ erwiderte sie und verbeugte sich tief. Aber gleich darauf fuhr sie fort: „Dann sind Sie also frei und haben für niemanden zu sorgen.“
„Das bin ich. — Ich habe niemand außer Omasan und Onkel Yamakana.“ Sie blickte zu Omasan hinüber. Ihre Augen trafen sich — und Omasan sah, daß sie an Taizo Hodsumi dachte.
Die Friseurin, die Matsu Shuto, wohl versehentlich, einmal bei ihrem Vornamen Shima nannte, fuhr fort: „Wie wäre es, wenn Sie das Kind mir überließen? Sie ist bei mir besser aufgehoben.“
„Wo denken Sie hin!“ erwiderte Matsu Shuto, gab aber Omasan ein Zeichen, mit Shima hinauszugehen.
Sie schob Shima und Omasan in den Nebenraum und schloß hinter ihnen die Tür zu. Zu Hana gewandt, sagte sie:
„Sie kommen gleich zurück.“
Nebenan begann Shima das Gespräch:
„Wenn Ihnen an der Zukunft des Kindes liegt, so sagen Sie „ja“. Ich kenne jedes öffentliche Haus und bessere Teehaus in Yokohama und Tokio. Durch mich hat schon manches Mädchen sein Glück gemacht.“
„Was haben Sie denn für einen Charakter?“
„Einen schlechten, denn ich will verdienen.“
„Das will ein jeder.“
„Gut gesprochen! So kommen wir schnell zu einer Verständigung. Was verlangen Sie?“
„Aber ich kann mir das Kind doch nicht abkaufen lassen. Es gehört mir ja nicht.“
„Wem denn?“
„Niemandem.“
„Dann werde ich es mir einfach aneignen.“
„Sie geht nicht von mir, wenn ich es nicht will. — Im Uebrigen: was sie ist, ist sie durch mich.“
„Sie irren. Das Talent ist ihr angeboren. Genau wie ihre Schönheit.“
„Ich habe Furcht, daß Sie nur den Zweck verfolgen, Kapital aus ihr zu schlagen.“
„Davon können Sie überzeugt sein. Je mehr, umso besser! Aber mit Verstand. Sie ein paar Jahre lang in ein öffentliches Haus stecken und sie dann zu Hausarbeiten verwenden, dazu reicht es schließlich bei jeder. Aber dabei springt nichts heraus. Eine Frau wie die, muß man als Geisha lancieren, und zwar so, daß sie ein Jahr lang Gesprächsstoff in jeder Gesellschaft Tokios ist.“
„Als was?“
„Als die schönste Geisha. — Dann kann sie sich die Männer aussuchen. — Auch heiraten, wen sie will.“
„Mir scheint, daß ich nicht das Recht habe, nein zu sagen.“
„Das scheint nicht nur — es ist so!“
„Ich werde mit ihr sprechen.“
„Erst müßten wir uns über die Bedingungen einig sein.“
„Ein Mensch ist doch kein Kaufobjekt.“
„Daß man hübsche Kinder armen Eltern abkauft, um Geishas aus ihnen zu machen, ist eine alte Sitte in Japan.“
„Weder bin ich die Mutter, noch ist Hana ein Kind.“
„Das erhöht Ihren Anspruch. Denn Zeit und Kosten für die Ausbildung werden gespart.“
„Hanas Ausbildung weist noch Lücken auf.“
„Anmut und Takt gleichen sie aus.“
„Sie hat nie bei einem Bankett serviert.“
„Und wird es nie tun. — Die Zeiten haben sich geändert. Zum mindesten für schöne Frauen. Sie bedienen nicht mehr. Sie werden bedient! Und eine Frau, die nie bedient hat, steht heute höher im Wert als eine, die es nicht mehr nötig hat, zu bedienen.“
„Irgend etwas sträubt sich in mir gegen diesen Handel. — Machen Sie es mit ihr selbst ab. Sie ist klug und alt genug, um über Dinge, die nur sie angehen, zu entscheiden.“
„Sie reden daher wie eine Europäerin. Im übrigen will ich Ihnen verraten, daß ich das längst getan hätte, wenn nicht die Gesetze des Staates dagegen ständen.“
„Was geht das den Staat an?“
„Er schützt die Minderjährigen. — Ein Vertrag, den ich mit dem Kinde schlösse, wäre nichtig und strafbar!“
„Ja, darf denn ich das?“
„Hat die Familie ....“
„Sie besitzt nur einen Onkel.“
„Also: hat der Onkel Ihnen das Recht übertragen, an seiner Statt für die Zukunft Hanas zu sorgen?“
Omasan zog ein Schreiben aus dem Aermel ihres Kimonos.
