Читать книгу Asiaten! Ein Liebesroman aus zwei Welten - Artur Hermann Landsberger - Страница 5
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Оглавление„Es war einmal“ müßte jede japanische Geschichte beginnen. Auch wenn sie erst gestern oder heute sich zugetragen hat. Denn alles, was den Sinnen sich erschließt, was das Auge sieht, wird hier zum Märchen. — Ein Schleier, zart wie der Hauch einer rosafarbenen Wolke liegt darüber. Er gibt Stimmung und Färbung allem Geschehen. — Aber wehe, wenn die Hand eines Fremden hineinfährt und den Schleier zerreißt!
Mit dem Tage, an dem Amerika entdeckt wurde, schwanden Ruhe und Beschaulichkeit aus der Welt. Mit dem Tage, an dem der Amerikaner an Japans Küste landete und die Japaner zwang, ihr Land dem Handel mit den Völkern des Westens zu erschließen, wurde ein Märchenland entzaubert. — Damit schwand für alle, deren Gehirne noch nicht von der aus Amerika importierten Seuche des Materialismus angefressen waren, die Möglichkeit, sich je in reinere Gefilde zu retten.
Und doch: noch heute gibt es im Innern Japans Orte, die nie eines Amerikaners Fuß betrat. Aus einem solchen Orte zwischen Tschinchi und Helenkoi in Nord-Japan stammte Hana Tatsumi, die als Waise von fünf Jahren in das Haus ihres Onkels Yamakana nach Schikotsu kam.
*
Onkel Yamakana hatte einen Laden, in dem es von einem Sen an bis hinauf zu zehn Yen alles gab, was eines Japaners Herz erfreute. Von buntem Zuckerzeug, billigen Papierfächern, Holzschnitzereien, Kakémonos, lackierten Medizinschachteln, meterlangen Makimonos an bis zu den herrlichsten Tsubas mit in Gold und Silber eingelegten Landschaften. Aber auch die Hausfrau fand alles, was sie suchte. Und im Hintergrunde lag zwanzig Zentimeter über dem Boden eine Matte, auf der Bürger aus Schikotsu des Abends bei Sake und kleinen getrockneten Fischen saßen.
Hana schlief dann schon. Aber durch die dünnen Schiebewände drang das Geräusch. Sie lag dann oft wach und hörte, was die Männer sprachen. Meist erzählte der junge Taizo Hodsumi aus Tokarischo saki, der auf die große Zeitung in Mororan abonniert war, was in der Welt, vor allem, was in Japan vorging. Um diese Neuigkeiten zu hören, kamen die Bürger. Meist dieselben — zehn bis zwölf. Und Onkel Yamakana, der gern diskutierte und gegen den sogenannten Fortschritt war, rechnete dem jungen Taizo dann und wann ein Kännchen Sake weniger an, als er getrunken hatte.
*
Onkel Yamakana hätte seine Nichte Hana, obschon er gegen alles Moderne war, gern in die Höhere Töchterschule geschickt. Denn sein Bruder hatte ihm fünfhundert und siebzig Yen hinterlassen und ihn gebeten, das Geld für die Erziehung Hanas zu verwenden. Aber in Schikotsu gab es nur die Bürgerschule. Sie hätte hinunter nach Ostaruna gemußt, wo die Taka Odagiri — man bedenke, eine Frau! — eine Höhere Töchterschule unterhielt, in der viele Mädchen aus guten Häusern unterrichtet wurden.
Taizo Hodsumi meinte eines Abends, als wieder von Hanas Erziehung die Rede war:
„Was sie da lernt, bringt ihr die Tochter des Hirono Mori auch bei.“
„Willst du mit ihr sprechen?“
„Gern.“
Omasan Mori war erst dreißig Jahre alt. Aber sie lebte in einem kleinen Hause, das in schöner Gegend unten am Fluß stand, nur der Erinnerung. Als Kind hatte sie das vornehme Mädcheninstitut Yyogakkora in Tokio besucht, wo ihr Vater kaiserlicher Beamter gewesen, aber früh gestorben war. Sie hatte dann in Geishaschulen unterrichtet und war, wie sich die bösen Münder in Schikotsu erzählten, durch die Vermittlung eines Hikite — jaya (Liebesagenten) sogar kurze Zeit Oiran in einem der ersten Yoroyas von Tokio gewesen. Bis sie eines Tages eine kleine Erbschaft machte. Mit der war sie nach Schikotsu, der Heimat ihrer Mutter, die früh gestorben war, zurückgekehrt. Jeder hatte versucht, mit ihr in Verkehr zu kommen. Man sehnte sich in dem stillen Schikotsu danach, von dem großen Leben draußen etwas zu hören. Omasan war zu jedem freundlich. Aber sie blieb für sich. Nur hin und wieder nahm sie sich eines jungen Mädchens an, das sich aus Schikotsu hinaussehnte und das ihrer Meinung nach für eine Osadon (Küchenmädchen) zu schade war.
