Читать книгу Asiaten! Ein Liebesroman aus zwei Welten - Artur Hermann Landsberger - Страница 7
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ОглавлениеOmasan benutzte die Reise nach Osaka, um Hana Tatsumi über die Nutzanwendung von dem, was sie in all’ den Jahren gelernt hatte, aufzuklären.
„Für die japanische Frau erschöpft sich der Sinn des Lebens darin, dem Manne zu gefallen“, sagte sie.
„Welchem Manne?“ fragte Hana.
„Jedem, der sich um ihre Gunst bemüht.“
„Wenn es nun viele sind?“
„Um so besser für sie. Je mehr Männer, um so mehr Ehre.“
„Man kann doch aber nur einem dienen.“
„Man dient allen. Wenn man Glück hat, ist einer darunter, der einen heiratet — dann freilich dient man nur ihm.“
„Wenn man ihn aber nicht mag?“
„Darin eben besteht die Kunst, es ihn nicht fühlen zu lassen.“
„Und wenn man an einen anderen denkt?“
„Dann wird man alt und elend.“
„Ich werde immer an einen andern denken.“
Omasan glaubte, falsch zu hören.
„Erst mußt du doch mal unter Menschen kommen.“
„Und wenn ich noch so viele kennen lerne — ich werde doch nur immer an den einen denken.“
„Du hast ihn dir also schon ausgemalt, deinen Märchenprinzen?“
„Es ist Taizo Hodsumi.“
Omasan lachte laut auf.
„Der Bettelprinz aus Schikotsu?“
„Der Gold- und Silberschmied“, erwiderte Hana.
„Ich weiß! ich weiß!“ rief Omasan belustigt. „Der für zwölf Yen die Woche Bäume und kleine Vögel auf Schalen und Zigarettendosen kritzelt. Und du glaubst wirklich, daß ich dich sieben Jahre lang tanzen und singen, Blumen binden und Tee bereiten gelehrt habe, damit du dich mit deinen Gedanken an diesen Bettelprinzen hängst?“
„Es ist aber so — ohne, daß ich etwas dazu tue.“
„In acht Tagen wirst du ihn vergessen haben.“
Hana lächelte nur. Sie wußte, daß es nicht so war.
Sie befanden sich an Bord der „Akita maru“. Der Dampfer hatte nur Japaner an Bord, die nach der Hauptstadt fuhren.
Es fiel Hana auf, daß Omasan sich bei dem Obersteward des Schiffes nach den Namen verschiedener Passagiere erkundigte. Am Abend unterhielt sie sich mit zwei älteren Herren, die im Smoking waren und während des Gesprächs mehrmals zu Hana, die am offenen Fenster des Musiksalons stand, hinübersahen. Der Obersteward stand in der Tür und begann mit Hana ein Gespräch über das Meer. Es sei um die Jahreszeit sonst weit stürmischer. Er meinte, die Ruhe diesmal habe man wohl dem Umstand zu danken, daß sich unter den Passagieren der Baron Iwasaki befände. — Auf Hanas Frage, ob er denn der Wettergott sei, erwiderte er: daß der Baron in der Tat ein Liebling der Götter sei. Alles, was er begänne, führe er zum Erfolg. Jeder, der mit ihm in Berührung komme, werde vom Glück begünstigt. Hanas Frage, welcher von den Passagieren der Baron sei, beantwortete der Obersteward, auf einen älteren Herrn im Smoking weisend, der neben Omasan stand:
„Gefällt er dir?“
„Ich würde sehr froh sein, wenn er mit mir spräche.“
In diesem Augenblick kam Omasan mit den beiden Herren auf sie zu. Der Obersteward trat zur Seite, verbeugte sich und sagte:
„Die kleine Dame, Herr Baron, hat den Wunsch, Ihre Bekanntschaft zu machen.“
„Da begegnen sich unsere Wünsche“, erwiderte er. Alle verbeugten sich mehrmals. Der Baron trat dicht an Hana heran.
„Man hat mir viel Gutes von Ihnen erzählt.“
„Sie sind sehr gütig, so mit mir zu sprechen.“
„Gewiß ist Ihnen diese Reise nicht leicht gefallen?“
„Ich danke Ihnen, daß Sie so viel Anteil an mir nehmen.“
„Sie verstehen es gut, eine Unterhaltung zu führen. Da Sie auch schön sind, so wird der Erfolg mit Ihnen sein.
„Wüßte ich nur, wodurch ich so viel Lob verdiene!“
„Sie sind so artig, daß Sie eine Zierde für jedes Teehaus bedeuten.“
„Und wäre doch viel lieber in Schikotsu geblieben.“
„Für Sie ist Tokio grade groß genug.“
„Ich fürchte mich, daran zu denken.“
„Ich will Ihnen Bilder zeigen aus Tokio und Kyoto. Sie werden sich nicht mehr fürchten. Sie werden sehr froh sein.“
„Ich wünsche es mir.“
Er nahm sie bei der Hand und führte sie in die Kabine. — Omasan und der Steward sahen sich an. — Der Freund des Barons kehrte ihnen — nicht zufällig — den Rücken.
