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Hana und Taizo Hodsumi hatten in all den Jahren auf dem Wege zu Omasan nicht viel miteinander gesprochen. Wenn die Magd des alten Yamakana früh am Morgen die Tür des Hauses öffnete und Hana wie die kostbarste Puppe eines Spielwarenladens über die Schwelle trat, stand Taizo regelmäßig schon vor der Tür. Nicht einmal in der ganzen Zeit hatte sie auf ihn zu warten brauchen. Sie verbeugten sich mehrmals tief, dann gingen sie Hand in Hand den weiten Weg. Sie blieben stehen, wenn die Sonne hinter dem braunen Berg emporstieg, und sahen dem Schauspiel zu. Oder sie lauschten dem Gesang eines Vogels, der in den Bäumen sang. Und dann kam es wohl vor, daß ihre Hände fester als sonst ineinander lagen.

Nur einmal, an einem Frühlingsmorgen, als die braune Landschaft ganz in Sonne getaucht war, sahen sie sich in die Augen, und Taizo fragte:

„Was denkst du, Hana?“

Hana senkte den Kopf.

„Du weißt es wohl“, sagte sie. Und mitten auf dem Feld, am Rand des Flusses, hob sie die Arme, bewegte sie den leichten Körper, tanzte und sang sie:

„Zu schnell vorüber mit dem Morgenwinde

Der Frühling schwebt;

Im goldnen Kelch, den er berührte linde —

Der Wein noch bebt.

Rings von den Zweigen fiel wohl Blüt’ auf Blüte. —

O Schönste mein,

Vom flücht’gen Rausche tiefer noch erglühte

Die Wange dein.

Mein düst’res Haus, von Pfirsichen umzogen,

Jetzt ist es alt.

Das Licht fließt rasch, und um den Tag betrogen

Sind wir so bald!

Eh’ ihr den Tanz beginnt,

Ist’s Nacht und kalt.

Haß trennet, die zusammen einst getragen

So Schmerz wie Glück;

Mein Haar ward seidenweiß — Und unser Klagen

Bringt nichts zurück.“

Träne um Träne fiel auf das junge Grün. Taizo legte den Arm um sie. Er sprach kein Wort. So gingen sie bis vor Omasans Haus. Da sah er ihr noch einmal in die Augen. Durch den Gürtel hindurch fühlte sie den Druck seiner Hand.

„Hana!“ sagte er.

Sie sah zu ihm auf, lächelte und ging ins Haus.

Schweigend erlebten sie das nun jeden Morgen. Wenn sie an diese Stelle kamen, lösten sich von selbst ihre Hände. Er legte den Arm um sie, und so gingen sie bis zu Omasans Haus. Da sahen sie sich in die Augen, und er nannte ihren Namen. — Sie schloß dann jedesmal die Augen, und ihr war zu Mute, als wenn sie jemand mit heißem Atem an sich zog.

„Was das wohl ist?“ fragte sich Hana oft. Mehr als einmal schon wollte sie Omasan fragen. Aber die würde es auch nicht wissen. Die sprach von so vielen Dingen, aber nie war ihr dabei zu Mute, um von Taizo und sich zu reden.

Den ganzen Weg über hatte sie an nichts anderes gedacht. Als sie jetzt hinter dem Onkel in den Laden trat, saßen die Bürger von Schikotsu schon hinten beim Sake. Taizo fehlte noch.

„Geh’ schlafen, Kind! Du wirst müde sein“, sagte der Onkel.

Hana verbeugte sich und ging. Sie wußte, daß sie nicht schlafen würde.

Onkel Yamakana war sehr stolz auf seine Nichte und erzählte seinen Gästen, welche kommende Berühmtheit Schikotsu in seinen Mauern barg.

„Da weiß man doch, wo man hingeht, wenn man mal nach Osaka kommt“, meinte Tasaka, der am Marktplatz Mützen fabrizierte.

„Uns wird sie dann nicht mehr kennen“, erwiderte Nujokana, der die größten Reisfelder von allen Bürgern Schikotsus besaß. „Wir werden ihr nicht fein genug sein.“

„Hana ist ein bescheidenes Mädchen“, beteuerte Onkel Yamakana. „Aber ob man euch in solch feines Teehaus hineinläßt, ist noch die Frage.“

Taizo war in die Tür getreten und im Laden stehen geblieben, ohne von den andern bemerkt zu werden. Er verstand sofort, was vorging. — War es denn möglich? — Doch, doch! Es war sogar natürlich. An dem Tage, an dem er sie zum ersten Male zu Omasan führte, begann Hanas Schicksal seinen Lauf zu nehmen. Mit jedem Tage waren sie einander näher gekommen. Aber keiner von beiden hatte daran gedacht, daß jeder Tag und jede Stunde, die sie bei Omasan verbrachten, den Zeitpunkt der Trennung beschleunigte.

Taizo wandte sich zur Tür. Er ging leise um das Haus Yamakanas herum, tastete die Wand ab, hinter der Hana lag, lehnte den Kopf an das kleine Fenster und glaubte deutlich ihren Atem zu vernehmen. Er fand nicht den Mut, an das Holz des Fensters zu klopfen oder das Gesicht dem Glas zuzuwenden, so daß sie ihn, falls sie wach war, hätte sehen können. Er war ja ohne Plan und Absicht. Wie es auch jetzt eigentlich nicht bedacht, Vielmehr Ausbruch des Gefühls, das ihn beherrschte, war, als er den Mund an die Scheibe preßte und inbrünstig „Hana!“ sagte.

„Ich komme!“ klang eine Stimme. Es war Hanas Herz, das sprach. Kaum, daß ihr Mund die Lippen bewegte.

Sie öffnete und beugte den zarten Körper aus dem Fenster. Taizo Hodsumi breitete die Arme aus. „Komm!“ sagten die. Sie legte den Kopf in seine Hände. Er fühlte die Lippen und die heißen Tränen und das Schluchzen eines armen Herzens. Er sah das weiße Gesicht sich heben, sah schmerzverzerrte Züge, sah ein Lächeln ohne Hoffnung, den schmalen Körper, der ohne Leben schien, zitternde Hände, die das Fenster schlossen, einen Schatten, der den Kopf bewegte und zurück ins Zimmer schwebte.

Taizo Hodsumi stürzte fort. Die Brust gepreßt zum Zerspringen. Er lief durch die Straßen — in den Wald — den Fluß entlang. Als er nach Stunden heimkehrte, brannten in Yamakanas Haus die Kerzen.

Die Kerzen im ersten Stock beleuchteten den Raum, dessen einziger Schmuck der Butsudan (Hausaltar) war. Er stand im Halbdunkel in einer Ecke und war stets verschlossen. Nur der alte Yamakana und seine Nichte Hana besaßen einen Schlüssel. Der Schrank war aus rotem Lack. In der Mitte seines altarförmigen Innern saß ein Buddha aus Alt-Cloisonné. Rechts und links von ihm standen die Ihai, die Tafeln der Toten. Kleine Grabsteine, auf denen die Namen der verstorbenen Verwandten standen. Deren Geister erfüllten den Raum und blieben auch nach dem Tode im Kreise der Familie. Ihnen galt alle Sorgfalt und Liebe. Auch Hana war in Anbetung der alten Gesetze der Lotusschriften erzogen. Sie kniete vor den Tafeln ihrer Eltern und nahm Abschied.

Asiaten! Ein Liebesroman aus zwei Welten

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