Taizo Hodsumi wußte das. Er ging also zu ihr, und Omasan Mori erklärte sich für die Summe von 150 Yen bereit. Schon am Morgen des übernächsten Tages trippelte Hana, achtjährig, an der Hand Taizos, der damals neunzehn Jahre alt war, zu Omasan Mori. Und von nun an jeden Morgen. Acht Jahre lang. Ohne Unterbrechung. Da wurde Hana Tatsumi sechzehn Jahre alt und war das hübscheste Mädchen in Schikotsu.
Omasan Mori war stolz auf Hana, als wäre sie ihre Schöpfung.
„Sieh,“ sagte sie zu Onkel Yamakana, „welche von uns Frauen in Schikotsu hat einen so schön geformten Nacken, solche Schultern und so sammetweiche Haut? Nie wird Hana Tatsumi Hüften haben. Zeige mir in ganz Japan eine Geisha, die sich in ihren Bewegungen mit ihr messen kann.“
„Geisha?“ fragte Onkel Yamakana und riß Mund und Augen auf.
„Wo sonst soll sie ihr Glück finden?“ erwiderte Omasan. „Oder willst du, daß sie ihr Leben in Schikotsu vertrauert? Dazu habe ich sie nicht pantomimische Tänze, den Tee bereiten, Blumen binden, Dichtkunst, Malerei, Räuchern mit Wohlgerüchen und Luxusarbeiten mit der Nadel gelehrt.“
„Das alles kann Hana?“
„Weit mehr kann sie. Alles, was die Mädchen mühsam lernen, ist ihr angeboren: Anmut, gute Manieren, spielen, singen, sich anziehen und schön aussehen. Sie kann mit der Tsuzumi umgehen und Samise spielen. Sie füllt eine Sakeschale, ohne einen Tropfen auf die Matte zu vergießen. Noch ein paar Monate in guten Händen in Morioka, und Hana Tatsumi wird sehr bald eine der gefeiertsten und begehrtesten Geishas sein.“
Onkel Yamakana war auf alles das nicht vorbereitet, und so kam es, daß er ein wenig die Fassung verlor.
„Und du meinst, daß das ihr Glück ist?“ fragte er.
„Wenn sie hier bleibt, wird es ihr ergehen wie mir. Sie wird verblühen, ohne glücklich gewesen zu sein.“ —
Hana Tatsumi hatte die ganze Zeit über an dem niedern Habachi gehockt und sich die kleinen, zarten und gepflegten Händchen über den Kohlen des kleinen Ofens gewärmt. Sie hatte nicht gewagt, ein Wort zu sprechen. Erst jetzt, als Onkel Yamakana sie um ihre Meinung fragte, glitt sie wie ein junges Kätzchen über die Matte, hockte zu des Onkels Füßen nieder und sagte:
„Wie es dir gefällt.“
„Es fällt mir schwer, mich von dir zu trennen. — Aber es ist wohl gut für dich.“
Hana weinte.
„Willst du zeitlebens Musme bleiben?“ fragte Omasan, und der Onkel erinnerte an das Sprichwort:
„Eine verheiratete Frau zu sein, ist schlimm. Aber unverheiratet zu sein, ist schlimmer.“
Hana dachte an Taizo Hodsumi. Aber sie wagte nicht, es auszusprechen. Denn sie wußte, daß es sich für ein Mädchen nicht ziemte, über Dinge zu sprechen, die es nicht verstand und über die andere zu entscheiden hatten.
Der Onkel meinte:
„Möglich wäre ja auch, daß man hier einen Mann für sie fände.“
„Hana gehört in die große Stadt. Hana ist geschaffen für Luxus und Reichtum. Sie muß auf sich halten. Sie darf nicht den ersten Besten nehmen.“
„Ist ihre Ausbildung denn beendet?“ fragte der Onkel.