„Er hat es mir schriftlich gegeben.“
„Ich bitte darum, es lesen zu dürfen.“
Omasan entfaltete das Blatt und reichte es ihr. Shima las es. Ueber ihr Gesicht glitt ein Lächeln.
„Das ist ja ausgezeichnet,“ sagte sie. „Sie schreiben einfach darunter: die mir aus diesem Schreiben zustehenden Rechte übertrage ich an Shima Mataumoto. — Sofort nach der Unterschrift zahle ich Ihnen fünfhundert Yen. Das ist ein schönes Stück Geld. Aber ich werde schon auf meine Kosten kommen.“
„Ich möchte sie doch wenigstens fragen,“ sagte sie.
„Ueberlassen Sie mir das.“ — Im selben Augenblick war sie auch schon durch die Schiebetür hindurch im Nebenzimmer.
Da stand Hana, noch immer beglückt durch die neue Frisur, in einem Kimono von weißer Seide, über dem ein Ko-Uschiki (Ueberkleid), mit roten und blauen Blumen bestickt, lose herabfiel. Um die Mitte war ein rotes Seidentuch geschlungen. Sie lächelte bezaubernd und bewegte sich, einen Tanz andeutend, eben von der Tür aus zurück zum Spiegel.
„Sechshundert Yen — tausend,“ dachte Shima Mataumoto bei diesem Anblick. Die alte Matsu Shuto schob sich in ihre Nähe und flüsterte ihr zu:
„So etwas haben wir noch nicht gehabt. — Sieh’ dir den weißen Fetzen an! Was sie daraus gemacht hat! Er lag zusammen mit anderem Kram in der Ecke für die Nesan. Aus einem Dreck macht sie eine Staatstoilette.“
Hana stand jetzt wieder vor dem Spiegel, verschob die Schärpe ein wenig, nestelte an der Seide herum — und bot ein völlig anderes Bild, das abermals vollendet war.
„Sie sind das schönste Fräulein aus ganz Japan,“ sagte die Alte.
Hana erwiderte lächelnd:
„Heute gefalle ich mir selbst.“
„Sie müssen sich alle Tage gefallen,“ sagte Shima. „Und wenn Sie unter meinem Schutze stehen, werden Sie noch immer schöner werden.“
„Wo ist Omasan?“ fragte Hana.
Shima wies auf das Nebenzimmer und sagte:
„Sie wartet auf Sie. — Aber sie möchte, daß ich zuvor mit Ihnen spreche. — Omasan ist ein vorzüglicher Mensch. Um Sie besorgt, zittert sie um Ihre Zukunft. Sie sieht nun, daß sie nicht die Möglichkeit hat, Ihre Schönheit und Ihre Gaben in das richtige Licht zu setzen. Daher hat sie mich gebeten, mich Ihrer anzunehmen.“
„Und Sie wollen es tun?“
„Würden Sie sich mir denn anvertrauen?“
Hana, das erste Mal in ihrem Leben vor eine Entscheidung gestellt, wurde unsicher. — Shima Mataumota entging es nicht.