*
Zwei Stunden später schwebte Hana wie ein Vögelchen mit gebrochenen Flügeln scheu den Kabinengang entlang, schob sich die schmale Treppe zum Deck hinauf und verschwand da in der Dunkelheit.
Die Passagiere lagen längst in den Betten. Nur im Rauchsalon war noch Licht — und bei Omasan, die aufgerichtet auf ihrem Lager saß und auf Hanas Rückkehr wartete.
Hana lief das Verdeck entlang, bückte sich, als sie an den hellen Fenstern des Rauchsalons vorüberkam, erschrak vor ihrem eigenen Schatten, der gespensterhaft neben ihr herglitt, ins Riesenhafte wuchs und zur Reeling strebte, als wollte er sich kopfüber ins Meer stürzen.
Sie lief die Treppe zum Zwischendeck hinunter, scheuchte Leute, die nachtsüber im Freien lagen, aus dem Schlaf und hockte sich vorn am Bug des Schiffes nieder. Sie merkte weder, wie heiß ihr Körper war, noch wie der Wind hier pfiff. Sie fühlte nichts und hatte nicht die Kraft, zu denken. Nur fort von den Menschen wollte sie. Allein sein!
Dichter Nebel stieg auf und legte sich feucht auf das Schiff. Die Lichter eines Dampfers, der vorüberfuhr und lebhaft funkte, wurden milchig matt und verschwanden im Nebel. Langgezogen stießen die Rufe des Nebelhorns über das Meer. Der Scheinwerfer mühte sich ab, versuchte durchzubrechen, sandte immer stärkere Massen von Licht. Aber der Nebel stand wie eine Wand und würgte es ab.
Omasan wurde ängstlich. Sie schloß die Luke. Sie schlüpfte in den Morgenkimono und lief auf den Flur. Vor der Kabine des Barons Iwasaki blieb sie stehen, legte den Kopf an die Tür und lauschte. Der alte Herr schnarchte. Sie drückte behutsam die Klinke herunter und schob die Tür ins Zimmer. Das Licht des Scheinwerfers erhellte für einen Augenblick den Raum. Der Alte lag unbedeckt auf dem Rücken. Das verwitterte gelbe Gesicht stand voll Schweiß. Der blauseidene Pyjama stand offen. Dicke Büschel grauen Haars wuchsen ihm auf der Brust. Die Brust hob und senkte sich ruckweise. Er schien an Asthma zu leiden und schwer zu träumen. Vor dem Bett lag die grünseidene Schärpe vom Kimono Hana Tatsumis. Omasan tat einen Schritt ins Zimmer, bückte sich und hob sie auf.
Behutsam glitt sie hinaus, schloß leise die Tür und — suchte Hana. Alles im Leben wiederholt sich, dachte sie. — Aehnlich war es einst ihr ergangen. Das lag nun bald zwanzig Jahre zurück. Aber sie wußte noch, als wäre es heute geschehen, wie ihr damals zumute war. — Sie überlegte. — Was hatte sie damals getan? Es hatte sie von den Menschen fortgetrieben. Der helle Saal mit den vielen Menschen, in den sie hätte zurückkehren müssen, schreckte sie. Sie, die sonst so Furchtsame, war mitten in der Nacht tief hinein in den Park gelaufen. Es trieb sie fort von den Menschen, sie wollte für sich sein. Eiskalt und erschöpft hatte man sie am nächsten Morgen gefunden.
Omasan war sich gar nicht bewußt, daß sie im Banne der Erinnerungen zum Verdeck hinaufgestiegen war und sich durch die Nacht des Nebels tastete. Ihr war es, als erlebte sie alles noch einmal. Und so ging sie rein instinktiv den Weg Hanas. Sie hielt sich an der nassen Reeling fest, stieg die Treppe zum Zwischendeck hinunter, blieb, wenn das Licht des Scheinwerfers über das Deck strich, um sich zu orientieren, stehen und stand plötzlich dicht neben Hana. Sie hockte sich behutsam neben ihr nieder, legte den Arm um sie und sagte, so weich es ihre Stimme zuließ:
„Was bedeutet denn das?“
Hana blieb völlig ruhig, wandte sich um und sagte, bestimmter als Omasan es von ihr gewöhnt war:
„Laß mich allein!“
Aber Omasan umschlang sie nur um so fester.
„Steh auf!“ befahl sie und hob sie in die Höhe. „Wie lange hockst du hier schon? Bei diesem Wetter?“
„Ich weiß es nicht.“
„Weshalb bist du nicht in deiner Kabine?“
„Sie gehört dir. — Und ich muß tun, was du willst.“
„Du brauchst nicht, wenn du nicht willst. — Sage es, und wir kehren um.“
„Nun nicht mehr!“
Omasan lächelte. Hana sah es nicht. — Omasan hatte ihren Zweck erreicht. Die Gefahr der Rückkehr war behoben.