„Ich sagte ja schon, man soll sie für ein paar Monate nach Morioka schicken. Besser wäre, sie ginge gleich nach Osaka oder Tokio. Doch, das kostet viel.“
„Vierhundert Yen liegen da — sogar etwas mehr. Auch die Zinsen. Und kostet es mehr, so könnte ich fünfzig Yen, vielleicht auch hundert ...“
„Für die Zeit reicht es schon — für den Unterricht auch. — Aber die Kleider! — Es gibt Teehaus und Teehaus. Die Unterschiede sind groß.“
„Für Hana kommt nur ein erstes in Frage.“
„Wer sie sieht, nimmt sie; und wer sie nimmt, sorgt auch, daß sie schön aussieht.“
„Sie muß es abarbeiten. Die Gäste zahlen ja. Es kommt genug ein.“
„Unabhängiger ist sie schon, wenn sie nicht nur ihre Jugend und Schönheit mitbringt.“
„Wer wird sie hinbringen?“ fragte Onkel Yamakana. „Osaka ist weit, und ich kenne dort niemand.“
„Ich selbst bringe sie,“ erwiderte Omasan.
Onkel Yamakana war gerührt. Er lud Omasan ein, in seinen Laden zu kommen und sich zu nehmen, was ihr gefiel.
Omasan legte ihren Arm um Hana und sagte:
„Das Schönste nahm ich schon.“
Sie öffnete den Obi (Gürtel) von Hanas grünseidenem Kimono, zog ihr den Kimono aus und half ihr in einen baumwollenen, der blau und weiß und weich wie Seide war.
Hana sah darin ganz allerliebst aus.
„Das tragen jetzt im Sommer alle Damen in Tokio. Ich sah sie im Maple Club zu Dutzenden.“
„Aber als Geisha?“ meinte Onkel Yamakana, „da wird sie sich doch wohl putzen müssen.“
„Sie soll weder Dschonkina tanzen, noch als Oiran neben Komuris im Zug der Kurtisanen vor einem gelben Oelschirm stolzieren. Das feinste Teehaus ist grade gut genug für sie.“
Onkel Yamakana sah Omasan von der Seite an. Er glaubte nicht recht, was sie sagte.
„Sie soll doch den Haikaras gefallen,“ sagte er.
„Wenn du damit die Gecken meinst, die ihre Nächte in den Yoroyas verbringen — für die ist Hana Tatsumi nicht. Auch Nen-ki und San-bu kommen für sie nicht in Frage. Nur das Schichibu. Wer hoch anfängt, braucht nicht weit zu steigen.“
Onkel Yamakana war sehr stolz auf seine Nichte.
„Wird die Stimme denn reichen? Sie hat zwar manche Nacht im Winter auf dem Dach beim Mondenschein gesungen und, wie du weißt, erst vor wenigen Wochen eine schwere Entzündung überstanden. Die Stimme ist danach auch stärker geworden — aber, ob sie stark genug ist?“
„Auch der Gesang des Vogels reicht oft nicht weit. Und er geht doch ans Herz.“
„Ich vertraue dir, Omasan. Denn du weißt mehr von der Welt und Menschen als ich. Sage mir nur, wann soll Hana uns verlassen?“
„Da die Jugend schnell vergeht und ich sie nichts mehr lehren kann, so ist es besser, sie geht heut’ als morgen.“
Hana gab einen Laut von sich, der klang wie der Angstschrei eines Vogels in der Ferne.
Omasan und Onkel Yamakana sahen sie an. Hana stand jetzt am Fenster. Mit dem Rücken zum Zimmer.
„Du bliebest lieber?“ fragte Omasan.
Langsam bewegte Hana den Kopf und sagte:
„Ich weiß es nicht. Aber ihr entscheidet.“
„So spricht ein braves Mädchen“, sagte Omasan. „In zwei Tagen komme ich, dich holen. Und da es für eine Frau nicht schicklich ist, Geschäfte abzuwickeln, werde ich meinen Bruder in Osaka bitten, uns zu begleiten.“
Alle drei verbeugten sich. Dann ging Hana Tatsumi hinter ihrem Onkel Yamakana aus dem Zimmer. Sie stieg die Stufen hinunter, schlüpfte, während der Onkel sich die hohen Schuhe anzog, in ihre Pantöffelchen und folgte ihm auf die Straße.
Mehr noch als sonst beugte Hana den kleinen Körper nach vorn, und es schien, als schleppte sie auf dem runden Rücken alles Leid der Welt.