„Die Frage ist einfach die: wollen Sie schön und reich sein?“
„Gewiß will ich das!“
„Oder ziehen Sie es vor, nach einem Leben der Enttäuschungen arm und verachtet zu Ihrer Familie zurückzukehren?“
„Nie täte ich das!“
„Dann gehen Sie rasch hinein und sagen Sie Omasan, daß Sie sich mir anvertrauen wollen.“
Omasan saß noch vor dem Schriftstück, hatte den Satz, durch den sie ihre Rechte auf Shima Mataumoto übertrug, schon darauf gesetzt, zögerte aber noch, zu unterschreiben.
Hana ging auf sie zu und sagte:
„Liebe Omasan, die Menschen sind so gut zu mir.“
„Sie wollen, daß ich dich in ihre Obhut gebe.“
„Ich weiß. Sie wollen, daß ich reich und glücklich werde.“
„Das sagen sie. Und ich glaube es auch.“
„Dann sage ich ‚ja‘!“
Omasan fügte in das Schriftstück die Worte ein „mit Hana Tatsumis Willen“, setzte ihren Namen darunter und ließ Hana mit unterzeichnen. Dann erhob sie sich und rief Shima Mataumoto.
Die kam, rot vor Erwartung, und las in Omasans Gesicht sofort, wie die Entscheidung gefallen war. Hana wurde noch einmal hinausgeschickt.
„Hier,“ sagte Omasan, als Hana draußen war, und hob das Schriftstück hoch, „Sie hat eingewilligt.“
„Sie wird es nicht zu bereuen haben.“
„Was den Kaufpreis anbelangt, so sind 500 Yen natürlich eine viel zu geringe Summe.“
„Ich bin bereit, sechshundert zu zahlen.“
„Fünfzehnhundert — und nicht einen Yen darunter!“
Shima Mataumoto wurde rot vor Zorn, den sie nur mühsam unterdrückte.
„Sie wollen mich ruinieren!“
Ich sage mir, je höher der Preis ist, um so größer wird die Sorgfalt sein, die Sie auf das Kind verwenden.“
„Ich schwöre Ihnen, daß ich für tausend Yen dieselbe Sorgfalt ....“
„Die fünfzehnhundert sind mir eine bessere Gewähr.“
„Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht einmal solch hohen Preis bezahlt!“
„Sie haben auch in Ihrem ganzen Leben noch nie so ein Geschöpf in Ihre Hand bekommen!“
„Teilen wir uns die Differenz.“
„Ich handle nicht.“
Shima Mataumoto gab nach.
„Sie verstehen Ihr Geschäft,“ sagte sie bösartig und füllte einen Scheck aus.
„Ich hoffe sehr, daß ich sie nicht zu billig weggegeben habe,“ erwiderte Omasan und erhob sich.
Die Trennung von Hana vollzog sich dank der Kühle, die Omasan vortäuschte, in aller Ruhe.
„Laß oft von dir hören,“ sagte Omasan. „Du wirst vermutlich eine Bindung auf längere Zeit eingehen. Vor dem Schlimmsten bist du bewahrt. Ich errichte dir morgen auf der Hokkaido Colonization Bank ein Konto in Höhe von ...“ — sie rechnete die von Yamakana erhaltenen fünfhundert Yen dazu — „von zweitausend Yen, über die du jederzeit verfügen kannst.“
„Wo kommt das Geld her?“ fragte Hana.
„Du hast dich bei niemandem dafür zu bedanken — am allerwenigsten bei mir!“
Omasan, sonst so beherrscht, fühlte, wie schwer ihr die Trennung wurde.
„Leb’ wohl, mein Kind!“ sagte sie schluchzend. „Sei glücklich, hörst du? — und vergiß mich nicht.“
Sie wankte hinaus.
Hana stand und sah ihr nach. — Sie war längst aus dem Hause, da rief Hana — und es klang wie ein Hilferuf, der nicht mehr zu ihr drang: „Omasan!“